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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 19.10.2000
Aktenzeichen: BVerwG 5 C 16.00
Rechtsgebiete: BVFG F. 1993


Vorschriften:

BVFG F. 1993 § 6 Abs. 1 und 2
Leitsatz:

Zur Auslegung des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG (wie Urteil vom 19. Oktober 2000 - BVerwG 5 C 44.99 - zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung bestimmt).

Urteil des 5. Senats vom 19. Oktober 2000 - BVerwG 5 C 16.00 -

I. VG Würzburg vom 04.05.1998 - Az.: VG W 8 K 97.1547 - II. VGH München vom 10.02.1999 - Az.: VGH 24 B 98.1670 -


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 5 C 16.00 VGH 24 B 98.1670

Verkündet am 19. Oktober 2000

Müller Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 19. Oktober 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Säcker und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Pietzner, Schmidt, Dr. Rothkegel und Dr. Franke

für Recht erkannt:

Tenor:

Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 10. Februar 1999 wird aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt die Erteilung einer Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 BVFG.

Die Eltern der am 6. November 1950 in Karpinsk/Russische Föderation geborenen Klägerin sind am 11. September 1995 in das Bundesgebiet eingereist und wurden als Spätaussiedler anerkannt; der Vater ist 1996 verstorben. In ihrem 1977 ausgestellten Inlandspass ist die Klägerin mit deutscher Volkszugehörigkeit geführt; auch in der Geburtsurkunde ihrer Tochter Julia ist die Nationalität der Klägerin mit Deutsch angegeben. In ihrem Aufnahmeantrag vom Frühjahr 1995 gab sie u.a. an, seit der Geburt Deutsch im Familienkreis erlernt und gesprochen zu haben; auch jetzt werde Deutsch im engsten Familienkreis häufig gesprochen, häufig aber auch Russisch. Am 18. Mai 1995 wurde ihr der Aufnahmebescheid erteilt, am 27. November 1995 ist sie in die Bundesrepublik Deutschland eingereist.

Mit Bescheid vom 1. Dezember 1995 nahm das Bundesverwaltungsamt, Außenstelle E., den Aufnahmebescheid zurück und nahm die Klägerin nach § 27 Abs. 2 BVFG nur als Abkömmling nach § 7 Abs. 2 BVFG auf, weil sie ihre deutsche Volkszugehörigkeit nicht habe glaubhaft machen können. Bei der Anhörung am 1. Dezember 1995 bei der Außenstelle sei festgestellt worden, dass sie entgegen den Angaben im Aufnahmeverfahren lediglich über äußerst geringe deutsche Sprachkenntnisse verfüge. Sie habe selbst angegeben, dass im Elternhaus nicht Deutsch gesprochen worden sei und die Deutschkenntnisse nur vom Deutschunterricht stammten. Darüber hinaus habe sie angegeben, keine Kenntnis von der deutschen Kultur zu haben. Auch über das typische russlanddeutsche Kriegs- und Kriegsfolgenschicksal habe sie nichts sagen können. Zu Hause habe man hierüber nicht gesprochen.

Am 11. Januar 1996 beantragte die Klägerin die Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung. Sie gab an, ihre Muttersprache sei Deutsch; in der Familie sei Deutsch und Russisch gesprochen worden. Bei einer persönlichen Vorsprache am 1. Februar 1996 gab sie an, sie könne ein bisschen Deutsch sprechen; sie habe in der Schule und von den Eltern Deutsch gelernt. Während seitens des Landratsamts festgestellt wurde, die Klägerin habe nur mit großer Mühe einfache Fragen verstanden und nur einzelne Worte gesprochen, die meisten Fragen seien erst mit Hilfe der dolmetschenden Mutter verstanden worden, hatte sie nach einer am 13. Februar 1996 eingegangenen Bescheinigung der Volkshochschule S. zu Beginn des Lehrgangs überdurchschnittlich gute Deutschkenntnisse, so dass man sich mühelos mit ihr habe verständigen können. Bei einer weiteren Vorsprache der Klägerin beim Landratsamt am 6. Mai 1996 wurde vermerkt, sie habe die meisten Fragen verstanden, jedoch habe ein Teil von der Mutter erst in die russische Sprache übersetzt werden müssen; die Antworten seien nach längerer Überlegenszeit in holpriger und bruchstückhafter Ausdrucksweise erfolgt. Die Mutter habe im Laufe des Gesprächs eingeräumt, dass mit der Klägerin nur im Kleinkindalter Deutsch gesprochen worden sei. Umgangssprache in der Familie sei Russisch gewesen. Die Deutschkenntnisse bei der Einreise stammten vom Deutschunterricht in der Schule. Das Landratsamt - Ausgleichsamt - S. erkannte die Klägerin als Abkömmling eines Spätaussiedlers an, lehnte die Erteilung der Spätaussiedlerbescheinigung aus eigenem Recht jedoch ab, weil der Klägerin kein Bestätigungsmerkmal nach § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG vermittelt worden sei.

