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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 22.12.2000
Aktenzeichen: BVerwG 11 C 10.00
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 60 Abs. 1
VwGO § 139 Abs. 1
Leitsatz:

Ein die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausschließendes Organisationsverschulden einer Behörde liegt vor, wenn die einzige Vorkehrung zur Wahrung einer Rechtsmittel(begründungs)frist in einer Wiedervorlageverfügung des Prozessvertreters besteht.

Beschluss des 11. Senats vom 22. Dezember 2000 - BVerwG 11 C 10.00 -

I. VG Neustadt/W. vom 19.07.1999 - Az.: VG 1 K 2029/97. NW - II. OVG Koblenz vom 13.04.2000 - Az.: 12 A 12160/99.OVG -


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

BVerwG 11 C 10.00 12 A 12160/99.OVG

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 11. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 22. Dezember 2000 durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Hien und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Storost und Prof. Dr. Rubel

beschlossen:

Tenor:

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 13. April 2000 wird verworfen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeund des Revisionsverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerde- und Revisionsverfahren auf 13 450,20 DM festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Klägerin wendet sich gegen die vom Beklagten festgesetzte Höhe der Abwasserabgabe für das Jahr 1993. Auf ihre Berufung gegen das klageabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts hat das Oberverwaltungsgericht den Bescheid im beantragten Umfang aufgehoben. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten hat der Senat mit Beschluss vom 7. September 2000 (BVerwG 11 B 44.00) die Revision zugelassen. Dieser Beschluss ist mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen, wonach die Revision innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses zu begründen ist. Der Beschluss ist dem Beklagten am 21. September 2000 mit Empfangsbekenntnis zugestellt worden.

Die Revisionsbegründung ist beim Bundesverwaltungsgericht am 31. Oktober 2000 eingegangen. Bereits mit am 27. Oktober 2000 eingegangenem Schriftsatz hat der Beklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist beantragt und zur Begründung ausgeführt: Die Vertretung des Beklagten obliege im Rahmen der seit 1. Januar 2000 für Abwasserabgabefestsetzungen gegebenen Zuständigkeit der Struktur- und Genehmigungsdirektion Süd Frau Regierungsdirektorin S. Diese habe den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. September 2000 nach ihrer Kenntnisnahme am 21. September 2000 an den zuständigen Gebietssachbearbeiter, bei dem es sich um einen Mitarbeiter des nichttechnischen Verwaltungsdienstes ohne juristische Qualifikation handele, weitergeleitet. Dieser sollte die Ausfertigung des Beschlusses seinerseits zur Kenntnis nehmen und den dazugehörigen Vorgang bei Frau S. wieder vorlegen, damit sie fristgerecht nach ihrem für den Zeitraum vom 29. September bis 13. Oktober 2000 vorgesehenen Urlaub die Revisionsbegründung fertigen könne. Noch vor Wiederantritt des Dienstes habe Frau S. am 14. Oktober 2000 einen Unfall erlitten, weswegen sie laut ärztlichem Attest bis 17. November 2000 dienstunfähig krankgeschrieben und zwischenzeitlich nicht in der Lage gewesen sei, ihre dienstlichen Geschäfte wahrzunehmen. Ihrem nach behördeninterner Regelung vorgesehenen Vertreter sei der Vertretungsvorgang jedoch nicht vorgelegt worden, so dass er von dem anhängigen Verwaltungsrechtsstreit und dem Ablauf der Revisionsbegründungsfrist keine Kenntnis gehabt habe. Die Nichtbeachtung der Revisionsbegründungsfrist gehe somit letztlich auf das Versäumnis eines mit den Einzelheiten der Prozessführung nicht hinreichend vertrauten und nicht vertretungsberechtigten Behördenbediensteten zurück, der im Übrigen die Erforderlichkeit einer Aktenvorlage an den Vertreter nicht ohne weiteres aus dem Aktenvorgang habe erkennen können. Das Versäumnis sei nicht vorhersehbar gewesen, da der betreffende Sachbearbeiter sorgfältig ausgewählt, angeleitet und überwacht worden sei und bisher keinerlei Anlass zur Beanstandung gegeben habe. Ein Organisationsverschulden liege nicht vor, weil an eine mit Verwaltungsstreitverfahren und zumal Revisionsverfahren vergleichsweise selten befasste Behörde nicht dieselben Anforderungen wie an eine Rechtsanwaltskanzlei gestellt werden könnten.

