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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 24.09.1998
Aktenzeichen: BVerwG 4 CN 2.98
Rechtsgebiete: BauGB, VwGO


Vorschriften:

BauGB § 1 Abs. 6
VwGO § 47 Abs. 2 Satz 1
Leitsätze:

1. An die Geltendmachung einer Rechtsverletzung nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO sind keine höheren Anforderungen zu stellen als nach § 42 Abs. 2 VwGO.

2. Das in § 1 Abs. 6 BauGB enthaltene Abwägungsgebot hat drittschützenden Charakter hinsichtlich solcher privater Belange, die für die Abwägung erheblich sind.

Urteil des 4. Senats vom 24. September 1998 - BVerwG 4 CN 2.98 -

I. OVG Saarlouis vom 12.01.1998 - Az.: OVG 2 N 4/97 -


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 4 CN 2.98 OVG 2 N 4/97

Verkündet am 24. September 1998

Kurowski Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

In der Normenkontrollsache

hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 24. September 1998 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Gaentzsch und die Richter Prof. Dr. Dr. Berkemann, Hien, die Richterin Heeren und den Richter Dr. Rojahn

für Recht erkannt:

Der Beschluß des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes vom 12. Januar 1998 wird aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlußentscheidung vorbehalten.

Gründe

I.

Die Antragsteller wenden sich mit der Normenkontrolle gegen einen Bebauungsplan der Antragsgegnerin, durch den eine bisher überwiegend bewaldete Fläche als private Grünfläche mit der Konkretisierung "Dauerkleingärten" einschließlich Vereinsheim und Parkplätzen ausgewiesen wird. Sie machen geltend, daß ihr nur durch einen 10 m breiten und als Pferdekoppel genutzten Schutzstreifen von dem überplanten Gebiet getrenntes Wohngrundstück durch den von der Kleingartenanlage und dem Vereinsheim ausgehenden Freizeitlärm unzumutbar beeinträchtigt werde. Die Antragsgegnerin habe den Belang der Wohnruhe in der Abwägung vernachlässigt und zu Unrecht von der Festsetzungsmöglichkeit des § 9 Abs. 1 Nr. 24 BauGB keinen Gebrauch gemacht.

Das Oberverwaltungsgericht hat den Normenkontrollantrag als unzulässig abgewiesen, weil die Antragsteller nicht antragsbefugt seien. Als verletztes Recht im Sinne von § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO komme zwar grundsätzlich das bebauungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme in Betracht. Das Vorbringen der Antragsteller genüge jedoch nicht den Anforderungen an die Geltendmachung einer entsprechenden Rechtsverletzung, weil eine unzumutbare Betroffenheit ihres Wohngrundstücks durch die Nutzung des Kleingartengeländes ersichtlich ausscheide. Als Eigentümer eines an den Außenbereich angrenzenden Grundstücks müßten sie damit rechnen, daß sich die bisherige Situation verändere. Sie könnten nur darauf vertrauen, daß keine mit der Wohnnutzung unverträgliche Nutzung zugelassen werde. Das sei der Fall, wenn der Störgrad der geplanten Nutzungsmöglichkeiten nicht über das in einem Misch- oder Dorfgebiet zulässige Maß hinausgehe; denn auch diese Gebiete dienten dem Wohnen. Die Nutzung der Kleingärten und die daraus entstehenden Beeinträchtigungen für die Nachbarschaft unterschieden sich nicht erheblich von der Nutzung der Gärten von Wohngrundstücken. Derartige Beeinträchtigungen wie Rasenmähen, Gespräche, Lachen, Musik - gehörten auch in reinen Wohngebieten zum Alltag und seien regelmäßig hinzunehmen. Auch vom Vereinsheim und von den Parkpklätzen gingen keine darüber hinausgehenden nennenswerten Beeinträchtigungen aus. Diese Einrichtungen seien vom Anwesen der Antragsteller rund 165 m bzw. rund 140 m entfernt, so daß eine beträchtliche Reduzierung der von diesen Störquellen herrührenden Lärmpegel zu erwarten sei.

