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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 19.10.2000
Aktenzeichen: BVerwG 5 C 36.99
Rechtsgebiete: BVFG F. 1993


Vorschriften:

BVFG F. 1993 § 6 Abs. 1 und 2
Leitsatz:

Zur Auslegung des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG (wie Urteil vom 19. Oktober 2000 - BVerwG 5 C 44.99 - zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung bestimmt).

Urteil des 5. Senats vom 19. Oktober 2000 - BVerwG 5 C 36.99 -

I. VG Köln vom 10.07.1996 - Az.: VG 9 K 7069/93 - II. OVG Münster vom 18.08.1998 - Az.: OVG 2 A 4580/96 -


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 5 C 36.99 OVG 2 A 4580/96

Verkündet am 19. Oktober 2000

Müller Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 19. Oktober 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Säcker und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Pietzner, Schmidt, Dr. Rothkegel und Dr. Franke

für Recht erkannt:

Tenor:

Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 18. August 1998 wird aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe:

I.

Die Klägerin zu 1 begehrt die Erteilung eines Aufnahmebescheides, die Kläger zu 2 bis 4 begehren ihre Einbeziehung.

Die Klägerin zu 1 wurde am 23. November 1963 in Syktywkar in der Republik Komi in Russland geboren. Ihre Mutter ist die am 10. August 1938 ebenfalls in Syktywkar geborene Nina M., geborene E., ihr Vater der deutsche Volkszugehörige Rubin M., geboren am 1. Januar 1937 in Andrejewka im Gebiet Shitomir in der Ukraine. Die Großeltern väterlicherseits der Klägerin zu 1 sind die deutschen Volkszugehörigen Elsa und Ewald M. Der Kläger zu 2 ist russischer Volkszugehöriger. Die 1985 bzw. 1990 geborenen Kläger zu 3 und 4 stammen aus der Ehe der Klägerin zu 1 mit dem Kläger zu 2.

Das Bundesverwaltungsamt lehnte mit Bescheid vom 2. Januar 1992 den Aufnahmeantrag im Wesentlichen mit der Begründung ab, angesichts der Nationalitäteneintragung "Komi" im ersten Inlandspass und mangels hinreichender Anhaltspunkte für die Vermittlung von Bestätigungsmerkmalen wie Sprache und Erziehung könne eine Prägung der Klägerin zu 1 im deutschen Volkstum und damit ihre deutsche Volkszugehörigkeit nicht festgestellt werden. Mit ihrem Widerspruch machten die Kläger geltend, die Klägerin zu 1 sei bis zum ersten Schuljahr "am meisten" von den Großeltern väterlicherseits erzogen worden, die untereinander und mit ihr nur Deutsch gesprochen hätten. Weil ihre Mutter kein Deutsch verstanden habe, sei Umgangssprache in der Familie Russisch gewesen. Die Mutter habe entschieden, die Nationalität "Komi" in den ersten Inlandspass der Klägerin zu 1 eintragen zu lassen, weil man besser an einen Ausbildungsplatz käme. In einem im August 1993 vorgelegten Inlandspass aus dem Jahre 1992 war als Nationalität der Klägerin zu 1 "Deutsche" eingetragen.

Mit Bescheid vom 2. September 1993 wies das Bundesverwaltungsamt den Widerspruch zurück.

Das Verwaltungsgericht hat nach Zeugenvernehmung des Vaters der Klägerin zu 1 die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verpflichtet, der Klägerin zu 1 einen Aufnahmebescheid zu erteilen und den Kläger zu 2 als Ehegatten sowie die Kläger zu 3 und 4 als Abkömmlinge in diesen Aufnahmebescheid einzubeziehen. Die Klägerin zu 1 erfülle die Anforderungen des § 6 Abs. 2 BVFG; das Gericht habe aufgrund der Vernehmung des Vaters der Klägerin zu 1 die Überzeugung gewonnen, dass bei ihr das Bekenntnismerkmal der deutschen Sprache in dem erforderlichen Mindestumfang vorliege. Die Vermittlung der deutschen Sprache müsse sich bis zur Selbständigkeit, d.h. etwa bis zum Alter von 16 Jahren erstrecken; auf die spätere Sprachentwicklung komme es nicht an. Die Klägerin habe sich auch bis zum Verlassen des Aussiedlungsgebietes zur deutschen Nationalität erklärt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht die Klage im Wesentlichen mit folgender Begründung abgewiesen:

Die Kläger hätten keinen Anspruch auf Erteilung eines Aufnahmebescheides gemäß §§ 26, 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juni 1993. Da die Klägerin zu 1 noch heute in der Republik Komi der Russischen Föderation lebe, könne sie nicht Aussiedlerin nach der für die Anwendung des bisherigen Rechts gemäß § 100 Abs. 1 BVFG allein in Betracht zu ziehenden Bestimmung des § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG sein. Sie habe keinen Anspruch auf Erteilung eines Aufnahmebescheides, da sie die Voraussetzungen als Spätaussiedlerin nicht erfülle. Es könne nicht festgestellt werden, dass ihr das bestätigende Merkmal der Sprache vermittelt worden sei. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei es nicht ausreichend, dass Deutsch lediglich in der Jugendzeit bis zur Selbständigkeit bevorzugte Umgangssprache gewesen sei; dieses Bestätigungsmerkmal müsse vielmehr auch im maßgeblichen Zeitpunkt des Verlassens des Vertreibungsgebietes noch vorliegen. Unter Berücksichtigung der Angaben der Klägerin zu 1 im Verwaltungs- und Klageverfahren und der Zeugenaussage ihres Vaters sei der Senat überzeugt, dass sie als Kind im Elternhaus mehrsprachig aufgewachsen sei. Dagegen habe sie nicht substantiiert und schlüssig vorgetragen, Deutsch zumindest im familiären Bereich als bevorzugte Umgangssprache zu sprechen; jedenfalls seit der Eheschließung sei Umgangssprache der Klägerin zu 1 in der Familie Russisch. Auf einen Beweisantrag betreffend die Vermittlung von Deutsch als bevorzugte Umgangssprache komme es nicht an, da die Vermittlung der Sprache in der Familie der Eltern und Großeltern der Klägerin zu 1 als wahr unterstellt werden könne. Selbst wenn die Klägerin zu 1 in Kindheit und Jugend im häuslichen Bereich bevorzugt Deutsch gesprochen habe, erfülle sie damit nicht das Bestätigungsmerkmal "Sprache", weil dazu auch der bevorzugte Gebrauch des Deutschen zum Zeitpunkt der Ausreise aus dem Aussiedlungsgebiet maßgeblich sei. Entscheidend seien nicht die Sprachkenntnisse der Klägerin zu 1 - es könne als wahr unterstellt werden, dass ihre Deutschkenntnisse die rein sprachlichen Anforderungen erfüllten, um als bevorzugte Umgangssprache dienen zu können -, sondern allein das Sprachverhalten und damit die Frage, ob sie zum Zeitpunkt ihrer Ausreise mit den Klägern zu 2 bis 4 im häuslichen Bereich Deutsch als bevorzugte Umgangssprache tatsächlich (noch) spreche; zu den Sprachkenntnissen müsse auch das Merkmal des überwiegenden Gebrauchs der Sprache in der Familie zum Zeitpunkt der Ausreise hinzutreten. Es lägen auch keine sonstigen bestätigenden Merkmale im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG vor. Wer nicht Deutsch, sondern wie die Klägerin Russisch als bevorzugte Umgangssprache spreche, sei regelmäßig Angehöriger des russischen Kulturkreises, was zugleich eine Erziehung im Sinne des russischen Volkstums indiziere; offensichtlich stehe die Klägerin der russischen Kultur (inzwischen) am nächsten und sei selbst dann Angehörige des russischen Kulturkreises (geworden), wenn die ihr bis zum Zeitpunkt des Eintritts ihrer Selbständigkeit bzw. Bekenntnisfähigkeit durch Eltern oder andere Verwandte vermittelte Kultur und Erziehung noch wesentlich vom deutschen Volkstum geprägt gewesen sein sollte. Die Vermittlung von Bestätigungsmerkmalen nach § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG sei auch nicht gemäß Absatz 2 Satz 2 erster Halbsatz dieser Vorschrift entbehrlich. Auf die Frage eines Bekenntnisses nach § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BVFG, das unterstellt werden könne, komme es danach nicht mehr an. Ein Anspruch auf Erteilung eines Aufnahmebescheides ergebe sich für die Klägerin zu 1 auch weder als Vertriebene im Sinne des § 1 Abs. 1 und Abs. 2 BVFG i.V.m. § 7 BVFG a.F. noch als Abkömmling eines Vertriebenen deutscher Volkszugehörigkeit. Das Aufnahmeverfahren nach §§ 26 ff. BVFG erstrecke sich allein auf Personen, die die Aussiedlungsgebiete als Spätaussiedler im Sinne des § 4 Abs. 1 BVFG verlassen wollten; die Erteilung eines Aufnahmebescheides zum Zwecke der Aufnahme als Vertriebene im Sinne des § 7 BVFG a.F. bzw. als Abkömmling eines Vertriebenen sei damit ausgeschlossen.