Die Klägerin tritt dem Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und der Revision entgegen. Der Beklagte sei nicht ohne Verschulden an der Wahrung der Frist zur Begründung der Revision gehindert gewesen.

II.

Die Revision ist gemäß § 143, § 144 Abs. 1 VwGO durch Beschluss zu verwerfen, weil sie unzulässig ist. Der Beklagte hat die Frist zur Begründung seiner Revision versäumt. Die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann ihm nicht gewährt werden.

1. Die Revision war gemäß § 139 Abs. 3 Satz 1 VwGO innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Revision zu begründen. Das ist nicht geschehen. Nachdem das Urteil der Prozessbevollmächtigten des Beklagten ausweislich des Empfangsbekenntnisses am 21. September 2000 zugestellt worden war, endete die Frist gemäß § 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 2 ZPO am 23. Oktober 2000, einem Montag. Die Revisionsbegründung ist jedoch erst am 31. Oktober 2000 und mithin verspätet beim Bundesverwaltungsgericht eingegangen.

2. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat keinen Erfolg, weil die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 VwGO nicht erfüllt sind. Der Beklagte war nicht ohne Verschulden verhindert, die Frist zur Begründung der Revision einzuhalten.

Das Fristversäumnis ist entgegen der Auffassung des Beklagten nicht lediglich auf das Verschulden einer Hilfsperson zurückzuführen, für das der Beklagte nicht einzustehen hätte. Es beruhte vielmehr auf einem Verschulden seiner mit der Prozessvertretung betrauten Bediensteten selbst, das sich der Beklagte gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss. Die für eine Prozessvertretung durch Rechtsanwälte vor dem Bundesverwaltungsgericht entwickelten Rechtsgrundsätze gelten sinngemäß auch für den Fall der Prozessvertretung von juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden durch den in § 67 Abs. 1 Satz 3 VwGO genannten Personenkreis (BVerwG, Beschluss vom 14. Februar 1992 - BVerwG 8 B 121.91 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 176). Das in dieser Vorschrift eingeräumte "Behördenprivileg" besteht ausschließlich darin, dass für die Behörde im Gegensatz zur Vertretung einer Privatperson neben Anwälten auch bestimmte eigene Bedienstete vertretungsberechtigt sind. Dagegen bezweckt es keine Besserstellung der Behörde im Hinblick auf die von einem Vertretungsberechtigten im Rahmen seiner Prozessführung zu wahrenden Sorgfaltspflichten. Ein diese Sorgfaltspflichten verletztendes Organisationsverschulden fällt einem Prozessbevollmächtigten immer dann zur Last, wenn er nicht durch allgemeine Anweisung dafür Sorge trägt, dass der Ablauf von Rechtsmittelfristen einschließlich der Rechtsmittelbegründungsfristen zuverlässig rechtzeitig bemerkt wird (vgl. BVerwG, Beschlusss vom 24. August 1995 - BVerwG 3 B 37.95 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 202 m.w.N.).

Ein solches, für die Versäumung der Frist ursächliches Organisationsverschulden liegt hier vor. Die Vorkehrungen des Beklagten zur Sicherstellung der Einhaltung von Rechtsmittelfristen waren ersichtlich unzureichend. Auf der Grundlage seiner Darlegungen ist davon auszugehen, dass die einzige Vorkehrung zur Wahrung einer Rechtsmittel(begründungs)frist in einer Wiedervorlageverfügung der mit der Prozessvertretung betrauten Bediensteten bestand. Im - hier eingetretenen - Verhinderungsfall hätte deren ansonsten mit dem Verwaltungsrechtsstreit nicht befasster Vertreter deswegen ausschließlich aufgrund der Vorlage des Vorgangs erkennen können, dass eine fristgebundene Prozesshandlung vorzunehmen war. Weitere, vom Aktenlauf und dem etwaigen persönlichen Wissen unabhängige Vorkehrungen (z.B. Fristenbuch mit entsprechender Fristenüberwachung), denen eine besondere, sich von gewöhnlichen Wiedervorlagen abhebende Warnfunktion zukommen könnte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 24. August 1995 - a.a.O.), bestanden offensichtlich nicht. Solche organisatorischen Vorkehrungen sind jedoch unerlässlich, um eine ordnungsgemäße Prozessvertretung - nicht nur für den Fall der Abwesenheit der damit betrauten Bediensteten - zu gewährleisten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 13 Abs. 2 GKG.

Ende der Entscheidung

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