Das Interesse der Antragsteller an der Beibehaltung der bisherigen Situation sei zwar abwägungsbeachtlich gewesen und hätte deshalb nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO a.F. unter dem Blickwinkel des "Nachteils" die Antragsbefugnis gerechtfertigt. Insofern könne indes offenbleiben, ob ein subjektives Recht auf fehlerfreie Abwägung anzuerkennen sei; denn auch insoweit fehle es an einer § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO entsprechenden Darlegung einer Rechtsverletzung. Die Antragsteller hätten nicht konkret und substantiiert die Möglichkeit einer im Sinne von § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB beachtlichen fehlerhaften Behandlung ihrer Interessen dargelegt. Der Satzungsgeber habe das Interesse der Antragsteller an der Vermeidung der Verschlechterung der Grundstückssituation im Wege der planerischen Abwägung rechtsfehlerfrei überwinden können.

Mit der vom Normenkontrollgericht zugelassenen Revision rügen die Antragsteller die Verletzung von § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO sowie ihres Rechts auf gerechte Abwägung ihrer Belange.

Sie beantragen, den angefochtenen Beschluß des Normenkontrollgerichts abzuändern und den Bebauungsplan für nichtig zu erklären.

Der Antragsgegner beantragt die Zurückweisung der Revision.

II.

Die Revision ist begründet. Das Urteil des Normenkontrollgerichts verletzt insoweit Bundesrecht, als es die Antragsbefugnis der Antragsteller nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO n.F. verneint. Eine abschließende Entscheidung über den Normenkontrollantrag ist dem Bundesverwaltungsgericht mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen nicht möglich, so daß die Sache an das Normenkontrollgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen ist.

1.1 Das Normenkontrollgericht verneint die Antragsbefugnis bereits deshalb, weil die Antragsteller die von ihnen behauptete Rechtsverletzung nicht hinreichend konkret und substantiiert geltend gemacht hätten. Zur Begründung führt es näher aus, daß aufgrund der räumlichen Grundstückssituation und der Art der vorhandenen und der geplanten Nutzungen eine Verletzung des Rücksichtnahme- oder Abwägungsgebots "ersichtlich" ausscheide. Mit diesen Ausführungen überspannt die Vorinstanz die Darlegungsanforderungen an die Geltendmachung einer Rechtsverletzung im Rahmen von § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 10. März 1998 - BVerwG 4 CN 6.97 (NVwZ 1998, 732 = UPR 1998, 348 = ZfBR 1998, 205) - das dem Normenkontrollgericht bei seiner Entscheidung freilich noch nicht bekannt sein konnte entschieden hat, können an die Geltendmachung einer Rechtsverletzung nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO n.F. keine höheren Anforderungen gestellt werden als sie auch für die Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO gelten. Danach genügt der Antragsteller seiner Darlegungspflicht, wenn er hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, daß er durch Festsetzungen des Bebauungsplans in einem Recht verletzt wird. Nach dem tatsächlichen Vorbringen der Antragsteller ist eine Verletzung des - wie noch auszuführen ist - drittschützenden Abwägungsgebots nicht offensichtlich und eindeutig nach jeder Betrachtungsweise unmöglich (vgl. zur sogenannten Möglichkeitstheorie z.B. Urteil vom 22. Februar 1994 - BVerwG 1 C 24.92 - BVerwG 95, 133). Das ergibt sich anschaulich aus den Entscheidungsgründen des Normenkontrollbeschlusses selbst: Dort wird nach Auswertung des gesamten Akteninhalts und der Stellungnahme der Antragsgegnerin ausführlich dargelegt, daß und warum im einzelnen das Rücksichtnahme- oder Abwägungsgebot hier im konkreten Fall tatsächlich nicht verletzt sei. Diese Ausführungen setzen voraus, daß die Rechtsverletzung zumindest möglich erscheint. Art und Umfang der Darlegungen des Normenkontrollgerichts entsprechen deshalb der Sache nach der Prüfung der Begründetheit eines Antrags. Auch für die Neufassung der Antragsbefugnis gilt indes der zur bisherigen Rechtslage geprägte Satz, daß sich eine prozessuale Handhabung des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO verbietet, die im Ergebnis dazu führt, die an sich gebotene Sachprüfung als Frage der Zulässigkeit des Antrags zu behandeln (vgl. Beschluß vom 18. März 1994 - BVerwG 4 NB 24.93 - NVwZ 1994, 683 = Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 88).

