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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 19.09.2002
Aktenzeichen: BVerwG 7 C 21.01
Rechtsgebiete: VermG, AktG


Vorschriften:

VermG § 1 Abs. 6
VermG § 2 Abs. 1 Satz 1
VermG § 6 Abs. 1 a Satz 2
VermG § 6 Abs. 6
VermG § 6 Abs. 6 a
AktG § 273 Abs. 4
Die Rückübertragung von Vermögensgegenständen eines früheren Unternehmens im Wege der Einzelrestitution kann auch von den Gesellschaftern des Unternehmensträgers beantragt werden, wenn dieser nach dem Entzug der Vermögensgegenstände erloschen ist; § 6 Abs. 6 Satz 1 und 4 VermG findet zumindest analog Anwendung.

Ist der frühere Unternehmensträger als Gesellschaft im Handelsregister gelöscht worden, setzt die Anmeldung von Ansprüchen auf Einzelrestitution von Vermögensgegenständen voraus, dass das zum Wiederaufleben als Liquidationsgesellschaft erforderliche Quorum des § 6 Abs. 1 a Satz 2 VermG erfüllt ist.


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 7 C 21.01

Verkündet am 19. September 2002

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 19. September 2002 durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Gödel, Dr. Pagenkopf, Kley, Herbert und Neumann

für Recht erkannt:

Tenor:

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 5. Dezember 2000 wird aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe:

I.

Die Klägerinnen wenden sich gegen die Rückübertragung des Eigentums an dem Grundstück K.straße 15 in Dresden an die Beigeladene zu 2.

Eigentümerin des Grundstücks war die Societätsbrauerei W. AG in Dresden, von der der Vater der Klägerinnen das Grundstück erwarb; er wurde am 17. August 1935 als Eigentümer im Grundbuch eingetragen. Der schriftliche Kaufvertrag liegt nicht vor. Das Grundstück war wie viele weitere Grundstücke aus der Parzellierung des früheren Flurstücks Nr. 1... d der W. AG hervorgegangen; bezweckt war, die Grundstücke als Bauland für Einfamilienhäuser zu veräußern. Nach Kriegsende wurde das Grundstück von der sowjetischen Besatzungsmacht beschlagnahmt und bis 1962 genutzt; eine Überführung in Volkseigentum erfolgte nicht. Im Grundbuch sind die Klägerinnen sowie ihr Bruder, der frühere Beigeladene zu 1, als Eigentümer eingetragen.

Nach der Feststellung des Verwaltungsgerichts war Mehrheitsaktionär der W. AG das Bankhaus B. & M. OHG in Dresden. Alleinige Gesellschafter der OHG waren ab 1935 die Brüder Dr. Rudolf und Walter M., die beide Juden waren. Nach einer Verhaftung von Dr. Rudolf M. durch die Nationalsozialisten wanderten beide Brüder Ende des Jahres 1936 aus und veräußerten den Aktienanteil der B. & M. OHG an die Deutsche Bank. Durch das mit Volksentscheid vom 30. Juni 1946 angenommene sächsische Gesetz über die Übergabe von Betrieben von Kriegs- und Naziverbrechern wurde die W. AG in das Eigentum des Volkes überführt; im Jahr 1948 wurde sie im Handelsregister gelöscht.

Unter Vorlage von Vollmachten von Margot M., der Witwe des Dr. Rudolf M., sowie von Florence M., der Witwe des Walter M., meldeten Rechtsanwälte Br. u.a. für die Societätsbrauerei W. AG i.L., die W. GmbH und die B. & M. OHG i.L. vermögensrechtliche Ansprüche an. In der Aufstellung der Grundstücke, deren Rückübertragung er "zusammenfassend" mit Schreiben vom 28. Dezember 1992 beantragte, ist auch das Grundstück K. 15 in Dresden enthalten.

