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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 12.11.1997
Aktenzeichen: BVerwG 6 C 11.96
Rechtsgebiete: GG, VwGO


Vorschriften:

GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 12 Abs. 1
VwGO § 113
Urteil des 6. Senats vom 12. November 1997 - BVerwG 6 C 11.96

Leitsatz:

Hat das Verwaltungsgericht einen Fehler des Prüfers festgestellt (hier: Mißverstehen der Äußerungen des Prüflings), ist es ihm verwehrt, einen anderen Fehler oder eine andere Art von Fehler für denselben Teil der Prüfungsleistung festzustellen, um sodann die eigenständige Bewertung zu treffen, dieser Fehler wiege gleich schwer oder sei gar noch schwerer als derjenige, den der Prüfer fehlerhaft angenommen habe. Mit dieser Erwägung läßt sich die Kausalität des Fehlers für das Prüfungsergebnis nicht ausschließen.

I. VG Berlin vom 28.06.1995 Az.: VG 12 A 192.94 II. OVG Berlin vom 21.02.1996 - Az.: OVG 7 B 23.95


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 6 C 11.96 OVG 7 B 23.95

Verkündet am 12. November 1997

Cremer Justizhauptsekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 12. November 1997 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Niehues und die Richter Dr. Seibert und Albers, die Richterin Eckertz-Höfer und den Richter Büge

für Recht erkannt:

Die Urteile des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 21. Februar 1996 und des Verwaltungsgerichts Berlin vom 28. Juni 1995 werden geändert.

Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 5. Juli 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. März 1994 verpflichtet, über das Ergebnis der ersten juristischen Staatsprüfung des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts erneut zu entscheiden.

Die weitergehende Revision des Klägers und die weitergehende Berufung des Beklagten werden zurückgewiesen.

Der Kläger und der Beklagte tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte.

G r ü n d e :

I.

Die Beteiligten streiten um eine nicht bestandene erste juristische Staatsprüfung.

Der Kläger studiert Rechtswissenschaften. Er unterzog sich im Jahre 1993 der ersten juristischen Staatsprüfung. Für seine vier Klausurarbeiten erhielt er insgesamt 20 Punkte. Zwei Wochen vor der Prüfung teilte ihm das Prüfungsamt die vorläufige Bewertung seiner Hausarbeit durch drei der vier Korrektoren mit. Sie lautete jeweils auf 3 Punkte. Die vierte Bewertung, die auf 2 Punkte lautete, wurde ihm erst am 30. Juni 1993 während des Vorstellungsgesprächs beim Prüfungsvorsitzenden mitgeteilt. In der mündlichen Prüfung am 2. Juli 1993 erzielte der Kläger in fünf Fächern insgesamt 11 Punkte. Die Hausarbeit wurde vom Prüfungsausschuß abschließend mit 3 Punkten bewertet. Daraufhin wurde die Prüfung durch Bescheid vom 5. Juli 1993 für nicht bestanden erklärt, weil die erzielte Gesamtnote von 3,48 Punkten den für ein Bestehen erforderlichen Wert von 4,0 Punkten nicht erreichte.

Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch. Er rügte unter anderem Fehler bei der Bewertung der strafrechtlichen Hausarbeit und weiterhin, daß ihm die vorläufige Bewertung durch den Viertkorrektor nicht fristgerecht mitgeteilt worden sei. Ferner machte er geltend, in der mündlichen Prüfung nicht prüfungsfähig gewesen zu sein. Die Prüfer blieben jedoch bei ihrer Bewertung. Der Widerspruch wurde daher durch Bescheid vom 4. März 1994 zurückgewiesen.

Das vom Kläger angerufene Verwaltungsgericht hat den Beklagten durch Urteil vom 28. Juni 1995 unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides verpflichtet, über das Ergebnis der ersten juristischen Staatsprüfüng unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Einen ursächlichen Verfahrensfehler und eine rechtlich beachtliche Prüfungsunfähigkeit hat es zwar verneint. Wegen eines "Bewertungsfehlers", dessen Kausalität für die Bewertung der Hausarbeit und das Ergebnis der Prüfung insgesamt nicht auszuschließen sei, müsse aber eine Neubewertung der Hausarbeit vorgenommen werden, und zwar durch andere Prüfer, weil zu besorgen sei, daß die bisherigen Prüfer nicht mehr die gebotene innere Distanz und Unvoreingenommenheit aufbrächten.