1.2 Der Senat sieht keine Möglichkeit, aus dem gesamten Inhalt (bzw. der "Gesamt-Ratio", vgl. Gerhardt in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Rn. 44 zu § 47 VwGO) des Sechsten Gesetzes zur Änderung der VwGO und anderer Gesetze 6. VwGOÄndG - vom 1. November 1996, BGBl I S. 1626, darauf zu schließen, daß die Anforderungen an die Geltendmachung einer Rechtsverletzung in § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO n.F. höher sein sollen als in § 42 Abs. 2 VwGO. Angesichts der Wortgleichheit der beiden Regelungen und der eindeutigen Hinweise aus der Entstehungsgeschichte der Neufassung des § 47 Abs. 2 VwGO, wonach die Antragsbefugnis für die Normenkontrolle der Klagebefugnis für die Anfechtungsklage angepaßt werden solle (vgl. BTDrucks 13/3993 S. 10), bleibt insoweit kein interpretatorischer Spielraum.

Die bloße verbale Behauptung einer theoretischen Rechtsverletzung mag freilich im Einzelfall dann nicht zur Geltendmachung einer Rechtsverletzung im Sinne von § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO genügen, wenn diese Behauptung nur vorgeschoben erscheint, das tatsächliche Vorliegen einer Rechtsverletzung aber offensichtlich ausscheidet. Diese Fallgestaltung liegt hier aber nicht vor. Das Normenkontrollgericht meint zwar, eine Rechtsverletzung scheide hier "ersichtlich" aus. Der Prüfungsumfang und die Prüfungsintensität, die diesem Ergebnis vorausgehen, schließen es jedoch aus, hier einen Fall anzunehmen, bei dem eine Rechtsverletzung offensichtlich ausscheidet. Das gilt auch deshalb, weil für die Prüfung der Antragsbefugnis grundsätzlich die Darlegungen in der Antrags- oder Klageschrift entscheidend sind, nicht jedoch wie hier geschehen - die Auswertung des gesamten Prozeßstoffs.

1.3 An die Anforderungen für die Geltendmachung einer Rechtsverletzung sind grundsätzlich auch dann keine höheren Anforderungen zu stellen, wenn es sich hierbei um das Recht auf gerechte Abwägung (vgl. dazu unten) handelt. Auch insoweit reicht es aus, daß der Antragsteller Tatsachen vorträgt, die eine fehlerhafte Behandlung seiner Belange in der Abwägung als möglich erscheinen lassen. Der Antragsteller wäre aber wohl regelmäßig überfordert, wenn er zusätzlich im einzelnen darlegen müßte, daß der behauptete Abwägungsfehler auch beachtlich ist im Sinne von § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB. Diese Frage kann in der Regel nur in Kenntnis des gesamten Planungsgefüges beantwortet werden und gehört ihrer Struktur nach zur Prüfung der Begründetheit der Normenkontrolle.

