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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 12.07.2001
Aktenzeichen: BVerwG 5 C 1.01
Rechtsgebiete: BVFG, GG


Vorschriften:

BVFG § 15
BVFG § 26 ff.
GG Art. 116 Abs. 1

Entscheidung wurde am 07.02.2003 korrigiert: Stichworte hinzugefügt, Verfahrensgang geändert und amtlichen Leitsatz hinzugefügt
Dem Anspruch des Abkömmlings eines Spätaussiedlers auf Erteilung einer Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 Satz 1 BVFG steht nicht entgegen, dass die Aufnahme des Betreffenden nicht auf Grund seiner Abkömmlingseigenschaft im Wege der Einbeziehung nach § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG, sondern auf Grund eigenen Aufnahmebescheids nach § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG erfolgt ist.
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 5 C 1.01

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 12. Juli 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Säcker und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Schmidt, Dr. Rothkegel, Prof. Dr. Rojahn und Dr. Franke

für Recht erkannt:

Tenor:

Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 6. November 2000 wird aufgehoben.

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 11. Juni 1999 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens.

Gründe:

I.

Die 1961 und 1964 in Petropawlowka (Kasachstan) geborenen Kläger sind Söhne der 1994 im Wege des Aufnahmeverfahrens aus der ehemaligen Sowjetunion ausgereisten und als Spätaussiedler nach § 15 Abs. 1 BVFG anerkannten Eheleute Christian und Martha B. Die Kläger waren weder in den Aufnahmebescheid ihrer Eltern einbezogen worden noch hatten sie zusammen mit ihren Eltern einen Aufnahmebescheid beantragt. Sie hatten damals mit Rücksicht auf ihre russischen Ehefrauen noch nicht die Absicht, ihre Heimat zu verlassen. Nach Verschlechterung der Lage in der ehemaligen Sowjetunion beantragten auch die Kläger die Aufnahme in die Bundesrepublik und reisten mit ihren Familien am 7. Juli 1997 mit Aufnahmebescheiden vom 13. Dezember 1996 ein.

Die am 29. Juli 1997 gestellten Anträge der Kläger und ihrer Familien auf Ausstellung einer Bescheinigung für Spätaussiedler nach § 15 Abs. 1 BVFG bzw. für Ehegatten und Abkömmlinge eines Spätaussiedlers nach § 15 Abs. 2 BVFG wurden wegen Fehlens des Bestätigungsmerkmals der deutschen Sprache abgelehnt. Die hiergegen erhobenen Verpflichtungsklagen haben die Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht umgestellt auf Verpflichtung des Beklagten zur Ausstellung von Bescheinigungen nach § 15 Abs. 2 i.V.m. § 7 Abs. 2 BVFG. Den bereits zuvor hilfsweise gestellten Anträgen hatte der Beklagte entgegen gehalten, die Kläger hätten ihre Aufnahmeanträge erst nach der Ausreise ihrer Eltern gestellt und könnten deshalb nicht mehr nachträglich in deren Aufnahmebescheid einbezogen werden. Das Verwaltungsgericht hat den zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Klagen stattgegeben: Da die Kläger mit einem nach wie vor wirksamen originären Aufnahmebescheid die ehemalige Sowjetunion verlassen hätten, stehe aufgrund der Tatbestandswirkung dieses Bescheides fest, dass die Kläger das Aussiedlungsgebiet "im Wege des Aufnahmeverfahrens" i.S. des § 7 Abs. 2 BVFG verlassen hätten. Auch Sinn und Zweck des Aufnahmeverfahrens, den Zuzug von Aussiedlern zu kontrollieren und zu kontingentieren, sei erfüllt. Der Verwaltungsgerichtshof dagegen hat die Klagen abgewiesen. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt:

Ehegatten und Abkömmlinge von Spätaussiedlern könnten das Aussiedlungsgebiet nur unter Einbeziehung in den Aufnahmebescheid der jeweiligen Bezugsperson verlassen; es müsse - ebenso wie bei der Aufnahme als Abkömmling i.S. des Art. 116 Abs. 1 GG nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vorausgesetzt - ein kausaler Zusammenhang zwischen der Eigenschaft als Abkömmling eines volksdeutschen Vertriebenen und der Aufnahme im Bundesgebiet bestehen. Daran fehle es im Fall der Kläger. Denn sie hätten ihre Aufnahme nicht im Familienverbund zusammen mit ihren Eltern, sondern erst zwei Jahre nach deren Aussiedlung beantragt und sich bei deren Ausreise bewusst zum Verbleib in Kasachstan und damit zur Auflösung der familiären Einheit entschieden. Diese Entscheidung sei endgültig und könne nicht mehr rückgängig gemacht werden. Für eine nachträgliche Einbeziehung der Kläger in den Aufnahmebescheid ihrer Eltern sei eine Härte i.S. des § 27 Abs. 2 BVFG weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Kläger, mit der sie die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils begehren. Sie rügen Verletzung des § 7 Abs. 2 BVFG: Das Erfordernis eines Kausalzusammenhangs zwischen der Aufnahme ins Bundesgebiet und der Eigenschaft als Abkömmling einer Bezugsperson lasse sich dem Wortlaut dieser Bestimmung - im Gegensatz zu dem des Art. 116 Abs. 1 GG - nicht entnehmen. Es folge auch nicht aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Auch der systematische Zusammenhang mit § 4 Abs. 1 BVFG, der die gleiche Formulierung verwende, spreche dafür, dass die Einreise mit einem originären Aufnahmebescheid für § 7 Abs. 2 BVFG genüge.

