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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 20.10.2004
Aktenzeichen: BVerwG 1 C 15.03
Rechtsgebiete: AsylVfG, AuslG, VwGO, VwVfG


Vorschriften:

AsylVfG § 71 Abs. 1
AsylVfG § 77 Abs. 1
AuslG § 53 Abs. 6
VwGO § 86 Abs. 1
VwGO § 113 Abs. 5
VwVfG § 49 Abs. 1
VwVfG § 51
1. Bei einer Entscheidung über das Wiederaufgreifen des Verfahrens zur Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 AuslG i.V.m. § 51 Abs. 5, §§ 48, 49 VwVfG ist das Ermessen zugunsten des Ausländers regelmäßig auf Null reduziert, wenn er im Zielstaat der drohenden Abschiebung einer extremen individuellen Gefahr ausgesetzt wäre.

2. Die Verwaltungsgerichte sind auch in solchen Verfahren gehalten, die Sache zulasten oder zugunsten des Ausländers so weit wie möglich spruchreif zu machen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO), bevor sie das Bundesamt zu einer Neubescheidung verpflichten.


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 1 C 15.03

Verkündet am 20. Oktober 2004

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 20. Oktober 2004 durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer, die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Mallmann und Richter, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Beck und den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 16. Mai 2002 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe:

I.

Die Klägerin erstrebt in einem Asylfolgeverfahren die Verpflichtung des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) zu der Feststellung, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG vorliegen.

Die 1970 geborene Klägerin, eine jugoslawische Staatsangehörige aus dem Kosovo, reiste 1992 mit ihrer Familie nach Deutschland und beantragte Asyl. Das Bundesamt lehnte den Antrag im Februar 1994 ab, stellte fest, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen, und drohte die Abschiebung in die Bundesrepublik Jugoslawien an. Das Verwaltungsgericht wies die dagegen gerichtete Klage im Februar 1996 mit rechtskräftig gewordenem Urteil ab und vertrat die Auffassung, das Vorbringen der Klägerin über ihre Verfolgung unter anderem durch serbische Polizisten sei aufgrund von Widersprüchen und Steigerungen nicht glaubhaft.

Im Oktober 1997 hat die Klägerin einen Asylfolgeantrag gestellt. Sie legte ein fachärztliches Attest vor, in dem ihr eine schwere Depression und Suizidgefährdung bescheinigt wurden. Die Klägerin verwies darauf, vor diesem Hintergrund könne ihre Glaubwürdigkeit nicht mehr in Zweifel gezogen werden. Im Juli 1998 wies sie ergänzend darauf hin, dass aufgrund ihres Gesundheitszustandes jedenfalls ein Abschiebungshindernis vorliege. Das Bundesamt lehnte im Dezember 1999 den Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens und auf Abänderung seines Bescheides vom Februar 1994 hinsichtlich der negativen Feststellung zu § 53 AuslG ab.