Die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Klage hatte Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten nach Zeugenvernehmung der Mutter der Klägerin verpflichtet, der Klägerin eine Spätaussiedlerbescheinigung aus eigenem Recht auszustellen, denn trotz etwaiger sprachlicher Defizite und unzureichender Sprachvermittlung liege eine deutsche Erziehung vor. Die Mutter der Klägerin habe vorgetragen, dass in der Familie Deutsch gesprochen worden sei, die Klägerin die Sprache aber später wieder etwas verloren habe. Dieser spätere Sprachverlust sei unschädlich. In einem Falle wie dem der Klägerin, die wegen der beiden deutschen Eltern zur deutschen Nationalität gehört habe, ohne dass es auf ein Bekenntnis angekommen wäre, sei indiziell anzunehmen, dass die Eltern ihr Kind - Sprache hin oder her - in deutschem Volkstum erzogen hätten. Dies gelte selbst dann, wenn ein solcher Erziehungserfolg an den Kindern nicht ablesbar sei. Auf die Berufung des Beklagten hat dagegen der Verwaltungsgerichtshof die Klage abgewiesen, weil die Klägerin nicht nachgewiesen habe, dass eines der in § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG aufgeführten Bestätigungsmerkmale zum Zeitpunkt ihrer Ausreise aus der früheren Sowjetunion vorgelegen habe. Bei ihrer Einreise seien nur äußerst geringe deutsche Sprachkenntnisse festgestellt worden. Nach Angaben der Mutter sei nur im Kleinkindalter Deutsch gesprochen worden, in der Familie habe man Russisch gesprochen. Zwar habe die Mutter der Klägerin als Zeugin beim Verwaltungsgericht bekundet, zu Hause sei immer Deutsch gesprochen worden und vermutlich habe die Klägerin, die seit dem 20. Lebensjahr das Elternhaus verlassen und dann bis zur Ausreise 25 Jahre nur unter Russen gelebt habe, die Deutschkenntnisse etwas verloren; diese Einlassung widerspreche jedoch der Aussage vom Mai 1996, wonach man mit der Klägerin nur im Kleinkindalter Deutsch gesprochen habe. Wäre im Elternhaus der Klägerin bis zu ihrem 20. Lebensjahr überwiegend Deutsch gesprochen worden, hätte sie so grundlegende Deutschkenntnisse besessen haben müssen, dass dies zu einer schnellen Reaktivierung hätte führen müssen. Auf die Ausnahmevorschrift des § 6 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 BVFG könne die Klägerin sich mit Blick auf das Merkmal der Sprachvermittlung nicht berufen, da die Vermittlung des Bestätigungsmerkmals Sprache in der ehemaligen Sowjetunion möglich und zumutbar gewesen sei. Auch die Bestätigungsmerkmale Kultur und Erziehung lägen nicht vor. Wer unzulängliche Deutschkenntnisse habe und Russisch als Muttersprache oder bevorzugte Umgangssprache spreche, gehöre in der Regel dem russischen Kulturkreis an. Die Behauptung des Bevollmächtigten der Klägerin, die deutsche Kultur sei die einzige Kultur, die der Klägerin vermittelt worden sei, sei durch nichts bewiesen; der dahin gehende Beweisantrag sei nicht hinreichend substantiiert.

Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision macht die Klägerin geltend, es sei nicht auf die Sprachkenntnisse im Zeitpunkt des Verlassens des Herkunftsgebietes, sondern auf die Vermittlung der deutschen Sprache in der Familie abzustellen. Sie habe nachgewiesen, dass sie die deutsche Sprache bis zu ihrer Selbständigkeit gesprochen habe und ihre Eltern sie über die deutsche Sprache in deutschem Sinne erzogen und ihr die deutsche Kultur vermittelt hätten. Auch die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 BVFG seien gegeben.

Der Beklagte verteidigt den angefochtenen Beschluss. Entgegen dem Revisionsvorbringen habe das Berufungsgericht nicht festgestellt, dass die Klägerin die deutsche Sprache bis zu ihrer Selbständigkeit gesprochen habe.

Der Oberbundesanwalt stützt in Übereinstimmung mit dem Bundesministerium des Innern die Auffassung des Berufungsgerichts.

II.

Die Revision der Klägerin ist begründet. Die angefochtene Berufungsentscheidung verletzt Bundesrecht. Das führt zu ihrer Aufhebung und mangels Entscheidungsreife zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an die Vorinstanz (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

Das Berufungsgericht geht zu Unrecht davon aus, dass nach § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG in der hier maßgeblichen Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juni 1993 (BGBl I S. 829) eines der dort aufgeführten bestätigenden Merkmale zum Zeitpunkt der Ausreise aus dem Aussiedlungsgebiet vorgelegen haben müsse.

§ 6 BVFG regelt, wer deutscher Volkszugehöriger ist, Absatz 1 für die bis zum 31. Dezember 1923 Geborenen und Absatz 2 für die nach dem 31. Dezember 1923 Geborenen. Zwar ist es gerechtfertigt, zur Auslegung des § 6 Abs. 1 BVFG auf die Auslegung des wortgleichen § 6 BVFG a.F. (vor der Änderung durch das Kriegsfolgenbereinigungsgesetz vom 21. Dezember 1992 <BGBl I S. 2094> bis zum 31. Dezember 1992 geltende Fassung) in Bezug auf die bekenntnisfähigen Personen zurückzugreifen. Dagegen ist es nicht zulässig, § 6 Abs. 2 BVFG, insbesondere dessen Satz 1 Nr. 2, unter weitgehendem Rückgriff auf die Auslegung des § 6 BVFG a.F. auszulegen und die rechtliche Bedeutung bestätigender Merkmale in § 6 BVFG a.F. einerseits und in § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG andererseits gleichzusetzen. An der auf solchen Ansätzen beruhenden bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (z.B. BVerwGE 102, 214; 105, 60) wird nicht festgehalten.

Gegen die Übertragung der Auslegungskriterien und -begriffe zu den bestätigenden Merkmalen im Sinne von § 6 BVFG a.F. auf § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG spricht zunächst der Umstand, dass der Gesetzgeber die zu § 6 BVFG a.F. in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten Kriterien für die Beurteilung der deutschen Volkszugehörigkeit nicht in § 6 Abs. 2 BVFG n.F. übernommen hat. Das alte, bis zum 31. Dezember 1992 geltende Recht unterschied zwischen drei Personengruppen: Bei den bei Beginn der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen bereits bekenntnisfähigen Personen musste zu dem Bekenntnis zum deutschen Volkstum ein das Volkstumsbekenntnis bestätigendes Merkmal wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur hinzutreten (BVerwGE 98, 367 <368 f.>). Bei den bei Beginn der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen wegen ihres Alters noch bekenntnisunfähigen Frühgeborenen kam es für die deutsche Volkszugehörigkeit auf die kurz vor Beginn der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen in der Familie prägende Bekenntnislage an, die ihnen zugerechnet wurde (BVerwGE 92, 70 <73>), während bei den nach dem Beginn der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen geborenen Spätgeborenen erforderlich war, dass in der Person des Spätgeborenen ein die Identifikation mit der volksdeutschen Bekenntnislage der Eltern bestätigendes Merkmal vorlag (BVerwGE 98, 367 <369 f.>). Diese Unterscheidung hat der Gesetzgeber nicht übernommen (BVerwGE 99, 133 <137>). Als bekenntnisfähig im Sinne des § 6 Abs. 1 BVFG gelten nunmehr "zur administrativen Erleichterung" (vgl. BTDrucks 12/3212 S. 23) nur noch die bis zum 31. Dezember 1923 Geborenen, während alle danach Geborenen zu einer einheitlichen Gruppe zusammengefasst werden, deren Volkszugehörigkeit sich einheitlich nach § 6 Abs. 2 BVFG bestimmt. Das verbietet es, je unterschiedliche Anforderungen an das Tatbestandsmerkmal der bestätigenden Merkmale aus § 6 BVFG a.F. auf das Tatbestandsmerkmal der bestätigenden Merkmale in § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 BVFG zu übertragen.

