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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 29.07.1998
Aktenzeichen: BVerwG 2 B 63.98
Rechtsgebiete: SächsBG, BBG


Vorschriften:

SächsBG § 13 Abs. 4
SächsBG § 15 Abs. 1 Nr. 1
BBG § 10 Abs. 3
BBG § 12 Abs. 1 Nr. 1
Leitsätze:

Hat ein Beamtenbewerber die Ernennungsbehörde arglistig getäuscht, so genügt es für den Ursachenzusammenhang zwischen Täuschung und Ernennung, daß die Behörde ohne die Täuschung den Bewerber nicht, wie geschehen, alsbald ernannt, sondern zunächst weitere Prüfungen und Erwägungen angestellt und erst sodann auf vervollständigter Grundlage über seine Bewerbung entschieden hätte. Die Rechtmäßigkeit der Rücknahme setzt nicht die Feststellung voraus, wie eine auf solcher Grundlage ergangene ablehnende Entscheidung ausgefallen und daß sie rechtsfehlerfrei gewesen wäre (jeweils im Anschluß an die stRspr).

Beschluß des 2. Senats vom 29. Juli 1998 - BVerwG 2 B 63.98 -

I. VG Chemnitz vom 09.05.1995 - Az.: VG 1 K 2660/94 - II. OVG Bautzen vom 19.03.1998 - Az.: OVG 2 S 308/95 -


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

BVerwG 2 B 63.98 OVG 2 S 308/95

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 29. Juli 1998 durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Dr. Franke und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Lemhöfer und Dr. Bayer

beschlossen:

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 19. März 1998 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 27 900 DM festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde ist unbegründet. Die Rechtssache hat nicht die ihr von der Beschwerde beigelegte grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Aus dem Vorbringen der Beschwerde ergibt sich nicht, daß das erstrebte Revisionsverfahren zur Beantwortung von entscheidungserheblichen konkreten Rechtsfragen mit über den Einzelfall hinausreichender Tragweite beitragen könnte, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts höchstrichterlicher Klärung bedürfen (vgl. BVerwGE 13, 90 <91 f.>).

Die Klägerin, die sich in den Vorinstanzen ohne Erfolg gegen die Rücknahme ihrer Ernennung zur Justizoberinspektorin im Beamtenverhältnis auf Probe wegen arglistiger Täuschung gewandt hat, hält die Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig,

ob bei der Rücknahme einer Beamtenernennung aufgrund einer arglistigen Täuschung der Einstellungsbehörde nach den einschlägigen und insoweit übereinstimmenden und daher revisiblen beamtenrechtlichen Bestimmungen des Bundes und der Länder - wie im vorliegenden Fall den Bestimmungen des Sächsischen Beamtengesetzes - völlig unberücksichtigt zu bleiben hat, ob die Verwaltungspraxis frei von Rechtsfehlern ist, so daß auch eine willkürliche Verwaltungspraxis zu berücksichtigen ist mit der Folge, daß die fraglichen beamtenrechtlichen Bestimmungen auch die Entschließungsfreiheit von Verwaltungsdespoten schützen.

Die Frage würde sich indessen in dem erstrebten Revisionsverfahren nicht in dieser zugespitzten Form stellen. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, daß das beklagte Land die Klägerin bei Kenntnis der im Personalfragebogen nicht angegebenen Verpflichtungserklärung für das MfS nicht zur Beamtin ernannt hätte, zumal der Staatsminister der Justiz stets Wert darauf gelegt habe, daß keine Personen in seinem Geschäftsbereich beschäftigt würden, die sich früher beim MfS engagiert hätten. Das Berufungsgericht hat unentschieden gelassen, ob eine solche Verwaltungspraxis frei von Rechtsfehlern sei. Weder hieraus noch aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt sich ein Anhalt dafür, daß die Verwaltungspraxis gegenüber der Klägerin nicht nur - wie vom Berufungsgericht unentschieden gelassen - rechtsfehlerhaft, sondern sogar willkürlich gewesen sein könnte, etwa in dem Sinne, daß es sich um einen für die Einstellung von vornherein und unter keinem denkbaren Gesichtspunkt sachlich in Betracht kommenden Umstand gehandelt hätte.