Hiergegen haben der Kläger, dieser wegen seiner erfolglos gebliebenen Rügen, wie auch der Beklagte Berufung eingelegt. Durch Urteil vom 21. Februar 1996 hat das Oberverwaltungsgericht der Berufung des Beklagten stattgegeben und die Klage abgewiesen. Es hat zwar auch den vom Verwaltungsgericht angenommenen Korrekturfehler als erwiesen angesehen; der Erstkorrektor sei zu Unrecht davon ausgegangen, daß der Kläger einen bestimmten Anspruch bejaht habe; der nach der Aufgabenstellung zu verneinen gewesen wäre. Es hat jedoch die Kausalität dieses Fehlers für die Bewertung verneint, und zwar sowohl für den davon betroffenen - und nach Auffassung des Berufungsgerichts "völlig unbrauchbaren" - Teil der Hausarbeit als auch für die Benotung der Hausarbeit im Ganzen; der Abschnitt der Prüfungsarbeit, auf den sich die beanstandeten Korrekturbemerkungen bezögen, sei vom Erstzensor im Ergebnis zu Recht mit den Umschreibungen "verfehlter Ausgangspunkt", "reiner Leerlauf", "grober Denkfehler" und "Darlegungen führen ins Bodenlose" bewertet worden. Denn die davon betroffenen Ausführungen des Klägers seien aus anderen Gründen fehlerhaft und überflüssig. Sie stellten keine brauchbare oder vertretbare Lösung dar, müßten vielmehr als Behandlung eines Scheinproblems angesehen werden. Der Unterschied zwischen der (denkbar) zutreffenden und der (tatsächlich) unzutreffenden Beanstandung sei nur unwesentlich. Die vom Erstzensor erhobenen Vorwürfe hätten so gesehen einen richtigen Kern. Dem beanstandeten Korrekturfehler komme daher kein erhebliches Gewicht für die Gesamtbewertung der Hausarbeit zu. Dafür spreche auch der nur geringe Anteil am Gesamtumfang der Begründung des Erstgutachtens: Auch für einen weiteren Korrekturfehler des Viertkorrektors hat das Berufungsgericht die Kausalität verneint; dieser Fehler habe die vorhergehende Bewertung durch die ersten drei Korrektoren nicht beeinflussen können; die abweichende Bewertung (2 Punkte) dieses Prüfers habe sich jedenfalls nicht durchgesetzt. Eine Voreingenommenheit der Prüfer hat das Berufungsgericht verneint. Ansonsten hat es die Auffassung des Verwaltungsgerichts geteilt.

Wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache hat der Senat die Revision zugelassen. Mit ihr rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts und beantragt, die beiden von ihm angefochtenen Urteile zu ändern, die Berufung des Beklagten zurückzuweisen und diesen unter weiteren Gesichtspunkten zur Neubescheidung zu verpfichten.

Zur Begründung macht der Kläger geltend: Die Kausalitätsprüfung durch das Berufungsgericht sei fehlerhaft. Werde ein Korrekturfehler festgestellt, müsse es für die Aufhebung der Prüfungsentscheidung ausreichen, wenn die Ursächlichkeit des Fehlers für die Entscheidung über das Ergebnis der Prüfung nicht ausgeschlossen werden könne. Hingegen dürfe die Kausalität vom Gericht nicht aufgrund einer von ihm selbst durchgeführten Leistungsbewertung verneint werden. Das aber sei hier geschehen. Auch die Kausalität des gerügten Verfahrensfehlers habe das Berufungsgericht zu Unrecht verneint. Unzutreffend sei ferner die Auffassung, daß er sich, weil er dies nicht unverzüglich geltend gemacht habe, nicht mehr auf eine Prüfungsunfähigkeit berufen könne. Nachdem er während der mündlichen Prüfung zum Ausdruck gebracht habe, daß er fertig sei und nicht mehr könne, er wolle in Ruhe gelassen werden, hätten zumindest Zweifel an der Prüfungsfähigkeit entstehen müssen. Ihnen habe der Prüfungsvorsitzende seiner Fürsorgepflicht gemäß von Amts wegen nachgehen müssen.