Mit der Revision verfolgen die Kläger ihr Verpflichtungsbegehren auf Erteilung eines Aufnahmebescheides bzw. Einbeziehung, hilfsweise Aufnahme, weiter. Sie rügen Verletzung des materiellen Rechts. Die Klägerin zu 1 habe die Vertriebeneneigenschaft durch Geburt gemäß § 7 BVFG in der damals geltenden Fassung erworben. Ihre Eltern seien infolge Eintragung in die deutsche Volksliste der Ukraine deutsche Staatsangehörige geworden. Bis zu ihrem siebenten Lebensjahr sei der Klägerin von ihren Großeltern Deutsch als Muttersprache vermittelt worden. Das Bestätigungsmerkmal sei dadurch, dass die Klägerin in den letzten Jahren einiges von der deutschen Sprache vergessen habe, nicht entfallen. Es könne ihr nicht vorgehalten werden, dass sie die deutsche Sprache in ihrer jetzigen Familie nicht als überwiegend gebrauchte Umgangssprache benutze. Durch die Großeltern und den die Familie prägenden Vater seien ihr deutsche Erziehung und deutsche Kultur vermittelt worden.

Die Beklagte und der Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht verteidigen das angefochtene Urteil.

II.

Die Revision der Kläger ist begründet. Die rechtlichen Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht die deutsche Volkszugehörigkeit der Klägerin zu 1 verneint und den von den Klägern geltend gemachten Anspruch auf Erteilung eines Aufnahmebescheides nach den §§ 26, 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG in der hier maßgeblichen Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juni 1993 (BGBl I S. 829) verneint hat, stehen mit Bundesrecht nicht in Einklang. Das führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und mangels Entscheidungsreife zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

Das Berufungsgericht geht zu Unrecht davon aus, dass nach § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG in der hier maßgeblichen Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juni 1993 (BGBl I S. 829) eines der dort aufgeführten bestätigenden Merkmale zum Zeitpunkt der Ausreise aus dem Aussiedlungsgebiet vorgelegen haben müsse.

§ 6 BVFG regelt, wer deutscher Volkszugehöriger ist, Absatz 1 für die bis zum 31. Dezember 1923 Geborenen und Absatz 2 für die nach dem 31. Dezember 1923 Geborenen. Zwar ist es gerechtfertigt, zur Auslegung des § 6 Abs. 1 BVFG auf die Auslegung des wortgleichen § 6 BVFG a.F. (vor der Änderung durch das Kriegsfolgenbereinigungsgesetz vom 21. Dezember 1992 <BGBl I S. 2094> bis zum 31. Dezember 1992 geltende Fassung) in Bezug auf die bekenntnisfähigen Personen zurückzugreifen. Dagegen ist es nicht zulässig, § 6 Abs. 2 BVFG, insbesondere dessen Satz 1 Nr. 2, unter weitgehendem Rückgriff auf die Auslegung des § 6 BVFG a.F. auszulegen und die rechtliche Bedeutung bestätigender Merkmale in § 6 BVFG a.F. einerseits und in § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG andererseits gleichzusetzen. An der auf solchen Ansätzen beruhenden bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (z.B. BVerwGE 102, 214; 105, 60) wird nicht festgehalten.

