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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 22.09.1999
Aktenzeichen: BVerwG 6 B 135.98
Rechtsgebiete: GG, WPflG, VwGO, StGB, JWG, KJHG, BGB


Vorschriften:

GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 6 Abs. 1
WPflG § 24 Abs. 3
WPflG § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3
VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 1
StGB § 11 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b)
JWG §§ 27 ff.
KJHG § 33
BGB §§ 1591 - 1593
BGB § 1630
BGB § 1741
BGB § 1752
BGB § 1767
BGB § 1773
Leitsatz:

Der Umstand, daß der natürliche Bruder und ein sog. Pflegebruder den Grundwehrdienst bei der Bundeswehr bereits geleistet haben, begründet keinen Anspruch des sog. Dritt-Bruders auf Befreiung vom Wehrdienst.

Beschluß des 6. Senats vom 22. September 1999 - BVerwG 6 B 135.98 -

I. VG Karlsruhe vom 14.10.1998 - Az.: VG 4 K 669/97 -


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

BVerwG 6 B 135.98 VG 4 K 669/97

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 22. September 1999 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Niehues und die Richter Albers und Dr. Graulich

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 14. Oktober 1998 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 8 000 DM festgesetzt.

Gründe:

Die allein auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg. Der vorliegenden Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne der vorgenannten Vorschrift zu.

Mit der Beschwerdebegründung wird sinngemäß die Frage aufgeworfen, ob es mit Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist, daß die mit § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 WPflG angestrebte Familienentlastung nur eintrete, wenn Geschwister, uneheliche Kinder der Mutter oder Adoptivbrüder Grundwehrdienst bzw. zweijährigen Wehrdienst geleistet haben, nicht jedoch, wenn (auch) ein Cousin als Verwandter in der Seitenlinie, der als sog. Pflegekind in der Familie des Wehrpflichtigen aufgewachsen ist, Grundwehrdienst oder zweijährigen Wehrdienst geleistet habe.

Der Senat kann dahingestellt lassen, ob die Frage noch klärungsfähig ist, nachdem der Kläger nicht mehr der Wehrüberwachung unterliegt (§ 24 Abs. 3 WPflG) und deshalb sein Rechtsschutzinteresse für die Klage entfallen sein könnte. Die Frage ist jedenfalls eindeutig anhand einschlägiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu beantworten, ohne daß es der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf.

Der Umstand, daß der natürliche Bruder und ein sog. Pflegebruder den Grundwehrdienst bei der Bundeswehr bereits abgeleistet haben, begründet keinen Anspruch auf Befreiung vom Wehrdienst, denn der Pflegebruder findet dabei keine Anrechnung. Die Regelung in § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 WPflG über die Befreiung von "Dritt-Brüdern" vom Wehrdienst ist in der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eng i.S.d. familienrechtlichen Bedeutung von "Bruder" ausgelegt worden; dies ergibt sich über die Methode nach Wortlaut und Systematik hinaus insbesondere aus der Entstehungsgeschichte der Norm (vgl. Urteile vom 8. November 1996 - BVerwG 8 C 21.96 - und vom 14. März 1997 - BVerwG 8 C 22.96 - Buchholz 448.0 § 11 WPflG Nr. 39 und Nr. 40). Um so weniger verlangt die rechtliche Beurteilung des von der Klägerseite verwandten Begriffs "Pflegebruder" eine gegenteilige Betrachtung, denn Ausnahmeregelungen sind eng auszulegen.

Die familienrechtlichen Regelungen als Bezugspunkt sind nicht sachwidrig. Dafür spricht schon der Grund der Rechtsklarheit (vgl. §§ 1591 - 1593, 1752 BGB). Demgegenüber sind Pflege- und Vormundschaftsverhältnisse für den Regelfall, an den der Gesetzgeber anzuknüpfen hat, nicht mit der familienrechtlichen Abstammung vergleichbar. Anders als die Annahme als Kind (§§ 1741, 1767 BGB) setzen sie nicht das Be- bzw. Entstehen eines Eltern-Kind-Verhältnisses voraus (vgl. § 33 KJHG, § 1773 BGB). (Vollzeit-)Pflege und Vormundschaft können daher neben ein Eltern-Kind-Verhältnis treten und müssen nicht auf Dauer gerichtet sein.

Der Begriff "Plegebruder" ist dem Wehrpflichtgesetz unbekannt. Innerhalb der Rechtsordnung wird er nicht einheitlich verwandt, weshalb auch eine Norminterpretation des § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 WPflG von außen her nicht in Betracht kommt. So kann nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch eine Pflegefamilie vom Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG erfaßt werden, jedoch nur unter der Voraussetzung eines länger andauernden Pflegeverhältnisses (BVerfGE 68, 176, 187; 79, 51, 60). Das Pflegeverhältnis in § 1630 BGB wiederum ist rechtlich in verschiedenartiger Weise auszugestalten und somit uneinheitlich (vgl. Palandt, BGB, 58. Aufl., 1999, § 1630 Rn. 6 ff.). Es endet regelmäßig mit Erlangung der Volljährigkeit (§§ 1918, 1919 BGB). Dies alles vermag die eindeutige gesetzliche Aussage des § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 WPflG nicht zu verändern. Anderes zu regeln, wäre Aufgabe des Gesetzgebers.

In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist im übrigen geklärt, daß die mit der "Dritt-Söhne-Regelung" angestrebte Familienentlastung auch verfassungsrechtlich nicht geboten ist. Sie erweitert vielmehr den Familienschutz über das durch Art. 6 Abs. 1 GG geforderte Maß hinaus. Daß der Gesetzgeber den Kreis der begünstigten Familien hätte weiter ziehen müssen, kann deswegen nicht aus der Verfassung hergeleitet werden (Urteile vom 8. November 1996 - BVerwG 8 C 21.96 - und vom 14. März 1997 - BVerwG 8 C 22.96 - a.a.O.). Es stellt auch keine gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßende Ungleichbehandlung dar, nur solche Wehrpflichtige auf Antrag freizustellen, deren beide Geschwister im familienrechtlichen Sinn bereits Grundwehrdienst, Zivildienst oder zweijährigen Wehrdienst als Zeitsoldat geleistet haben. Nach der ständigen Rechtsprechung beläßt Art. 3 Abs. 1 GG dem Gesetzgeber eine sehr weitgehende Gestaltungsfreiheit. Mit Blick auf den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ist nicht zu prüfen, ob der Gesetzgeber die gerechteste und zweckmäßigste Regelung getroffen hat, sondern allein, ob die äußeren Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit gewahrt sind. Bei der Bestimmung des Personenkreises, auf den eine gesetzliche Regelung Anwendung finden soll, steht dem Gesetzgeber im Rahmen der Grundwertentscheidung der Verfassung ein weiter Spielraum zu. Dieser ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts namentlich bei einer rechtsgewährenden Regelung besonders weit. Eine derartige Regelung stellt die in § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 WPflG vorgesehene Ausnahme von der grundsätzlich allen männlichen Bürgern der Bundesrepublik Deutschland auferlegten allgemeinen Wehrpflicht dar (Urteil vom 14. März 1997 - BVerwG 8 C 22.96 - a.a.O.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Werts des Streitgegenstandes folgt aus § 13 Abs. 1 Satz 2, § 14 Abs. 1 und 3 GKG.

Ende der Entscheidung

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