Sollte dem Vorbringen der Beschwerde über seinen Wortlaut hinaus auch die allgemeinere Frage entnommen werden können, ob die Rechtmäßigkeit der Rücknahme der Ernennung die Feststellung voraussetzt, daß die Behörde rechtsfehlerfrei bei Kenntnis des wahren Sachverhalts von der Ernennung abgesehen hätte, so könnte auch dies der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen. Vielmehr ist einerseits durch die vom Berufungsgericht zutreffend angeführte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, daß es für die Rücknahme einer durch arglistige Täuschung herbeigeführten Ernennung einer solchen Prüfung nicht bedarf (BVerwG 16, 340 <343>; 31, 1 <2>; Urteil vom 18. September 1985 - BVerwG 2 C 30.84 - <Buchholz 237.5 § 14 Nr. 2 = ZBR 1986, 52>). Dies entspricht dem Sinn und Zweck der Rücknahmeregelung, die insbesondere auf die Wiederherstellung der Entschließungsfreiheit der Ernennungsbehörde und auch auf die Reinhaltung des öffentlichen Dienstes von Personen gerichtet ist, die durch unlauteres Verhalten diese Entschließungsfreiheit eingeschränkt haben (vgl. außer den genannten Urteilen auch entsprechend BVerwGE 102, 178 <180>). Andererseits und unabhängig davon ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine arglistige Täuschung schon dann für die Ernennung ursächlich, wenn sich feststellen läßt, daß die Behörde bei Kenntnis des wahren Sachverhalts von der Ernennung jedenfalls zu diesem Zeitpunkt Abstand genommen hätte (z.B. BVerwGE 31, 1). Hiernach genügt es für die Ursächlichkeit der Täuschung, daß die Behörde ohne sie den Bewerber jedenfalls nicht, wie geschehen, alsbald ernannt, sondern zunächst weitere Prüfungen und Erwägungen angestellt und erst auf dieser vervollständigten Grundlage ihre Entscheidung getroffen hätte, gegen die der Bewerber sodann bei ungünstigem Ergebnis Rechtsschutz hätte in Anspruch nehmen können. Anlaß zu solchen weiteren Prüfungen und Erwägungen hatte der Beklagte zumal aufgrund der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellung, daß die Klägerin - entgegen ihrer ausdrücklichen Erklärung - noch am 16. September 1989 eine Verpflichtungserklärung gegenüber dem MfS unterzeichnet und sich damit zu einer Tätigkeit als IMS bereiterklärt hatte.

Die von der Beschwerde auf der Grundlage ihrer Behauptung, "daß immer wieder rechtswidrig bei jedwedem noch so bedeutungslosen MfS-Kontakt zu Lasten der Betroffenen rechtswidrig entschieden wurde" und daß "das Fehlverhalten des Dienstherrn auch kausal für den Verstoß der Betroffenen gegen die Wahrheitspflicht (geworden sei)", weiterhin aufgeworfene Rechtsfrage,

"ob nicht auch die Rechtswidrigkeit der Verwaltungspraxis des Dienstherrn zu berücksichtigen ist",

rechtfertigt schon deshalb nicht die Zulassung der Revision, weil das Berufungsgericht insoweit keine Feststellungen getroffen hat. Im übrigen ist die Rücknahme der Ernennung nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 SächsBG eine zwingend angeordnete Rechtsfolge, für die die "Verwaltungspraxis des Dienstherrn rechtlich ohne Bedeutung ist.