Gegen die Übertragung der Auslegungskriterien und -begriffe zu den bestätigenden Merkmalen im Sinne von § 6 BVFG a.F. auf § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG spricht zunächst der Umstand, dass der Gesetzgeber die zu § 6 BVFG a.F. in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten Kriterien für die Beurteilung der deutschen Volkszugehörigkeit nicht in § 6 Abs. 2 BVFG n.F. übernommen hat. Das alte, bis zum 31. Dezember 1992 geltende Recht unterschied zwischen drei Personengruppen: Bei den bei Beginn der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen bereits bekenntnisfähigen Personen musste zu dem Bekenntnis zum deutschen Volkstum ein das Volkstumsbekenntnis bestätigendes Merkmal wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur hinzutreten (BVerwGE 98, 367 <368 f.>). Bei den bei Beginn der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen wegen ihres Alters noch bekenntnisunfähigen Frühgeborenen kam es für die deutsche Volkszugehörigkeit auf die kurz vor Beginn der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen in der Familie prägende Bekenntnislage an, die ihnen zugerechnet wurde (BVerwGE 92, 70 <73>), während bei den nach dem Beginn der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen geborenen Spätgeborenen erforderlich war, dass in der Person des Spätgeborenen ein die Identifikation mit der volksdeutschen Bekenntnislage der Eltern bestätigendes Merkmal vorlag (BVerwGE 98, 367 <369 f.>). Diese Unterscheidung hat der Gesetzgeber nicht übernommen (BVerwGE 99, 133 <137>). Als bekenntnisfähig im Sinne des § 6 Abs. 1 BVFG gelten nunmehr "zur administrativen Erleichterung" (vgl. BTDrucks 12/3212 S. 23) nur noch die bis zum 31. Dezember 1923 Geborenen, während alle danach Geborenen zu einer einheitlichen Gruppe zusammengefasst werden, deren Volkszugehörigkeit sich einheitlich nach § 6 Abs. 2 BVFG bestimmt. Das verbietet es, je unterschiedliche Anforderungen an das Tatbestandsmerkmal der bestätigenden Merkmale aus § 6 BVFG a.F. auf das Tatbestandsmerkmal der bestätigenden Merkmale in § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 BVFG zu übertragen.

Gegen die Übertragung des Verständnisses der bestätigenden Merkmale im Sinne des alten Rechts auf § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG spricht weiter, dass der Gesetzgeber nicht der Stellungnahme des Bundesrates gefolgt ist, der § 6 BVFG ausgehend von dessen alter Fassung und dessen Struktur, dass das Volkstumsbekenntnis bestätigende Merkmale vorliegen müssen, wie folgt fassen wollte (BTDrucks 12/3341 S. 1):

"§ 6

Volkszugehörigkeit

Deutscher Volkszugehöriger im Sinne dieses Gesetzes ist, wer sich in der Heimat zum deutschen Volkstum bekannt hat und bekennt, sofern diese Bekenntnisse neben der Abstammung durch die Merkmale wie Sprache, Erziehung und Kultur nachgewiesen werden."

Vielmehr hat der Gesetzgeber die Anforderungen an die deutsche Volkszugehörigkeit der nach dem 31. Dezember 1923 Geborenen "in einem neuen Absatz 2 zu § 6 festgelegt" (BTDrucks 12/3341 S. 13).

§ 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 BVFG macht anders als § 6 Abs. 1 BVFG die Eigenschaft, deutscher Volkszugehöriger zu sein, kumulativ (Nummer 2 a.E.: "und") von drei Voraussetzungskomplexen abhängig, wobei es allerdings genügen kann, wenn innerhalb eines Voraussetzungskomplexes nur eine von zwei oder mehreren möglichen Voraussetzungen erfüllt ist (BVerwGE 99, 133).

In § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG wird vorausgesetzt,

- dass die Person von einem deutschen Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen abstammt (Nummer 1),

- dass der Person die Eltern, ein Elternteil oder andere Verwandte bestätigende Merkmale wie Sprache, Erziehung, Kultur vermittelt haben (Nummer 2) und

- dass die Person sich bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete zur deutschen Nationalität erklärt, sich bis dahin auf andere Weise zum deutschen Volkstum bekannt hat oder nach dem Recht des Herkunftsstaates zur deutschen Nationalität gehörte (Nummer 3). Da die Erklärung zur deutschen Nationalität ein Unterfall des Bekenntnisses zum deutschen Volkstum ist (s. Nummer 3: "auf andere Weise"), setzt Nummer 3 alternativ entweder ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum oder - ohne dass es auf ein Bekenntnis ankäme - voraus, dass die Person nach dem Recht des Herkunftsstaates zur deutschen Nationalität gehörte.

Bei der Auslegung des § 6 BVFG a.F., des jetzigen § 6 Abs. 1 BVFG, einerseits und des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG andererseits ist zu beachten, dass diese bestätigenden Merkmale in beiden Bestimmungen in einem jeweils anderen textlichen Zusammenhang stehen. So stellen § 6 BVFG a.F. für die bei Beginn der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen bekenntnisfähigen Personen und § 6 Abs. 1 BVFG für die bis zum 31. Dezember 1923 geborenen Personen in Bezug auf das bestätigende Merkmal der deutschen Sprache nicht darauf ab, wann und von wem sie erlernt wurde; entscheidend war, dass sie im maßgeblichen Bekenntniszeitraum, also kurz vor Beginn der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen, die vorrangig benutzte Sprache war. Demgegenüber verlangt § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG in Bezug auf das bestätigende Merkmal der deutschen Sprache, dass sie durch die Eltern, einen Elternteil oder andere Verwandte vermittelt worden ist, wobei die Sprachvermittlung bzw. deren Ende nur in seltenen Ausnahmefällen zeitlich mit dem Verlassen des Aussiedlungsgebietes zusammenfallen werden.

In § 6 BVFG a.F. und § 6 Abs. 1 BVFG beziehen sich die bestätigenden Merkmale unmittelbar und ausschließlich auf ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum. Denn es wird verlangt, dass die Person sich in ihrer Heimat zum deutschen Volkstum bekannt hat, und weiter, dass dieses Bekenntnis durch bestimmte Merkmale bestätigt wird. Hiermit ist nicht die Bestätigung des Bekenntnisvorgangs, sondern des Bekenntnisinhalts gemeint, also der Zugehörigkeit zum deutschen Volkstum, zur deutschen Nationalität. Ein bloßes Lippenbekenntnis genügt nicht, vielmehr muss das Bekenntnis in der Lebenswirklichkeit eine Entsprechung finden (BVerwGE 102, 214 <217>). Das setzt (auch) objektive Zugehörigkeitsmerkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur voraus. Wegen des direkten Bezugs und der vorausgesetzten Zeitgleichheit müssen die bestätigenden Merkmale in § 6 BVFG a.F. bzw. § 6 Abs. 1 BVFG zur Zeit des Bekenntnisses vorliegen (§ 6 Abs. 1 BVFG: "... sofern dieses Bekenntnis durch bestimmte Merkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur bestätigt wird").

In § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG stehen die bestätigenden Merkmale dagegen nicht in einem unmittelbaren und ausschließlichen Bezug zu einem Bekenntnis zum deutschen Volkstum. Denn der Tatbestand des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BVFG ist auch dann erfüllt, wenn kein Bekenntnis zum deutschen Volkstum vorliegt, die Person aber nach dem Recht des Herkunftsstaates zur deutschen Nationalität gehört. Auch in diesem Fall verlangt Nummer 2, dass bestätigende Merkmale vermittelt worden sind. Die bestätigenden Merkmale in § 6 Abs. 2 BVFG beziehen sich also nicht auf ein Bekenntnis, sondern unmittelbar auf die Zugehörigkeit zum deutschen Volkstum, zur deutschen Nationalität (vgl. auch BTDrucks 12/3212 S. 22: "Bestätigungsmerkmale ..., die sie dem deutschen Volkstum zuweisen").