Im Februar 1994 wurde die W. AG als in Liquidation befindlich in das Handelsregister eingetragen; als Liquidatorin wurde Marion Br. bestellt. Diese genehmigte mit Schreiben vom 18. April 1997 die Anmeldung des Anspruchs auf Rückübertragung des Grundstücks.

Mit mehreren Feststellungsbescheiden, zuletzt vom 25. Juli 1994, stellte das Sächsische Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen fest, dass der B. & M. OHG i.L., Dresden, an der W. AG i.L. als Berechtigte Anteile in Höhe von 78,17 % zustehen.

Mit Bescheid vom 15. Juni 1995 übertrug die Beklagte das Eigentum an dem Grundstück K.straße 15 an die Beigeladene zu 2 zurück, der die Societätsbrauerei W. AG i.L. ihre vermögensrechtlichen Ansprüche an dem Grundstück abgetreten hatte. Der Widerspruch der Klägerinnen hatte keinen Erfolg.

Die hiergegen erhobene Klage, mit der die Klägerinnen die Aufhebung des Bescheids über die Rückübertragung des Grundstücks beantragt haben, hat das Verwaltungsgericht abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der Restitutionsanspruch sei innerhalb der Frist des § 30 a Abs. 1 Satz 1 VermG angemeldet worden. Eine wirksame Anmeldung könne auch durch die Gesellschafter - hier: die Hauptaktionärin - vorgenommen werden; § 6 Abs. 6 VermG sei auch anwendbar, wenn der frühere Unternehmensträger Ansprüche im Wege der Singularrestitution geltend mache. Die Veräußerung des Grundstücks durch die W. AG sei mit Blick auf die Mehrheitsbeteiligung des Bankhauses B. & M. OHG, deren Gesellschafter Juden gewesen seien, als verfolgungsbedingte Maßnahme im Sinne des § 1 Abs. 6 VermG anzusehen. Die gesetzliche Vermutung sei durch die Klägerinnen nicht widerlegt worden. Da keine Kaufvertragsurkunde habe vorgelegt werden können, sei die Zahlung eines angemessenen Kaufpreises im Sinne des Art. 3 Abs. 2 der Anordnung BK/0 (49) 180 der Alliierten Kommandantur Berlin vom 26. Juli 1949 (VOBl für Groß-Berlin I S. 221) - zukünftig: REAO - nicht nachgewiesen. Zwar seien bei Rechtsgeschäften bis zum 14. September 1935 auch andere Arten des Gegenbeweises zulässig. Die von den Klägerinnen hierzu vorgetragenen Indizien seien jedoch auch in ihrer Gesamtheit nicht stark genug, die Vermutung eines verfolgungsbedingten Vermögensverlustes zu erschüttern. Insoweit müsse es wegen der nach über 65 Jahren nicht mehr vollständig aufklärbaren Sachlage bei der gesetzlichen Vermutung bleiben.

Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts richtet sich die vom Senat zugelassene Revision der Klägerinnen, mit der sie ihr Klagebegehren weiterverfolgen. Zur Begründung der Revision führen sie aus: Eine Anmeldung hätte nur durch einen vom Gericht nach § 273 Abs. 4 AktG bestellten Nachtragsliquidator wirksam vorgenommen werden können, nicht aber durch einen Gesellschafter. Etwas anderes lasse sich auch nicht aus § 6 Abs. 6 VermG ableiten, der nur eine Sondervorschrift für die Unternehmensrestitution sei. In der Sache habe das Verwaltungsgericht zu Unrecht das Vorliegen der Voraussetzungen des § 1 Abs. 6 VermG und das Eingreifen der Entziehungsvermutung des Art. 3 Abs. 1 Buchst. b REAO unterstellt. Zudem habe es nicht hinreichend berücksichtigt, dass es sich um ein Rechtsgeschäft vor dem 15. September 1935 gehandelt habe und deshalb die Verfolgungsvermutung durch jeden Gegenbeweis widerlegbar sei. Das Verwaltungsgericht habe sich bei der Würdigung der von den Klägerinnen vorgebrachten Beweistatsachen hinsichtlich der Höhe des Kaufpreises auch nicht mit den Ausführungen im Prüfungsbericht der Sächsischen Revisions- und Treuhandgesellschaft AG für das Geschäftsjahr 1934/35 auseinander gesetzt. In diesem Bericht sei von einer Gewinnrealisierung gegenüber dem Buchwert die Rede.