Der Beklagte tritt der Revision entgegen. Er meint, das Berufungsgericht habe zu Recht geprüft, ob sich die Fehler der Prüfer auf die Benotung hätten auswirken können. Dies habe es verneinen dürfen, weil die Fehler ersichtlich nicht ins Gewicht gefallen seien; auch sei hiervon ein objektiv fehlerhafter Teil der Hausaufgabe betroffen gewesen, der für eine positive Bewertung nichts habe hergeben können. Auswirkungen auf die Benotung seien daher auszuschließen.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bestand wegen des Ausscheidens des Erstkorrektors aus dem Prüfungsamt Einigkeit darüber, daß dieser an einer etwaigen Neubewertung nicht mehr zu beteiligen wäre; der Kläger hat erklärt, den Befangenheitsvorwurf gegenüber den anderen Prüfern nehme er zurück.

II.

Die Revision ist nach erfolgter Wiedereinsetzung (§ 60 VwGO) in die versäumte Frist zur Begründung der Revision (§ 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO) zulässig und auch zum Teil begründet. Sie führt im wesentlichen zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Der Kläger hat Anspruch auf Neubewertung seiner Hausarbeit. Lediglich ist nach der Zurücknahme des Befangenheitsvorwurfs die Neubewertung nicht durch andere Prüfer, sondern - mit Ausnahme des aus dem Prüfungsamt ausgeschiedenen und nach Landesrecht deshalb nicht mehr zu beteiligenden Erstkorrektors - durch dieselben Prüfer vorzunehmen (vgl. Urteil vom 9. Dezember 1992 - BVerwG 6 C 3.92 Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 307). Das weitergehende Begehren des Klägers ist nicht begründet.

1. Soweit die Revision erneut als Verfahrensfehler rügt, daß die vorläufige Bewertung durch den Viertkorrektor unter Verletzung zwingenden Rechts nicht fristgerecht mitgeteilt worden sei, kann sie damit im Ergebnis keinen Erfolg haben. Das Berufungsgericht hat einen solchen Rechtsfehler zwar angenommen; es hat jedoch die Kausalität dieses Fehlers für die Prüfungsentscheidung verneint, weil ausgeschlossen werden könne, daß er sich auf das Prüfungsergebnis ausgewirkt habe. Eine solche Kausalitätsprüfung bei Verfahrensfehlern vorzunehmen, begegnet keinen Bedenken. Vielmehr entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, daß ein Verfahrensfehler im Prüfungsverfahren grundsätzlich nur dann zur Aufhebung der Prüfungsentscheidung führen kann, wenn er wesentlich ist und somit ein Einfluß auf das Prüfungsergebnis nicht ausgeschlossen werden kann (Beschluß vom 12. November 1971 - BVerwG 7 B 71.70 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 45, stRspr; vgl. auch BVerfGE 84, 34, 55).

Auch das Ergebnis dieser Überprüfung läßt Rechtsfehler nicht erkennen. Das Berufungsgericht hat die Kausalität verneint.