Macht der Antragsteller eine Verletzung des Abwägungsgebots geltend, so muß er allerdings einen eigenen Belang als verletzt benennen, der für die Abwägung überhaupt zu beachten war. Nicht jeder private Belang ist in der Abwägung zu berücksichtigen, sondern nur solche, die in der konkreten Planungssituation einen städtebaulich relevanten Bezug haben. Insoweit kann auf die Rechtsprechung des Senats zum Nachteilsbegriff nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO a.F. zurückgegriffen werden (vgl. Beschluß vom 9. November 1979 - BVerwG 4 N 1.78, 4 N 24.79 - BVerwGE 59, 87 = Buchholz 406.11 § 1 BBauG Nr. 18). Nicht abwägungsbeachtlich sind also insbesondere geringwertige oder mit einem Makel behaftete Interessen sowie solche, auf deren Fortbestand kein schutzwürdiges Vertrauen besteht oder solche, die für die Gemeinde bei der Entscheidung über den Plan nicht erkennbar waren.

2. Die Entscheidung des Normenkontrollgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (vgl. § 144 Abs. 4 VwGO).

2.1 Die Zurückweisung des Normenkontrollantrags wäre allerdings dann im Ergebnis zu Recht erfolgt, wenn sich die Antragsteller nicht auf eine Norm berufen könnten, die ihnen jedenfalls dem Grundsatz nach - ein Abwehrrecht gegen die geltend gemachten Beeinträchtigungen einräumt. Das Normenkontrollgericht sieht als drittschützend insoweit ein "bebauungsrechtliches Rücksichtnahmegebot" an, wobei unklar bleibt, aus welcher Norm dieses Rücksichtnahmegebot abgeleitet wird. Das gibt Anlaß zu folgender Klarstellung: Der Senat hat wiederholt darauf hingewiesen, daß es das Rücksichtnahmegebot nur nach Maßgabe der einfachen Gesetze, nicht aber als ein das gesamte Bauplanungsrecht umfassendes allgemeines Gebot gibt (vgl. z.B. Urteil vom 16. Mai 1991 BVerwG 4 C 17.90 - BVerwGE 88, 191 = Buchholz 406.17 Bauordnungsrecht Nr. 34 = NJW 1991, 3293). Die Verpflichtung der planenden Gemeinde, unzumutbare Beeinträchtigungen benachbarter Grundstücke zu vermeiden, ergibt sich nach Maßgabe des in § 1 Abs. 6 BauGB normierten Abwägungsgebots. Für ein davon gesondertes "bauplanungsrechtliches Rücksichtnahmegebot" - im Sinne einer eigenständigen rechtlichen Kategorie - ist kein Raum.

2.2 Entscheidend ist somit die - vom Normenkontrollgericht offengelassene - Frage, ob dem Abwägungsgebot in § 1 Abs. 6 BauGB drittschützende Wirkung zukommt. Der Senat bejaht diese Frage aus folgenden Gründen:

Ob eine Norm des öffentlichen Rechts drittschützende Wirkung hat, hängt davon ab, ob sie ausschließlich objektiv-rechtlichen Charakter hat und nur dem öffentlichen Interesse dient oder ob sie - zumindest auch - dem Schutz von Individualinteressen derart zu dienen bestimmt ist, daß die Träger der Individualinteressen die Einhaltung des Rechtssatzes sollen verlangen können (vgl. etwa Urteil vom 17. Juni 1993 - BVerwG 3 C 3.89 - BVerwGE 92, 313 = Buchholz 451.74 § 10 KHG Nr. 4). Ob das eine oder das andere der Fall ist, läßt sich bei Fehlen einer ausdrücklichen Regelung zur drittschützenden Wirkung nur durch Auslegung von Sinn und Zweck der jeweils einschlägigen Norm ermitteln (vgl. Urteil vom 9. September 1986 BVerwG 4 C 8.84 Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 71).

Der Wortlaut der Bestimmung, wonach bei der Aufstellung der Bauleitpläne "die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen" sind, spricht bei unbefangener Betrachtung zunächst dafür, daß die Norm auch den privaten Belangen zu dienen bestimmt ist. Eine solche Formulierung, die ausdrücklich eine gerechte Berücksichtigung auch der privaten Belange fordert, entspricht dem typischen Erscheinungsbild einer drittschützenden Norm. Bei dieser Ausgangslage könnte der drittschützende Charakter der Norm nur dann verneint werden, wenn sich aus dem Regelungszusammenhang hinreichende Anhaltspunkte ergeben, die deutlich erkennen lassen, daß das Abwägungsgebot gleichwohl nur dem öffentlichen Interesse dienen soll. Das ist indes nicht der Fall.