Die Beklagte und die Beigeladene zu 2 beantragen die Zurückweisung der Revision. Sie verteidigen das erstinstanzliche Urteil. Die Beigeladene zu 2 weist ergänzend darauf hin, dass der nach Auffassung der Klägerinnen anzuwendende § 273 Abs. 4 AktG an die Gesellschaft im Zeitpunkt ihrer Auflösung anknüpfe; der Liquidator sei grundsätzlich zur Liquidation und Auskehr etwaiger Liquidationserlöse an die letzten im Zeitpunkt der Auflösung vorhandenen Gesellschafter verpflichtet. Die Anwendung der Vorschrift hätte deshalb zur Konsequenz, dass die Deutsche Bank als Ariseur des 1937 veräußerten Aktienpakets materiell von der Rückübertragung des streitgegenständlichen Grundstücks profitieren würde.

II.

Die Revision ist begründet. Zwar hat das Verwaltungsgericht im Ergebnis zu Recht angenommen, dass der Anspruch auf Rückübertragung des Grundstücks K.straße 15 in Dresden durch die B. & M. OHG i.L., die frühere Mehrheitsaktionärin der Societätsbrauerei W. AG, wirksam angemeldet worden ist (1). Das Verwaltungsgericht hat aber, wie die Klägerinnen zu Recht rügen, bei der Feststellung, dass die Vermutung eines verfolgungsbedingten Verlustes des Grundstücks nicht durch den Nachweis eines angemessenen Kaufpreises widerlegt sei, entscheidungserhebliche Tatsachen unberücksichtigt gelassen und dadurch gegen den Überzeugungsgrundsatz des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO verstoßen; dieser Verfahrensfehler führt zur Zurückverweisung der Sache an das erstinstanzliche Gericht (2).

1. Der Anspruch auf Rückübertragung des Grundstücks ist innerhalb der bis zum 31. Dezember 1992 laufenden Frist des § 30 a Abs. 1 Satz 1 VermG wirksam angemeldet worden. Die Anmeldung konnte von der B. & M. OHG i.L., die bis 1937 nach der Feststellung des Verwaltungsgerichts Mehrheitsaktionärin der Societätsbrauerei W. AG war und deren Anteilsrechte durch eine Maßnahme nach § 1 Abs. 6 VermG entzogen worden waren, vorgenommen werden. Die Auffassung der Klägerinnen, dass allein ein nach § 273 Abs. 4 AktG bestellter Abwickler die Rückübertragung des Grundstücks hätte beantragen können, geht fehl.

a) Als Berechtigte im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 1 Abs. 6, § 3 Abs. 1 Satz 1 VermG kommt allein die Societätsbrauerei W. AG in Betracht, die Eigentümerin des Grundstücks war; sie ist 1946 enteignet und 1948 im Handelsregister gelöscht worden. Sie besteht nach der - zumindest analog anwendbaren - Vorschrift des § 6 Abs. 1 a Satz 2 VermG als in Auflösung befindlich fort. Nach § 6 Abs. 1 a Satz 2 VermG wird das Wiederaufleben eines früheren Unternehmensträgers, der als Gesellschaft im Handelsregister gelöscht worden ist, fingiert, wenn die im Zeitpunkt der Schädigung vorhandenen Gesellschafter oder Mitglieder oder Rechtsnachfolger dieser Personen, die mehr als 50 v.H. der Anteile oder Mitgliedschaftsrechte auf sich vereinen, einen Anspruch auf Rückgabe des Unternehmens oder von Anteilen oder Mitgliedschaftsrechten des Rückgabeberechtigten angemeldet haben.