Es meint, dem Kläger sei die vorläufige Bewertung durch die ersten drei Korrektoren rechtzeitig mitgeteilt worden, so daß der noch ausstehenden Note keine entscheidende Bedeutung mehr habe zukommen können. Diese Begründung erscheint bei der gegebenen Sachlage zutreffend:

Unstreitig ist dem Kläger die vorläufige Bewertung seiner Hausarbeit durch drei von vier Prüfern mit dem Ergebnis "mangelhaft (3 Punkte)" rechtzeitig bekanntgegeben worden. Hiervon ausgehend ist nicht nachvollziehbar, wieso er - wie er in den Tatsacheninstanzen vorgetragen, aber in Einzelheiten nicht weiter belegt hat - durch die vierte vorläufige Beurteilung mit "mangelhaft (2 Punkte)" derart nachhaltig hätte "geschockt" werden können, daß sich dies noch zwei Tage später auf seine Prüfungsleistungen wesentlich ausgewirkt hätte. Auch dem Kläger mußte ohne weiteres klar sein, daß der geringfügige Unterschied zu den drei vorausgegangenen Bewertungen an dem bis dahin zu erwartenden Gesamtergebnis der Bewertung der Hausarbeit mit "mangelhaft (3 Punkte)" ersichtlich nichts würde ändern können. Denn über die endgültige Bewertung hatte der mit vier Mitgliedern besetzte Prüfungsausschuß mit Stimmenmehrheit zu entscheiden (§ 17 Abs. 2 Satz 1 und 2 JAG 1982).

2. Ohne Erfolg greift die Revision auch die Ausführungen des Berufungsgerichts an, daß der Kläger eine Prüfungsunfähigkeit entsprechend § 16 Abs. 1 JAO 1982 unverzüglich hätte geltend machen und nachweisen müssen. Im einzelnen hat das Berufungsgericht hierzu ausgeführt: Eine krankheitsbedingte Prüfungsunfähigkeit könne generell nur als genügende Entschuldigung angesehen werden, wenn sie unverzüglich geltend gemacht und durch die Vorlage eines amtsärztlichen Zeugnisses nachgewiesen werde. Eine Krankheit aber habe der Kläger zu keinem Zeitpunkt dargetan und belegt. Die von ihm aufgezeigten Indizien seien nicht geeignet, dem Gericht die hinreichende Überzeugung vom Vorliegen einer Prüfungsunfähigkeit zu vermitteln und den fehlenden Nachweis zu ersetzen. Sie deuteten eher darauf hin, daß der Kläger einer rechtlich unbeachtlichen Examenspsychose ausgeliefert gewesen sei. Für die Prüfer habe es nicht nahegelegen, die Ursachen der Verhaltensauffälligkeiten in einer Erkrankung zu sehen und dem weiter nachzugehen.

Auch diese Ausführungen lassen einen Rechtsfehler, der zur Aufhebung des Berufungsurteils führen könnte, nicht erkennen. Zu Unrecht weist der Kläger in diesem Zusammenhang auf die Fürsorgepflicht der Prüfungskommission hin, die in Ausnahmefällen die Mitwirkungspflicht des Prüflings überlagern kann. Erklärt der Prüfling in der Prüfung, daß er "nicht mehr könne": oder daß er "in Ruhe gelassen werden wolle", so mag dies zwar auch Ausdruck einer psychischen und physischen Erschöpfung sein können, die die Prüfungsfähigkeit in Frage stellt. Entgegen der Auffassung des Klägers muß der Prüfungsvorsitzende dem aber nicht ohne weiteres von sich aus etwa in der Weise nachgehen, daß er eine umgehende ärztliche Untersuchung veranlaßt.

