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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 11.05.1999
Aktenzeichen: BVerwG 4 A 8.99
Rechtsgebiete: FStrG


Vorschriften:

FStrG § 8 a
FStrG § 17 Abs. 1 Satz 2
Leitsatz:

Der Anliegergebrauch vermittelt keine aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG ableitbare Rechtsposition. Wie weit er gewährleistet ist, richtet sich nach dem einschlägigen Straßenrecht, das insoweit im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG Inhalt und Schranken des Eigentums am "Anliegergrundstück" bestimmt.

Beschluß des 4. Senats vom 11. Mai 1999 - BVerwG 4 VR 7.99 -


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

BVerwG 4 VR 7.99 (4 A 8.99)

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 11. Mai 1999 durch die Richter Prof. Dr. Dr. Berkemann, Dr. Lemmel und Halama

beschlossen:

Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der von den Antragstellern erhobenen Klage anzuordnen, wird abgelehnt.

Die Antragsteller tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Anordnungsverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Anordnungsverfahren auf 5 000 DM festgesetzt.

Gründe:

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist statthaft. Der Planfeststellungsbeschluß vom 29. Januar 1999 betrifft ein Vorhaben, das unter § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VerkPBG fällt. Nach § 5 Abs 2 Satz 1 VerkPBG hat die Anfechtungsklage gegen einen Planfeststellungsbeschluß keine aufschiebende Wirkung. Jedoch kann das Bundesverwaltungsgericht, das nach § 5 Abs. 1 VerkPBG im ersten und letzten Rechtszug zuständig ist, nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO als Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen (§ 5 Abs. 2 Satz 2 VerkPBG).

Der Antrag der Antragstellerin erfüllt auch die sonstigen Zulässigkeitsvoraussetzungen. Ob dies für den Antragsteller in gleicher Weise zutrifft, ist unter dem Blickwinkel der Antragsbefugnis, die sich nach den für die Klagebefugnis maßgeblichen Kriterien bestimmt, schon deshalb höchst zweifelhaft, weil im Anhörungsverfahren Einwendungen ausschließlich im Namen der Antragstellerin erhoben worden sind. Dies legt den Schluß nahe, daß der Antragsteller sich die Präklusionswirkung des § 17 Abs. 4 Satz 1 FStrG entgegenhalten lassen muß.

Der Antrag beider Antragsteller ist jedenfalls unbegründet. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Planfeststellungsbeschlusses überwiegt das private Interesse an der Fortdauer des derzeitigen Zustands. Bereits eine summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage läßt keinen Zweifel daran aufkommen, daß die Klage erfolglos bleiben wird.

Die Antragsteller setzten sich ausschließlich gegen die Verkehrsinsel zur Wehr, die im Planfeststellungsbeschluß vor ihrer Grundstückszufahrt vorgesehen ist und die für sie insofern hinderlich ist, als die Möglichkeit abgeschnitten wird, das Flurstück 1135/5, auf dem der Antragsteller eine Anwaltskanzlei unterhält, im Linksabbiegeverkehr anzufahren oder zu verlassen. Für einen Verstoß gegen das in § 17 Abs. 1 Satz 2 FStrG normierte Abwägungsgebot ist indes nichts ersichtlich.

