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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 07.10.2004
Aktenzeichen: BVerwG 3 C 46.03
Rechtsgebiete: RettAssG


Vorschriften:

RettAssG § 2
RettAssG § 8
RettAssG § 13
Der in der Übergangsvorschrift des § 13 RettAssG verwendete Begriff des "520-Stunden-Programms" nimmt die am 20. September 1977 vom Bund-Länder-Ausschuss "Rettungswesen" aufgestellten "Grundsätze zur Ausbildung des Personals im Rettungsdienst" in Bezug und stellt keine darüber hinausgehenden Anforderungen auf.
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 3 C 46.03

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 7. Oktober 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Driehaus sowie die Richter am Bundesverwaltungsgericht van Schewick, Dr. Dette, Liebler und Prof. Dr. Rennert ohne mündliche Verhandlung

für Recht erkannt:

Tenor:

Das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 11. Dezember 2002 wird geändert.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg vom 12. Januar 2000 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens.

Gründe:

I.

Der Kläger, ein Sanitätssoldat der Bundeswehr, begehrt aufgrund seiner im Rahmen des Dienstes erfolgten Ausbildung und Tätigkeit die Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung "Rettungsassistent" nach Maßgabe des Rettungsassistentengesetzes (RettAssG).

Die Beklagte lehnte den darauf gerichteten Antrag u.a. mit der Begründung ab, seine Ausbildung am Bundeswehrkrankenhaus Ulm könne deshalb nicht berücksichtigt werden, weil sie entgegen § 5 Satz 2 der Niedersächsischen Lehrgangsregelung für Rettungssanitäter (Runderlass des Niedersächsischen Sozialministers vom 16. November 1978) in weniger als 6 Monaten durchgeführt worden sei.

Das Verwaltungsgericht Lüneburg hat der Klage durch Urteil vom 12. Januar 2000 im Wesentlichen mit der Begründung stattgegeben, dass der Kläger den Nachweis über eine Ausbildung nach dem 520-Stunden-Programm erbracht habe. Die vorgelegten Bescheinigungen bestätigten ausdrücklich, dass er nach den Grundsätzen zur Ausbildung des Personals im Rettungsdienst, die der Bund-Länder-Ausschuss "Rettungswesen" am 20. September 1977 beschlossen habe, ausgebildet worden sei. Der Anerkennung dieser Ausbildung stehe nicht entgegen, dass sie nicht in der von § 5 Satz 2 der Niedersächsischen Lehrgangsregelung für Rettungssanitäter vorgeschriebenen Mindestzeit von 6 Monaten erfolgt sei. § 13 Abs. 1 RettAssG, der dem Runderlass des Niedersächsischen Sozialministers vom 16. November 1978 vorgehe, sehe eine Mindestausbildungszeit nicht vor.

Mit Urteil vom 11. Dezember 2002 hat das Oberverwaltungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts aufgehoben und die Klage im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, die Voraussetzungen für die Erteilung der Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung "Rettungsassistent" gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 RettAssG lägen im Fall des Klägers nicht vor, weil seine Ausbildung zum Rettungssanitäter dem 520-Stunden-Programm der Niedersächsischen Lehrgangsregelung für Rettungssanitäter nicht entsprochen habe. Das Gericht halte an der in seinem Urteil vom 21. Oktober 1996 (8 L 632/95) zur Beachtlichkeit der Niedersächsischen Lehrgangsregelung für Rettungssanitäter im Rahmen des § 13 Abs. 1 Satz 1 RettAssG, insbesondere zur Beachtlichkeit der von § 5 Satz 2 der Niedersächsischen Lehrgangsregelung für Rettungssanitäter vorgeschriebenen 36-Monats-Frist entwickelten Rechtsauffassung auch unter Berücksichtigung der vom Verwaltungsgericht dagegen erhobenen Einwände fest. Danach handele es sich bei der Niedersächsischen Lehrgangsregelung für Rettungssanitäter um eine gesetzesvertretende Verwaltungsvorschrift, die wie ein Gesetz zu beachten sei. Darüber hinaus sei diese gesetzesvertretende Verwaltungsvorschrift von dem Gesetzgeber des Rettungsassistentengesetzes im Rahmen des § 13 Abs. 1 RettAssG in den gesetzgeberischen Willen aufgenommen worden. Die Über- oder Unterschreitung der in § 5 Satz 2 der Niedersächsischen Lehrgangsregelung vorgeschriebenen Lehrgangsdauer stehe der Erteilung einer Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung "Rettungsassistent" nach § 13 Abs. 1 Satz 1 RettAssG auch dann entgegen, wenn die Ausbildung nicht in Niedersachsen erfolgt sei. Da der Gesetzgeber die landesrechtlichen Bestimmungen über die Ausbildung nach dem 520-Stunden-Programm im Rahmen der Übergangsregelung des § 13 RettAssG habe respektieren wollen, bestehe ein Anspruch auf die Erteilung der Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung "Rettungsassistent" in Niedersachsen nur dann, wenn die Ausbildung nach dem 520-Stunden-Programm den niedersächsischen Maßgaben entsprochen habe.

