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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 02.06.2000
Aktenzeichen: BVerwG 6 B 29.00
Rechtsgebiete: WPflG


Vorschriften:

WPflG § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3
Leitsatz:

Bei der "Dritt-Brüder-Regelung" in § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 WPflG handelt es sich um eine abschließende Regelung, die auch mit Blick auf die deutsche Vereinigung und die Situation in den neuen Bundesländern keine im Wege der Analogie ausfüllungsbedürftige Lücke enthält und die mit dem Gleichheitssatz vereinbar ist.

Beschluß des 6. Senats vom 2. Juni 2000 - BVerwG 6 B 29.00 -

I. VG Chemnitz vom 12.01.2000 - Az.: VG 5 K 2143/98 -


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

BVerwG 6 B 29.00 VG 5 K 2143/98

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 2. Juni 2000 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Niehues, die Richterin Eckertz-Höfer und den Richter Büge

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 12. Januar 2000 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 8 000 DM festgesetzt.

Gründe:

Die allein auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg. Der vorliegenden Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne der vorgenannten Vorschrift zu.

1. Dies gilt zunächst, soweit der Kläger seine Befreiung vom Wehrdienst gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 WPflG in bezug auf seinen Bruder Jens anstrebt. Dieser hat nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts in der Zeit vom 26. August 1988 bis 30. September 1990, also über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren, Wehrdienst als Soldat auf Zeit in der NVA der DDR geleistet. Er kann daher nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift nicht zugunsten des Klägers Berücksichtigung finden, weil danach die Dauer des Wehrdienstes derjenigen Geschwister, die Soldaten auf Zeit waren, zwei Jahre nicht überschritten haben darf. Die analoge Anwendung der Vorschrift scheidet aus. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht bereits in einem vergleichbaren Fall entschieden (Urteil vom 14. März 1997 - BVerwG 8 C 22.96 - Buchholz 448.0 § 11 WPflG Nr. 40). Wie dort im einzelnen ausgeführt ist, handelt es sich bei § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 WPflG um eine abschließende Regelung, die gerade auch mit Blick auf die deutsche Vereinigung und die Situation in den neuen Bundesländern keine im Wege der Analogie ausfüllungsbedürftige Lücke enthält und die mit dem Gleichheitssatz vereinbar ist.

Soweit dagegen in der Beschwerdebegründung eingewandt wird, auch Berufssoldaten müßten zunächst den Grundwehrdienst ableisten und eine Entscheidung über den Verbleib in der Armee werde in den meisten Fällen erst nach Ableistung des Grundwehrdienstes getroffen, wird der Sinn der zugleich typisierenden und differenzierenden Regelung in § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 WPflG verkannt. Wenn der Gesetzgeber im Rahmen der "Dritt-Brüder-Regelung" Grundwehrdienst und Zivildienst von der jeweiligen gesetzlichen Dauer stets, Wehrdienst von Soldaten auf Zeit aber nur bei einer Höchstdauer von zwei Jahren berücksichtigt wissen will, so bringt er damit zum Ausdruck, daß er einen länger dauernden Wehrdienst bei dieser Soldatengruppe nicht mehr ausschließlich als Dienst an der Gemeinschaft, sondern als am individuellen beruflichen Fortkommen orientierte Tätigkeit wertet, welche eine familienpolitisch motivierte Privilegierung nicht gebietet. Daß der Gesetzgeber bei dieser Überlegung auch die Situation solcher Geschwister im Auge hatte, die als Soldaten auf Zeit Wehrdienst in der NVA geleistet haben, hat das Bundesverwaltungsgericht in der zitierten Entscheidung ebenfalls dargelegt.

2. Der vorliegenden Sache kommt ferner grundsätzliche Bedeutung nicht zu, soweit der Kläger seine Befreiung vom Wehrdienst gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 WPflG in bezug auf seinen Bruder André geltend macht.

a) Auch insofern trifft die Auffassung des Verwaltungsgerichts, der Bruder könne nicht berücksichtigt werden, offensichtlich zu.

Der Bruder André war ausweislich des vom Kläger vorgelegten Schreibens des Bundesamtes für den Zivildienst vom 30. Oktober 1998 seit 7. Juni 1990 anerkannter Kriegsdienstverweigerer; er wurde mit Einberufungsbescheid vom 26. Juli 1990 zur Ableistung des Zivildienstes vom 3. September 1990 bis 30. August 1991 einberufen; die Einberufung erfolgte auf der Grundlage der zu diesem Zeitpunkt noch gültigen, im Februar 1990 erlassenen Zivildienstordnung der DDR, in welcher eine Dienstzeit von zwölf Monaten vorgesehen war. Wie das Bundesamt im zitierten Schreiben weiter mitteilt, wurde nach der Wiedervereinigung die Dienstzeit der bereits im Dienst befindlichen Dienstpflichtigen nicht entsprechend dem Recht der Bundesrepublik Deutschland verlängert.