Diese Vorschrift findet auch Anwendung, wenn der Restitutionsanspruch sich nicht auf ein Unternehmen als solches richtet, sondern - wie hier - auf einzelne, einem Unternehmen entzogene Vermögensgegenstände, das Unternehmen selbst aber nachträglich untergegangen ist. In diesen Fällen ist die begehrte Singularrestitution notwendigerweise mit dem Wiederaufleben des Unternehmensträgers als Merkmal einer Unternehmensrestitution verknüpft, weil allein der seinerzeitige Unternehmensträger rückgabeberechtigt ist. Es müssen daher - auf einer ersten Stufe - die Voraussetzungen für das Wiederaufleben des früheren Unternehmensträgers vorliegen (vgl. hierzu den Feststellungsbescheid des Sächsischen Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen vom 25. Juli 1994), bevor - auf einer zweiten Stufe - das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen über die Rückübertragung des Grundstücks auf die wieder belebte Gesellschaft entscheidet.

Der zumindest analogen Anwendung des § 6 Abs. 1 a Satz 2 VermG auf Fälle der vorliegenden Art steht nicht entgegen, dass die Vorschrift die Anmeldung von Ansprüchen auf Rückgabe des Unternehmens voraussetzt. In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass § 6 Abs. 1 a Satz 2 VermG nicht nur für Anträge auf Rückgabe des Unternehmens selbst, sondern auch für Anträge auf Rückübertragung einzelner Vermögenswerte als Unternehmensreste im Sinne des § 6 Abs. 6 a VermG gilt (Urteil vom 5. Oktober 2000 - BVerwG 7 C 95.99 - Buchholz 428 § 6 VermG Nr. 40; Beschluss vom 29. Januar 1999 - BVerwG 7 B 302.98 -). Zwar handelt es sich bei dem Anspruch nach § 6 Abs. 6 a VermG um einen Sonderfall der Unternehmensrestitution, der aber - wie der Senat wiederholt betont hat - der Singularrestitution angenähert ist (Urteil vom 18. Januar 1996 - BVerwG 7 C 45.94 - Buchholz 428 § 6 VermG Nr. 17 S. 36; Urteil vom 24. September 1996 - BVerwG 7 C 65.95 - Buchholz 428 § 6 VermG Nr. 22 S. 43). Die Übertragung der für die Restitution von Unternehmensresten geltenden Anforderungen an eine wirksame Anmeldung auf die Einzelrestitution ist mit Blick auf die vergleichbare Interessenlage und den Normzweck des § 6 Abs. 1 a Satz 2 VermG geboten. In beiden Fällen dient die Fiktion des Wiederauflebens der Gesellschaft als in Auflösung befindlich lediglich dazu, das Zuordnungssubjekt für den Restitutionsanspruch sowie eine Grundlage für die Durchführung der Liquidation (vgl. § 6 Abs. 10 Satz 1 VermG) zu schaffen. Auch trifft der Regelungszweck des Quorums, der der Restitution nach § 6 Abs. 6 a VermG zugrunde liegt, in gleicher Weise für die Singularrestitution zu: Es soll mit Blick auf mögliche divergierende Interessen der Gesellschafter (Rückgabe oder Entschädigung, § 6 Abs. 7, § 8 VermG) innerhalb der Anmeldefrist Klarheit geschaffen werden, ob der Antrag auf Rückübertragung sich auf die erforderliche Mehrheit stützen kann (vgl. Urteil vom 28. August 1997 - BVerwG 7 C 64.96 - Buchholz 428 § 30 VermG Nr. 5 S. 6; Urteil vom 15. Dezember 1999 - BVerwG 8 C 27.98 - Buchholz 428 § 6 VermG Nr. 36 S. 16).