Insbesondere folgt auch nichts anderes aus der Rechtsprechung des Senats zu den Grenzen der Pflicht zur unverzüglichen Rüge bei rechtserheblichen Mängeln im Prüfungsverfahren, die (wie z.B. Lärm oder Unruhe im Prüfungsraum) je nach ihren individuell-subjektiven Auswirkungen geeignet sein können, die Leistungsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen. Auch insoweit hat der Senat wiederholt entschieden, daß, solange es zwar möglich, aber zweifelhaft sei, ob eine erhebliche Beeinträchtigung und damit eine Verletzung der Chancengleichheit besorgt werden müsse, das Prüfungsamt auf die Mitwirkung des Prüflings angewiesen sei; eine entsprechende Rüge des Prüflings sei dann als erforderlich und zumutbar anzusehen (Urteil vom 11. August 1993 - BVerwG 6 C 2.93 BVerwGE 94, 64, 73). Die unverzügliche Geltendmachung sei nur dann entbehrlich, wenn diese Gründe unter den gegebenen Umständen nicht nur erkennbar, sondern darüber hinaus offensichtlich und zweifelsfrei seien (Urteil vom 11. August 1993 a.a.O. S. 72 f.; Beschluß vom 10. August 1994 - BVerwG 6 B 60.93 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 336). Nichts grundsätzlich anderes kann für psychische und andere gesundheitliche Beeinträchtigungen gelten. Auch hier kann die Mitwirkungspflicht des Prüflings, die diesem eine Erklärung des Rücktritts, ein unverzügliches Geltendmachen von Rücktrittsgründen und die Beibringung entsprechender Nachweise auferlegt, allenfalls in Fällen der offensichtlichen und zweifelsfreien Beeinträchtigung durch die Fürsorgepflicht der Prüfungsbehörde gleichsam überlagert und damit reduziert sein.

Ein derartiger Ausnahmefall hat hier aber nicht vorgelegen. Nach den mit der Revision nicht angegriffenen Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts sind die vom Kläger nachträglich herangezogenen Indizien für die angebliche Prüfungsunfähigkeit nicht nur ungeeignet, den fehlenden Nachweis zu ersetzen oder dem Gericht die hinreichende Überzeugung vom Vorliegen einer Prüfungsunfähigkeit zu vermitteln. Sie deuten nach Auffassung des Gerichts sogar eher darauf hin, daß der Kläger einer rechtlich unbeachtlichen Examenspsychose ausgeliefert gewesen sei. Deshalb habe für die Mitglieder der Prüfungskommission nicht nahegelegen, daß die Ursachen der vom Kläger gezeigten Verhaltensauffälligkeiten in einer Erkrankung im Sinne von § 16 Abs. 1 Satz 3 JAO 1982 gelegen haben könnten. Lag dies aber aus der auch für das Gericht maßgeblichen Sicht eines objektiven Prüfers nicht einmal nahe, konnte dies bei der Prüfung des Klägers erst recht nicht offensichtlich oder zweifelsfrei sein. Dann aber konnte in der Fortsetzung der Prüfung nicht eine zur Rechtswidrigkeit führende Verletzung der Fürsorgepflicht liegen. Daher hätte der Kläger die behauptete Prüfungsunfähigkeit unverzüglich geltend machen und nachweisen müssen, was er jedoch nicht getan hat.

3. Die Prüfungsentscheidung des Beklagten ist jedoch fehlerhaft, weil den Prüfern bei der Korrektur und Bewertung der Hausarbeit Fehler unterlaufen sind. Auswirkungen auf die abschließende Bewertung der Hausarbeit und die Entscheidung über das Bestehen der Prüfung sind zumindest für einen dieser Fehler nicht mit hinreichender Gewißheit auszuschließen.

a) Der Erstkorrektor der Hausarbeit ist nach den das Revisionsgericht bindenden Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts zu Unrecht davon ausgegangen, daß der Kläger bei der Bearbeitung des strafrechtlichen Falles einen Anspruch des betrügerischen Versicherungsnehmers gegen die Versicherung in Höhe des wahren Wertes eines überversicherten Bildes angenommen habe, dessen Diebstahl der Täter nach der Aufgabenstellung nur vorgetäuscht hatte. Der Prüfer hatte jedoch - wie das Berufungsgericht weiter bindend festgestellt hat - die Ausführungen des Klägers mißverstanden. Der Fehler liegt hiernach darin, daß der Prüfer von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist. In einem solchen Fall ist die Bewertung der Prüfungsleistung offensichtlich fehlerhaft, ohne daß es dabei auf den Bewertungsspielraum der Prüfer und den Antwortspielraum des Prüflings weiter ankommt (dazu im einzelnen: Niehues, Prüfungsrecht, 3. Auflage 1994, Rn. 335, 399 ff.).