Eine Berücksichtigung des Bruders André gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 WPflG scheidet danach aus. Nach dieser Vorschrift muß der Bruder Zivildienst "von der in § 24 Abs. 2 des Zivildienstgesetzes bestimmten Dauer" geleistet haben. Maßgeblich ist daher in jedem Fall die durch das Zivildienstgesetz der Bundesrepublik Deutschland bestimmte Dauer des Zivildienstes. Stellt man insoweit auf den Zivildienst in der jetzt angeordneten Länge ab (Steinlechner, Wehrpflichtgesetz, 5. Aufl. 1996, § 11 Rn. 55), so beträgt die maßgebliche Dauer des Zivildienstes 13 Monate (§ 5 Abs. 1 Satz 4 WPflG i.V.m. § 24 Abs. 2 Satz 1 ZDG i.d.F. der Bekanntmachung vom 28. September 1994, BGBl I S. 2811, und der Änderung vom 21. September 1997, BGBl I S. 2390). Diesen Zeitraum hat der Bruder André um einen Monat unterschritten. Die notwendige Zivildienstdauer erreicht er aber auch dann nicht, wenn man im Rahmen von § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 WPflG auf diejenige Gesetzesfassung abstellt, die im Zeitraum der Ableistung des Dienstes durch den Bruder galt (Boehm-Tettelbach, Wehrpflichtgesetz, § 11 Rn. 18 f). Der Bruder André, der noch nach den gesetzlichen Bestimmungen der DDR am 3. September 1990 seinen Zivildienst angetreten hatte, galt am Tage der deutschen Vereinigung als anerkannter Kriegsdienstverweigerer im Sinne des Kriegsdienstverweigerungsgesetzes, auf den ab sofort das Zivildienstgesetz des Bundes anzuwenden war (Anl. I Kapitel X Sachgebiet C Abschn. III des Einigungsvertrages, BGBl II 1990 S. 1074). Danach belief sich die Dauer des Zivildienstes für den Bruder André - genauso wie damals für alle Zivildienstpflichtigen im vereinigten Deutschland - auf 15 Monate (§ 5 Abs. 1 Satz 4 WPflG i.V.m. § 24 Abs. 2 Satz 1 ZDG i.d.F. des am 1. Oktober 1990 in Kraft getretenen Gesetzes zur Regelung der Dauer des Grundwehrdienstes und des Zivildienstes vom 26. November 1990, BGBl I S. 2520). Der Bruder André hat aber nur zwölf Monate lang Zivildienst geleistet. Daß er seinerzeit aus von ihm nicht zu vertretenen Gründen vorzeitig entlassen wurde, kann nicht dazu führen, daß der Kläger entgegen dem eindeutigen Wortlaut des § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 WPflG begünstigt wird (vgl. Beschluß vom 1. Juni 1995 - BVerwG 8 B 27.95 - Buchholz 448.0 § 11 WPflG Nr. 37). Eine Analogie kommt auch hier wegen Fehlens einer Gesetzeslücke nicht in Betracht. Art. 3 Abs. 1 GG ist nicht verletzt, weil der Kläger genauso behandelt wird wie andere Wehrpflichtige in den alten wie den neuen Bundesländern, deren Brüder den Grundwehrdienst oder den Zivildienst vor Ablauf der regulären Dauer beendet haben.

b) Soweit es um die Berücksichtigung des Bruders André im Rahmen von § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 WPflG geht, kommt der vorliegenden Rechtssache noch aus einem weiteren Grunde keine grundsätzliche Bedeutung zu. Die Zivildienstordnung der DDR, welche im Falle des Bruders André noch zum Tragen kam, ist im Februar 1990 erlassen worden, acht Monate vor der Vereinigung der beiden deutschen Staaten. Die Zahl der Personen, die noch vor der Vereinigung ihren Zivildienst in der DDR angetreten haben und heute noch einem jüngeren Bruder einen Befreiungsanspruch nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 WPflG vermitteln können, ist daher als nur gering zu veranschlagen. Insofern könnte die Befassung des Bundesverwaltungsgerichts mit der Sache des Klägers nur der Herstellung von Einzelgerechtigkeit dienen. Dies reicht jedoch für die Zulassung der Grundsatzrevision nicht aus, deren Aufgabe in der Klärung von Rechtsfragen von über den Einzelfall hinausreichender Tragweite aus Gründen der Rechtsvereinheitlichung und Rechtsfortbildung besteht.

3. Der Senat sieht sich veranlaßt, die Beteiligten auf folgendes hinzuweisen: Die Beklagte hat sich im Widerspruchsbescheid vom 25. September 1998 - abweichend von der Auffassung des Verwaltungsgerichts im angefochtenen Urteil - auf den Standpunkt gestellt, daß es im Rahmen von § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 WPflG auf die gegenwärtige Dauer des Zivildienstes (z.Z. noch 13 Monate) ankommt. Dies kann sich - mit Blick auf den Bruder André sowie in Anbetracht des dritten Bruders René, der Zivildienst unstreitig in der nach § 24 Abs. 2 ZDG bestimmten Dauer geleistet hat - ab 1. Juli 2000 im Ergebnis zugunsten des Klägers auswirken, weil dann § 24 Abs. 2 Satz 1 ZDG i.d.F. des Gesetzes vom 22. Dezember 1999, BGBl I S. 2534, gilt, wonach der Zivildienst nur noch einen Monat länger als der Grundwehrdienst dauert. Der Kläger mag erwägen, ob er nach rechtskräftigem Abschluß dieses Verfahrens durch den vorliegenden Senatsbeschluß erneut einen Befreiungsantrag stellt (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG).

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 2, § 14 Abs. 1 und 3 GKG.



Ende der Entscheidung

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