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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 29.01.1998
Aktenzeichen: BVerwG 7 C 18.97
Rechtsgebiete: VermG, BGB


Vorschriften:

VermG § 1 Abs. 1 Buchst. c
VermG § 1 Abs. 3
BGB § 1911
Leitsatz:

Ein nach einer "Republikflucht" aufgrund zivilrechtlicher Vorschriften bestellter Abwesenheitspfleger ist kein staatlicher Verwalter im Sinne des § 1 Abs. 1 Buchst. c VermG.

Urteil des 7. Senats vom 29. Januar 1998 - BVerwG 7 C 18.97

I. VG Dresden vom 25.07.1996 - Az.: VG 3 K 616/94 -


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 7 C 18.97 VG 3 K 616/94

Verkündet 29. Januar 1998

Gallin Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 29 Januar 1998 durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Dr. Franßen und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Paetow, Dr. Hardenhewer, Kley und Herbert

für Recht erkannt:

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 25. Juli 1996 sowie der Bescheid des Landratsamts Dresden vom 26. Mai 1993 und der Widerspruchsbescheid des Sächsischen Landesamts zur Regelung offener Vermögensfragen vom 10. März 1994 werden aufgehoben.

Der Beklagte wird verpflichtet, die Entschädigungsberechtigung der Klägerin hinsichtlich des Grundstücks Sch in R festzustellen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt die Feststellung ihrer vermögensrechtlichen Entschädigungsberechtigung wegen des Verlusts eines Hausgrundstücks in R .

Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts flohen die Klägerin und ihr Ehemann, der Eigentümer des umstrittenen Grundstücks als auch des Nachbargrundstücks war und dort eine Fleischerei betrieb, am 8. September 1956 aus der DDR. Vier Tage später bestellte das Staatliche Notariat einen Abwesenheitspfleger zur Wahrnehmung der vermögensrechtlichen Angelegenheiten der Eheleute. Dieser verkaufte das gesamte Anwesen mit Vertrag vom 8. November 1956, der am selben Tag vom Staatlichen Notariat genehmigt wurde, zum Preis von 60 902 DM an die Rechtsvorgänger der Beigeladenen, wobei der Kaufpreis in Höhe eines Teilbetrags von 24 491,97 DM durch Übernahme der Grundpfandrechte zu begleichen war.

Den Rückübertragungsantrag des Ehemannes der Klägerin lehnte das Landratsamt D hinsichtlich des hier betroffenen Grundstücks ab, weil weder die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Buchst. c noch die des § 1 Abs. 3 VermG erfüllt seien; der Verkauf sei nicht durch einen staatlichen Verwalter, sondern durch einen Abwesenheitspfleger entsprechend den damals geltenden Vorschriften durchgeführt worden.

Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren hat die Klägerin, die das Verfahren als Erbin ihres inzwischen verstorbenen Ehemannes fortgesetzt hat, Klage erhoben, die sie auf die Zuerkennung der Entschädigungsberechtigung beschränkt hat. Sie hat geltend gemacht, die Bestellung des Pflegers sei rechtsmißbräuchlich gewesen, weil sowohl der Bruder ihres Ehemannes als auch ihre Schwiegermutter auf dem Grundstück gewohnt und für eine geordnete Verwaltung des Anwesens hätten sorgen können. Die Pflegschaft habe nur dazu gedient, den staatlichen Stellen das Vermögen zu verschaffen.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen: Die Klägerin sei nicht Berechtigte. § 1 Abs. 1 Buchst. c VermG scheide schon aufgrund seiner tatbestandlichen Voraussetzungen aus. Auch ein Schädigungstatbestand nach § 1 Abs. 3 VermG sei nicht gegeben. Die Bestellung des Abwesenheitspflegers habe auf § 1911 BGB beruht. Es sei angesichts der "Republikflucht" des Ehemannes der Klägerin und dem die Verbindlichkeiten des Pfleglings im einzelnen nachweisenden Abschlußbericht des Pflegers vom 1. Februar 1963 jedenfalls nicht ersichtlich, daß die Pflegschaft zweckgerichtet und willkürlich zur Entziehung des Grundstücks angeordnet worden sei.