Die Beschwerde hält weiter die Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig,

ob nicht auch bei der Rücknahme von Beamtenernennungen wegen angeblich arglistiger Täuschung dem arbeitsrechtlichen Kündigungsrecht entsprechende Grundsätze Anwendung zu finden haben und insbesondere der Rechtsprechung des BVerfG (NJW 1997, 2307, 2308) Rechnung zu tragen ist, das immer wieder darauf hingewiesen hat, daß es gerade das Ziel des Einigungsvertrags war, die Übernahme von früheren Bediensteten nicht abgewickelter Einrichtungen des öffentlichen Dienstes der DDR zu ermöglichen mit der Folge, daß die Entschließungsfreiheit des Dienstherrn erheblich eingeschränkt war.

Abgesehen davon, daß die angeführte Rechtsprechung sich auf die Kündigung eines bestehenden Arbeitsverhältnisses und nicht auf die Berufung in ein neues Rechtsverhältnis als Beamter bezieht, gibt indessen dieser Gesichtspunkt jedenfalls keinen klärungsbedürftigen Anhalt für die Annahme, daß Bewerber aus dem öffentlichen Dienst der früheren DDR im Falle einer durch arglistige Täuschung erlangten Beamtenernennung von den dafür allgemein geltenden Vorschriften auszunehmen oder diese jedenfalls einzuschränken wären.

Die Frage,

ob nicht bei der Rücknahme von Beamtenernennungen unter Verhältnismäßigkeitsaspekten zugunsten der Bewerber zu berücksichtigen ist, daß sie mit der Entlassung aus dem Beamtenverhältnis völlig rechtlos sind, nachdem das BAG (Az. 2 AR 241/96) entschieden hat, daß das zuvor bestehende Arbeitsverhältnis nicht wiederauflebt, so daß die Rücknahme existenzvernichtende Auswirkungen für die Betroffenen hat,

ist hinsichtlich einer Einschränkung der ausdrücklichen und zwingenden beamtenrechtlichen Rücknahmeregelung ohne klärungsbedürftigen Zweifel zu verneinen. Über die arbeitsrechtliche Bedeutung einer Rücknahme der Beamtenernennung, die zum Erlöschen eines bis dahin bestehenden Arbeitsverhältnisses zum Dienstherrn geführt hat (§ 13 Abs. 4 SächsBG, entspr. § 10 Abs. 3 BBG), hat der Senat nicht zu befinden (vgl. zur Frage das von der Beschwerde angeführte Urteil des BAG vom 24. April 1997 - 2 AZR 241/96 - <AP Nr. 2 zu § 611 BGB Ruhen des Arbeitsverhältnisses = ZTR 1997, 471).

Die Frage schließlich,

ob nicht auch in den Fällen die Rechtmäßigkeit einer Entlassung aus dem Beamtenverhältnis (offenbar gemeint: einer Rücknahme der Beamtenernennung) wegen angeblicher arglistiger Täuschung zu verneinen ist, wenn die Zumutbarkeit der Einstellung wegen völlig bedeutungsloser MfS-Kontakte zu bejahen ist entsprechend den Bindungen des Einigungsvertrages, so daß auf seiten des Dienstherrn keine Entschließungsfreiheit und kein Erschließungsermessen (Einstellungsermessen?), sondern vielmehr ein Rechtsanspruch des Bewerbers ungeachtet seiner MfS-Kontakte auf Übernahme in das Beamtenverhältnis bestanden hat,

wiederholt im wesentlichen Gesichtspunkte aus den bereits aufgeworfenen Fragen und führt aus den dazu dargelegten Gründen nicht zum Erfolg. Inwieweit und ggf. unter welchen näheren Voraussetzungen die Herbeiführung einer Beamtenernennung durch arglistige Täuschung die strafrechtlichen Merkmale eines Einstellungsbetruges erfüllt, ist für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits nicht maßgebend.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwertes auf § 13 Abs. 4 Satz 1 Buchst. b GKG (Besoldungsstand: Juni 1998).

Ende der Entscheidung

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