Anders als § 6 BVFG a.F. und § 6 Abs. 1 BVFG, die bestätigende Merkmale als aktuelle Bestätigung der durch Bekenntnis erklärten Zugehörigkeit zum deutschen Volkstum voraussetzen, verlangt § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG weder für die Erklärung zur deutschen Nationalität noch für das Bekenntnis zum deutschen Volkstum noch für die rechtliche Zuordnung zur deutschen Nationalität durch den Herkunftsstaat in Nummer 3 eine Bestätigung durch bestätigende Merkmale. Bestätigende Merkmale sind vielmehr in der der Nummer 3 vorhergehenden Nummer 2 dahin geregelt, dass Eltern, ein Elternteil oder andere Verwandte sie "vermittelt haben" müssen. Tatbestandsvoraussetzung nach Nummer 2 ist also nicht eine aktuelle Bestätigung der Zugehörigkeit zum deutschen Volkstum, sondern die Vermittlung bestätigender Merkmale als ein in der Vergangenheit liegender Vorgang. Dementsprechend knüpft auch die Fiktion nach § 6 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 BVFG daran an, dass die Vermittlung bestätigender Merkmale nicht möglich oder nicht zumutbar war.

Die Zeit(dauer), in der die Eltern, ein Elternteil oder andere Verwandte Sprache, Erziehung, Kultur "vermittelt haben" (grundsätzlich die Zeit von der Geburt bis zur Selbständigkeit), und die Zeit, in der diese Vermittlung abgeschlossen ist, in der sie also Sprache, Erziehung, Kultur "vermittelt haben" (grundsätzlich mit Eintritt der Selbständigkeit), decken sich nicht oder nur zufällig mit der für das Bekenntnis nach § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BVFG maßgeblichen Zeit "bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete". Da sie einen in der Vergangenheit, und zwar häufig lange Zeit vor dem Verlassen der Aussiedlungsgebiete liegenden Vorgang bezeichnen, können die bestätigenden Merkmale im Sinne der Nummer 2 nicht die Funktion haben, eine bekannte oder herkunftsstaatlich zugeordnete Zugehörigkeit zum deutschen Volkstum durch eine aktuelle Entsprechung in der objektiven Lebenswirklichkeit zu belegen.

Indem das Gesetz die bestätigenden Merkmale in § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG in den Kontext der Vermittlung durch die Eltern, einen Elternteil oder andere Verwandte stellt, weist er ihnen anders als in § 6 Abs. 1 BVFG nicht die Funktion zu, eine aktuelle Grundlage für eine deutsche Bewusstseinslage zu bestätigen, sondern lässt es ausreichen, dass den Kindern bestätigende Merkmale wie Sprache, Erziehung, Kultur vermittelt worden sind, dass bei ihnen also mit Abschluss des Vermittlungsvorgangs die Grundlage für eine (mögliche) deutsche Bewusstseinslage geschaffen war. Bekennen sich die Kinder dann zum deutschen Volkstum oder rechnet sie der Herkunftsstaat der deutschen Nationalität zu (Nummer 3), finden dieses Bekenntnis bzw. diese Zuordnung insofern in der Lebenswirklichkeit eine Entsprechung, als diese nicht inhaltsleer sind.

Die Dauer der Vermittlung bestätigender Merkmale ist in § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG nicht besonders bestimmt und richtet sich deshalb nach der Dauer des familiären Erziehungseinflusses, der in der Regel mit der Dauer des Sorgerechts gleichgesetzt werden kann. Grundsätzlich beginnt sie im Säuglingsalter und endet mit der Selbständigkeit. Der Eintritt der Selbständigkeit kann in diesem Zusammenhang nicht generell auf ein bestimmtes Alter festgelegt werden, sondern ist im Einzelfall zu beurteilen; er wird regelmäßig schon angenommen werden können, wenn der Jugendliche sein Elternhaus bzw. den Haushalt des ihn erziehenden Verwandten verlässt, und ist spätestens mit der Volljährigkeit gegeben.