Im gerichtlichen Verfahren machte die Klägerin im April 2000 ergänzend geltend, sie gehöre der Volksgruppe der Ägypter an und habe deshalb nunmehr Repressionen seitens der albanischen Bevölkerungsmehrheit im Kosovo zu befürchten. Im Nachgang zur mündlichen Verhandlung im Dezember 2000 legte sie ein weiteres Attest der sie behandelnden Fachärztin vor, in dem ihre psychischen Störungen als posttraumatische chronifizierte Belastungsstörung beschrieben wurden, und trug erstmals vor, dass ihre Erkrankung im Kosovo nicht behandelt werden könne bzw. sie keinen Zugang zu Behandlungsmöglichkeiten hätte.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Vorbringen der Klägerin zur fehlenden Behandlungsmöglichkeit ihrer Krankheit wies es nach § 74 Abs. 2 AsylVfG i.V.m. § 87 b Abs. 3 VwGO als verspätet zurück. Der Verwaltungsgerichtshof ließ die Berufung der Klägerin im Hinblick auf § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG wegen fehlerhafter Anwendung der Präklusionsvorschriften zu und verpflichtete die Beklagte, über den Antrag der Klägerin auf Abänderung des Bescheids des Bundesamtes vom Februar 1994 bezüglich der Feststellungen zu § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG gemäß § 51 Abs. 5 VwVfG i.V.m. §§ 48, 49 VwVfG unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden; im Übrigen wies es die Berufung zurück. Zur Begründung führte das Berufungsgericht im Wesentlichen aus, die Klägerin habe zwar keinen Rechtsanspruch darauf, dass die Beklagte das Verfahren wieder aufgreife und das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG feststelle; sie könne aber verlangen, dass die Beklagte über das Wiederaufgreifen des Verfahrens nach Ermessen entscheide. Das Bundesamt sei gehalten gewesen zu prüfen, ob der Wiederaufnahmeantrag der Klägerin Anlass zu einer Änderung der bestandskräftigen negativen Feststellung zu § 53 AuslG nach Maßgabe der §§ 48, 49 VwVfG im Wege des Erlasses eines Zweitbescheides gebe. Das insoweit auszuübende Ermessen sei im Anwendungsbereich des § 53 AuslG zugunsten des Antragstellers reduziert, wenn festgestellt werden könne, dass in seiner Person die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG vorlägen; wenn nämlich davon auszugehen sei, dass dem Antragsteller bei einer Rückkehr in sein Heimatland erhebliche konkrete Gefahren für Leib, Leben und Gesundheit drohten, stelle eine positive Entscheidung zugunsten des Antragstellers nicht zuletzt vor dem Hintergrund grundrechtlicher Gewährleistungen die einzig vertretbare Entscheidung dar. Das Gericht sei verpflichtet, den Rechtsstreit insoweit spruchreif zu machen, auch wenn der wesentliche Vortrag - wie hier - erst im gerichtlichen Verfahren erfolge. Dies gelte allerdings nur im Regelfall. Der materiellen Rechtslage komme ausnahmsweise kein ausschlaggebendes Gewicht für die Ermessensentscheidung zu, wenn dem Interesse des Antragstellers, das durch die begehrte Sachentscheidung geschützt werden solle, bereits in anderer Weise Rechnung getragen werde. Gehöre die Klägerin, wie sie vortrage, der Minderheitsethnie der Ägypter an, so stehe ihr aufgrund des in Baden-Württemberg bestehenden Abschiebestopp-Erlasses ein vorläufiges Bleiberecht zu. Das Bundesamt werde im Rahmen seiner Ermessensentscheidung über das Wiederaufgreifen zu würdigen haben, welches Gewicht dem Interesse der Klägerin zukomme, dass ungeachtet der erwähnten Erlasslage die begehrte Feststellung getroffen werde. Zunächst werde es festzustellen haben, ob die Klägerin in den Genuss des durch den Erlass vermittelten Bleiberechts komme. Im Anschluss daran sei zu prüfen, ob - unabhängig von der Befristung des Erlasses - Anhaltspunkte für eine Verlängerung und somit die voraussichtliche Geltungsdauer des Erlasses bestünden. Sodann sei zu erwägen, ob unter Beachtung des Gewichts der behaupteten psychischen Probleme der Klägerin Anlass bestehe, durch eine neuerliche Sachentscheidung jedenfalls vorläufig eine von großer Unsicherheit geprägte und folglich als solche belastende Situation zu beenden.

Mit ihrer Revision, die der erkennende Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen hat, erstrebt die Beklagte die Änderung der Berufungsentscheidung und die vollständige Abweisung der Klage.

II.

Der Senat konnte trotz Ausbleibens der Klägerin in der mündlichen Verhandlung über die Revision verhandeln und entscheiden, weil in der Ladung darauf hingewiesen worden ist (§ 102 Abs. 2 VwGO).

