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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 28.05.1998
Aktenzeichen: BVerwG 2 C 3.98
Rechtsgebiete: BeamtVG, LBG RP


Vorschriften:

BeamtVG § 59 Abs. 1
LBG RP § 45 (entsprechend BBG § 48)
Leitsätze: Eine kraft Gesetzes zum Verlust der Rechte als Ruhestandsbeamter führende Verurteilung zu mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe wegen einer vor Beendigung des Beamtenverhältnisses begangenen Tat liegt nur vor, wenn eine solche Strafe für eine insgesamt vor dem Eintritt in den Ruhestand begangene Straftat ausgesprochen worden ist.

Die für den Rechtsverlust maßgebende zeitliche Zuordnung der Straftat muß im Strafurteil selbst eindeutig und ohne Zweifel festgestellt und der Bestrafung zugrunde gelegt sein. Für ergänzende Ermittlungen und Feststellungen der Dienst- oder Versorgungsbehörde oder der Verwaltungsgerichte ist insoweit kein Raum.

Urteil des 2. Senats vom 28. Mai 1998 - BVerwG 2 C 3.98 -

I. VG Koblenz vom 12.11.1996 - Az.: VG 6 K 494/96 - II. OVG Koblenz vom 12.12.1997 - Az.: OVG 10 A 10113/97 -


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 2 C 3.98 10 A 10113/97 OVG

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 28. Mai 1998 durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Dr. Franke und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Lemhöfer, Dr. Henkel, Dr. Bayer und Dr. Schmutzler

ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 12. Dezember 1997 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Gründe:

I.

Der Kläger wendet sich gegen eine Rückforderung seiner Versorgungsbezüge, die der Beklagte darauf stützt, der Kläger habe seine Rechte als Ruhestandsbeamter durch strafgerichtliche Verurteilung verloren.

Der Kläger stand, zuletzt als Medizinaldirektor, im Dienst des beklagten Landes. Die Altersgrenze wegen Vollendung des 65. Lebensjahres hätte er am 31. Januar 1992 erreicht, wurde indessen auf seinen Antrag bereits mit Ablauf des Monats Dezember 1991 in den Ruhestand versetzt.

Durch ein seit dem 11. April 1994 rechtskräftiges Urteil vom 23. Februar 1994 wurde der Kläger wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern (§ 176 Abs. 1 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. In den Urteilsgründen ist ausgeführt, der Kläger habe an einem nicht mehr feststellbaren Tag im November 1991 den Entschluß gefaßt, sich "bei sich bietenden Gelegenheiten" einem damals 12jährigen Mädchen aus der Nachbarschaft sexuell zu nähern. In dem folgenden Zeitraum bis ca. Mitte Mai 1992 sei es in Verfolgung dieses Gesamtvorsatzes in insgesamt mindestens 20 Fällen zu sexuellen Kontakten von jeweils kurzer Dauer mit dem Mädchen gekommen. Nähere Angaben zu den Zeitpunkten der im einzelnen beschriebenen Verhaltensweisen des Klägers enthält das Urteil nicht. Im Rahmen der Überlegungen zur Strafzumessung ist ausgeführt, es sei zu berücksichtigen, daß der Kläger auch als Ruhestandsbeamter mit disziplinarrechtlichen Folgen zu rechnen habe.

Durch den angegriffenen Leistungsbescheid forderte der Beklagte vom Kläger die für Mai bis Juli 1994 empfangenen Versorgungsbezüge mit der Begründung zurück, der Kläger habe mit der Rechtskraft des strafgerichtlichen Urteils seine Rechte als Ruhestandsbeamter verloren (§ 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG i.V.m. § 45 LBG Rheinland-Pfalz). Den Widerspruch des Klägers wies der Beklagte zurück.

Die Klage auf Aufhebung des Leistungsbescheides und des Widerspruchsbescheides hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es insbesondere ausgeführt:

Die streitigen Versorgungsbezüge seien nicht zuviel gezahlt worden. Der Kläger habe durch die Verurteilung wegen vorsätzlicher Straftat zu einem Jahr Freiheitsstrafe die Rechte als Ruhestandsbeamter nicht verloren. Aus dem Strafurteil gehe nicht mit der für den Eintritt der Rechtsfolge des § 59 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG gebotenen Eindeutigkeit hervor, ob der Kläger wegen einer vor Beendigung des Beamtenverhältnisses begangenen Tat verurteilt worden sei.