Insbesondere seien Rückstände in Höhe von 8 026,86 DM durch ein Schreiben des Schlachthofs vom 13, September 1956 und Abgabenschulden in Höhe von 38 548,78 DM durch eine Mitteilung des Rates des Kreises D vom 10. April 1962 belegt. Die Anordnung vom 1. Dezember 1953 über die Behandlung des Vermögens von Personen, die die DDR nach dem 10. Juni 1953 verlassen (GBl I S. 1231), habe die Möglichkeit vorgesehen, das Vermögen des Abwesenden durch einen vom Staatlichen Notariat bestellten Abwesenheitspfleger verwalten zu lassen. Schließlich deute auch die Tatsache, daß der Pfleger nur wenige Tage nach der Flucht bestellt worden sei, wegen des Schuldenstandes und wegen der Wichtigkeit einer intakten Fleischversorgung der Bevölkerung in den fünfziger Jahren nicht auf eine Schädigung im Sinne des Vermögensgesetzes hin. Aus diesen Gründen sei das Grundstück auch nicht in Volkseigentum überführt, sondern an einen anderen Fleischermeister veräußert worden. Daß andere Personen willens und in der Lage gewesen wären, die Vermögensverwaltung für den abwesenden Ehemann der Klägerin zu übernehmen, sei durch nichts belegt.

Mit ihrer durch den Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie vertieft ihr bisheriges Vorbringen und leitet die Unlauterkeit des Veräußerungsgeschäfts auch daraus ab, daß die Pflegschaft bereits zu einem Zeitpunkt begründet worden sei, als die Flucht der Eheleute noch gar nicht habe bekannt sein können.

Der Beklagte verteidigt die Ausführungen des angegriffenen Urteils und verweist darauf, daß nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts nicht davon ausgegangen werden könne, daß die Anordnung der Pflegschaft ohne Kenntnis der Abwesenheit des Pfleglings erfolgt sei.

II.

Die Revision ist begründet. Das angegriffene Urteil verletzt Bundesrecht; denn das Verwaltungsgericht hätte der Klage auf der Grundlage der von ihm getroffenen tatsächlichen Feststellungen stattgeben müssen. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Feststellung ihrer Entschädigungsberechtigung nach § 2 Abs. 1 Satz 1 VermG i.V.m. § 1 Abs. 1 EntschG, weil die Veräußerung des Anwesens ihres Ehemannes durch den Abwesenheitspfleger als eine Schädigungsmaßnahme im Sinne des § 1 VermG anzusehen ist. Das Rechtsgeschäft erfüllt zwar nicht die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 1 Buchst. c VermG (1), es stellt sich jedoch als unlautere Machenschaft im Sinne des § 1 Abs. 3 VermG dar (2).

1. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend die Anwendbarkeit des § 1 Abs. 1 Buchst. c VermG verneint; denn ein nach den Vorschriften des Zivilrechts bestellter Abwesenheitspfleger ist kein staatlicher Verwalter im Sinne dieser Vorschrift. Dies hat der Senat bereits für einen nach § 105 Abs. 1 des Familiengesetzbuches - FGB - eingesetzten Pfleger ausgesprochen (Beschluß vom 17. Oktober 1997 - BVerwG 7 B 327.97 - bisher nicht veröffentlicht). Dasselbe gilt für Pflegschaften, die - wie hier - vor Inkrafttreten des Familiengesetzbuches auf der Grundlage des § 1911 BGB angeordnet worden sind. Der Begriff des staatlichen Verwalters in § 1 Abs. 1 Buchst. c VermG korrespondiert mit dem der staatlichen Verwaltung, der in § 1 Abs. 4 VermG definiert ist. Diese bildet den Oberbegriff für verschiedene in der DDR praktizierte Typen hoheitlicher Vermögensverwaltung; die Bundesbürger und Ausländer hinnehmen mußten, weil sie über ihr Eigentum wegen Flucht oder Ausreise aus der DDR oder mangels eines dortigen Wohnsitzes nicht oder nicht mehr verfügen konnten (BTDrucks 11/7831, S. 2). Von dieser staatlichen Verwaltung, deren Anordnung das Vermögensgesetz als eigenständige Schädigungsmaßnahme ansieht (§ 2 Abs. 4 i.V.m. § 1 Abs. 4 VermG), sind Formen der Vermögensfürsorge zu unterscheiden, die zwar aufgrund derselben Lebenssachverhalte angeordnet wurden, bei deren Einrichtung sich der Staat aber allgemeiner pflegschaftsrechtlicher Vorschriften bedient hat. Die Rückabwicklung dieser Rechtsverhältnisse, die der Gesetzgeber nicht generell als wiedergutmachungspflichtiges Unrecht begreift, bestimmt sich - anders als die der staatlichen Verwaltung, für die § 1 Abs. 4 sowie die §§ 11 ff. VermG gelten - grundsätzlich nach den einschlägigen Bestimmungen des Zivilrechts. Damit scheidet zugleich die Anwendung des § 1 Abs. 1 Buchst. c VermG in den Fällen aus, in denen ein so bestellter Pfleger den von ihm verwalteten Vermögenswert veräußert hat; denn diese Vorschrift knüpft bewußt an die staatliche Verwaltung als Schädigungsmaßnahme an, die durch die nachfolgende Veräußerung des Vermögenswerts fortgesetzt und vertieft wird.