Gegen dieses Urteil richtet sich die vom erkennenden Senat zugelassene Revision.

II.

Der Senat kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben (§ 101 Abs. 2 i.V.m. § 125 Abs. 1, § 141 VwGO).

Die zulässige Revision ist begründet. Das Berufungsurteil beruht auf einer Verletzung revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), und zwar des § 13 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über den Beruf der Rettungsassistentin und des Rettungsassistenten (Rettungsassistentengesetz - RettAssG) vom 10. Juli 1989 (BGBl I S. 1384), zuletzt geändert durch Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen und zur Änderung anderer Gesetze vom 27. April 2002 (BGBl I S. 1467, 1474).

Nach der Übergangsvorschrift des § 13 Abs. 1 Satz 1 RettAssG, die hier allein als anspruchsbegründende Norm in Betracht kommt, erhält - abweichend vom gesetzlich vorgeschriebenen Ausbildungsgang und ohne weitere Prüfung (§ 2 RettAssG) - ein zuverlässiger, geistig und körperlich nicht ungeeigneter (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 und 3 RettAssG) Antragsteller, der vor Inkrafttreten dieses Gesetzes eine Ausbildung als Rettungssanitäter nach dem 520-Stunden-Programm erfolgreich abgeschlossen oder mit einer solchen Ausbildung begonnen und diese nach Inkrafttreten des Gesetzes erfolgreich abgeschlossen hat, die Erlaubnis, die Berufsbezeichnung "Rettungsassistent" zu führen, wenn er eine mindestens 2000 Stunden umfassende Tätigkeit im Rettungsdienst abgeleistet hat.

Nach den im Revisionsverfahren nicht angegriffenen Feststellungen der Vorinstanzen erfüllt der Kläger diese Voraussetzungen. Dem steht nicht entgegen, dass seine Ausbildung zum Rettungssanitäter nach dem 520-Stunden-Programm nicht der Niedersächsischen Lehrgangsregelung für Rettungssanitäter (vgl. RdErl. d. MS v. 16. November 1978; Nds. MBl 55/1978) entsprochen hat, wie das Berufungsgericht zu Unrecht angenommen hat. Die Auslegung des § 13 Abs. 1 Satz 1 RettAssG ergibt, dass für die Anerkennung einer Ausbildung und Tätigkeit vor Inkrafttreten des RettAssG keine über die in § 13 Abs. 1 Satz 1 RettAssG ausdrücklich genannten hinausgehenden Voraussetzungen zu fordern sind.

Schon nach dem Wortlaut des § 13 Abs. 1 Satz 1 RettAssG kann nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber mit "520-Stunden-Programm" etwas anderes gemeint haben könnte, als die vom Bund-Länder-Ausschuss "Rettungswesen" am 20. September 1977 beschlossenen "Grundsätze zur Ausbildung des Personals im Rettungsdienst". Dafür spricht auch die dahingehende Legaldefinition in § 8 Abs. 2 Satz 1 RettAssG. Diese Grundsätze stellten einheitliche Mindestanforderungen für das Personal im Rettungsdienst dar und waren in der Folgezeit Grundlage verschiedener Regelungen in den einzelnen Ländern, ohne insbesondere Ausbildungshöchst- oder -mindestzeiten zu enthalten, an denen der Anspruch des Klägers hier im Berufungsverfahren gescheitert ist. Bereits unter Nr. 5 der "Grundsätze zur Ausbildung des Personals im Rettungsdienst (520-Stunden-Programm)" ist festgelegt, dass Prüfungen und Ausbildungsabschnitte nach der Mindestausbildung von allen Ländern anerkannt werden, wenn sie staatlich durchgeführt oder anerkannt sind. Daraus folgt, dass etwaige Unterschiede in der Ausgestaltung des 520-Stunden-Programms zwischen den Ländern von Anfang an die bundesweite Anerkennung der Ausbildung nicht in Frage stellen sollten, soweit die in den Grundsätzen niedergelegten Mindestvoraussetzungen eingehalten wurden. Das muss auch für eine entsprechende Ausbildung in der Verantwortung der Bundeswehr gelten.

