Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 19.01.2009
Aktenzeichen: BVerwG 10 C 52.07
Rechtsgebiete: AsylVfG, AufenthG, GG, Richtlinie 2004/83/EG


Vorschriften:

AsylVfG § 3 Abs. 1
AsylVfG § 77
AufenthG § 60 Abs. 1
GG Art. 16a
Richtlinie 2004/83/EG Art. 4 Abs. 4
Richtlinie 2004/83/EG Art. 8
Richtlinie 2004/83/EG Art. 9
Richtlinie 2004/83/EG Art. 10
1. Der Begriff der Verfolgungshandlung im Sinne der Richtlinie 2004/83/EG setzt einen gezielten Eingriff in ein nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie geschütztes Rechtsgut voraus.

2. Eine Vorverfolgung im flüchtlingsrechtlichen Sinne kann nach der neuen Rechtslage im Hinblick auf § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG i.V.m. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG nicht mehr allein wegen einer zum Zeitpunkt der Ausreise bestehenden Fluchtalternative in einem anderen Teil des Herkunftsstaates verneint werden.


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 10 C 52.07

Verkündet am 19. Januar 2009

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 19. Januar 2009 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Mallmann, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Richter, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Beck, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke

für Recht erkannt:

Tenor:

Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben (hinsichtlich der die Klägerin zu 2 betreffenden Abschiebungsandrohung in die Russische Föderation in Nr. 4 des Bescheides des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 19. Oktober 2001) wird das Verfahren eingestellt.

Insoweit sind die Urteile des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 31. August 2007 und des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 2. September 2002 wirkungslos.

Im Übrigen wird auf die Revision des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 31. August 2007 aufgehoben, soweit es die Flüchtlingsanerkennung der Klägerin zu 2 betrifft.

Die Sache wird insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe:

I

Die aus Tschetschenien stammende Klägerin zu 2 (im Folgenden Klägerin) erstrebt ihre Anerkennung als Flüchtling.

Die 1954 geborene Klägerin wuchs in Tschetschenien auf und ist - ebenso wie ihr Ehemann, ein Musiklehrer und Konzertpianist, und die gemeinsame Tochter (bisher Kläger zu 1 und 3) - Staatsangehörige der Russischen Föderation und tschetschenische Volkszugehörige. Im September 1999 begab sich die Familie von Grosny zunächst nach Moskau. Anfang Januar 2000 reiste sie von dort in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte Asyl. Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgetragen, der Ehemann sei im Juli 1999 in Tschetschenien durch religiöse Fanatiker entführt und längere Zeit gefangen gehalten worden. Deswegen und wegen der Kriegswirren habe die Familie nicht länger in Tschetschenien bleiben können; auch in Moskau hätten sie als Tschetschenen nicht in Frieden leben können.

Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) - Bundesamt - lehnte die Anerkennung als Asylberechtigte ab und stellt fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen, und drohte der Familie die Abschiebung in die Russische Föderation an.

Auf die dagegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht Würzburg mit Urteil vom 2. September 2002 das Bundesamt verpflichtet, der Familie flüchtlingsrechtlichen Abschiebungsschutz zu gewähren. Die Kläger hätten zwar keinen Anspruch auf Asylanerkennung, sie könnten aber Abschiebungsschutz als Flüchtlinge beanspruchen, weil ihnen als tschetschenischen Volkszugehörigen eine Rückkehr nach Tschetschenien nicht zuzumuten sei. Dort werde mit großer Härte ein Partisanenkrieg geführt, in dem es zu massiven Menschenrechtsverletzungen u.a. durch die russischen Streitkräfte komme. Eine inländische Fluchtalternative in anderen Gebieten der Russischen Föderation bestehe nicht.

Hiergegen hat der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten - Bundesbeauftragter - Berufung eingelegt. Im Berufungsverfahren hat die Klägerin geltend gemacht, sie sei an einer behandlungsbedürftigen posttraumatischen Belastungsstörung - PTBS - erkrankt. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat darüber durch Einholung zweier fachärztlicher Gutachten Beweis erhoben. Nachdem insbesondere das Gutachten der Amtsärztin und Psychiaterin B. vom 8. August 2005 zu dem Ergebnis gelangt war, dass die Klägerin unter einer schweren und chronifizierten PTBS leide, zu deren Behandlung zwingend eine Langzeitpsychotherapie sowie eine Fortführung der antidepressiven Medikation erforderlich sei, hat das Bundesamt im August 2005 der Klägerin ausländerrechtlichen Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 AufenthG in Bezug auf die Russische Föderation gewährt. Hinsichtlich der Flüchtlingsanerkennung hat es an seiner ablehnenden Entscheidung festgehalten.