Gegen die Übertragung des Verständnisses der bestätigenden Merkmale im Sinne des alten Rechts auf § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG spricht weiter, dass der Gesetzgeber nicht der Stellungnahme des Bundesrates gefolgt ist, der § 6 BVFG ausgehend von dessen alter Fassung und dessen Struktur, dass das Volkstumsbekenntnis bestätigende Merkmale vorliegen müssen, wie folgt fassen wollte (BTDrucks 12/3341 S. 1):

"§ 6

Volkszugehörigkeit

Deutscher Volkszugehöriger im Sinne dieses Gesetzes ist, wer sich in der Heimat zum deutschen Volkstum bekannt hat und bekennt, sofern diese Bekenntnisse neben der Abstammung durch die Merkmale wie Sprache, Erziehung und Kultur nachgewiesen werden."

Vielmehr hat der Gesetzgeber die Anforderungen an die deutsche Volkszugehörigkeit der nach dem 31. Dezember 1923 Geborenen "in einem neuen Absatz 2 zu § 6 festgelegt" (BTDrucks 12/3341 S. 13).

§ 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 BVFG macht anders als § 6 Abs. 1 BVFG die Eigenschaft, deutscher Volkszugehöriger zu sein, kumulativ (Nummer 2 a.E.: "und") von drei Voraussetzungskomplexen abhängig, wobei es allerdings genügen kann, wenn innerhalb eines Voraussetzungskomplexes nur eine von zwei oder mehreren möglichen Voraussetzungen erfüllt ist (BVerwGE 99, 133).

In § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG wird vorausgesetzt,

- dass die Person von einem deutschen Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen abstammt (Nummer 1),

- dass der Person die Eltern, ein Elternteil oder andere Verwandte bestätigende Merkmale wie Sprache, Erziehung, Kultur vermittelt haben (Nummer 2) und

- dass die Person sich bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete zur deutschen Nationalität erklärt, sich bis dahin auf andere Weise zum deutschen Volkstum bekannt hat oder nach dem Recht des Herkunftsstaates zur deutschen Nationalität gehörte (Nummer 3). Da die Erklärung zur deutschen Nationalität ein Unterfall des Bekenntnisses zum deutschen Volkstum ist (s. Nummer 3: "auf andere Weise"), setzt Nummer 3 alternativ entweder ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum oder - ohne dass es auf ein Bekenntnis ankäme - voraus, dass die Person nach dem Recht des Herkunftsstaates zur deutschen Nationalität gehörte.

Bei der Auslegung des § 6 BVFG a.F., des jetzigen § 6 Abs. 1 BVFG, einerseits und des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG andererseits ist zu beachten, dass diese bestätigenden Merkmale in beiden Bestimmungen in einem jeweils anderen textlichen Zusammenhang stehen. So stellen § 6 BVFG a.F. für die bei Beginn der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen bekenntnisfähigen Personen und § 6 Abs. 1 BVFG für die bis zum 31. Dezember 1923 geborenen Personen in Bezug auf das bestätigende Merkmal der deutschen Sprache nicht darauf ab, wann und von wem sie erlernt wurde; entscheidend war, dass sie im maßgeblichen Bekenntniszeitraum, also kurz vor Beginn der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen, die vorrangig benutzte Sprache war. Demgegenüber verlangt § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG in Bezug auf das bestätigende Merkmal der deutschen Sprache, dass sie durch die Eltern, einen Elternteil oder andere Verwandte vermittelt worden ist, wobei die Sprachvermittlung bzw. deren Ende nur in seltenen Ausnahmefällen zeitlich mit dem Verlassen des Aussiedlungsgebietes zusammenfallen werden.