Eine gesellschaftsrechtliche Lösung, wie sie die Klägerinnen unter Hinweis auf die Vorschrift des § 273 Abs. 4 AktG über die Nachtragsliquidation vertreten, würde den Interessen der Gesellschafter nicht Rechnung tragen, denen vor der Schädigung des Unternehmens Anteilsrechte durch eine Maßnahme im Sinne des § 1 VermG entzogen worden waren, wie es hier der Fall war. Nur das Wiederaufleben der Liquidationsgesellschaft nach § 6 Abs. 1 a Satz 2 VermG ermöglicht es, diese Gesellschafter wieder in ihre Anteilsrechte einzusetzen. Damit wird verhindert, dass an der Verteilung des verbleibenden Vermögens im Rahmen der Liquidation der Ariseur partizipiert, der die Anteilsrechte infolge einer schädigenden Maßnahme erworben hat.

§ 6 Abs. 1 a Satz 2 VermG geht deshalb als lex specialis den Vorschriften des Gesellschaftsrechts und damit § 273 Abs. 4 AktG vor. Ein gemäß § 273 Abs. 4 AktG bestellter Abwickler ist nicht zur Anmeldung vermögensrechtlicher Ansprüche berechtigt. Denn es handelt sich nicht um eine Liquidationsgesellschaft, die unter den Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 a Satz 2 VermG wieder aufgelebt ist; sie ist deshalb kein Rückgabeberechtigter im Sinne des § 6 Abs. 1 a Satz 1 und 2 sowie Abs. 6 Satz 1 VermG.

b) § 6 Abs. 1 a Satz 2 VermG setzt für eine erst wieder zu belebende Liquidationsgesellschaft die Anmeldung durch Gesellschafter voraus. Nach § 6 Abs. 6 Satz 1 VermG kann der Antrag auf Rückgabe eines Unternehmens von jedem Gesellschafter, Mitglied oder einem Rechtsnachfolger gestellt werden. Antragsberechtigt sind aber nicht nur Gesellschafter, die zum Zeitpunkt der Schädigung des Unternehmens Gesellschafter waren, sondern auch diejenigen ehemaligen Gesellschafter, deren Anteile oder Mitgliedschaftsrechte schon vor dem Zeitpunkt der Schädigung des Unternehmens entzogen worden waren (§ 6 Abs. 6 Satz 4 VermG). Dies ist hier der Fall. Die Anteilsrechte der B. & M. OHG sind, was das Sächsische Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen durch Bescheid vom 26. Juni 1991, geändert durch die Bescheide vom 26. November 1993 und vom 25. Juli 1994, festgestellt hat und zwischen den Beteiligten nicht strittig ist, durch eine schädigende Maßnahme im Sinne des § 1 Abs. 6 VermG entzogen worden. Die Anmeldung des Anspruchs auf Rückübertragung des Grundstücks erfüllte auch das Quorum des § 6 Abs. 1 a Satz 2 VermG. Nach der Feststellung des Verwaltungsgerichts war die B. & M. OHG "Mehrheitsaktionärin" der Societätsbrauerei W. AG.

2. In der Sache hat das Verwaltungsgericht zwar zu Recht angenommen, dass für die Grundstücksveräußerung die Vermutung eingreift, diese sei auf eine Verfolgung aus rassischen Gründen zurückzuführen (§ 1 Abs. 6 Satz 2 VermG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 Buchst. b REAO). Es hat aber dadurch gegen den Überzeugungsgrundsatz des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO verstoßen, dass es bei der Prüfung, ob diese Vermutung durch den Nachweis eines angemessenen Kaufpreises widerlegt ist, entscheidungserhebliche Tatsachen ausgeblendet hat.