Mit Urteil vom 31. August 2007 hat der Verwaltungsgerichtshof den Ablehnungsbescheid des Bundesamts bezüglich des Ehemannes und der Tochter der Klägerin als rechtmäßig bestätigt. Insoweit ist das Urteil rechtskräftig geworden. Hinsichtlich der Klägerin hat er dagegen einen Anspruch auf Flüchtlingsanerkennung im Hinblick auf die behandlungsbedürftige Erkrankung an PTBS bejaht. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt: Das Verwaltungsgericht habe der Klägerin zu Recht flüchtlingsrechtlichen Abschiebungsschutz zuerkannt. Unabhängig von der bei ihr festgestellten Krankheit bestehe ein solcher Anspruch allerdings nicht, weshalb auch die Klage des Ehemannes und der Tochter keinen Erfolg habe. Die Familie sei nicht vorverfolgt ausgereist. Dabei könne dahinstehen, ob ihnen vor ihrer Ausreise nach Deutschland in Moskau asylerhebliche Maßnahmen der russischen Staatsgewalt konkret und unmittelbar bevorgestanden hätten und ob aus Tschetschenien kommende Tschetschenen, die seit kurzem andernorts in Russland lebten, um die Jahreswende 1999/2000 einer Gruppenverfolgung ausgesetzt gewesen seien. Denn jedenfalls hätten die Kläger seinerzeit in Inguschetien eine inländische Fluchtalternative gehabt. Dort wäre für sie im Zeitpunkt ihrer Ausreise eine menschenwürdige und verfolgungsfreie Existenz - auch im Sinne von Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 (sog. Qualifikationsrichtlinie) - gewährleistet gewesen. Für die nicht vorverfolgt ausgereiste Familie gelte deshalb bei der aktuellen Verfolgungsprognose der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Nach diesem Maßstab müssten der Ehemann und die Tochter der Klägerin nach einer Rückkehr in die Russische Föderation nicht befürchten, Verfolgung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG zu erleiden. Ihnen drohe weder in Tschetschenien noch in der übrigen Russischen Föderation aus individuellen Gründen oder wegen ihrer Volkszugehörigkeit oder Herkunft aus dem Nordkaukasus Verfolgung. In Tschetschenien kämen asylerhebliche Übergriffe nicht mehr mit der für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderlichen Häufigkeit vor. Auch in anderen Teilen der Russischen Föderation würden sie gegenwärtig nicht gruppenverfolgt; denn insbesondere die verbreitete rechtswidrige Praxis, Tschetschenen die Registrierung zu verweigern, sei im Regelfall nicht asylerheblich. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass die Registrierungspflicht nunmehr erst nach 90 Tagen Aufenthalt an einem Ort Platz greife und dass sich Tschetschenen mit sehr guten Erfolgsaussichten gegen eine rechtswidrige Verweigerung der Registrierung zur Wehr setzen könnten.

Der Klägerin drohe demgegenüber bei einer Rückkehr in andere Teile der Russischen Föderation als Tschetschenien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG. Aufgrund der fachärztlichen Gutachten stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass sie an einer schweren, chronifizierten PTBS leide, deren Behandlung zwingend eine Langzeitpsychotherapie mit Fortführung der antidepressiven Medikation erfordere. Würde sie ihren Aufenthalt in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens nehmen, wäre mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass ihr diese zwingend benötigten Behandlungen infolge verzögerter Registrierung aus asylrechtlich relevanten Gründen - nämlich wegen ihrer Volkszugehörigkeit oder ihrer Herkunft aus dem Nordkaukasus - vorenthalten würden. Dies hätte zur Folge, dass sie in eine konkret lebensbedrohliche Situation geriete, mindestens jedoch schweren gesundheitlichen Schaden nähme.