Das Bundesverwaltungsgericht ist bereits bisher davon ausgegangen, daß die fachplanungsrechtlichen Abwägungsvorschriften, nach denen bei der Planfeststellung die öffentlichen und privaten Belange "im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen" sind (vgl. § 17 Abs. 1 Satz 2 FStrG; § 18 Abs. 1 Satz 2 AEG), drittschützende Wirkung haben (vgl. bereits Urteil vom 14. Februar 1975 - BVerwG 4 C 21.74 - BVerwGE 48, 56 = Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 19; Urteil vom 27. April 1990 - BVerwG 4 C 18.88 - Buchholz 407.4 § 8 a FStrG Nr. 6 = NVwZ 1990, 1165; Urteil vom 14. Mai 1992 - BVerwG 4 C 9.89 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 88 = NVwZ 1993, 477; Beschluß vom 15. Mai 1996 - BVerwG 11 VR 3.96 - Buchholz 442.09 § 18 AEG Nr. 13; Urteil vom 27. November 1996 - BVerwG 11 A 100.95 - Buchholz 442.09 § 18 AEG Nr. 18 = NVwZ 1997, 994). Bereits das Urteil vom 14. Februar 1975 (a.a.O.) fand - was den Schutznormcharakter des Abwägungsgebots betrifft - weitgehende Zustimmung; kritisiert wurde vielmehr die in dem Urteil ausgesprochene Einschränkung des gerichtlichen Kontrollumfangs auf die eigenen Belange des einzelnen Klägers (vgl. etwa Kühling, Fachplanungsrecht, Rn. 438 ff.; hierzu auch Schechinger, DVBl 1991, 1182).

In neuerer Zeit sind gegen den Schutznormcharakter des Abwägungsgebots insoweit Bedenken erhoben worden, als dadurch systemwidrig - bloßen faktischen Belangen - unterhalb der Rechtsschwelle - eine Wehrfähigkeit verliehen würde bzw. solche Belange zu subjektiven öffentlichen Rechten aufgewertet würden (vgl. insbesondere Steinberg, Planung und Plankontrolle - FS Schlichter, 1995, S. 599/607; Gaentzsch, ebenda, S. 517/524).

Diese Einwände greifen nicht durch: Ein privater Belang, der in der Abwägung zu berücksichtigen ist, wird durch den drittschützenden Charakter des Abwägungsgebots nicht selbst zum subjektiven Recht und ist auch als solcher nicht wehrfähig in dem Sinne, daß der Private die Durchsetzung seines Belangs - wie bei einem subjektiven Recht - verlangen könnte. Der Private hat lediglich ein subjektives Recht darauf, daß sein Belang in der Abwägung seinem Gewicht entsprechend "abgearbeitet" wird. Das Ergebnis ist damit noch offen und kann von der völligen Zurückstellung des Belangs über seine teilweise Berücksichtigung bis zu seiner vollen Durchsetzung führen.

