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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 23.10.2001
Aktenzeichen: BVerwG 5 C 3.00
Rechtsgebiete: BSHG, SGB I, Gesetz über die Festlegung eines vorläufigen Wohnortes für Spätaussiedler


Vorschriften:

BSHG § 97 Abs. 2
BSHG § 107
SGB I § 30 Abs. 3 Satz 2
Gesetz über die Festlegung eines vorläufigen Wohnortes für Spätaussiedler §§ 1 ff.
1. Spätaussiedler können auch in einem Übergangswohnheim einen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne von § 107 BSHG begründen, wenn sie sich dort "bis auf weiteres" aufhalten.

2. Ein "Verziehen" im Sinne des § 107 Abs. 1 BSHG setzt nicht voraus, dass am Ort des bisherigen gewöhnlichen Aufenthalts eine "Wohnung" im Sinne einer durch freiwillige Aufenthaltnahme begründeten und auf Dauer angelegten, selbstgestalteten Häuslichkeit bestand.


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 5 C 3.00

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 23. Oktober 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Säcker und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Pietzner, Schmidt, Dr. Rothkegel und Dr. Franke

ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:

Tenor:

Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 4. März 1999 und das Urteil des Verwaltungsgerichts Trier vom 23. September 1998 werden aufgehoben.

Der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die vom 29. Mai 1996 bis zum 30. April 1997 entstandenen Sozialhilfeaufwendungen in Höhe von 6 707,32 DM zu erstatten.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe:

I.

Am 27. Oktober 1995 reiste Herr K. als Spätaussiedler in die Bundesrepublik Deutschland ein. Er wurde im November 1995 dem Land Rheinland-Pfalz zugewiesen und in einem Übergangswohnheim im Gebiet des Beklagten untergebracht. Dort erhielt er Hilfe zum Lebensunterhalt. Am 26. Mai 1996 zog er zu Verwandten nach I. im Gebiet des Klägers, der ihm von Ende Mai 1996 bis zum 30. April 1997 weiterhin Sozialhilfe gewährte.

Den Anspruch des Klägers auf Kostenerstattung nach § 107 BSHG lehnte der Beklagte mit der Begründung ab, Herr K. habe wegen seiner Unterbringung in einem Übergangswohnheim dort keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründen können.

Die Klage des Klägers, den Beklagten zu verurteilen, ihm die ab 29. Mai 1995 bis 30. April 1997 entstandenen Aufwendungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach §§ 12 ff. BSHG in Höhe von 6 707,32 DM zu erstatten, hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Die Berufung des Klägers dagegen hat das Oberverwaltungsgericht mit im Wesentlichen folgender Begründung zurückgewiesen:

§ 3 b des Gesetzes über die Festlegung eines vorläufigen Wohnortes für Spätaussiedler scheide als Rechtsgrundlage aus. Auch die Erstattungsvoraussetzungen nach § 107 BSHG seien nicht erfüllt. Ein Übergangswohnheim sei nur auf eine vorläufige Unterbringung angelegt; als bloße Durchgangsstation mit zeitlich absehbarem Ende sei es nicht geeignet, bis auf weiteres Mittelpunkt der Lebensbeziehung zu sein. § 107 BSHG wolle Ballungsräume schützen; es sei aber nicht sein Sinn, die örtlichen Träger der Sozialhilfe, in deren Bereich sich Übergangswohnheime für Spätaussiedler mit zum Teil mehreren hundert Plätzen befänden, auch noch für zwei Jahre nach dem Wegzug einer überproportionalen Belastung durch Ausgleichsforderungen auszusetzen.

Mit seiner vom Bundesverwaltungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter. Er rügt die Verletzung von § 107 BSHG, § 30 SGB I.

Der Beklagte verteidigt das Berufungsurteil und beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II.

Die Revision, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann (§§ 141, 125 Abs. 1, § 101 Abs. 2 VwGO), ist begründet. Denn das Berufungsurteil verletzt Bundesrecht.

Zwar trifft es zu, dass der Erstattungsanspruch des Klägers für die Herrn K. gewährte Sozialhilfe nicht auf § 3 b des Gesetzes über die Festlegung eines vorläufigen Wohnortes für Spätaussiedler gestützt werden kann. Denn dieses Gesetz findet nach seinem § 5 in der Fassung seines Vierten Änderungsgesetzes vom 2. Juni 2000 (BGBl I S. 775) keine Anwendung auf Spätaussiedler, die - wie Herr K. - vor dem 1. März 1996 in den Geltungsbereich des Gesetzes eingereist sind. Diese erst nach Zulassung der Revision in Kraft getretene Rechtsänderung, gegen die verfassungsrechtliche Bedenken in Ermangelung schutzwürdiger Vertrauenslagen nicht zu erheben sind, ist vom Revisionsgericht zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. März 1996 - BVerwG 6 C 4.95 - <BVerwGE 100, 346, 348>).

Zu Unrecht aber verneint das Berufungsgericht einen Kostenerstattungsanspruch nach § 107 BSHG mit der Begründung, der Aufenthalt eines Spätaussiedlers in einem Übergangswohnheim begründe keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne dieser Bestimmung. Dass ein in einem Übergangswohnheim lebender Spätaussiedler an diesem Ort seinen gewöhnlichen Aufenthalt haben und von dort im Sinne des Gesetzes "verziehen" kann, hat das Bundesverwaltungsgericht in Auseinandersetzung mit den Argumenten, auf die das Berufungsgericht seine gegenteilige Auffassung stützt, bereits entschieden (Urteil vom 18. März 1999 - BVerwG 5 C 11.98 - <Buchholz 436.0 § 107 BSHG Nr. 1 = DVBl 1999, 1126 = FEVS 49, 434 = NDV-RD 1999, 73 = NVwZ-RR 1999, 583 = ZfSH/SGB 2000, 29>).

Herr K. wurde im November 1995 in einem Übergangswohnheim im Gebiet des Beklagten untergebracht. Dort begründete er seinen gewöhnlichen Aufenthalt. Denn er hielt sich dort "bis auf weiteres" auf, bis er im Mai 1996 - nach sechseinhalb Monaten - in das Gebiet des Klägers zog.

Demnach ist der Anspruch des Klägers auf Erstattung der Herrn K. gewährten Sozialhilfe, deren Höhe nicht im Streit steht, nach § 107 BSHG begründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit auf § 188 Satz 2 VwGO.

Ende der Entscheidung

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