Die verbreitete Praxis, zuzugswilligen Tschetschenen die Registrierung zu verweigern, stelle eine staatliche Maßnahme dar, die an asylerhebliche Kriterien - nämlich entweder die Volkszugehörigkeit oder die regionale Herkunft des Betroffenen - anknüpfe. Die im Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 17. März 2007 enthaltene Aussage, diese Zuzugsbeschränkungen würden unabhängig von der Volkszugehörigkeit gelten, treffe zwar weitgehend, nicht aber lückenlos zu. Insbesondere müsse bei der Entscheidung dieser Frage zusätzlich auch die Art und Weise der Anwendung der Vorschriften geprüft werden. Diesbezüglich aber räume auch das Auswärtige Amt ein, dass sich die in Frage stehenden lokalen Regelungen stark auf die Möglichkeit rückgeführter Tschetschenen auswirkten, sich legal an Orten niederzulassen, in denen solche Vorschriften oder Verwaltungsübungen bestünden. Auch von der Sache her liege es auf der Hand, dass die Restriktionen dazu dienten, den legalen Zuzug "von Personen aus den südlichen Republiken der Russischen Föderation" stark zu erschweren. Überwiegende Faktoren sprächen dafür, dass der Klägerin in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens eine Registrierung zunächst verweigert werde. Sie sei darauf angewiesen, ihren Aufenthalt in einer größeren Stadt zu nehmen, da nur dort eine psychiatrisch-psychotherapeutische Versorgung möglich sei. Gerade in größeren Städten seien die Zuzugsrestriktionen aber besonders ausgeprägt. Soweit die Verweigerung einer Registrierung mit guten Erfolgsaussichten bekämpft werden könne, sei jedenfalls damit zu rechnen, dass einige Monate verstrichen, bis die Klägerin eine - für den Zugang zur staatlichen Gesundheitsfürsorge nötige - unbefristete Registrierung erhalten werde. Auch schon die nur temporäre Verweigerung der Registrierung habe deshalb zur Folge, dass hierdurch die nach § 60 Abs. 1 AufenthG und Art. 2 Abs. 1 EMRK geschützten Rechtsgüter "Leben" und "körperliche Unversehrtheit" der Klägerin erheblich beeinträchtigt würden. Denn ohne den Zugang zum staatlichen Gesundheitssystem werde sie nicht in der Lage sein, die Kosten der benötigten therapeutischen Sitzungen und Medikamente zu bestreiten. Die damit zu erwartende Gefährdung an Leib und Leben sei die unmittelbare Folge eines staatlichen Verhaltens, das seinerseits an asylerhebliche Merkmale anknüpfe. Sie trete gleichsam "automatisch" ein, ohne dass es einer weiteren, von der Betroffenen bzw. von Dritten gesetzten Ursache bedürfe. Daran ändere nichts, dass der Sachbearbeiter bei der Meldebehörde, der eine Registrierung der Klägerin ablehne, ihr den Nachteil, der sich hieraus für ihr Leben und ihre Gesundheit ergebe, nicht dergestalt "zielgerichtet" zufüge, dass er die beantragte Amtshandlung deshalb ablehne, um die Klägerin in der aufgezeigten Weise zu schädigen.

Die Klägerin könne auch nicht darauf verwiesen werden, ihren Aufenthalt in Tschetschenien zu nehmen. Zwar werde ihr dort die Registrierung nicht verweigert werden, so dass sie vor einer solchen Verfolgung hinreichend sicher sei. Unter Berücksichtigung der allgemeinen Gegebenheiten in Tschetschenien und ihrer persönlichen Umstände könne jedoch heute vernünftigerweise nicht erwartet werden, dass sie sich in diesem Landesteil aufhalte. Dort wäre ihr nämlich die zwingend benötigte medizinische Behandlung aus nichtverfolgungsbedingten Gründen unzugänglich, weil die medizinische Versorgung in Tschetschenien allgemein mangelhaft sei.

Hiergegen wendet sich der Bundesbeauftragte mit seiner vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Revision. Er meint, dem Berufungsurteil liege ein zu weites Verständnis des Begriffs einer gezielten Rechtsverletzung zugrunde. Selbst wenn in der Verweigerung der Registrierung ein asylerheblicher Eingriff liegen sollte, sei die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs fehlerhaft. Denn die angenommene Verfolgungsgefahr beschränke sich auf einen örtlich klar abgegrenzten Bereich und komme daher einer "örtlich begrenzten" Gruppenverfolgung gleich. Von einer derartigen Verfolgung sei aber nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts derjenige nicht betroffen, dem der örtliche Bezug zum Gefährdungsgebiet fehle. Auf die Frage einer inländischen Fluchtalternative komme es dann nicht weiter an. Unabhängig davon sei auch die Begründung für eine asylerhebliche Anknüpfung der Registrierungsverweigerung widersprüchlich und nicht ausreichend tragfähig. Insofern leide die Entscheidung an einer nicht ordnungsgemäßen Überzeugungsbildung und an Verfahrensmängeln.

In der Revisionsverhandlung hat die Beklagte auf Hinweis des Gerichts hin die Abschiebungsandrohung in die Russische Föderation hinsichtlich der Klägerin in Nr. 4 des Bescheides vom 19. Oktober 2001 aufgehoben. Die Beteiligten haben insoweit den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt.

Der Bundesbeauftragte beantragt,

die Urteile des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 31. August 2007 und des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 2. September 2002, soweit sie die Flüchtlingsanerkennung der Klägerin zu 2 betreffen, aufzuheben und deren Klage auch insoweit abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und hält mit Rücksicht auf das ihr zuerkannte Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG und die Aufhebung der Abschiebungsandrohung, an ihrem Hilfsantrag auf Gewährung subsidiären Abschiebungsschutzes nicht fest.