2. Der Verlust des von der Klägerin beanspruchten Grundstücks ist jedoch auf eine unlautere Machenschaft nach § 1 Abs. 3 VermG zurückzuführen. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob dieser Schädigungstatbestand bereits durch die Pflegschaftsanordnung erfüllt wird, etwa weil mangels Fürsorgebedürfnisses die Voraussetzungen des § 1911 BGB nicht vorlagen oder die Anordnung von vornherein auf einen Verkauf des Grundstücks zielte (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 29. Januar 1998 - BVerwG 7 C 60.96 -). Beides ist zweifelhaft; zum einen, weil die rechtlichen Anforderungen des § 1911 BGB möglicherweise durch die Bestimmungen der Anordnung über die Behandlung des Vermögens von Personen, die die Deutsche Demokratische Republik nach dem 10. Juni 1953 verlassen - Anordnung Nr. 1 -, überlagert wurden, die die Einsetzung eines Abwesenheitspflegers im Falle der Flucht vorsahen, zum anderen, weil die bisher ermittelten Umstände des Veräußerungsgeschäfts kaum mehr als den Verdacht begründen dürften, einziger Zweck der Pflegschaftsanordnung sei der Verkauf des Anwesens gewesen. In jedem Fall reichen die dem angegriffenen Urteil zugrundeliegenden Tatsachen einschließlich des Inhalts der vom Verwaltungsgericht in Bezug genommenen Akten aber für die Feststellung aus, daß das Rechtsgeschäft selbst - also die Veräußerung der Fleischerei, die den Verkauf des umstrittenen Wohngrundstücks einschloß - eine unlautere Machenschaft im Sinne des § 1 Abs. 3 VermG war.

