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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 11.01.2001
Aktenzeichen: BVerwG 11 B 64.00
Rechtsgebiete: GG, WRV


Vorschriften:

GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 100 Abs. 1
GG Art. 140
WRV Art. 137 Abs. 3
Leitsätze:

Das staatliche Gericht ist in einem Rechtsstreit über die Erhebung von Kirchensteuern befugt, einen als Kirchengesetz bezeichneten Kirchensteuerbeschluss wegen eines von ihm angenommenen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG als unwirksam zu verwerfen. Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 GG ist insoweit unzulässig.

Beschluss des 9. Senats vom 11. Januar 2001 - BVerwG 11 B 64.00 -

I. VG Schleswig vom 12.10.1998 - Az.: VG 1 A 20/96 - II. OVG Schleswig vom 21.06.2000 - Az.: OVG 2 L 11/99 -


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

BVerwG 11 B 64.00 OVG 2 L 11/99

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 11. Januar 2001 durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Hien und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Vallendar und Dr. Gerhardt

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Beklagten und der Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 21. Juni 2000 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte und die Beigeladene tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 87,46 DM festgesetzt.

Gründe:

Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht.

1. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Beschwerde zulässig. Soweit die Schriftsätze vom 29. August und 2. Oktober 2000 über die Einlegung und Begründung der Beschwerde für den nach Diktat jeweils nicht anwesenden Rechtsanwalt Dr. Ewer von Rechtsanwalt Dr. Arndt unterzeichnet worden sind, besteht keine Veranlassung für die Annahme, der Unterzeichnende, der ebenso wie Rechtsanwalt Dr. Ewer prozessbevollmächtigt ist, habe den Inhalt der Schriftsätze nicht eigenverantwortlich geprüft und dafür die Verantwortung übernommen.

2. Die Rechtssache hat entgegen der Auffassung der Beschwerde keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

Die Beschwerde bezeichnet als grundsätzlich bedeutsam die Rechtsfragen, ob Art. 100 Abs. 1 GG Kirchengesetze erfasse und ob es gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoße, wenn eine korporierte Religionsgesellschaft, deren räumlicher Wirkungsbereich zwei Bundesländer umfasse, Kirchensteuern nach unterschiedlichen Steuersätzen in Abhängigkeit davon erhebe, ob der Steuerpflichtige seinen Wohnsitz in dem einen oder in dem anderen Bundesland habe. Damit wird an den Umstand angeknüpft, dass im Bereich der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche auf der Grundlage des Kirchengesetzes über Art und Höhe der Kirchensteuern (Kirchensteuerbeschluss) in der Fassung der Bekanntmachung vom 30. November 1996 (GVOBl S. 257) Kirchensteuern nach unterschiedlichen Steuersätzen (8 v.H. der Einkommen-(Lohn-) Steuer in Hamburg und 9 v.H. in Schleswig-Holstein) erhoben werden.

Zur Klärung der Frage, ob Art. 100 Abs. 1 GG auch Kirchengesetze erfasst, bedarf es jedoch nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens. Die Frage ist vielmehr auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eindeutig zu verneinen. Hält ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig, so hat es nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG das Verfahren auszusetzen und, wenn es sich um die Verletzung des Grundgesetzes handelt, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen. Dies gilt indes nur für förmliche, von einem Bundes- oder Landesparlament erlassene nachkonstitutionelle Gesetze. Das folgt aus dem verfassungspolitischen Sinn der Bestimmung: Sie soll die Autorität des konstitutionellen Gesetzgebers wahren und verhüten, dass sich die Gerichte über den Willen der im Grundgesetz und in den Landesverfassungen konstituierten gesetzgebenden Gewalt hinwegsetzen, indem sie deren Gesetzen die Anerkennung versagen (vgl. insbesondere BVerfGE 3, 225 <230/231>; 10, 124 <127>; 97, 117 <122>). Erfasst die Vorlagepflicht nach Art. 100 Abs. 1 GG somit nur förmliche Bundes- oder Landesgesetze, so scheidet die Anwendung dieser Bestimmung auf Kirchensteuerbeschlüsse der Beigeladenen von vornherein aus, selbst wenn diese als "formelle Kirchengesetze" bezeichnet werden.

Soweit die Beschwerde darüber hinaus die Frage aufwirft, ob es mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar sei, wenn eine korporierte Religionsgesellschaft in ihrem zwei Bundesländer umfassenden räumlichen Wirkungsbereich mit unterschiedlichen Steuersätzen arbeite, würde sich dieses Problem in der von der Beschwerde formulierten allgemeinen Form in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Maßgeblich zur Beurteilung des hier in Rede stehenden Prinzips der Steuergerechtigkeit für Fallkonstellationen der vorliegenden Art ist nämlich vor allem auch die Bedeutung und Tragweite von Art. 111 der Verfassung der Beigeladenen. Diese Vorschrift bestimmt, dass ein einheitlicher Steuersatz für den Bereich der Beigeladenen festgesetzt werden soll. Bereits das angefochtene Urteil geht davon aus, dass der Beigeladenen danach ein Anpassungszeitraum zur Angleichung der Steuersätze zur Verfügung gestanden habe, der vorliegend allerdings überschritten worden sei. Folglich wäre auch in einem Revisionsverfahren nicht die aufgeworfene abstrakte Rechtsfrage zu beantworten, ob Art. 3 Abs. 1 GG die Festsetzung verschiedener Steuersätze für unterschiedliche räumliche Bereiche einer Landeskirche zulässt.

3. Auch nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO kann die Revision nicht zugelassen werden. Die Beschwerde macht in diesem Zusammenhang eine Abweichung des angefochtenen Urteils von dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. August 1960 - BVerwG 7 B 54.60 - (Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 2) geltend. Sie zitiert dann als Rechtssatz, von dem abgewichen worden sein soll, die Aussage, die für das Gebiet des Landes Schleswig-Holstein geltenden Vorschriften der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche über das Kirchgeld in glaubensverschiedener Ehe verletzten nicht deshalb den Gleichheitssatz, weil sie wegen Fehlens kinderbedingter Abzugsbeträge nicht mit dem Recht übereinstimmten, das für das Gebiet der Stadt Hamburg gelte. Dieser Rechtssatz stammt aus dem von der Beschwerde an anderer Stelle zitierten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. November 1988 - BVerwG 8 C 10.87 - (Buchholz 401.70 Kirchensteuer Nr. 23), sodass der Senat zugunsten der Klägerin davon ausgeht, dass die Abweichung der angefochtenen Entscheidung von diesem Urteil gerügt werden soll. Bereits aus dem Vorstehenden ergibt sich allerdings auch, dass eine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Satz 2 VwGO nicht vorliegt. Eine die Revision eröffnende Abweichung wäre nämlich nur dann zu verzeichnen, wenn das Oberverwaltungsgericht mit einem seine Entscheidung tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten abstrakten Rechtssatz widersprochen hätte (BVerwG, Beschluss vom 26. Juni 1995 - BVerwG 8 B 44.95 - <Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 2>). Dies ist hier nicht der Fall; denn das Oberverwaltungsgericht hatte über die Kirchensteuererhebung nach einem Vomhundertsatz und nicht über das Kirchgeld in glaubensverschiedenen Ehen zu befinden.

4. Schließlich kann die Revision auch nicht zugelassen werden, weil im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Wie sich aus den obigen Ausführungen zur Grundsatzrüge ergibt, hat das Oberverwaltungsgericht zu Recht von einer Vorlage der Sache an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 GG abgesehen.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und 3, § 159 Satz 1, § 100 Abs. 1 ZPO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.



Ende der Entscheidung

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