Im nationalsozialistischen Verständnis galt die W. AG aufgrund des Besitzes der Mehrheit der Aktien durch die B. & M. OHG, deren Gesellschafter Juden waren, als jüdischer Gewerbebetrieb (vgl. auch § 1 Abs. 3 Buchst. b der - späteren - Dritten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. Juni 1938, RGBl I S. 627). In der Rechtsprechung der Rückerstattungsgerichte, die bei der Auslegung des § 1 Abs. 6 VermG heranzuziehen ist (Urteil vom 22. Februar 2001 - BVerwG 7 C 12.00 - BVerwGE 114, 68 <70>), ist eine Kollektivverfolgung jüdischer Gewerbebetriebe nicht erst für die Zeit ab 1938, sondern bereits ab 30. Januar 1933 angenommen worden (ORG Berlin, RzW 1956, 207; BOR Herford, RzW 1951, 216; Schwarz, Rückerstattung nach den Gesetzen der Alliierten Mächte, 1974, 127 f.; a.A. OLG Köln, RzW 1951, 142).

Die Vermutung der Verfolgungsbedingtheit des Vermögensverlustes kann aber, was das Verwaltungsgericht nicht richtig erkannt hat, nur durch den Beweis widerlegt werden, dass der Veräußerer einen angemessenen Kaufpreis erhalten hat und dass er - was hier der Fall war - frei über ihn verfügen konnte (Art. 3 Abs. 2 REAO); andere Umstände können eine Verfolgung nicht widerlegen (Urteil vom 16. Dezember 1998 - BVerwG 8 C 14.98 - BVerwGE 108, 157 <161, 165 f.>; Urteil vom 24. August 2000 - BVerwG 7 C 85.99 - Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 7; Beschluss vom 20. Dezember 2000 - BVerwG 7 B 113.00 -). Die abweichende Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die Vermutung eines verfolgungsbedingten Vermögensverlustes auch durch eine andere Art des Gegenbeweises widerlegt werden könne (Urteil, S. 11), verstößt zwar gegen § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG i.V.m. Art. 3 Abs. 2 REAO; das angegriffene Urteil beruht aber nicht auf dieser unzutreffenden Annahme. Denn es stützt sich darauf, dass die Klägerinnen die Zahlung eines angemessenen Kaufpreises nicht hätten beweisen können, da die Kaufvertragsurkunde nicht vorliege und deshalb keine Aussage über die Höhe des Kaufpreises möglich sei.

Bei der gebotenen Aufklärung über die Höhe des Kaufpreises hat das Verwaltungsgericht, wie die Klägerinnen der Sache nach rügen, Umstände unberücksichtigt gelassen, aus denen sich Schlüsse auf die Höhe des konkreten Kaufpreises ergeben können. Infolge des verstrichenen Zeitraums von etwa 65 Jahren seit dem Grundstücksverkauf und der Ereignisse des Zweiten Weltkrieges, die in großem Umfang zum Verlust von Unterlagen führten, ist es wegen der sich daraus ergebenden Beweisschwierigkeiten erforderlich, auch auf solche Indizien abzustellen und sich nicht mit dem Fehlen der Kaufvertragsurkunde zu begnügen. Hinweise auf die Höhe des Kaufpreises ergeben sich aus dem Prüfbericht der Sächsischen Revisions- und Treuhandgesellschaft AG vom 19. Februar 1936. Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts, die Klägerinnen könnten gestützt auf diesen Prüfbericht lediglich Vermutungen anstellen, dass sich der individuelle Kaufpreis aus den gesamten der Brauerei aus dem Grundstücksverkauf zugeflossenen Einnahmen über die Grundstücksgröße berechnen lasse, belegen, dass sich das Verwaltungsgericht tatsächlich mit den Einzelheiten dieses Berichts nicht befasst hat. Nach dem Prüfbericht sind im Berichtszeitraum 1934/35 - hierzu gehört die Veräußerung des Grundstücks K.straße 15 - insgesamt 6 570 m² des ursprünglichen Flurstücks Nr. 1 ... d zu einem Gesamtpreis von 66 492 RM verkauft worden, was im Durchschnitt einem Preis von 10,12 RM/m² entsprechen würde. Veranschlagt waren diese Flächen mit einem m²-Preis von 6,85 RM und einem Buchwert von 45 028,40 RM.