Unter den bestätigenden Merkmalen kommt der Sprache besondere Bedeutung zu; denn die Vermittlung von Erziehung und Kultur wird regelmäßig über die Sprache erfolgen (s. BTDrucks 12/3212 S. 23). Während sich in der Anfangszeit die Sprachvermittlung insbesondere in Form der Nachahmung der von den Eltern, einem Elternteil oder anderen Verwandten gesprochenen Sprache vollzieht, wird sie im Laufe der Jahre in eine Verfestigung der gelernten Sprache und eine Vertiefung und Erweiterung der Sprachkenntnisse durch fortgesetzten Sprachgebrauch übergehen. Dabei richten sich Ausmaß und Intensität der geforderten Sprachvermittlung nach dem Sprachvermögen der Eltern, des Elternteils oder anderer Verwandter. Die deutsche Sprache muss nicht als Hochsprache vermittelt worden sein, es reicht aus, wenn sie so vermittelt worden ist, wie sie im Elternhaus - z.B. in Form des Dialekts - gesprochen wurde (BVerwGE 102, 214 <220>).

Sprache im Sinne von § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG ist insbesondere die Muttersprache (BTDrucks 12/3212 S. 22). Unter Muttersprache wird allgemein die als Kind von den Eltern (oder sie ersetzenden Bezugspersonen) erlernte Sprache verstanden (vgl. Brockhaus, Enzyklopädie, 20. Auflage 1996; Brockhaus/ Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 1982; Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 2. Auflage 1989). Soweit in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (z.B. Urteil vom 3. November 1998 - BVerwG 9 C 4.97 - Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 90) zum Begriff der Muttersprache weitergehend davon ausgegangen worden ist, sie müsse "so vertieft worden (sein), dass sie auch im Erwachsenenalter entsprechend der Herkunft und dem Bildungsstand als die dem Betreffenden eigentümliche Sprache umfassend beherrscht wird", kann daran für § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG nicht festgehalten werden.

Der vom Bundesverwaltungsgericht zu § 6 BVFG a.F. entwickelte Begriff der bevorzugten Umgangssprache behält für § 6 Abs. 1 BVFG Bedeutung. Denn mit Sprache im Sinne dieser Bestimmungen soll das Bekenntnis zum deutschen Volkstum aktuell objektiv bestätigt werden. Das rechtfertigt es, auf die vorrangig benutzte Sprache abzustellen. Dagegen wird der Begriff der bevorzugten Umgangssprache dem geänderten Kontext des Begriffs der Sprache im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG nicht gerecht. Denn dafür kommt es nicht auf eine bevorzugt "benutzte" Umgangssprache an, sondern allein auf die von den Eltern, einem Elternteil oder anderen Verwandten vermittelte Sprache.

Die Sprache im Sinne von § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG muss "zumindest Gewicht" haben (BTDrucks 12/3212 S. 23). Der wesentliche Gesichtspunkt für Ausmaß und Intensität der Sprachvermittlung ergibt sich aus der geänderten Funktion der bestätigenden Merkmale in § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG. Da der Gesetzgeber in den vermittelten bestätigenden Merkmalen Sprache, Erziehung, Kultur die objektive Grundlage für eine deutsche Bewusstseinslage, für die Zugehörigkeit zum deutschen Volkstum sieht, setzt eine Sprachvermittlung voraus, dass die Eltern, ein Elternteil oder andere Verwandte ihre vorhandenen deutschen Sprachkenntnisse möglichst umfassend an das Kind weitergeben. Denn je intensiver deutsche Sprache vermittelt worden ist, umso tragfähiger ist die Grundlage für eine deutsche Bewusstseinslage. Das bedeutet aber nicht, dass dem Kind als Sprache nur oder jedenfalls überwiegend Deutsch vermittelt worden sein muss. Ein derart enges Verständnis kann weder dem Gesetz noch den Gesetzesmaterialien entnommen werden. Es würde auch an der Realität in den Aussiedlungsgebieten vorbeigehen. Denn wer nicht in reinen oder überwiegend deutschsprachigen Siedlungsgebieten aufgewachsen ist, musste realistischerweise, sollte er nicht "sprachlos" in Kinderkrippe, Kindergarten oder Schule kommen, bereits von Kindesbeinen an auch die Landessprache erlernen. Es reicht demnach aus, wenn das Kind im Elternhaus die deutsche Sprache und die Landessprache erlernt und gesprochen hat, also mehrsprachig aufgewachsen ist. Wurden dem Kind im Elternhaus Deutsch und die Landessprache vermittelt, hat sein späteres Bekenntnis zum deutschen Volkstum eine objektive, durch die Vermittlung der deutschen Sprache bis zur Selbständigkeit bestätigte Grundlage. Deutsch muss nicht vorrangig vor der Landessprache vermittelt worden sein. Denn von der Existenz anderer Landessprachen in den Herkunftsgebieten ausgehend verlangt der Gesetzgeber in § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG weder bei volkstumsmäßig verschiedenen noch bei volkstumsmäßig gleichen Eltern eine alleinige oder jedenfalls überwiegende deutsche Sprachvermittlung. Vielmehr genügt es, wenn die Eltern ihren Kindern die deutsche Sprache so beibringen und diese mit ihnen so sprechen, wie sie selbst diese beherrschen.