In § 6 BVFG a.F. und § 6 Abs. 1 BVFG beziehen sich die bestätigenden Merkmale unmittelbar und ausschließlich auf ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum. Denn es wird verlangt, dass die Person sich in ihrer Heimat zum deutschen Volkstum bekannt hat, und weiter, dass dieses Bekenntnis durch bestimmte Merkmale bestätigt wird. Hiermit ist nicht die Bestätigung des Bekenntnisvorgangs, sondern des Bekenntnisinhalts gemeint, also der Zugehörigkeit zum deutschen Volkstum, zur deutschen Nationalität. Ein bloßes Lippenbekenntnis genügt nicht, vielmehr muss das Bekenntnis in der Lebenswirklichkeit eine Entsprechung finden (BVerwGE 102, 214 <217>). Das setzt (auch) objektive Zugehörigkeitsmerkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur voraus. Wegen des direkten Bezugs und der vorausgesetzten Zeitgleichheit müssen die bestätigenden Merkmale in § 6 BVFG a.F. bzw. § 6 Abs. 1 BVFG zur Zeit des Bekenntnisses vorliegen (§ 6 Abs. 1 BVFG: "... sofern dieses Bekenntnis durch bestimmte Merkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur bestätigt wird").

In § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG stehen die bestätigenden Merkmale dagegen nicht in einem unmittelbaren und ausschließlichen Bezug zu einem Bekenntnis zum deutschen Volkstum. Denn der Tatbestand des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BVFG ist auch dann erfüllt, wenn kein Bekenntnis zum deutschen Volkstum vorliegt, die Person aber nach dem Recht des Herkunftsstaates zur deutschen Nationalität gehört. Auch in diesem Fall verlangt Nummer 2, dass bestätigende Merkmale vermittelt worden sind. Die bestätigenden Merkmale in § 6 Abs. 2 BVFG beziehen sich also nicht auf ein Bekenntnis, sondern unmittelbar auf die Zugehörigkeit zum deutschen Volkstum, zur deutschen Nationalität (vgl. auch BTDrucks 12/3212 S. 22: "Bestätigungsmerkmale ..., die sie dem deutschen Volkstum zuweisen").

Anders als § 6 BVFG a.F. und § 6 Abs. 1 BVFG, die bestätigende Merkmale als aktuelle Bestätigung der durch Bekenntnis erklärten Zugehörigkeit zum deutschen Volkstum voraussetzen, verlangt § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG weder für die Erklärung zur deutschen Nationalität noch für das Bekenntnis zum deutschen Volkstum noch für die rechtliche Zuordnung zur deutschen Nationalität durch den Herkunftsstaat in Nummer 3 eine Bestätigung durch bestätigende Merkmale. Bestätigende Merkmale sind vielmehr in der der Nummer 3 vorhergehenden Nummer 2 dahin geregelt, dass Eltern, ein Elternteil oder andere Verwandte sie "vermittelt haben" müssen. Tatbestandsvoraussetzung nach Nummer 2 ist also nicht eine aktuelle Bestätigung der Zugehörigkeit zum deutschen Volkstum, sondern die Vermittlung bestätigender Merkmale als ein in der Vergangenheit liegender Vorgang. Dementsprechend knüpft auch die Fiktion nach § 6 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 BVFG daran an, dass die Vermittlung bestätigender Merkmale nicht möglich oder nicht zumutbar war.

Die Zeit(dauer), in der die Eltern, ein Elternteil oder andere Verwandte Sprache, Erziehung, Kultur "vermittelt haben" (grundsätzlich die Zeit von der Geburt bis zur Selbständigkeit), und die Zeit, in der diese Vermittlung abgeschlossen ist, in der sie also Sprache, Erziehung, Kultur "vermittelt haben" (grundsätzlich mit Eintritt der Selbständigkeit), decken sich nicht oder nur zufällig mit der für das Bekenntnis nach § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BVFG maßgeblichen Zeit "bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete". Da sie einen in der Vergangenheit, und zwar häufig lange Zeit vor dem Verlassen der Aussiedlungsgebiete liegenden Vorgang bezeichnen, können die bestätigenden Merkmale im Sinne der Nummer 2 nicht die Funktion haben, eine bekannte oder herkunftsstaatlich zugeordnete Zugehörigkeit zum deutschen Volkstum durch eine aktuelle Entsprechung in der objektiven Lebenswirklichkeit zu belegen.