Auf dieser Grundlage wird das Verwaltungsgericht auch zu ermitteln haben, ob sich konkrete Verkaufspreise anderer aus der Parzellierung hervorgegangener Grundstücke feststellen lassen; dem Senat ist aus den Verwaltungsakten des parallel verhandelten Verfahrens BVerwG 7 C 18.02 (Aktenzeichen des Verwaltungsgerichts Dresden: 1 K 1243/98) bekannt, dass in diesem Verfahren, das ebenfalls die Veräußerung einer Parzelle des früheren Flurstücks Nr. 1 ... d betraf, von dem Rechtsanwalt der Klägerin im Widerspruchsverfahren ein Auszug eines weiteren Prüfberichts der Sächsischen Revisions- und Treuhandgesellschaft AG vorgelegt worden ist, aus dem sich für mehrere Parzellen des ursprünglichen Flurstücks Nr. 1 ... d der konkrete Kaufpreis unter Angabe auch der sonstigen übernommenen Belastungen ergibt. Zur Ermittlung des Kaufpreises kann anders als zur Feststellung, ob dieser angemessen war, auch auf Kaufverträge für andere von der W. AG veräußerte Parzellen des ehemaligen Flurstücks Nr. 1 ... d zurückgegriffen werden. Wenn ein Verkäufer zum gleichen Zeitpunkt in derselben Gegend eine große Zahl von Grundstücken anbietet, lassen die Verkaufspreise für andere Parzellen unter Berücksichtigung der Lage und des Zuschnitts des Grundstücks Rückschlüsse auch für das hier betroffene Grundstück zu.

Maßstab für die Angemessenheit des Kaufpreises ist ebenso wie bei Verkäufen von Privatpersonen der Verkehrswert des Grundstücks. Entscheidend ist demnach der Preis, der im gewöhnlichen Verkehr nach der Beschaffenheit des zu veräußernden Grundstücks im Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages zu erzielen gewesen wäre, wenn das Verkaufsobjekt keinem Verfolgten gehört hätte. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die den Preis beeinflussen (neben dem Zeitpunkt des Verkaufs, insbesondere Lage, Art und Beschaffenheit des Objekts). Hierbei ist auch zu berücksichtigen, welchen Einfluss es auf den verkehrsüblichen Preis gehabt hätte, wenn ein Nichtverfolgter eine solche große Zahl von Parzellen gleichzeitig angeboten hätte (vgl. Urteil vom 24. Februar 1999 - BVerwG 8 C 15.98 - BVerwGE 108, 301 <306>). Zur Höhe des Einheitswertes als in der Regel unterster Grenze des Verkehrswertes wird sich das Verwaltungsgericht nicht damit begnügen können, für die Prüfung die Höhe des Einheitswertes zugrunde zu legen, die in einer Auskunft des Finanzamtes Dresden II handschriftlich neben den Grundstücken vermerkt ist, zu denen die Beklagte mit Schreiben vom 3. Januar 1995 die Angabe von Einheitswerten erbeten hatte. Es wird vielmehr der Heranziehung weiterer Unterlagen bedürfen, aus denen sich die näheren Einzelheiten des Einheitswertes ergeben. Anlass für eine nähere Prüfung ist, dass der Prüfbericht der Sächsischen Revisions- und Treuhandgesellschaft AG vom 19. Februar 1936 unter Ziffer 42 den Einheitswert für die verkauften Parzellen mit 9 RM/m² und damit deutlich niedriger angibt.

Ende der Entscheidung

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