Die Revision der Beklagten ist begründet.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO), soweit sie der Berufung der Klägerin stattgegeben und die Beklagte verpflichtet hat, über den Antrag der Klägerin auf Abänderung des (negativen) Bescheides über die Feststellung zu § 53 Abs. 6 AuslG unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden. Das Berufungsgericht hat zwar zu Recht angenommen, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Wiederaufgreifen ihres Verfahrens zu § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG gemäß § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG hat (1.). Die Auffassung des Berufungsgerichts zum Anspruch der Klägerin auf ermessensfehlerfreie Entscheidung des Bundesamts über ihren Wiederaufgreifensantrag nach § 51 Abs. 5 VwVfG i.V.m. §§ 48, 49 VwVfG ist dagegen nicht mit Bundesrecht vereinbar (2.). Da der Senat den Rechtsstreit nicht abschließend entscheiden kann, ist die angefochtene Berufungsentscheidung aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

1. Die Klägerin kann nicht verlangen, dass das Bundesamt ihr bestandskräftig abgeschlossenes Verfahren zu § 53 Abs. 6 AuslG gemäß § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG wieder aufgreift und feststellt, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 AuslG vorliegen (vgl. allgemein zum Wiederaufgreifen des Verfahrens zu § 53 AuslG das Urteil des früher mit Asylsachen befassten 9. Senats des BVerwG vom 21. März 2000 - BVerwG 9 C 41.99 - BVerwGE 111, 77 = Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 33). Soweit die Klägerin als Wiederaufgreifensgrund vorbringt, sie gehöre der Volksgruppe der Ägypter an, fehlt es schon an einer Sachlagenänderung zu ihren Gunsten (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG). Denn sie macht damit allgemeine Gefahren im Kosovo im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG geltend, die grundsätzlich die Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 AuslG nicht rechtfertigen können. Das Berufungsgericht hat hierzu zutreffend angenommen, dass eine Einschränkung der Sperrwirkung des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG im Wege der verfassungskonformen Auslegung ausscheidet, solange die Klägerin durch einen entsprechenden Abschiebestopp-Erlass geschützt ist und sich deshalb die Frage einer verfassungswidrigen Schutzlücke von vornherein nicht stellt (vgl. Urteil des Senats vom 12. Juli 2001 - BVerwG 1 C 2.01 - BVerwGE 114, 379 = Buchholz, a.a.O., Nr. 50). Soweit die Klägerin das Wiederaufgreifen des Verfahrens ursprünglich unter Hinweis auf ihre Krankheit in Zusammenhang mit der Glaubhaftigkeit ihres Asylvorbringens beantragt hat, sind Gefahren im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG aufgrund politischer Verfolgungsmaßnahmen nach Änderung der politischen Verhältnisse im Kosovo nicht mehr ersichtlich und werden auch von der Klägerin nicht mehr geltend gemacht.

Die Klägerin kann ein Wiederaufgreifen des Verfahrens gemäß § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG auch nicht deshalb beanspruchen, weil sich ihre Krankheit, wie sie nunmehr behauptet, im Kosovo aufgrund unzureichender Behandlungsmöglichkeiten wesentlich verschlimmern würde. Dies ergibt sich allerdings nicht schon daraus, dass das Verwaltungsgericht dieses Vorbringen der Klägerin gemäß § 74 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG i.V.m. § 87 b Abs. 3 VwGO als verspätet zurückgewiesen hatte. Nach § 128 a Abs. 2 VwGO bleiben zwar Erklärungen und Beweismittel, die das Verwaltungsgericht zu Recht zurückgewiesen hat, auch im Berufungsverfahren ausgeschlossen. Das Berufungsgericht hat sich in seiner Berufungsentscheidung mit dem Vorbringen der Klägerin aber sachlich auseinander gesetzt, weil es ersichtlich der Auffassung war, dass das Verwaltungsgericht die Klägerin insoweit zu Unrecht präkludiert habe (vgl. den Zulassungsbeschluss vom 26. März 2001). Es kann offen bleiben, ob diese Auffassung zutreffend ist und ob die Zulassung von in erster Instanz zurückgewiesenen Erklärungen und Beweismitteln gemäß § 128 a Abs. 2 VwGO in einem Revisionsverfahren überhaupt überprüft werden kann (zu einer entsprechenden Verfahrensvorschrift der ZPO vgl. BGH, Urteil vom 21. November 1996 - IX ZR 264/95 - BGHZ 134, 127 m.w.N.). Jedenfalls könnte eine Überprüfung nur auf eine Verfahrensrüge hin erfolgen, die von der Beklagten und Revisionsklägerin hier nicht erhoben worden ist.