b) Dem Berufungsgericht ist dem Grundsatz nach darin zuzustimmen, daß die Gerichte auch nach der Feststellung materieller Prüfungsfehler in der Gestalt von Korrektur- oder Bewertungsfehlern zu prüfen haben, ob Auswirkungen dieser Fehler auf das Ergebnis der Prüfungsentscheidung nicht ausgeschlossen werden können. Sind solche Auswirkungen mit der erforderlichen Gewißheit auszuschließen, so folgt - wie bei unwesentlichen Verfahrensfehlern - aus dem Grundsatz der Chancengleichheit, daß ein Anspruch auf Neubewertung nicht besteht, weil sich die Prüfungsentscheidung im Ergebnis als zutreffend und damit als rechtmäßig darstellt. Der Senat sieht sich insoweit auch in Übereinstimmung mit dem Bundesverfassungsgericht. Dieses meint ebenfalls, daß eine gerichtliche Korrektur ohnehin nur dann in Betracht kommt, wenn sich ein Bewertungsfehler auf die Notengebung ausgewirkt hat (BVerfGE 84, 34, 55). Einer spezialgesetzlichen oder speziellen untergesetzlichen Regelung über die Unbeachtlichkeit derart unerheblicher Korrektur- oder Bewertungsfehler bedarf es angesichts der bundesverfassungsrechtlichen Vorgaben aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 12 Abs. 1 GG nicht. Soweit der Rechtsprechung des für das Prüfungsrecht früher zuständig gewesenen 7. Senats des Bundesverwaltungsgerichts anderes zu entnehmen sein sollte (vgl. Urteil vom 20. September 1984 - BVerwG 7 C 57.83 NVwZ 1985, 187, 188 = Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 203), hält der Senat daran nicht fest. Auch in Ansehung des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO muß jedenfalls gelten, daß ein Sachverhaltsirrtum rechtlich unerheblich ist und nicht zur Rechtswidrigkeit der behördlichen Entscheidung führt, wenn er entweder auf die Entscheidung der Behörde tatsächlich keinen Einfluß genommen hat oder aber seine Korrektur aus rechtlichen Gründen zu keinem anderen Entscheidungsergebnis führen dürfte.

c) Das Berufungsgericht hat jedoch mit der von ihm im konkreten Fall durchgeführten Kausalitätsprüfung die Grenzen überschritten, die den Verwaltungsgerichten bei der Kontrolle von Prüfungsentscheidungen gesetzt sind. Dabei kann der Senat offenlassen, ob und auf welche Weise die Kausalität eines Prüfungsfehlers mit der erforderlichen Gewißheit in Fällen verneint werden kann, in denen weder anzunehmen ist, daß er sich aus rechtlichen Gründen nicht auswirken konnte, noch eindeutig feststeht, daß er sich rein tatsächlich nicht ausgewirkt hat, dies - anders als z.B. bei unerheblichen Rechenfehlern der Prüfer - also nicht offensichtlich ist. Denn jedenfalls unterliegen die Gerichte bei der Überprüfung der Kausalität eines Prüfungsfehlers denselben Grenzen, die sie bei der Überprüfung zu beachten haben, ob ein materieller Prüfungsfehler in der Form eines (fachlichen) Korrekturfehlers oder eines Bewertungsfehlers vorliegt. In den prüfungsspezifischen Bewertungspielraum der Prüfer darf auch die gerichtliche Kausalitätsprüfung nicht eindringen. Ist die Ursächlichkeit des Fehlers für die Notengebung nicht auszuschließen, kann nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts "das Gericht die Leistungsbewertung grundsätzlich nicht ersetzen, sondern den Prüfungsbescheid nur aufheben" (BVerfG a.a.O. S. 55 f.). Die Gerichte dürfen also mögliche Auswirkungen eines von ihnen festgestellten Prüfungsfehlers nicht auf die Weise verneinen, daß sie dabei selbst Bewertungen abgeben, indem sie etwa verschiedene Aufgaben, die gestellt worden sind, untereinander gewichten, den Schwierigkeitsgrad einer Aufgabenstellung einordnen, die Qualität einer Darstellung würdigen oder aber Stärken und Schwächen in der Bearbeitung bzw. die Bedeutung eines Mangels gewichten (vgl. zu diesen Gegenständen des prüfungsspezifischen Bewertungsspielraums: Urteile vom 24. Februar 1993 - BVerwG 6 C 35.92 - und vom 21. Oktober 1993 - BVerwG 6 C 12.92 Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nrn. 313 und 320).