Indem das Gesetz die bestätigenden Merkmale in § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG in den Kontext der Vermittlung durch die Eltern, einen Elternteil oder andere Verwandte stellt, weist er ihnen anders als in § 6 Abs. 1 BVFG nicht die Funktion zu, eine aktuelle Grundlage für eine deutsche Bewusstseinslage zu bestätigen, sondern lässt es ausreichen, dass den Kindern bestätigende Merkmale wie Sprache, Erziehung, Kultur vermittelt worden sind, dass bei ihnen also mit Abschluss des Vermittlungsvorgangs die Grundlage für eine (mögliche) deutsche Bewusstseinslage geschaffen war. Bekennen sich die Kinder dann zum deutschen Volkstum oder rechnet sie der Herkunftsstaat der deutschen Nationalität zu (Nummer 3), finden dieses Bekenntnis bzw. diese Zuordnung insofern in der Lebenswirklichkeit eine Entsprechung, als diese nicht inhaltsleer sind.

Die Dauer der Vermittlung bestätigender Merkmale ist in § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG nicht besonders bestimmt und richtet sich deshalb nach der Dauer des familiären Erziehungseinflusses, der in der Regel mit der Dauer des Sorgerechts gleichgesetzt werden kann. Grundsätzlich beginnt sie im Säuglingsalter und endet mit der Selbständigkeit. Der Eintritt der Selbständigkeit kann in diesem Zusammenhang nicht generell auf ein bestimmtes Alter festgelegt werden, sondern ist im Einzelfall zu beurteilen; er wird regelmäßig schon angenommen werden können, wenn der Jugendliche sein Elternhaus bzw. den Haushalt des ihn erziehenden Verwandten verlässt, und ist spätestens mit der Volljährigkeit gegeben.

Unter den bestätigenden Merkmalen kommt der Sprache besondere Bedeutung zu; denn die Vermittlung von Erziehung und Kultur wird regelmäßig über die Sprache erfolgen (s. BTDrucks 12/3212 S. 23). Während sich in der Anfangszeit die Sprachvermittlung insbesondere in Form der Nachahmung der von den Eltern, einem Elternteil oder anderen Verwandten gesprochenen Sprache vollzieht, wird sie im Laufe der Jahre in eine Verfestigung der gelernten Sprache und eine Vertiefung und Erweiterung der Sprachkenntnisse durch fortgesetzten Sprachgebrauch übergehen. Dabei richten sich Ausmaß und Intensität der geforderten Sprachvermittlung nach dem Sprachvermögen der Eltern, des Elternteils oder anderer Verwandter. Die deutsche Sprache muss nicht als Hochsprache vermittelt worden sein, es reicht aus, wenn sie so vermittelt worden ist, wie sie im Elternhaus - z.B. in Form des Dialekts - gesprochen wurde (BVerwGE 102, 214 <220>).

Sprache im Sinne von § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG ist insbesondere die Muttersprache (BTDrucks 12/3212 S. 22). Unter Muttersprache wird allgemein die als Kind von den Eltern (oder sie ersetzenden Bezugspersonen) erlernte Sprache verstanden (vgl. Brockhaus, Enzyklopädie, 20. Auflage 1996; Brockhaus/ Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 1982; Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 2. Auflage 1989). Soweit in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (z.B. Urteil vom 3. November 1998 - BVerwG 9 C 4.97 - Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 90) zum Begriff der Muttersprache weitergehend davon ausgegangen worden ist, sie müsse "so vertieft worden (sein), dass sie auch im Erwachsenenalter entsprechend der Herkunft und dem Bildungsstand als die dem Betreffenden eigentümliche Sprache umfassend beherrscht wird", kann daran für § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG nicht festgehalten werden.