Die Beklagte hält die Flüchtlingsanerkennung der Klägerin in Übereinstimmung mit dem Bundesbeauftragten nicht für gerechtfertigt.

II

Nachdem die Beklagte die Androhung der Abschiebung in die Russische Föderation in Nr. 4 des Bescheides vom 19. Oktober 2001, soweit sie sich auf die Klägerin bezieht, aufgehoben hat und die Beteiligten das Verfahren insoweit für erledigt erklärt haben, ist es in entsprechender Anwendung von § 141 Satz 1, § 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen. Zugleich ist gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 ZPO festzustellen, dass die Entscheidungen der Vorinstanzen insoweit wirkungslos sind.

Hinsichtlich des allein noch anhängigen Begehrens der Klägerin auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist die Revision des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten - Bundesbeauftragter - begründet. Das Berufungsgericht hat einen Anspruch der Klägerin auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft mit einer Begründung bejaht, die mit Bundesrecht nicht vereinbar ist (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Da der Senat aufgrund der Feststellungen des Berufungsgerichts nicht abschließend selbst entscheiden kann, ob die Klägerin aus anderen Gründen als Flüchtling anzuerkennen ist, war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des Begehrens der Klägerin auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 Abs. 1 und 4 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl I S. 1798) sowie § 60 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162). Die in diesen Bekanntmachungen berücksichtigten Rechtsänderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) - Richtlinienumsetzungsgesetz -, die am 28. August 2007 in Kraft getreten sind, hat der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylVfG zu Recht der am 31. August 2007 ergangenen Berufungsentscheidung zugrunde gelegt.

1. Das Berufungsgericht hat der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zugesprochen, weil ihr in der Russischen Föderation (außerhalb Tschetscheniens) wegen ihrer Volkszugehörigkeit oder wegen ihrer Herkunft aus dem Nordkaukasus zumindest temporär die Registrierung und damit auch der Zugang zur staatlichen Gesundheitsfürsorge verweigert würde und ihr deshalb die dringend notwendige medizinische Behandlung mit der Folge vorenthalten würde, dass sie in eine konkret lebensbedrohliche Situation geriete, mindestens jedoch schweren gesundheitlichen Schaden nähme, ohne dass ihr in Tschetschenien eine interne Schutzalternative eröffnet wäre (UA Rn. 84 ff.). Diese Begründung hält einer revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht stand.

Nach § 3 Abs. 1 AsylVfG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 - Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) -, wenn er in dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, den Bedrohungen nach § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt ist. Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf in Anwendung dieses Abkommens ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, sind Artikel 4 Abs. 4 sowie die Artikel 7 bis 10 der Richtlinie 2004/83/EG vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EG Nr. L 304 S. 12) - sog. Qualifikationsrichtlinie - ergänzend anzuwenden (§ 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG). Nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie gelten als Verfolgung in diesem Sinne Handlungen, die

a) aufgrund ihrer Art und Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten - EMRK - keine Abweichung zulässig ist, oder

b) in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Buchstabe a) beschriebenen Weise betroffen ist.

Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie bestimmt, dass eine Verknüpfung zwischen den in Artikel 10 genannten Verfolgungsgründen und den in Abs. 1 als Verfolgung eingestuften Handlungen bestehen muss.

a) Das Berufungsgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass in der - auch nach seiner Auffassung ansonsten nicht asylrelevanten - vorübergehenden Verweigerung der Registrierung wegen der besonderen Umstände im Fall der Klägerin eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 der Richtlinie liegt. Der Begriff der Verfolgungshandlung setzt nicht nur voraus, dass ein bestimmtes Verhalten des potentiellen Verfolgers für die schwerwiegende Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts oder eine vergleichbar schwere Rechtsverletzung durch Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen (Art. 9 Abs. 1 Buchst. a und b der Richtlinie) ursächlich ist, sondern erfordert auch ein auf die Verletzung eines derart geschützten Rechtsguts zielendes Verhalten. Dies entspricht der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur asylerheblichen Verfolgung, wonach eine gezielte Rechtsverletzung, d.h. ein gezielter Eingriff in ein asylrechtlich geschütztes Rechtsgut erforderlich ist (vgl. die Grundsatzentscheidung BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86 u.a. - BVerfGE 80, 315 <334 f.>). Die Zielgerichtetheit bezieht sich nicht nur - wie das Berufungsgericht offenbar meint - auf die asylerheblichen Merkmale bzw. jetzt auf die Verfolgungsgründe im Sinne von Art. 10 der Richtlinie, an die die Handlung anknüpfen muss (vgl. Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie), sondern auch auf die durch die Handlung bewirkte Rechtsgutsverletzung selbst. Für ein solches Verständnis des Begriffs der Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 der Richtlinie spricht auch die Begründung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften zu ihrem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates vom 12. September 2001, in der es - damals zu Art. 11 Abs. 1 des Vorschlags - heißt, dass als Verfolgung "ausschließlich Handlungen gelten, die absichtlich, fortdauernd oder systematisch ausgeführt werden und so gravierend sind, dass eine Rückkehr ins Herkunftsland ausgeschlossen ist" (KOM (2001) 510 endgültig S. 22).

