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Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 20.11.2008
Aktenzeichen: BVerwG 3 C 13.08
Rechtsgebiete: VwGO, BGB, VwVfG


Vorschriften:

VwGO § 80 Abs. 1
BGB §§ 387 ff.
VwVfG § 35
VwVfG § 48 f.
VwVfG § 49a
Die durch § 387 BGB begründete Befugnis der Behörde, ihre Verbindlichkeit durch Aufrechnung mit einer Gegenforderung zu erfüllen, besteht unabhängig davon, ob sie die Gegenforderung durch Leistungsbescheid geltend gemacht hat und ob dieser vollziehbar ist. § 80 Abs. 1 VwGO hindert jedoch die Aufrechenbarkeit solcher Gegenforderungen, deren Bestand und/oder Fälligkeit einen Verwaltungsakt voraussetzt, sofern und solange Widerspruch und Anfechtungsklage gegen diesen Verwaltungsakt aufschiebende Wirkung haben.
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 3 C 13.08

Verkündet am 20. November 2008

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 20. November 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Dette, Liebler, Prof. Dr. Rennert und Buchheister

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 15. April 2008 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Gründe:

I

Die Klägerin begehrt die Auszahlung der Jahresraten für 2006 und 2007 einer forstwirtschaftlichen Förderung in Höhe von jeweils 327 €.

Der Beklagte hat mit Schreiben vom 6. November 2006 die Aufrechnung mit Gegenforderungen in Gesamthöhe von 321 555 € erklärt. Hierbei handelt es sich jeweils um die Rückforderung zuvor bewilligter und ausbezahlter weiterer forstwirtschaftlicher Zuwendungen, die der Beklagte mit mehreren Bescheiden widerrufen und zurückgefordert hatte. Die Klägerin hat die Widerrufs- und Rückforderungsbescheide jeweils angefochten. Die Widerspruchs- oder Klageverfahren sind bislang nicht abgeschlossen.

Mit Urteil vom 15. April 2008 hat das Verwaltungsgericht den Beklagten antragsgemäß verurteilt. Der - unstrittige - Klaganspruch sei nicht durch Aufrechnung erloschen. Die Aufrechnung sei unzulässig. Den Widersprüchen und Anfechtungsklagen der Klägerin gegen die der Aufrechnung zugrunde liegenden Widerrufs- und Rückforderungsbescheide des Beklagten komme gemäß § 80 Abs. 1 VwGO aufschiebende Wirkung zu, so dass die Aufrechnung eine unzulässige Vollziehung darstelle.

Zur Begründung seiner Sprungrevision macht der Beklagte geltend, § 80 Abs. 1 VwGO stehe der Zulässigkeit und Wirksamkeit der erklärten Aufrechnung nicht entgegen. Für die Zulassung der Aufrechnung spreche auch das öffentliche Interesse daran, dass die Behörde nicht vorleisten und das Risiko der Uneinbringlichkeit ihrer Gegenforderung tragen müsse.

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil.

II

Die Revision ist unbegründet. Das angegriffene Urteil steht im Ergebnis mit Bundesrecht im Einklang. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Recht vorbehaltlos stattgegeben.

1. Der Auffassung des Verwaltungsgerichts, die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs oder einer Anfechtungsklage gegen einen Leistungsbescheid hindere die Behörde generell daran, mit der mit diesem Bescheid geltend gemachten Forderung aufzurechnen, kann freilich nicht gefolgt werden. Sie verkennt die Reichweite von § 80 Abs. 1 VwGO.