Ein Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG scheidet aber deshalb aus, weil die Klägerin diesen Wiederaufgreifensgrund (fehlende medizinische Behandlungsmöglichkeiten ihrer Erkrankung im Kosovo) nicht substantiiert in der Drei-Monats-Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG vorgebracht hat. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, reichte hierfür die Vorlage einer fachärztlichen Bescheinigung über psychische Störungen und Suizidgefährdung unter nicht näher begründeter Berufung auf ein Abschiebungshindernis nicht aus. Die Klägerin hätte vielmehr innerhalb der Frist vortragen müssen, dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung wegen fehlender Behandlungsmöglichkeit im Zielstaat der Abschiebung drohe. Das hat sie nicht getan, obwohl die Probleme der medizinischen Versorgung im Kosovo nach den Feststellungen des Berufungsgerichts den Prozessbevollmächtigten der Klägerin bereits seit längerem bekannt waren. Diese Kenntnis muss sich die Klägerin zurechnen lassen (§ 173 VwGO, § 85 Abs. 2 ZPO).

2. Liegen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG - wie hier - nicht vor, hat das Bundesamt gemäß § 51 Abs. 5 VwVfG i.V.m. §§ 48, 49 VwVfG nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob die bestandskräftige frühere Entscheidung zu § 53 AuslG zurückgenommen oder widerrufen wird. Insoweit besteht ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensentscheidung. Dem steht nicht entgegen, dass § 71 Abs. 1 und 3 AsylVfG für Asylfolgeanträge die Möglichkeit einer derartigen Ermessensentscheidung ausschließt; diese Regelungen sind weder unmittelbar noch entsprechend auf erneute Anträge zu § 53 AuslG anzuwenden (vgl. nochmals Urteil des 9. Senats vom 21. März 2000 - BVerwG 9 C 41.99 - BVerwGE 111, 77 <82> = Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 33 S. 50 m.w.N.). Hiervon ist auch das Berufungsgericht im Ansatz zutreffend ausgegangen. Es hat allerdings bei der weiteren Prüfung, wie die Beklagte zu Recht rügt, seine Verpflichtung zur Herbeiführung der Spruchreife nach § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO nicht hinreichend beachtet und außerdem die Voraussetzungen, unter denen das Ermessen des Bundesamts zum Wiederaufgreifen des Verfahrens zu § 53 Abs. 6 AuslG zugunsten des Ausländers auf Null reduziert ist, verkannt.

Auch wenn es an einer behördlichen Ermessensentscheidung fehlt, etwa weil der Wiederaufgreifensgrund - wie im Falle der Klägerin - erst im gerichtlichen Verfahren vorgebracht wurde, ist das Gericht gehalten, die Sache nach Möglichkeit spruchreif zu machen und abschließend zu entscheiden (§ 113 Abs. 5 Satz 1, § 86 Abs. 1 VwGO, § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG; vgl. Urteil des 9. Senats des BVerwG vom 10. Februar 1998 - BVerwG 9 C 28.97 - BVerwGE 106, 171). Eine solche abschließende gerichtliche Entscheidung kommt in Betracht, wenn dem Bundesamt im Einzelfall hinsichtlich der Änderung der bestandskräftigen negativen Feststellung zu § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG kein Ermessensspielraum eröffnet ist.

Dies ist zulasten des Ausländers der Fall, wenn das Gericht feststellt, dass die geltend gemachten neuen Tatsachen die Annahme eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 AuslG nicht rechtfertigen und damit schon die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Aufhebung der vorhandenen negativen Feststellung nicht vorliegen, weil ein Verwaltungsakt gleichen Inhalts erneut erlassen werden müsste (vgl. § 49 Abs. 1 VwVfG). Das Berufungsgericht hätte daher der Frage nachgehen müssen, ob der Klägerin im Falle ihrer Ausreise oder Abschiebung in ihren Heimatstaat eine gravierende Verschlimmerung ihrer Krankheit droht und ggf. welche Möglichkeiten für sie bestehen, dort wirksame Hilfe in Anspruch zu nehmen. Hätte sich nach entsprechender Aufklärung ergeben, dass ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis insoweit nicht besteht, hätte das Berufungsgericht die Klage insgesamt abweisen müssen.