Der Anliegergebrauch, auf den sich die Antragsteller sinngemäß zur Abwehr der geplanten Baumaßnahme berufen, vermittelt keine aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG ableitbare Rechtsposition. Wie weit er gewährleistet ist, richtet sich vielmehr nach dem einschlägigen Straßenrecht, dessen Regelungsbereich das Nachbarschaftsverhältnis zwischen Straße und angrenzenden Grundstücken mit umfaßt. Auch in diesem Normzusammenhang hat der Gesetzgeber in Erfüllung des ihm in Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG erteilten Auftrages Inhalt und Schranken des Eigentums zu bestimmen. Hierbei hat er einerseits dem Gewährleistungsgehalt des in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG grundgesetzlich anerkannten Privateigentums und andererseits dem Sozialgebot des Art. 14 Abs. 2 GG Rechnung zu tragen (vgl. BVerfG, Urteil vom 1. März 1979 - 1 BvR 532/77 u.a. - BVerfGE 50, 290 <340>; Beschlüsse vom 23. September 1992 - 1 BvL 15/85 u.a. - BVerfGE 87, 114 <138>, und vom 22. November 1994 - 1 BvR 351/91 - BVerfGE 91, 294 <308>). Da die Straße als öffentliche Einrichtung nicht allein der Erschließung der Anliegergrundstücke, sondern schwergewichtig auch dem allgemeinen Verkehrsbedürfnis in seinen unterschiedlichen Ausgestaltungen dient, muß er einen Ausgleich zwischen einer Vielzahl von Interessen schaffen (vgl. BVerfG, Kammerbeschluß vom 11. September 1990 - 1 BvR 988/90 - NVwZ 1991, 358; BVerwG, Urteil vom 26. August 1993 - BVerwG 4 C 24.91 - BVerwGE 94, 100). Auf die Belange der Anlieger hat er insofern in spezifischer Weise Rücksicht zu nehmen, als dieser Personenkreis in besonderem Maße auf den Gebrauch der Straße angewiesen ist. Die Zufahrt bzw. der Zugang zur Straße schafft die Grundvoraussetzungen, derer es bedarf, um an der verkehrlichen Kommunikation teilzunehmen. Der Gesetzgeber stellt sicher, daß dieser Gesichtspunkt bei der Änderung von Bundesfernstraßen zum Tragen kommt. Mit § 8 a FStrG markiert er eine Grenze, die auch im Wege der nach § 17 Abs. 1 Satz 2 FStrG gebotenen Abwägung der durch ein Änderungsvorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange nicht kurzerhand überwunden werden kann (vgl. BVerwG, Urteile vom 22. Juni 1979 - BVerwG 4 C 8.76 - BVerwGE 58, 154, und vom 27. April 1990 - BVerwG 4 C 18.88 - Buchholz 407.4 § 8 a FStrG Nr. 6).

Die Antragsteller machen selbst nicht geltend, daß das Flurstück 1135/5 durch die planfestgestellte Baumaßnahme von der Ernst-Thälmann-Straße abgeschnitten wird. Entgegen ihrer Einschätzung kann indes auch von einer erheblich erschwerten Grundstücksnutzung im Sinne des § 8 a FStrG keine Rede sein.

Ein Abwehrrecht steht dem Anlieger nur so weit zu, wie die angemessene Nutzung des Grundeigentums die Verbindung mit der Straße erfordert. Angemessen ist nicht schon jede Nutzung, zu der das Grundeigentum Gelegenheit bietet. Maßgebend ist, was aus dem Grundstück unter Berücksichtigung der Rechtslage und der tatsächlichen Gegebenheiten als anerkennenswertes Bedürfnis hervorgeht (vgl. BVerwG, Urteile vom 25. Juni 1969 - BVerwG 4 C 77.67 - BVerwGE 32, 222, und vom 29. April 1977 - BVerwG 4 C 15.75 - BVerwGE 54, 1). § 8 a FStrG garantiert nicht eine optimale, sondern nur eine nach den jeweiligen Umständen zumutbare Erreichbarkeit. Aus ihm läßt sich kein Anspruch auf den Fortbestand einer Verkehrsverbindung herleiten, die für eine bestimmte Grundstücksnutzung von besonderem Vorteil ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. November 1983 - BVerwG 4 C 82.80 - DÖV 1984, 426). § 8 a FStrG bietet keine Gewähr dafür, daß ein Grundstück ohne jegliche Einschränkung angefahren werden kann. Der Schutzbereich der Norm ist nicht berührt, wenn infolge der Anlegung eines Mittelstreifens das Grundstück nurmehr im Richtungsverkehr angefahren werden kann und der sonstige Zu- und Abgangsverkehr Umwege in Kauf nehmen muß (vgl. BVerwG, Urteil vom 8. Oktober 1976 - BVerwG 7 C 24.73 - NJW 1977, 2367). Im übrigen bewahrt die Vorschrift den Anlieger nicht vor Zufahrtserschwernissen, die sich aus der besonderen örtlichen Lage und einer etwaigen situationsbedingten Vorbelastung ergeben, in die das Grundstück hineingestellt ist (vgl. BVerfG, Kammerbeschluß vom 11. September 1990 - 1 BvR 988/90 - a.a.O.; BVerwG, Urteile vom 20. Mai 1987 - BVerwG 7 C 60.85 - NJW 1988, 432, und vom 8. September 1993 - BVerwG 11 C 38.92 - BVerwGE 94, 136).

Das bedeutet nicht, daß die Anliegerinteressen unterhalb der in § 8 a FStrG bezeichneten Schwelle rechtlich nicht zu Buche schlagen. Sie sind, sofern sie nicht als geringfügig ausnahmsweise außer Betracht zu bleiben haben (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 1987 - BVerwG 4 C 49.83 - NVwZ 1989, 147; Beschluß vom 9. November 1979 - BVerwG 4 N 1.78 u.a. - BVerwGE 59, 87), im Rahmen der Planfeststellung in die Abwägung einzustellen; sie können jedoch durch überwiegende Gemeinwohlbelange zurückgedrängt werden. So liegt es hier.