War die Vermittlung deutscher Sprache wegen der Verhältnisse im Herkunftsgebiet nicht möglich oder nicht zumutbar, gelten die Voraussetzungen nach Nummer 2 als erfüllt (§ 6 Abs. 2 Satz 2 BVFG). Hat die Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit nicht die ganze Zeit bis zur Selbständigkeit, aber doch für längere Zeit angedauert, so ist bei Ausmaß und Intensität der Sprachvermittlung zu Gunsten des Kindes zu berücksichtigen, dass sich die Sprachvermittlung nicht über die ganze Länge der Prägephase erstrecken konnte.

Auch wenn im Herkunftsgebiet die Vermittlung deutscher Sprache weder unmöglich noch unzumutbar war, ist doch zu berücksichtigen, dass eine Sprachvermittlung dort insbesondere in der unmittelbaren Nachkriegszeit, aber auch danach oft nur im Familienkreis und nur mit begrenzten Mitteln möglich war. So standen als Folge der Verschleppung und Vertreibung häufig keine Hilfsmittel wie Bücher zur Verfügung, so dass weitgehend keine visuelle, sondern nur eine auditive Sprachvermittlung möglich gewesen sein wird. Das erschwert die Sprachvermittlung. Auch Restriktionen in der Religionsausübung können sich erschwerend auf die deutsche Sprachvermittlung ausgewirkt haben.

Setzt demnach § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG nicht voraus, dass bestätigende Merkmale wie Sprache, Erziehung, Kultur beim Verlassen des Aussiedlungsgebietes vorliegen, ist vielmehr entscheidend, ob deutsche Sprache, Erziehung, Kultur vermittelt worden sind, so ist die Kenntnis deutscher Sprache zur Zeit der Aus- bzw. Einreise zwar kein Tatbestandsmerkmal, ihr kommt aber im Rahmen des Beweises als Indiz für eine frühere Vermittlung deutscher Sprache Bedeutung zu. Bei einem Rückschluss vom bei Aus- bzw. Einreise aktuellen Sprachvermögen bzw. -unvermögen auf zurückliegende Sprachvermittlung sind beispielsweise zu berücksichtigen die Dauer des Aufenthalts im Elternhaus, die Umstände der Sprachvermittlung im Elternhaus, die Sprachbegabung und der Bildungsstand des Betreffenden, die Dauer seit der Trennung vom Elternhaus, die Möglichkeit, Deutsch weiter zu sprechen.

Da das Oberverwaltungsgericht zum Grad und zur Dauer der Sprachvermittlung keine konkreten näheren Feststellungen getroffen, sondern ohne nähere Präzisierung lediglich festgestellt hat, die Klägerin zu 1 sei mehrsprachig aufgewachsen, im Übrigen aber von seinem Rechtsstandpunkt aus zur behaupteten Sprachvermittlung in der Familie wegen fehlender Entscheidungserheblichkeit lediglich die Aussage getroffen hat, diese Tatsache könne "als wahr unterstellt" werden, kann darauf eine revisionsgerichtliche Entscheidung nicht gestützt werden. Das ebenso wie die fehlenden Feststellungen zum Vorliegen eines Bekenntnisses nötigt zur Zurückverweisung der Sache an das Oberverwaltungsgericht.

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 32 000 DM festgesetzt (§ 13 Abs. 1, § 14 Abs. 1 GKG).



Ende der Entscheidung

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