Sinn und Zweck einer Übergangsregelung bei Neuschaffung eines Berufsbildes sind nicht notwendig darauf beschränkt, die neuen Anforderungen an Kenntnisse und Fähigkeiten auf die bisher in dem Berufsfeld Tätigen zu übertragen. Es war vielmehr gerade Sinn und Zweck der vorstehenden Übergangsregelung, den in dem weiteren Berufsfeld Tätigen, die die neuen Anforderungen nicht erfüllen, eine großzügige Aufnahme in den neuen, qualifizierteren Berufsstand zu ermöglichen. Dafür spricht bereits der Umstand, dass eine Übergangsregelung mit geringeren, die bisherige Berufserfahrung jedoch honorierenden Anforderungen überhaupt geschaffen wurde. Gestützt wird diese Annahme durch die Gesetzgebungsmaterialien. So ist in der Amtlichen Begründung zu § 14 RettAssG (jetzt § 13 RettAssG; vgl. BTDrucks 11/2275, S. 13) von einer "großzügigen Übergangsregelung" die Rede. Auch der Redebeitrag der zuständigen Bundesministerin Dr. Süssmuth betont, dass "eine großzügige Übergangsregelung wichtig war", um angesichts der demographischen Entwicklung langjährig tätige, erfahrene Rettungssanitäter in diesen Beruf übernehmen zu können (vgl. BT-Plenarprotokoll 11. Wahlperiode, S. 5475).

Zwar beruft sich das Oberverwaltungsgericht zum Beleg seiner Auffassung ebenfalls auf die Gesetzgebungsmaterialien (vgl. BTDrucks 11/2275). Diese geben jedoch für die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts nichts her. Die Amtliche Begründung zu § 14 RettAssG (jetzt § 13 RettAssG) spricht nur vom 520-Stunden-Programm, ohne dieses näher zu erläutern. Allerdings enthält auch diese Begründung einen Hinweis auf § 9 Abs. 2 RettAssG, dem heutigen § 8 Abs. 2 RettAssG, der die schon beschriebene Definition des 520-Stunden-Programms enthält (vgl. BTDrucks 11/2275, S. 13). Soweit sich das Berufungsgericht auf den allgemeinen Teil der Gesetzesbegründung bezieht, ist seiner Auffassung nicht zu folgen. Dort heißt es:

"Um dem im Rettungswesen tätigen Personal bundeseinheitlich wenigstens eine bestimmte Mindestqualifikation zu vermitteln, hat der Bund-Länder-Ausschuss 'Rettungswesen' im September 1977 'Grundsätze zur Ausbildung des Personals im Rettungsdienst' verabschiedet. Dieses 520 Stunden umfassende Ausbildungsprogramm (sog. 520-Stunden-Programm) wurde von allen Ländern anerkannt. Die Ausbildung erfolgt inzwischen weitgehend nach diesen Mindestanforderungen" (vgl. BTDrucks 11/2275, S. 7).

Diesen letzten Satz nimmt das Berufungsurteil wohl in Bezug, wenn es meint, die Gesetzesbegründung weise auch darauf hin, dass die Ausbildung in den Ländern nicht einheitlich nach diesen Mindestanforderungen erfolge. Dieses Verständnis beruht auf einer Verkennung des Sinngehalts der Amtlichen Gesetzesbegründung. Dort wird dargelegt, dass ein gewisser Mindeststandard überwiegend erreicht worden sei. Das ist der Kern der Aussage. Hingegen stellt die Gesetzesbegründung nicht darauf ab, dass die Ausbildung in den Ländern uneinheitlich erfolge, obwohl der Bundesgesetzgeber bei Erlass des Gesetzes die verschiedenen landesrechtlichen Regelungen kannte. Wenn er eine Vielzahl verschiedener Regelungen hätte aufgreifen wollen, wäre aber zu erwarten gewesen, dass er bei der Formulierung des § 13 RettAssG hierauf Bezug genommen hätte.

Das aus dem Wortlaut sowie dem Sinn und Zweck, eine bundeseinheitliche Regelung zu schaffen, folgende Ergebnis wird zudem durch § 13 Abs. 2 RettAssG gestützt. Dort heißt es: "Absatz 1 gilt entsprechend für Antragsteller, die vor Inkrafttreten dieses Gesetzes nach landesrechtlichen Vorschriften den Absolventen einer Ausbildung nach dem 520-Stunden-Programm gleichgestellt worden sind." Daraus ist zu folgern, dass nach dem Willen des Gesetzgebers Maßstab das bundeseinheitliche 520-Stunden-Programm sein sollte. Bei Gleichstellung einer Ausbildung nach landesrechtlichen Vorschriften sollte zwar ebenfalls die Vorschrift des § 13 Abs. 1 RettAssG zugunsten des Antragstellers greifen. Nicht angeordnet wurde jedoch, und das wäre ausdrücklich zu erwarten gewesen, dass abweichende landesrechtliche Vorschriften die Anforderungen des bundeseinheitlichen 520-Stunden-Programms in einzelnen Ländern verschärfen sollten. Somit hat der Gesetzgeber durchaus den ihm bekannten unterschiedlichen landesrechtlichen Regelungen Rechnung getragen, allerdings nicht dadurch, dass er, wie das Berufungsurteil meint, diese quasi als ungeschriebene Tatbestandsmerkmale in § 13 Abs. 1 RettAssG vorausgesetzt hätte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 10 000 € festgesetzt.



Ende der Entscheidung

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