Die Aufrechnung ist keine Vollziehung des Leistungsbescheides. Vollziehung ist die einseitige Durchsetzung der im Bescheid getroffenen Regelung mit hoheitlichen Mitteln, etwa im Wege der Verwaltungsvollstreckung. Damit hat die Aufrechnung nur gemein, dass auch sie eine einseitige Willenserklärung ist. Sie dient aber nicht der Durchsetzung der in dem Bescheid geregelten Forderung durch die Behörde, sondern der Erfüllung einer ganz anderen Verbindlichkeit der Behörde; dass diese Erfüllung zugleich die Befriedigung der eigenen Forderung bewirkt, ist lediglich ihre zwangsläufige Folge. Vor allem erfolgt die Aufrechnung nicht mit hoheitlichen Mitteln; sie ist vielmehr ein Gestaltungsrecht des allgemeinen Schuldrechts, das dem Staat nicht anders als jedem anderen Teilnehmer am Rechtsverkehr zusteht (stRspr; vgl. Urteile vom 13. Oktober 1971 - BVerwG 6 C 137.67 - Buchholz 232 § 87 BBG Nr. 48 S. 42 f. und vom 27. Oktober 1982 - BVerwG 3 C 6.82 - BVerwGE 66, 218 <220 f.> = Buchholz 451.55 Subventionsrecht Nr. 71 S. 12 f.).

Gegen diese Rechtsprechung wird eingewandt, Vollziehung sei nicht nur die Verwaltungsvollstreckung, wie § 80 Abs. 1 Satz 2 VwGO belege; daher sei § 80 Abs. 1 VwGO allgemein das an die Behörde gerichtete einstweilige Verbot zu entnehmen, aus dem angefochtenen Bescheid für den Widerspruchsführer nachteilige Folgen zu ziehen (insb. Puttler in: Sodan/Ziekow, VwGO-Großkommentar, 2. Aufl. 2006, § 80 VwGO Rn. 36; Schoch in: Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO-Kommentar, § 80 VwGO Rn. 79 f., 94; Detterbeck, DÖV 1996, 889 <892>). Damit ist die Unzulässigkeit der Aufrechnung mit einer durch angefochtenen Leistungsbescheid geltend gemachten (Gegen-)Forderung nicht dargetan. Denn § 80 Abs. 1 VwGO kann der Behörde nur solche Folgerungen einstweilen untersagen, die sie vermöge ihrer Sonderstellung als Hoheitsträger ziehen könnte. § 80 VwGO gewährt dem Bürger spezifischen Rechtsschutz gegenüber behördlichem Handeln gerade durch Verwaltungsakt. Die Besonderheit der behördlichen Befugnis, Rechtsverhältnisse einseitig durch Verwaltungsakt zu regeln, findet hierin ihr durch Art. 19 Abs. 4 GG gebotenes Gegenstück. Die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage hemmt diese besonderen Hoheitsbefugnisse. Sie geht aber nicht darüber hinaus; sie lässt die jenseits der besonderen hoheitlichen Befugnisse bestehende Rechtsstellung der Behörde unberührt. Namentlich führt § 80 Abs. 1 VwGO nicht dazu, die Behörde im allgemeinen Rechtsverkehr schlechter zu stellen als jeden Privaten.

Es ist also daran festzuhalten: Die durch § 387 BGB begründete Befugnis (auch) der Behörde, ihre Verbindlichkeit durch Aufrechnung mit einer eigenen Gegenforderung zu erfüllen, wird nicht dadurch berührt, dass sie die Gegenforderung zuvor durch Leistungsbescheid geltend gemacht hat. Dass der Leistungsbescheid infolge Anfechtung einstweilen nicht vollziehbar ist, hindert mit anderen Worten die Aufrechnung nicht, sofern deren Voraussetzungen vorliegen, insbesondere also sofern die Gegenforderung - unabhängig von dem Leistungsbescheid - besteht und fällig ist.