Der vom Bundesverwaltungsgericht zu § 6 BVFG a.F. entwickelte Begriff der bevorzugten Umgangssprache behält für § 6 Abs. 1 BVFG Bedeutung. Denn mit Sprache im Sinne dieser Bestimmungen soll das Bekenntnis zum deutschen Volkstum aktuell objektiv bestätigt werden. Das rechtfertigt es, auf die vorrangig benutzte Sprache abzustellen. Dagegen wird der Begriff der bevorzugten Umgangssprache dem geänderten Kontext des Begriffs der Sprache im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG nicht gerecht. Denn dafür kommt es nicht auf eine bevorzugt "benutzte" Umgangssprache an, sondern allein auf die von den Eltern, einem Elternteil oder anderen Verwandten vermittelte Sprache.

Die Sprache im Sinne von § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG muss "zumindest Gewicht" haben (BTDrucks 12/3212 S. 23). Der wesentliche Gesichtspunkt für Ausmaß und Intensität der Sprachvermittlung ergibt sich aus der geänderten Funktion der bestätigenden Merkmale in § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG. Da der Gesetzgeber in den vermittelten bestätigenden Merkmalen Sprache, Erziehung, Kultur die objektive Grundlage für eine deutsche Bewusstseinslage, für die Zugehörigkeit zum deutschen Volkstum sieht, setzt eine Sprachvermittlung voraus, dass die Eltern, ein Elternteil oder andere Verwandte ihre vorhandenen deutschen Sprachkenntnisse möglichst umfassend an das Kind weitergeben. Denn je intensiver deutsche Sprache vermittelt worden ist, umso tragfähiger ist die Grundlage für eine deutsche Bewusstseinslage. Das bedeutet aber nicht, dass dem Kind als Sprache nur oder jedenfalls überwiegend Deutsch vermittelt worden sein muss. Ein derart enges Verständnis kann weder dem Gesetz noch den Gesetzesmaterialien entnommen werden. Es würde auch an der Realität in den Aussiedlungsgebieten vorbeigehen. Denn wer nicht in reinen oder überwiegend deutschsprachigen Siedlungsgebieten aufgewachsen ist, musste realistischerweise, sollte er nicht "sprachlos" in Kinderkrippe, Kindergarten oder Schule kommen, bereits von Kindesbeinen an auch die Landessprache erlernen. Es reicht demnach aus, wenn das Kind im Elternhaus die deutsche Sprache und die Landessprache erlernt und gesprochen hat, also mehrsprachig aufgewachsen ist. Wurden dem Kind im Elternhaus Deutsch und die Landessprache vermittelt, hat sein späteres Bekenntnis zum deutschen Volkstum eine objektive, durch die Vermittlung der deutschen Sprache bis zur Selbständigkeit bestätigte Grundlage. Deutsch muss nicht vorrangig vor der Landessprache vermittelt worden sein. Denn von der Existenz anderer Landessprachen in den Herkunftsgebieten ausgehend verlangt der Gesetzgeber in § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG weder bei volkstumsmäßig verschiedenen noch bei volkstumsmäßig gleichen Eltern eine alleinige oder jedenfalls überwiegende deutsche Sprachvermittlung. Vielmehr genügt es, wenn die Eltern ihren Kindern die deutsche Sprache so beibringen und diese mit ihnen so sprechen, wie sie selbst diese beherrschen.

War die Vermittlung deutscher Sprache wegen der Verhältnisse im Herkunftsgebiet nicht möglich oder nicht zumutbar, gelten die Voraussetzungen nach Nummer 2 als erfüllt (§ 6 Abs. 2 Satz 2 BVFG). Hat die Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit nicht die ganze Zeit bis zur Selbständigkeit, aber doch für längere Zeit angedauert, so ist bei Ausmaß und Intensität der Sprachvermittlung zu Gunsten des Kindes zu berücksichtigen, dass sich die Sprachvermittlung nicht über die ganze Länge der Prägephase erstrecken konnte.