Der Beklagte und der Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht verteidigen das angefochtene Urteil.

II.

Die Revision ist begründet.

Die Kläger verfolgen mit ihrer Revision ihr in erster Instanz erfolgreiches Begehren weiter, als Abkömmlinge eines Spätaussiedlers eine Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 Satz 1 BVFG zu erhalten. Die Auffassung des Berufungsgerichts, ein solcher Anspruch setze voraus, dass zwischen der Aufnahme des Abkömmlings eines Spätaussiedlers und seiner Eigenschaft als Abkömmling Kausalität besteht, dass die Aufnahme also aufgrund der Abkömmlingseigenschaft erfolgt ist, widerspricht dem Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Berufungsurteil war deshalb aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das dem Klagebegehren stattgebende Urteil des Verwaltungsgerichts München zurückzuweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO).

Der Verwaltungsgerichtshof stützt seinen Rechtsstandpunkt zu Unrecht auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Art. 116 Abs. 1 GG, wonach eine Aufnahme "als Abkömmling" eines Vertriebenen deutscher Volkszugehörigkeit voraussetzt, dass ein "kausaler Zusammenhang zwischen der Eigenschaft als Abkömmling eines vertriebenen Volksdeutschen und der Aufnahme im Bundesgebiet" besteht (BVerwGE 90, 173 <176>). Diese Rechtsprechung, die sich auf den Wortlaut des Art. 116 Abs. 1 GG ("... als Abkömmling ... Aufnahme gefunden") sowie Sinn und Zweck dieser Regelung stützt, "das aufgrund der Folgen des Zweiten Weltkriegs ungewisse staatsangehörigkeitsrechtliche Schicksal vertriebener Volksdeutscher einschließlich ihrer Familienangehörigen aufzufangen", indem ihnen "familieneinheitlich ein angemessener, ihre Eingliederung ermöglichender Status verschafft wird, der sie den deutschen Staatsangehörigen weitgehend gleichstellt und sie zu einem Teil des deutschen Staatsvolkes macht" (BVerwGE 90, 173 <174 f.> m.w.N.), und daraus herleitet, dass die nichtdeutschen Familienangehörigen vertriebener Volksdeutscher "mit ihnen" in Deutschland Aufnahme gefunden haben müssen, was bedeute, dass ihre Aufnahme "in Zusammenhang mit der des vertriebenen Volksdeutschen erfolgt" sein müsse (BVerwG, a.a.O. S. 179 unter Bezugnahme auf BVerwGE 68, 220 <235>), lässt sich auf § 15 Abs. 2 i.V.m. § 7 Abs. 2 BVFG nicht übertragen.

Schon im Wortlaut weichen beide Bestimmungen hinsichtlich der tatbestandlichen Voraussetzungen erheblich voneinander ab. Während Art. 116 Abs. 1 GG voraussetzt, dass eine Person "als Abkömmling ... Aufnahme gefunden" hat, fehlt in § 7 Abs. 2 BVFG eine entsprechende Verknüpfung zwischen Aufnahme und Eigenschaft als Abkömmling; vielmehr erfordert diese Bestimmung lediglich, dass der Ehegatte und die Abkömmlinge "die Aussiedlungsgebiete im Wege des Aufnahmeverfahrens verlassen haben", ohne zwischen Personen, die selbst einen Aufnahmebescheid nach § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG erhalten haben, und solchen, die nach § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG einbezogen worden sind, zu differenzieren und die Vergünstigungsregelung auf letztere zu beschränken.