Hiervon ausgehend kann die vorübergehende Verweigerung der Registrierung der Klägerin durch lokale Behörden in der Russischen Föderation unter den vom Berufungsgericht festgestellten Umständen nicht als auf das Leben und die körperliche Unversehrtheit der Klägerin gerichtete Verfolgungshandlung angesehen werden. Soweit es um Registrierungsverweigerungen örtlicher Behörden außerhalb "großer" oder "größerer" Städte geht, fehlt es schon an der Kausalität der Verweigerung der Registrierung für die durch mangelnden Zugang zur staatlichen Gesundheitsfürsorge bedingten Gefahren für Leib, Leben und körperliche Unversehrtheit. Denn nach den eigenen Feststellungen des Berufungsgerichts steht die für die Klägerin erforderliche medizinische Behandlung (Langzeitpsychotherapie und Medikation) nur in den "großen" oder "größeren" Städten der Russischen Föderation zur Verfügung (UA S. 56 f. Rn. 93). Für Registrierungsverweigerungen in anderen Gebieten scheidet schon deshalb die Annahme einer Verfolgung aus.

Aber auch an den Orten, an denen die erforderliche medizinische Behandlung nach den Feststellungen des Berufungsgerichts möglich ist, liegt in der vorübergehenden Verweigerung der Registrierung der Klägerin keine Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie, da diese Verweigerung ihrem Charakter nach nicht auf eine Verletzung des hier in Rede stehenden grundlegenden Menschenrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit abzielt. Der oben dargestellte erforderliche finale Zusammenhang zwischen dem Verhalten des potentiellen Verfolgers und der Rechtsgutsverletzung wird bei einem aktiven Eingriff regelmäßig unproblematisch zu bejahen sein. Bei der hier in Rede stehenden Verweigerung der Registrierung handelt es sich bei wertender Betrachtung dagegen um eine Form der Unterlassung, nämlich um die Nichterteilung einer Zuzugsgenehmigung in eine bestimmte Stadt oder Gemeinde, die nach den Feststellungen des Berufungsgerichts - wenn nicht bereits außerprozessual abgeholfen wird - in aller Regel vor Gericht erstritten werden kann (UA S. 37 Rn. 51). Zwar kann auch in einer Unterlassung eine Verfolgung liegen, in derartigen Fällen bedarf es aber einer besonderen Prüfung, welche dadurch gegebenenfalls auch nur mittelbar verursachten Folgen diesem Verhalten noch als zielgerichtete Rechtsverletzungen zugerechnet werden können. Die vorübergehende Registrierungsverweigerung mag ein etwa bestehendes Recht auf Zuzug und damit das Recht auf Freizügigkeit innerhalb des Staatsgebiets gezielt verletzen. Dieses Recht gehört aber nicht zu den grundlegenden Menschenrechten, deren Verletzung nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie für die Annahme einer Verfolgungshandlung erforderlich ist (vgl. auch die dortige Verweisung auf Art. 15 Abs. 2 EMRK). Eine weitergehende Zielrichtung auf eine Verletzung auch des Rechtsguts des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit ist dagegen mit der Registrierungsverweigerung der lokalen Behörden unter den vom Berufungsgericht festgestellten Umständen nicht verbunden. Dies ergibt sich zwar nicht schon daraus, dass nach den Ausführungen des Berufungsgerichts den jeweiligen lokalen Behörden die in der Person der Klägerin bestehende medizinische Problematik in der Regel nicht bekannt sein wird (UA S. 59 Rn. 99). Denn insoweit kommt es nicht auf die ohnehin kaum feststellbaren künftigen subjektiven Vorstellungen des jeweiligen Sachbearbeiters an, sondern es ist - im Sinne einer objektiven Gerichtetheit - auf die Zielrichtung abzustellen, die der Maßnahme unter den jeweiligen Umständen ihrem Charakter nach zukommt. Mit der hier in Rede stehenden Registrierungsverweigerung ist aber nach dem Charakter der Maßnahme nicht ein Eingriff in das Leben oder die Gesundheit des Zuzugswilligen intendiert, sondern lediglich eine Aufenthaltnahme in anderen Landesteilen. Etwas anderes kann allerdings gelten, wenn derartigen Verweigerungen ein systematisches staatliches Verfolgungsprogramm zugrunde liegt, das eine Vorenthaltung von allgemein zur Verfügung stehender medizinischer Versorgung für eine bestimmte Bevölkerungsgruppe und damit auch entsprechende Gefahren für Leben und Gesundheit dieser Gruppe bezweckt oder zumindest billigend in Kauf nimmt. Derartige besondere Umstände sind indes hier nicht festgestellt.