Umgekehrt ist eine abschließende gerichtliche Entscheidung zugunsten des Ausländers dann geboten, wenn ein Festhalten an der bestandskräftigen negativen Entscheidung zu § 53 AuslG zu einem schlechthin unerträglichen Ergebnis führen würde und das Ermessen der Behörde deshalb auf Null reduziert ist. Dies kommt in Betracht, wenn der Ausländer bei einer Abschiebung einer extremen individuellen Gefahrensituation - der Schwere nach vergleichbar einer extremen allgemeinen Gefahrensituation im Sinne der Rechtsprechung zu § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG - ausgesetzt würde und das Absehen von einer Abschiebung daher verfassungsrechtlich zwingend geboten ist (vgl. Urteil vom 17. Oktober 1995 - BVerwG 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324 <328>; Urteil vom 7. September 1999 - BVerwG 1 C 6.99 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 20; jeweils m.w.N.). Von einer solchen Ermessensreduzierung kann grundsätzlich nur bei einer Gefährdung mit dieser besonderen Intensität ausgegangen werden. Die weitergehende Auffassung des Berufungsgerichts, das behördliche Ermessen sei aus verfassungsrechtlichen Gründen (bereits dann) zugunsten des Ausländers auf Null reduziert, wenn festgestellt werde, dass in seiner Person die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG vorliegen (UA S. 13), ist so weder mit der gesetzlichen Konzeption des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG vereinbar, die die Abschiebung auch bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen in das Ermessen der Ausländerbehörde stellt, noch mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur verfassungskonformen Anwendung von § 53 Abs. 6 AuslG bei allgemeinen Gefahren. Das Berufungsgericht hätte deshalb ggf. auch Feststellungen dazu treffen müssen, ob die Klägerin nach einer Abschiebung einer derart extremen individuellen Gefährdung ausgesetzt wäre.

Diese Feststellungen wären nur dann entbehrlich gewesen, wenn das Berufungsgericht - wie es nach seiner Lösung offen gelassen hat - seinerseits festgestellt hätte, dass die Klägerin der Volksgruppe der Ägypter angehört und damit von der Schutzgewährung des baden-württembergischen Abschiebestopp-Erlasses erfasst wird. Dieser Umstand würde dem Bundesamt auch bei einer extremen individuellen Gefährdung der Klägerin Ermessen eröffnen, ob es das bestandskräftig abgeschlossene Verfahren zu § 53 AuslG wieder aufgreift, solange eine Abschiebung der Klägerin aufgrund der Erlasslage nicht aktuell ansteht. Dies würde eine Ermessensreduzierung auf Null sowie eine abschließende gerichtliche Entscheidung zugunsten der Klägerin ausschließen. Hiervon ist das Berufungsgericht zutreffend ausgegangen, es hat allerdings verkannt, dass es die Frage, ob die Klägerin tatsächlich anderweitigen Schutz durch den Erlass genießt, in diesem Zusammenhang selbst hätte prüfen und entscheiden müssen, um einen dem Bundesamt noch verbleibenden Ermessensspielraum annehmen zu können.

Bei seiner erneuten Befassung mit der Sache wird das Berufungsgericht die fehlenden Feststellungen nachzuholen haben. Ergibt sich dabei, dass trotz aller gebotenen Aufklärungsmaßnahmen ein Ermessensspielraum des Bundesamts hinsichtlich des hier streitigen Wiederaufgreifens des Verfahrens verbleibt, ist das Berufungsgericht entsprechend dem auf Verfahrenskonzentration und Beschleunigung gerichteten Grundgedanken des § 77 Abs. 1 AsylVfG gehalten, auf eine endgültige Erledigung der Sache hinzuwirken. So sollte es ggf. dem Bundesamt Gelegenheit geben, die nach der Sachlage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz erforderliche, aber noch ausstehende Ermessensentscheidung zu treffen, um das anhängige Verfahren entweder im Wege einer übereinstimmenden Erledigungserklärung oder durch streitige Sachentscheidung abzuschließen.

Ende der Entscheidung

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