Zwar genüge nach herrschender Auffassung bei Straftaten im Fortsetzungszusammenhang für die Rechtsfolge des § 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG, daß der Beginn der Ausführung einer solchen Tat in die Zeit vor Beendigung des Beamtenverhältnisses falle. Erforderlich sei aber auch hiernach die Begehung eines Teilaktes der Fortsetzungstat noch vor Beendigung des Beamtenverhältnisses. Diese lasse sich dem strafgerichtlichen Urteil nicht mit der erforderlichen Sicherheit entnehmen. Aus ihm gehe schon nicht hervor, wann genau der Kläger sieh zur Vornahme sexueller Handlungen an dem Kind entschlossen habe. Erst recht bleibe die weitere Frage offen, ob der Kläger den ersten Teilakt seiner Fortsetzungstat, und zwar zumindest in Form eines gemäß § 176 Abs. 6 StGB strafbaren Versuchs, noch im Jahre 1991 begangen habe.

Zu dieser Frage sei eine weitere Aufklärung durch das Berufungsgericht, etwa in Gestalt der Beiziehung und Auswertung der Strafakten, nicht zulässig. Ob das Strafgericht den Ruhestandsbeamten wegen einer vor Beendigung des Beamtenverhältnisses begangenen Straftat zu mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt habe, müsse sich vielmehr ebenso eindeutig und ohne Zweifelsmöglichkeit aus dem Strafurteil selbst ergeben wie die Verhängung einer solchen Strafe wegen einer vorsätzlich begangenen Straftat. Denn die rechtliche Automatik der kraft Gesetzes eintretenden Beendigung des Beamtenverhältnisses bzw. des Verlustes der Rechte als Ruhestandsbeamter setze einen eindeutigen, Unklarheiten und Zweifelsfragen keinen Raum lassenden Anknüpfungspunkt voraus.

Gegen dieses Urteil hat der Beklagte die vom Berufungsgericht zugelassene Revision eingelegt mit dem sinngemäß gestellten Antrag,

das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 12. Dezember 1997 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 12. November 1996 zurückzuweisen.

Der Beklagte rügt die Verletzung materiellen Rechts und hält ergänzende Feststellungen seitens der Verwaltungsgerichte zum Tatzeitpunkt für zulässig und geboten.

Der Kläger tritt der Revision entgegen.

Die Beteiligten haben übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet.

II.

Die Revision des Beklagten, über die der Senat aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§§ 141, 125 Abs. 1, § 101 Abs. 2 VwGO), ist unbegründet. Zu Recht hat das Berufungsgericht die Voraussetzungen eines Verlustes der Rechte als Ruhestandsbeamter nach § 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG i.V.m. § 45 Satz 1 Nr. 1 LBG Rheinland-Pfalz (entsprechend § 48 Satz 1 Nr. 1 BBG) verneint, ohne über das Strafurteil hinaus eigene Feststellungen zur Frage des Tatzeitpunktes zu treffen.

Der Senat folgt für das heute geltende Recht nicht der Auffassung, im Falle der Verurteilung eines Ruhestandsbeamten wegen einer in fortgesetzter Handlung begangenen Straftat genüge für den Rechtsverlust nach § 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG die Begehung eines ersten strafbaren Teilaktes vor dem Eintritt in den Ruhestand (so das Urteil des Reichsgerichts vom 21. November 1941 <RGZ 168, 81> im Anschluß an die Entscheidung des Reichsdienststrafhofs vom 29. März 1939 - IV D 5/39 - <RVBl 1939, 546>, beide zum früheren Deutschen Beamtengesetz, sowie die diesen folgende Kommentarliteratur). Vielmehr setzt die Anwendung des § 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG - anstatt der sonst für Ruhestandsbeamte geltenden Vorschrift der Nr. 2 - voraus, daß mindestens ein Jahr Freiheitsstrafe für eine insgesamt vor Beendigung des Beamtenverhältnisses begangene Straftat ausgesprochen worden ist.