Dieser Schädigungstatbestand erfaßt Vorgänge, bei denen im Einzelfall in manipulativer, sittlich vorwerfbarer Weise unter Verstoß gegen die Rechtsordnung der DDR auf bestimmte Vermögenswerte zugegriffen wurde; die als unlautere Machenschaft zu bewertende Maßnahme muß zielgerichtet den Verlust des zurückgeforderten Vermögenswerts bezweckt haben (ständige Rechtsprechung des Senats; zuletzt Urteil vom 26. September 1996 - BVerwG 7 C 61.94 - BVerwGE 102, 89 <90>). Diese Voraussetzungen erfüllt das durch den Abwesenheitspfleger getätigte Rechtsgeschäft. Der Verkauf war weder durch die bürgerlich-rechtlichen Vorschriften über die Pflegschaft noch durch die Bestimmungen der Anordnung Nr. 1 oder die in ihrem Gefolge erlassenen Regelungen gedeckt. Eine Überschuldungslage, die - allerdings nur bei einem sehr weit verstandenen Fürsorgebedürfnis - aus zivilrechtlicher Sicht die Veräußerung hätte rechtfertigen können, bestand im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses offensichtlich nicht. Bekannt waren seinerzeit lediglich Forderungen des Schlachthofes von gut 8 000 DM, während die angeblichen Steuer- und Abgabenforderungen erst fünfeinhalb Jahre später erstmals angemeldet wurden. Ebensowenig ließen die seinerzeitigen Verwaltungsvorschriften der DDR den Verkauf zu. Ziel der Anordnung Nr. 1, die nicht zwischen legal und illegal Ausgereisten unterschied, war es, diesen Personen zu ermöglichen, selbst für die ordnungsgemäße Verwaltung ihres Vermögens durch Einsetzung eines Bevollmächtigten zu sorgen, sofern sie es nicht - was ihnen unbenommen blieb - an Dritte veräußerten (§ 2 Abs. 1 AO Nr. 1). Deshalb Unterlagen auch Vermögenswerte der ohne Genehmigung Ausgereisten nach § 3 Abs. 1 Satz 1 der Anordnung keinen Beschlagnahmemaßnahmen. Vielmehr konnte der Eigentümer jederzeit - auch nach seiner Flucht - einen geeigneten Bevollmächtigten einsetzen. Nur wenn dies nicht geschah, war nach § 3 Abs. 2 Sätze 3 und 4 der Anordnung die Verwaltung durch einen Treuhänder oder durch die Bestellung eines Abwesenheitspflegers sicherzustellen. Beide waren nach § 10 der Anordnung abzuberufen, sobald der Eigentümer zurückkehrte oder einen Bevollmächtigten benannte. Dieser "flüchtlingsfreundlichen" Tendenz der Anordnung Nr. 1, die sich im Sinne eines neuen gemäßigten Kurses deutlich von der durch sie ersetzten Verordnung zur Sicherung von Vermögenswerten vom 17. Juli 1952 unterschied (vgl. Schriftenreihe des Bundesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen, Heft 10, Einleitung S. V), entsprach es, daß der Abwesenheitspfleger nach Abschnitt 4 Buchst. e der aufgrund § 12 der Anordnung erlassenen Rundverfügung Nr. 56/53 vom 10. Dezember 1953 (abgedruckt in Säcker, Vermögensrecht, Anhang III/23 sowie in RWS-Dokumentation 7, Bd. I, Nr. 3.9.2), von ihm verwaltete Betriebe oder Einzelhandelsgeschäfte nur veräußern durfte, wenn er eine Verpachtung nicht erreichen konnte. Dafür, daß der Abwesenheitspfleger im Falle des Ehemannes der Klägerin zunächst erfolglos versucht hat, ein solches Nutzungsverhältnis abzuschließen, gibt es keine Anhaltspunkte. Vielmehr deutet der Geschehensablauf auf das Gegenteil hin. So wurde der Kaufvertrag nicht nur bereits zwei Monate nach der Flucht abgeschlossen. Dies geschah zudem durch vorherige Einschaltung eines Maklers; darüber hinaus wurde das Geschäft durch den beurkundenden Staatlichen Notar unmittelbar nach seinem Abschluß vormundschaftsbehördlich genehmigt. Ernsthafte und nachvollziehbare Bemühungen um einen Pächter sind damit ebensowenig denkbar wie eine seriöse Prüfung der Veräußerungsvoraussetzungen durch die Vormundschaftsbehörde. Eine Würdigung dieser Umstände läßt daher nur den Schluß zu, daß der Pfleger die ihm übertragene Stellung mißbraucht hat, indem er das anvertraute Vermögen, anstatt es zu verwahren und zu verwalten und mit dem Eigentümer zum Zwecke der Ablösung der Pflegeschaft durch Einsetzung eines geeigneten Bevollmächtigten in Verbindung zu treten (so Abschnitt 6 Buchst. a der erwähnten Rundverfügung 56/53), ohne jedes Zögern verkauft hat. Die Anwendung des § 1 Abs. 3 VermG wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, daß es sich bei diesem Verkauf um ein Rechtsgeschäft zwischen Privaten auf privatrechtlicher Grundlage handelte (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Februar 1997 - BVerwG 7 C 17.96 -). Da der Notar es in Ansehung des ohne weiteres erkennbaren Fehlverhaltens des Pflegers genehmigt hat, hat der Staat es zumindest gedeckt und damit selbst an der unlauteren Machenschaft mitgewirkt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und § 162 Abs. 3 VwGO.



Ende der Entscheidung

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