Diese Grenze hat hier das Berufungsgericht überschritten. Es hat weder festgestellt, daß der Korrekturfehler des Erstkorrektors tatsächlich keinen Einfluß gehabt hätte, noch hat es angenommen, daß dieser Fehler aus rechtlichen Gründen keinen Einfluß haben konnte. Vielmehr hat es einen Zusammenhang des Korrekturfehlers nicht nur mit einer wertenden Randbemerkung ("grober Denkfehler"), sondern auch mit der abschließenden Bewertungsbegründung des Erstgutachters ("Die Darlegungen zum Betrug gegenüber der Versicherungsgesellschaft führen ins Bodenlose") und damit einen Eingang dieses Fehlers in die prüfungsspezifische Bewertung durch den Prüfer festgestellt. Gleichwohl ist es zu einer hypothetischen Betrachtung der Kausalitätsfrage übergegangen: Es hat seinerseits mit anderen Erwägungen, als sie der Prüfer angestellt hatte, die Fehlerhaftigkeit des vom Korrekturfehler betroffenen Abschnitts der Hausarbeit festgestellt und sodann Überlegungen über den Unterschied zwischen einerseits der unzutreffenden Beanstandung und deren Begründung sowie andererseits einer nach seiner Meinung zutreffenden Begründung angestellt. Da es diesen Unterschied als nur unwesentlich angesehen hat, der "Vorwurf" (!) des Prüfers vielmehr einen richtigen Kern habe, fehlt es seiner Meinung nach an der Kausalität des Korrekturfehlers für die Bewertung. Zu dem unübersehbar wertenden und gewichtenden Inhalt dieses "Vorwurfs", wie er in den Begriffen "grob" und "bodenlos" zum Ausdruck kommt, äußert es sich dabei nicht. Statt dessen bezeichnet es seinerseits den betroffenen Abschnitt, so, als ob dies von objektiver Warte möglich wäre, als "völlig unbrauchbar". In Wahrheit aber steht auch dahinter eine prüfungsspezifische Wertung, die den Prüfern mit Blick auf ihre persönlichen Erfahrungen im Prüfungswesen vorbehalten ist. Mit der Bezeichnung dieses Teils der Prüfungsleistung als "völlig unbrauchbar" hat nämlich das Berufungsgericht einen wertenden Begriff benutzt, mit dem die Note "ungenügend" definiert und dem die Punktzahl "0" zugeordnet ist (Verordnung vom 3. Dezember 1981, BGBl I S. 1243).

Darin, insbesondere im "Austausch" des Fehlers unter Beibehaltung der Gewichtung, liegt ein Einbruch in den Bewertungsspielraum der Prüfer. Es wird nur vermeintlich etwas von ihrer Bewertung aufrechterhalten, in Wahrheit jedoch der hier untrennbare Zusammenhang zwischen der Ermittlung des Fehlers und seiner Bewertung durch die Prüfer zerrissen. Den Verwaltungsgerichten ist es aber verwehrt, einen anderen Fehler oder eine andere Art von Fehler für denselben Teil der Prüfungsleistung festzustellen, um sodann die eigenständige Bewertung zu treffen, dieser Fehler wiege gleich schwer oder sei gar noch schwerer als derjenige, den der Prüfer fehlerhaft angenommen habe; Eine derart wertende Betrachtung kommt nur den Prüfern zu, nicht aber den Gerichten, die sich insoweit nicht an die Stelle der Prüfer setzen dürfen.