2. Gleichwohl ist dem Verwaltungsgericht darin zu folgen, dass die Aufrechnung durch den Beklagten im vorliegenden Falle derzeit unzulässig ist. § 80 Abs. 1 VwGO hindert zwar nicht die Aufrechnung als solche, wohl aber die Aufrechenbarkeit solcher Gegenforderungen, deren Bestand oder Fälligkeit ihrerseits einen Verwaltungsakt voraussetzt, sofern und solange die Vollziehung dieses Verwaltungsakts ausgesetzt ist (vgl. im Ergebnis ebenso Beschluss vom 11. August 2005 - BVerwG 2 B 2.05 - juris; BFH, Urteile vom 31. August 1995 - VII R 58/94 - BFHE 178, 306 und vom 14. November 2000 - VII R 85/99 - BFHE 193, 254; Felix, NVwZ 1996, 734). Damit ist der Behörde die Aufrechnung im vorliegenden Falle einstweilen verwehrt, weil die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung erst durch den Widerruf vorheriger Subventionsbescheide entstanden ist und die Klägerin die Widerrufsbescheide jeweils angefochten hat. Soweit dem Urteil des Senats vom 27. Oktober 1982 (a.a.O.) eine andere Rechtsauffassung zugrunde liegt, hält er daran nicht fest.

Freilich begründet der Rücknahme- oder Widerrufsbescheid als solcher bereits den Subventionsrückzahlungsanspruch, unabhängig davon, ob er angefochten wird oder nicht; die Anfechtung betrifft nur seine Vollziehbarkeit, lässt aber seine Wirksamkeit unberührt. Ebenso führt ein Abgabenbescheid als solcher bereits die Fälligkeit der Abgabenforderung herbei, ebenfalls ungeachtet einer Anfechtung; auch hier lässt die Anfechtung die Wirksamkeit des Abgabenbescheides unberührt (Urteil vom 27. Oktober 1982 a.a.O. S. 221, 222 bzw. S. 12 f.). § 80 Abs. 1 VwGO hindert aber die Vollziehung des angefochtenen Bescheides. Wie erwähnt, liegt hierin das durch Art. 19 Abs. 4 GG geforderte Korrelat zu der Befugnis des Staates, ein Rechtsverhältnis einseitig hoheitlich zu regeln. Deshalb ist der Behörde einstweilen untersagt, die spezifisch hoheitliche Regelung des Verwaltungsakts umzusetzen. Wenn die Begründung oder Fälligstellung der Gegenforderung aber gerade zu dieser spezifisch hoheitlichen Regelung des Verwaltungsakts zählt, so gilt die Gegenforderung für die Behörde einstweilen als noch nicht bestehend oder als noch nicht fällig. In Ansehung der Aufrechnung gilt die Gegenforderung für die Behörde also einstweilen als nicht aufrechenbar.

Damit errichtet § 80 Abs. 1 VwGO ein spezifisch öffentlich-rechtliches Regime des Bestreitens und der Überprüfung der Gegenforderung. Es würde zwar - wie das Bundesverwaltungsgericht öfters unterstrichen hat (Urteile vom 13. Oktober 1971 a.a.O. und vom 27. Oktober 1982 a.a.O.) - den Rechtsschutz des Bürgers nicht unzumutbar schmälern, ließe man die Aufrechnung der Behörde zu. Davon bliebe seine Befugnis, die Gegenforderung zu bestreiten, unberührt; auf seine Zahlungsklage hin würde die von der verklagten Behörde zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung inzident geprüft, gegebenenfalls in einem Nachverfahren (§ 173 VwGO i.V.m. § 302 ZPO). Dies stellt die allgemeine Lösung des Zivilprozessrechts für den zugrunde liegenden Interessenkonflikt dar. Hängen Bestand oder Fälligkeit der Gegenforderung hingegen von einem Verwaltungsakt ab, so untersteht deren Prüfung dem öffentlich-rechtlichen Regime. Das gilt in Ansehung sowohl des materiellen wie des Verfahrensrechts. Das Verfahrensrecht sieht mit §§ 42, 68 ff., 113 VwGO besondere Rechtsschutzmöglichkeiten vor; hierzu zählt auch die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage. Dieses spezifisch öffentlich-rechtliche Rechtsschutzkonzept tritt, soweit seine Sonderbestimmungen reichen, an die Stelle des allgemeinen zivilrechtlichen (zivilprozessualen) Konzepts.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Ende der Entscheidung

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