Auch das gegen den drittschützenden Charakter des fachplanungsrechtlichen Abwägungsgebots ins Feld geführte Argument, aus der Funktion der Planfeststellung als Anlagenzulassung ergebe sich kein sachlicher Grund dafür, bei der Planfeststellung - anders als bei der Anlagenzulassung durch Einzelgenehmigung - nicht nur Rechte, sondern auch unterhalb der Rechtsschwelle angesiedelte Belange der Nachbarn zu schützen (vgl. Gaentzsch a.a.O.), greift nicht durch. Auch hier gilt zum einen zunächst, daß nicht der Belang als solcher durch das Abwägungsgebot geschützt wird, sondern nur seine fehlerfreie Abwägung. Zum andern regelt bereits das einfache positive Recht die Anlagenzulassung durch Planfeststellung anders als durch Einzelgenehmigung. Im letzteren Fall verleiht das Gesetz dem Antragsteller regelmäßig einen Anspruch auf Genehmigung, wenn - neben öffentlichen Belangen - Rechte Dritter nicht entgegenstehen. Bei der Planfeststellung dagegen sieht das positive Recht ausdrücklich eine abwägende Berücksichtigung auch bloßer Belange vor. Diesen unterschiedlichen Zulassungsinstrumenten liegt auch eine unterschiedliche Interessenlage zugrunde. Während im Falle der Einzelgenehmigung regelmäßig ein grundrechtlich fundierter Anspruch des Antragstellers inmitten steht, an dem beantragten Standort die Anlage zu errichten, geht es bei der Planfeststellung typischerweise darum, ein bestimmtes Planungsziel so zu verwirklichen, daß die von der Planung betroffenen öffentlichen und privaten Belange zu einem angemessenen Ausgleich gebracht werden. Ist somit schon der planerische Gehalt einer Planfeststellung größer als der der Einzelgenehmigung, so gilt das um so mehr für die Bauleitplanung der Gemeinde. Dem - in seinem Kern gerichtlich nicht überprüfbaren - Gestaltungsspielraum, der jeder Planung innewohnt, entspricht auf der anderen Seite das Recht des von der Planung Betroffenen, daß seine beachtlichen Belange in der Abwägung fehlerfrei behandelt werden.

2.3 Das Normenkontrollgericht geht davon aus, daß das Interesse der Antragsteller an der Vermeidung der durch die Kleingartenanlage verursachten nachteiligen Veränderung ihrer Grundstückssituation einen abwägungsbeachtlichen Belang darstellt. Dem ist aus revisionsrechtlicher Sicht nichts entgegenzuhalten. Die Antragsteller haben auch geltend gemacht, daß ihrem Belang in der Abwägung nicht ausreichend entsprochen worden sei, weil der zwischen der Kleingartenanlage und ihrem Grundstück ausgewiesene Schutzstreifen zur Reduzierung der Störungen nicht ausreichend sei. Die Antragsteller haben damit den Darlegungsanforderungen des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO Genüge getan. Die Ausführungen des Normenkontrollgerichts dazu, daß das Abwägungsgebot hinsichtlich der Belange der Antragsteller im Ergebnis nicht verletzt ist, entsprechen der Rechtsprechung des Senats und können - was die tatsächliche Seite betrifft - revisionsgerichtlich mangels entsprechender Rügen ebenfalls nicht beanstandet werden. Gleichwohl kann das Bundesverwaltungsgericht nicht zu Lasten der Antragsteller durchentscheiden, weil es hinsichtlich der Frage der formellen Gültigkeit des Bebauungsplans und der anderen von den Antragstellern gerügten Mängel an tatsächlichen Feststellungen des Normenkontrollgerichts fehlt. Die Sache ist daher an das Normenkontrollgericht zurückzuverweisen.

Der Senat weist abschließend auf folgendes hin: Der Gesetzgeber ist ersichtlich davon ausgegangen, durch die Neufassung der Antragsbefugnis in § 47 Abs. 2 Satz 1 i.d.F. des 6. VwGOÄndG die Zulässigkeit von Normenkontrollen (auch) gegen Bebauungspläne gegenüber dem bisherigen Recht einzuengen. Der Senat ist sich bewußt, daß dieses Ziel wegen der Anerkennung eines "Rechts auf gerechte Abwägung" in § 1 Abs. 6 BauGB nicht erreicht worden ist. Da jedoch die Änderung einer prozeßrechtlichen Bestimmung keinen Einfluß auf das Bestehen eines materiellrechtlichen Anspruchs haben kann, konnte das gesetzgeberische Ziel auf diese Weise auch nicht erreicht werden.

Beschluß

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 15 000 DM festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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