d) Die Entscheidung des Berufungsgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als zutreffend dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Der Umstand, daß der Grundsatz der Chancengleichheit im übrigen, soweit sich der Korrekturfehler auf die Bewertung der weiteren Teile der Hausarbeit nicht auswirkt, die Beibehaltung des bisher angewendeten Maßstabes auch bei einer Neubewertung gebietet (Urteil vom 24. Februar 1993 - BVerwG 6 C 38.92 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 314 S. 279 f.), rechtfertigt nach Lage der Dinge keine andere Würdigung durch das Revisionsgericht. Zwar benötigt der Kläger für ein Bestehen in der Prüfung eine Bewertung seiner Hausarbeit mit insgesamt 6 Punkten, also eine Anhebung der bisher vergebenen Punktzahl um 3 Punkte oder 100 %. Der fehlerhaft korrigierte Teil der Hausarbeit läßt sich jedoch aus dem Zusammenhang der Bearbeitung nicht trennscharf unter Beibehaltung aller übrigen Wertungen herauslösen. Auch wenn dieser Teil der Bearbeitung aus anderen Gründen fehlerhaft sein mag, könnte sich dieser Fehler möglicherweise als bloße Folge eines anderen Fehlers in einem vorausgegangenen Abschnitt der Bearbeitung erweisen. Auch die Wertungen der Prüfer zu den verschiedenen Abschnitten könnten daher ineinandergreifen und voneinander abhängen. Die Tatsachenfeststellungen reichen daher für die Annahme eines sicher feststehenden Rests an Prüferbewertung nicht aus. Außerdem würde selbst eine Verbesserung der Bewertung um nur einen Punkt schon die Möglichkeit einer Anrechnung dieser Prüfungsleistung auf eine Wiederholungsprüfung eröffnen.

e) Nichts grundsätzlich anderes gilt für den Bewertungsfehler, den das Berufungsgericht bei der Bewertung der Hausarbeit durch den Viertkorrektor darin erkannt hat, daß dieser einen anderen Abschnitt der Arbeit als abwegig bezeichnet hat; dies sei eine überzogene Bewertung eines nur kurzen Teils der Arbeit; die Abhandlung auf einer knappen Seite könne nicht als unangemessen angesehen werden. Ob das Berufungsgericht die Kausalität dieses Bewertungsfehlers ohne weitere Beweisaufnahme allein mit der freilich plausiblen Begründung versagen durfte, der Prüfer habe sich mit seinem Bewertungsvorschlag gegenüber den anderen Prüfern nicht durchzusetzen vermocht, kann offenbleiben. Denn der Kläger hat eine entsprechende Verfahrensrüge nicht erhoben. Außerdem hat er ohnehin Anspruch auf Neubewertung seiner Hausarbeit. Bei ihr darf der Prüfungsausschuß den vom Berufungsgericht bindend festgestellten Bewertungsfehler selbstverständlich nicht wiederholen. Auf die Kausalität für die frühere Bewertung kommt es daher nicht mehr an.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO. Klage, Berufung und Revision des Klägers haben im Ergebnis nur teilweise Erfolg. Da sich ein Schwergewicht der vom Kläger gegen die Bewertungen sowohl der Hausarbeit als auch der mündlichen Prüfung erhobenen Rügen nicht feststellen läßt, diese vielmehr für das Klageziel, aufgrund einer Neubewertung die Prüfung insgesamt zu bestehen, in etwa gleich bedeutsam waren, ist eine Quotelung zu gleichen Teilen angemessen.

Niehues Seibert Albers Eckertz-Höfer Büge

B e s c h l u ß

Der Streitwert wird für alle Rechtszüge, für den ersten und zweiten Rechtszug unter Aufhebung der Streitwertfestsetzung durch das Berufungsgericht, auf 10 000 DM festgesetzt.

G r ü n d e :

Dieser Beschluß beruht auf § 13 Abs. 1, § 14 Abs. 1, § 25 Abs. 2 Satz 2 GKG; der festgesetzte Streitwert entspricht dem Betrag nach Nr. 35.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 1996, 563).

Niehues Albers Büge



Ende der Entscheidung

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