b) Unabhängig davon könnte das Berufungsurteil im Übrigen auch deshalb keinen Bestand haben, weil die Feststellungen des Berufungsgerichts nicht den von ihm gezogenen Schluss tragen, dass die der Klägerin drohende vorübergehende Verweigerung der Registrierung in der gesamten Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens oder doch wenigstens in großen Städten, in denen die erforderliche medizinische Behandlung ihrer Erkrankung möglich ist, jeweils auch an ihre tschetschenische Volkszugehörigkeit oder die Herkunft aus dem Nordkaukasus anknüpfen würde (vgl. Art. 9 Abs. 3 i.V.m. Art. 10 der Richtlinie). Die Überzeugungsbildung des Berufungsgerichts beruht insoweit nicht auf einer hinreichend tragfähigen Tatsachengrundlage (§ 108 Abs. 1 VwGO). Zwar greift die vom Bundesbeauftragten hierzu erhobene Verfahrensrüge mangels hinreichender Darlegung einer Verletzung des rechtlichen Gehörs oder der gerichtlichen Aufklärungspflicht nicht durch. In der Sache rügt er aber zu Recht eine Verletzung materiellen Rechts. Zum einen trifft das Berufungsgericht keinerlei konkrete gebietsbezogene Feststellungen, obwohl es selbst von einer örtlich unterschiedlichen Registrierungspraxis ausgeht, so dass sein Schluss auf eine flächendeckende Anknüpfung der Registrierungsverweigerungen an die tschetschenische Volkszugehörigkeit oder Herkunft aus dem Kaukasus nicht nachvollziehbar begründet ist. Zum anderen setzt es sich nicht, wie erforderlich, mit der abweichenden Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung anderer Oberverwaltungsgerichte auseinander, die aufgrund der Erkenntnislage zum Teil zu der Überzeugung gelangt sind, dass gerade in bestimmten Großstädten der Russischen Föderation, teilweise aber auch darüber hinaus die Registrierungsverweigerung der lokalen Behörden nicht an die tschetschenische Volkszugehörigkeit oder die Herkunft aus dem Nordkaukasus anknüpft, sondern sämtliche Zuzugswilligen in gleicher Weise betrifft (vgl. etwa OVG Lüneburg, Beschlüsse vom 16. Januar 2007 - 13 LA 67/06 - juris und vom 24. Januar 2006 - 13 LA 398/05 - juris ; OVG Bremen, Urteil vom 31. Mai 2006 - 2 A 112/06.A - juris).

c) Da die vom Berufungsgericht angenommene Verfolgung bereits am Fehlen einer zielgerichteten Verfolgungshandlung scheitert (oben a), bedarf es keiner abschließenden Klärung, ob eine Flüchtlingsanerkennung wegen der Registrierungsverweigerung auch deshalb nicht in Betracht käme, weil eine unterstellte künftige Verfolgung aus diesem Grund nicht landesweit drohen, sondern sich auf die Russische Föderation außerhalb Tschetscheniens beschränken würde. Insoweit erscheint fraglich, ob die aus Tschetschenien stammende Klägerin eine mögliche (Gruppen-)Verfolgung in anderen Teilen der Russischen Föderation außerhalb ihres Herkunftsgebiets überhaupt als Nachfluchtgrund für sich geltend machen könnte, obwohl sie zu diesen Gebietsteilen bisher keinerlei Beziehung hatte. Damit wäre auch die Frage verbunden, ob unter Geltung der Qualifikationsrichtlinie an den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zur sog. örtlich begrenzten Gruppenverfolgung festgehalten werden kann, ob die für eine regionale staatliche Gruppenverfolgung maßgeblichen Grundsätze uneingeschränkt anzuwenden sind oder nach welchen Kriterien sonst bei einem nach der Ausreise entstehenden Verfolgungsgeschehen in einem Teil des Herkunftslandes zu verfahren ist.