Die von den Antragstellern geltend gemachten Belange wiegen schon deshalb nicht sonderlich schwer, weil sich die vorgegebene Situation nicht nachhaltig verschlechtert. Die angefochtene Baumaßnahme ist nicht ursächlich dafür, daß das Flurstück 1135/5 vom Linksabbiegeverkehr ausgeschlossen wird. Schon seit 1996 ist das Grundstück aufgrund von straßenverkehrsrechtlichen Anordnungen im Sinne der §§ 41 und 43 StVO für Linksabbieger nicht mehr erreichbar. Denn der Grundstückszufahrt gegenüber befindet sich in der Straßenmitte eine durch das Vorschriftzeichen 222 (Rechts vorbei) und eine Leitbake (Zeichen 605) gesicherte Sperrfläche (Zeichen 298), die als Fußgängerquerungshilfe dient und von Fahrzeugen nicht benutzt werden darf. Die Antragsteller erleiden im Vergleich mit dem jetzigen Zustand keine Rechtsnachteile. Die geplante Verkehrsinsel führt lediglich in tatsächlicher Hinsicht zu einer Verfestigung der überkommenen Verhältnisse.

Die Gründe, die im Planfeststellungsbeschluß für die Baumaßnahme ins Feld geführt werden, sind geeignet, die von der Planungsbehörde getroffene Abwägungsentscheidung zu tragen. Die Antragsteller räumen selbst ein, daß das Flurstück 1135/5 besondere Lagemerkmale aufweist. Sie stellen nicht in Abrede, daß im Einmündungsbereich der Gerberstraße ein Fußgängerüberweg dringend erforderlich ist, damit insbesondere Schüler, die auf dem Wege von den nördlichen Stadtteilen zu den Schulen im Stadtzentrum, und Fußgänger, die auf dem Wege vom Ortskern und vom Omnibusbahnhof zum Krankenhaus das Hohe Gässchen benutzen, die verkehrsreiche Ernst-Thälmann-Straße gefahrlos kreuzen können. Ihre Kritik richtet sich dagegen, daß dies "vor ihrer Haustür" geschieht. Nach ihrer Meinung läßt sich der mit dem Planvorhaben verfolgte Zweck ebenso wirksam 50 m weiter östlich an einer Stelle erreichen, an der die Zufahrtsproblematik keine nennenswerte Rolle spielt, da die dort angrenzenden Grundstücke unbebaut sind. Die von ihnen ins Spiel gebrachte Alternative hat die Planungsbehörde indes, nicht zuletzt unter Hinweis auf die Erfordernisse der Sicherheit und Ordnung des Verkehrs, aus Erwägungen heraus verworfen, die keinen Anlaß zu rechtlichen Beanstandungen geben. Die Standortwahl leuchtet unter dem Blickwinkel der Verkehrssicherheit schon deshalb ohne weiteres ein, weil sich auf Höhe des Flurstücks 1135/5 nach den Straßenbaurichtlinien ohnehin eine sogenannte Gegensperrfläche aufdrängt, die dazu dient, die Fahrbahn, die östlich der Einmündung der Gerberstraße um eine Linksabbiegespur erweitert wird, wieder zu verengen und Überholmanöver im Knotenbereich zu verhindern. Eine Fußgängerquerung im östlichen Knotenpunktarm hat im Vergleich mit der planfestgestellten Lösung überdies den Nachteil, daß der Querungsweg wegen der Linksabbiegespur länger ist und sich die Ampel, die installiert werden soll, weniger zügig schalten läßt, als wenn die Maßnahme an der im Planfeststellungsbeschluß vorgesehen Stelle ausgeführt wird. Nach den unwidersprochenen Angaben des Antragsgegners ist die B 281 bis an die Kapazitätsgrenze ausgelastet. Hält der Planungsträger in dieser Situation an dem von ihm erarbeiteten Konzept fest, weil absehbar ist, daß andernfalls die Leistungsfähigkeit des Knotens gemindert wird, so macht er von der planerischen Gestaltungsfreiheit, die ihm der Gesetzgeber einräumt, keinen fehlerhaften Gebrauch. Der von ihm vorgenommene Interessenausgleich wahrt, auch wenn er zu Lasten der Antragsteller geht, die Grenzen, die durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gezogen werden.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 und § 159 Satz 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 1 und § 20 Abs. 3 GKG.

Ende der Entscheidung

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