Auch wenn im Herkunftsgebiet die Vermittlung deutscher Sprache weder unmöglich noch unzumutbar war, ist doch zu berücksichtigen, dass eine Sprachvermittlung dort insbesondere in der unmittelbaren Nachkriegszeit, aber auch danach oft nur im Familienkreis und nur mit begrenzten Mitteln möglich war. So standen als Folge der Verschleppung und Vertreibung häufig keine Hilfsmittel wie Bücher zur Verfügung, so dass weitgehend keine visuelle, sondern nur eine auditive Sprachvermittlung möglich gewesen sein wird. Das erschwert die Sprachvermittlung. Auch Restriktionen in der Religionsausübung können sich erschwerend auf die deutsche Sprachvermittlung ausgewirkt haben.

Setzt demnach § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG nicht voraus, dass bestätigende Merkmale wie Sprache, Erziehung, Kultur beim Verlassen des Aussiedlungsgebietes vorliegen, ist vielmehr entscheidend, ob deutsche Sprache, Erziehung, Kultur vermittelt worden sind, so ist die Kenntnis deutscher Sprache zur Zeit der Aus- bzw. Einreise zwar kein Tatbestandsmerkmal, ihr kommt aber im Rahmen des Beweises als Indiz für eine frühere Vermittlung deutscher Sprache Bedeutung zu. Bei einem Rückschluss vom bei Aus- bzw. Einreise aktuellen Sprachvermögen bzw. -unvermögen auf zurückliegende Sprachvermittlung sind beispielsweise zu berücksichtigen die Dauer des Aufenthalts im Elternhaus, die Umstände der Sprachvermittlung im Elternhaus, die Sprachbegabung und der Bildungsstand des Betreffenden, die Dauer seit der Trennung vom Elternhaus, die Möglichkeit, Deutsch weiter zu sprechen.

Der Berufungsbeschluss stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Der Verwaltungsgerichtshof hat entscheidungstragend darauf abgestellt, dass die Klägerin das Vorliegen eines der in § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG aufgeführten Bestätigungsmerkmale zum Zeitpunkt ihrer Einreise nicht nachgewiesen habe; bei ihrer Einreise seien nur äußerst geringe Sprachkenntnisse festgestellt worden. Zwar hat der Verwaltungsgerichtshof den im Verwaltungsverfahren und vor dem Verwaltungsgericht festgestellten Sachverhalt dahingehend gewürdigt, dass die Klägerin nur im Kleinkindalter Deutsch gesprochen habe, und diese Feststellung auch auf die Erwägung gestützt, wäre im Elternhaus der Klägerin bis zu ihrem 20. Lebensjahr überwiegend Deutsch gesprochen worden, hätte dies zu einer schnellen Reaktivierung führen müssen. Nach dem rechtlichen Ausgangspunkt des Verwaltungsgerichtshofs waren diese Feststellungen jedoch nicht entscheidungstragend und es ist nicht auszuschließen, dass er zu einer anderen beweislichen Würdigung insbesondere der Zeugenaussage der Mutter der Klägerin gekommen wäre, wenn er seine tatsächlichen Feststellungen als entscheidungstragende unter Berücksichtigung der oben zum Kriterium "Sprache" getroffenen Festlegungen getroffen hätte.

Die Revision ist wegen der Rechtsverletzung begründet (§ 144 Abs. 3 VwGO). Eine Entscheidung in der Sache selbst ist nicht möglich (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO).

Der Klage kann nicht aus den Gründen des Verwaltungsgerichtsurteils stattgegeben werden. Der Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass in den Fällen der Zugehörigkeit zur deutschen Nationalität nach dem Recht des Herkunftsstaates (§ 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BVFG) indiziell anzunehmen sei, die Betreffenden hätten ihre Kinder im deutschen Volkstum erzogen, kann nicht gefolgt werden. Denn wenn die Schlussfolgerung von der Zugehörigkeit zur deutschen Nationalität nach Nummer 3 auf volksdeutsche Erziehung und Kulturvermittlung zwingend wäre, käme den Voraussetzungen nach Nummer 2 in all den Fällen einer Zuordnung zur deutschen Nationalität nach Nummer 3 keine eigenständige Bedeutung zu.

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 8 000 DM festgesetzt.



Ende der Entscheidung

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