Das Aufnahmeverfahren der §§ 26 ff. BVFG hat gegenüber dem Bescheinigungsverfahren nach § 15 BVFG eigenständige Bedeutung und präjudiziert letzteres nicht, so dass Bewertungen im Aufnahmeverfahren einerseits und im Bescheinigungsverfahren andererseits - etwa hinsichtlich des Vorliegens der Spätaussiedlereigenschaft im konkreten Fall - unterschiedlich ausfallen können. Indem das Gesetz in § 7 Abs. 2 BVFG an die erfolgreiche Durchführung des Aufnahmeverfahrens ("... die Aussiedlungsgebiete im Wege des Aufnahmeverfahrens verlassen") anknüpft, misst es dem Vorliegen eines Aufnahmebescheides im Rahmen des Bescheinigungsverfahrens nach § 15 Abs. 2 BVFG Tatbestandswirkung bei, ohne aber darüber hinaus auch an die materiellen Voraussetzungen der Aufnahme anzuknüpfen. Der Grund für die Aufnahme ist darum nach der Gesetzessystematik für die Erteilung einer Bescheinigung nach § 15 BVFG bedeutungslos, der Aufnahmegrund legt nicht auch schon den allein möglichen Bescheinigungsgrund fest. Ebenso wenig wie der Wortlaut verknüpft die Systematik des Gesetzes Aufnahme und Bescheinigung derart, dass eine Bescheinigung nach § 15 Abs. 2, § 7 Abs. 2 BVFG eine Aufnahme "als" Ehegatte oder Abkömmling voraussetzt.

Auch Sinn und Zweck des Aufnahmeverfahrens einerseits und des Bescheinigungsverfahrens andererseits rechtfertigen eine solche Verknüpfung nicht. Im Aufnahmeverfahren nach §§ 26 ff. BVFG soll der Zustrom von Ausreisewilligen aus den Aussiedlungsgebieten, der durch die dort eingetretenen politischen Veränderungen ausgelöst worden ist, durch eine jedenfalls vorläufige Prüfung der damals Aussiedler- bzw. jetzt Spätaussiedlereigenschaft in geordnete Bahnen gelenkt werden (vgl. BTDrucks 11/6937, S. 6; BVerwGE 95, 311 <317>). Diese Aufgabe, seinen Ordnungszweck, hat das Aufnahmeverfahren erfüllt, wenn es erfolgreich durchlaufen wurde, gleichgültig, ob dies bezogen auf die (vermeintliche) Eigenschaft als Spätaussiedler nach § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG oder bezogen auf die Eigenschaft als Ehegatte oder Abkömmling eines Spätaussiedlers nach § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG erfolgt ist. Demgegenüber dienen die Regelung des § 15 Abs. 2 BVFG und die Vergünstigungsregelung des § 7 Abs. 2 BVFG der Eingliederung des Ehegatten und der Abkömmlinge des Spätaussiedlers und damit auch des Spätaussiedlers selbst; denn blieben die Angehörigen ohne jede Hilfe, würde dies die Eingliederung des Spätaussiedlers über Gebühr erschweren (vgl. BTDrucks 12/3212, S. 24, zu § 7 Abs. 2 BVFG). Dieses Eingliederungsinteresse hängt aber nicht davon ab, aufgrund welcher der vom Gesetz vorgesehenen Alternativen die Aufnahme der Angehörigen stattgefunden hat (nach BTDrucks 12/3212 a.a.O. ist insofern nur erforderlich, "dass die Betroffenen im Aufnahmeverfahren nach § 26 die Aussiedlungsgebiete verlassen haben"). Der Regelungszweck von § 15 Abs. 2, § 7 Abs. 2 BVFG wird folglich nicht dadurch berührt, dass das Aufnahmeverfahren für den Angehörigen nicht durch dessen Einbeziehung in den Aufnahmebescheid einer Bezugsperson nach § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG, sondern auf der Grundlage von § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG durchgeführt worden ist.

Es trifft auch nicht zu, dass der Inhaber eines Aufnahmebescheides, der die Möglichkeit nicht genutzt hat, als Abkömmling in den Aufnahmebescheid einer Bezugsperson einbezogen zu werden, dann aber im Bescheinigungsverfahren seine deutsche Volkszugehörigkeit nicht nachweisen kann, bei Erteilung einer Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG in den Genuss von - wie der Beklagte meint - "ungerechtfertigten Vorteilen" käme: Das Aufnahmeverfahren hat in diesem Falle seinen Zweck einer vorläufigen Prüfung der Spätaussiedlereigenschaft - mit einem positiven Ergebnis - erfüllt; als Folge der Vorläufigkeit dieses Ergebnisses hat es der Gesetzgeber in Kauf genommen, dass damit Personen in Deutschland aufgenommen werden, deren Spätaussiedlereigenschaft der Überprüfung im Bescheinigungsverfahren nach § 15 BVFG nicht standhält.

Der Revision der Kläger war demnach mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.

Beschluss:

Der Streitwert wird für das Revisionsverfahren auf 16 000 DM festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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