2. Auch wenn die Klägerin nach den vorstehenden Ausführungen nicht aus den vom Berufungsgericht angeführten Gründen (vorübergehende Verweigerung der Registrierung in Teilen der Russischen Föderation als Nachfluchtgrund) als Flüchtling anerkannt werden kann, kann der Senat in der Sache nicht abschließend zulasten der Klägerin entscheiden und ihre Klage auf Flüchtlingsanerkennung abweisen. Das Berufungsgericht hat zwar ausgeführt, dass die Klägerin nicht aus anderen Gründen als Flüchtling anzuerkennen sei. Diese Ausführungen halten aber einer revisionsgerichtlichen Prüfung nicht stand. Denn das Berufungsgericht hat eine Vorverfolgung der Klägerin maßgeblich auch deshalb verneint, weil ihr zum Zeitpunkt ihrer Ausreise eine inländische Fluchtalternative in Inguschetien zur Verfügung gestanden hätte, und hat eine etwaige Rückkehrverfolgung der Klägerin zum Zeitpunkt seiner Entscheidung nach dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit und nicht unter Berücksichtigung der Beweiserleichterung für Vorverfolgte nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie geprüft. Dies ist mit § 60 Abs. 1 Satz 4 und 5 AufenthG i.V.m. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie nicht vereinbar. Da die Feststellungen des Berufungsgerichts nicht ausreichen, die Vorverfolgung der Klägerin sowie ihre Rückkehrverfolgung abschließend zu beurteilen, war die Sache zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

Der Verwaltungsgerichtshof hat teilweise eine Vorverfolgung - etwa wegen der Bedrohung durch "Wahabiten" in den Jahren 1996 und 1997, wegen der "Inhaftierung" des Ehemannes der Klägerin durch radikal-islamische Kräfte im Sommer 1999, wegen etwaiger individueller Übergriffe der russischen Staatsgewalt zu Beginn des zweiten Tschetschenienkrieges und während des Aufenthalts der Klägerin in Moskau von Ende September 1999 bis Anfang Januar 2000 - in der Sache geprüft und verneint (UA S. 11 ff. Rn. 5 ff.). Darüber hinaus hat er aber die Frage einer unmittelbar drohenden Verfolgungsgefahr wegen einer Gruppenverfolgung der Klägerin im Zeitpunkt der Ausreise ausdrücklich offen gelassen, weil eine etwaige darauf beruhende Vorverfolgung wegen des Bestehens einer inländischen Fluchtalternative in Inguschetien ausscheide (UA S. 16 Rn. 13). Eine im Zeitpunkt seiner Entscheidung drohende gruppenbezogene oder individuelle Verfolgung in der Russischen Föderation hat er infolgedessen nur nach dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit geprüft (vgl. ausdrücklich etwa UA S. 41 Rn. 61) und - abgesehen von der Verfolgung wegen des oben behandelten Nachfluchtgrundes - in der Sache verneint. Dies entspricht zwar der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. etwa Urteil vom 8. Dezember 1998 - BVerwG 9 C 17.98 - BVerwGE 108, 84 <85, 87> und Beschluss vom 30. November 2004 - BVerwG 1 B 49.04 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 295; zum Asylrecht grundlegend BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 a.a.O. S. 344), ist aber für das Flüchtlingsrecht unter der Geltung der Richtlinie 2004/83/EG nicht mehr mit Bundesrecht vereinbar.