§ 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG knüpft an die für (aktive) Beamte geltende Vorschrift des § 48 BBG sowie entsprechendes Landesrecht - hier § 45 LBG - an, deren Sinn und Zweck dahin geht, daß Beamte, die sich ausweislich strafgerichtlicher Verurteilung besonders schwerwiegender Rechtsverstöße schuldig gemacht haben, als schlechthin untragbar für den öffentlichen Dienst kraft Gesetzes ihre Beamtenrechte verlieren, ohne daß es dazu noch eines Disziplinarverfahrens bedarf (vgl. Beschluß vom 10. Juni 1992 - BVerwG 2 B 88.92/BVerwG 2 C 13.92 - <Buchholz 239.1 § 59 Nr. 2 = ZBR 1992, 314>). Ob dies der Fall ist, kann allein aufgrund des bis zur Beendigung des Beamtenverhältnisses verwirklichten strafbaren Verhaltens, wie es von dem Strafgericht festgestellt worden ist, beurteilt werden. Damit unterscheidet sich die Regelung wesentlich von den für Ruhestandsbeamte und andere Versorgungsberechtigte geltenden Verlustvorschriften des § 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und des § 61 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BeamtVG, die im hier einschlägigen Fall jeweils eine Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren voraussetzen und ohne Anknüpfung an eine Verletzung spezifischer beamtenrechtlicher Pflichten auf dem Gedanken der Anspruchsverwirkung beruhen; danach soll allgemein derjenige, der die in der Strafrechtsordnung verankerten elementaren Regeln zum Schutze der staatlichen Gemeinschaft gravierend verletzt hat, nicht erwarten können, daß sein angemessener Lebensunterhalt aufgrund eines Rechtsanspruchs auf beamtenrechtliche Versorgung finanziert wird (vgl. Urteil vom 15. Mai 1997 - BVerwG 2 C 39.96 - <Buchholz 239.1 § 61 Nr. 6 = ZBR 1997, 323>).

Zudem wären auch bei Zugrundelegung der vorstehend abgelehnten Auffassung, wie das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat, die Voraussetzungen des Rechtsverlustes nach § 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG nicht erfüllt. In keinem Falle könnte es für die Anwendung dieser Vorschrift genügen, daß vor Eintritt in den Ruhestand der Vorsatz zu einer später begangenen Straftat gefaßt war; der bloße innere, noch nicht durch strafbares Handeln verwirklichte Vorsatz ist insoweit unerheblich. Die hiernach jedenfalls erforderliche teilweise Verwirklichung des Vorsatzes durch strafbares Handeln müßte im Strafurteil selbst eindeutig und ohne Zweifel festgestellt und der Bestrafung zugrunde gelegt sein. Denn die rechtliche Automatik der kraft Gesetzes eintretenden Beendigung des Beamtenverhältnisses bzw. des Verlustes der Rechte als Ruhestandsbeamter setzt einen eindeutigen, für Zweifelsfragen der Auslegung keinen Raum lassenden Anknüpfungspunkt voraus (BVerwGE 84, 1 f.). Dies gilt auch für die zeitliche Zuordnung der Straftat. Soweit sie im Strafurteil nicht vorgenommen worden ist, etwa weil dem Strafgericht die Feststellung eines bestimmten zeitlichen Rahmens genügte, ist ebensowenig wie hinsichtlich anderer im Strafurteil offengebliebener Umstände der Straftat Raum für ergänzende Ermittlungen und Feststellungen der Dienst- oder Versorgungsbehörde oder der Verwaltungsgerichte. Auch insoweit gilt, daß der Gesetzgeber den ausnahmsweise kraft Gesetzes eintretenden Rechtsverlust nur für den Fall einer eindeutigen und zweifelsfreien Grundlage im Strafurteil vorgesehen hat, während es in Fällen, die zusätzliche Feststellungen oder Würdigungen in bezug auf die Straftat erfordern, bei der etwaigen Möglichkeit des disziplinarrechtlichen Vorgehens wegen eines dafür erheblichen Verhaltens bewendet.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Beschluß

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 18 333 DM festgesetzt (§ 13 Abs. 2 GKG).

Ende der Entscheidung

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