Im Rahmen der Flüchtlingsanerkennung nach der Qualifikationsrichtlinie kann entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs eine Vorverfolgung nicht mehr wegen einer zum Zeitpunkt der Ausreise bestehenden Fluchtalternative in einem anderen Teil des Herkunftsstaates verneint werden (ebenso im Ergebnis u.a. VGH Kassel, Urteil vom 21. Februar 2008 - 3 UE 191/07.A - NVwZ-RR 2008, 828; Hailbronner, Ausländerrecht, § 60 Rn. 97; Marx, Handbuch der Flüchtlingsanerkennung § 14 Rn. 62). Dies ergibt sich allerdings nicht schon ohne weiteres aus der gemäß § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG anzuwendenden Bestimmung des Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie, nach der die Mitgliedstaaten bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen für einen internen Schutz nach Abs. 1 erfüllt, die dortigen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers "zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag" zu berücksichtigen haben. Denn diese Vorschrift besagt zunächst nur, dass eine Flüchtlingsanerkennung - bei festgestellter drohender Verfolgung des Antragstellers in einem Teil des Herkunftslandes - nicht wegen einer früher vorhandenen, sondern nur wegen einer im Zeitpunkt der Entscheidung bestehenden internen Schutzalternative versagt werden kann, wie dies auch der bisherigen deutschen Rechtsprechung entspricht. Die Vorschrift betrifft dagegen nicht die hier zu klärende - systematisch vorgelagerte - Frage, ob der Anwendung der Beweiserleichterung für Vorverfolgte eine zum Zeitpunkt der Ausreise bestehende interne Flucht- oder Schutzalternative entgegensteht. Diese Frage ist anhand von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie zu beurteilen. Nach dieser Bestimmung ist - soweit es um die Flüchtlingsanerkennung geht - die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde bzw. von solcher Verfolgung unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass er erneut von solcher Verfolgung bedroht wird. Bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift ergibt sich, dass einem Antragsteller, der im Herkunftsstaat Verfolgung erlitten hat oder dort unmittelbar von Verfolgung bedroht war, die Beweiserleichterung nach Maßgabe von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie unabhängig davon zugute kommen soll, ob er zum Zeitpunkt der Ausreise auch in einem anderen Teil seines Heimatlandes hätte Zuflucht finden können. Die Beweiserleichterung in Form einer widerlegbaren Vermutung knüpft nämlich nur an den Umstand einer erlittenen oder unmittelbar drohenden Verfolgung, nicht aber an weitere Voraussetzungen - wie etwa Schutzmöglichkeiten in anderen Landesteilen - an. Die Vorschrift soll erkennbar beweisrechtlich diejenigen privilegieren, die in ihrem Heimatland tatsächlich bereits persönlich Verfolgung erfahren haben, weil sie diese entweder selbst erlitten haben oder von ihr unmittelbar bedroht waren. Dem Grundsatz der Subsidiarität des Flüchtlingsschutzes soll dagegen durch eine Verweisung auf eine zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Flüchtlingsanerkennung bestehende interne Schutzalternative Rechnung getragen werden (vgl. Art 8 Abs. 2 der Richtlinie). Dies bedeutet nicht, dass derjenige, der trotz innerstaatlicher Fluchtalternative im Zeitpunkt der Ausreise Schutz im Ausland sucht, ungerechtfertigt begünstigt wird. Denn eine solche innerstaatliche Fluchtalternative zum Zeitpunkt der Ausreise führt, sofern sie zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Flüchtlingsanerkennung unverändert fortbesteht, auch unter Geltung der Richtlinie zur Versagung der Anerkennung. Die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie, dass die Furcht des Antragstellers vor künftiger Verfolgung begründet ist, kommt nämlich dann wegen des Vorliegens eines internen Schutzes im Sinne von Art. 8 der Richtlinie nicht zum Tragen. Eine Vergünstigung gegenüber der bisherigen deutschen Rechtslage kann sich für Vorverfolgte daher allenfalls bei einem Wegfall der internen Schutzalternative nach der Ausreise ergeben. Der Senat hält aus diesen Gründen für das Flüchtlingsrecht - anders als für das Asylrecht nach Art. 16a GG - nicht mehr an seiner bisherigen Rechtsprechung fest, wonach der in einem Teil des Heimatlandes Verfolgte oder von Verfolgung Bedrohte, der zum Zeitpunkt seiner Ausreise in anderen Landesteilen den erforderlichen Schutz hätte finden können, nicht als vorverfolgt angesehen werden kann. Insofern ist der Begriff der Vorverfolgung im Sinne der Richtlinie anders zu verstehen als im Rahmen des Asylrechts nach Art. 16a GG, wonach eine landesweit ausweglose Lage des Asylbewerbers im Zeitpunkt der Ausreise erforderlich ist.

Der Verwaltungsgerichtshof durfte deshalb nicht offen lassen, ob die Klägerin vor ihrer Ausreise unmittelbar von einer Gruppenverfolgung bedroht war, und sie allein wegen einer zu diesem Zeitpunkt noch bestehenden Fluchtalternative in Inguschetien als nicht vorverfolgt ansehen. In dem weiteren Berufungsverfahren wird der Verwaltungsgerichtshof eine Vorverfolgung der Klägerin im Sinne von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie erneut prüfen müssen. Im Falle der Bejahung einer solchen Vorverfolgung müsste er bei der Beurteilung, ob der Klägerin künftig erneut eine solche Verfolgung droht, die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie berücksichtigen. Dem dürfte bei Zugrundelegung des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabes und der Feststellung einer hinreichenden Sicherheit vor solcher Verfolgung im Ergebnis regelmäßig Genüge getan sein (vgl. Vorlagebeschlüsse des Senats vom 7. Februar 2008 - BVerwG 10 C 33.07 - ZAR 2008, 192 und vom 14. Oktober 2008 - BVerwG 10 C 48.07 - juris Rn. 14, zur Veröffentlichung in BVerwGE vorgesehen).

Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten. Der Senat geht davon aus, dass der übereinstimmend für erledigt erklärte Teil des Rechtsstreits (betreffend die Abschiebungsandrohung in die Russische Föderation) so geringfügig ist, dass er kostenrechtlich nicht ins Gewicht fällt (vgl. § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO).

Ende der Entscheidung

Zurück