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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 15.01.2009
Aktenzeichen: BVerwG 8 C 3.08
Rechtsgebiete: ThürVwVfG, VermG


Vorschriften:

ThürVwVfG § 51 Abs. 1
VermG § 4 Abs. 2
Fällt der Restitutionsausschlussgrund des redlichen Erwerbs eines Nutzungsrechts nachträglich weg, muss das Restitutionsverfahren nicht nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG wieder aufgegriffen werden.
In der Verwaltungsstreitsache

hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts

auf die mündliche Verhandlung vom 15. Januar 2009

durch

den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Gödel,

den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Pagenkopf,

den Richter am Bundesverwaltungsgericht Postier,

die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hauser und

die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper

für Recht erkannt:

Tenor:

Das aufgrund mündlicher Verhandlung vom 29. August 2007 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Gera und der Widerspruchsbescheid des Thüringer Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen vom 16. Januar 2006 werden aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens tragen der Beklagte und die Beigeladene je zur Hälfte. Der Beklagte und die Beigeladene tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

Gründe:

I

Die Klägerin wendet sich gegen das Wiederaufgreifen des vermögensrechtlichen Verfahrens betreffend das frühere Flurstück 160/15 der Flur 1 der Gemarkung St. sowie gegen die Verpflichtung zur Auskehr des Erlöses aus dessen Veräußerung in Höhe von insgesamt 65 720 EUR.

Die Fläche war ursprünglich Teil eines größeren landwirtschaftlichen Flurstücks, das im Eigentum der Mutter der Beigeladenen stand und nach Übernahme in staatlicher Verwaltung am 30. Dezember 1974 in das Eigentum des Volkes veräußert wurde.

An dem Flurstück 160/15 verlieh das Landratsamt Eisenach den Eheleuten F. mit Wirkung vom 22. Juni 1990 ein unbefristetes Nutzungsrecht zur Bebauung mit einem Eigenheim.

Die Mutter der Beigeladenen erhob mit Schreiben vom 29. August 1990 einen vermögensrechtlichen Anspruch auf das Grundstück, welcher nach ihrem Tode von der Beigeladenen weiter verfolgt wurde. Das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen des Wartburgkreises stellte mit Bescheid vom 30. Juli 1996 fest, dass die Beigeladene zwar Berechtigte nach dem Vermögensgesetz sei, der Rückübertragung aber der redliche Erwerb des dinglichen Nutzungsrechts entgegenstehe.

Die Eheleute F. gaben mit notarieller Erklärung vom 23. Februar 1998 ihr dingliches Nutzungsrecht auf.

Der Oberfinanzpräsident der Oberfinanzdirektion Berlin ordnete das streitbefangene Grundstück mit Zuordnungsbescheid vom 25. Juni 2002 der Klägerin zu, die das Grundstück mit notariellen Vertrag vom 1. August 2003 zum Preis von 65 720 EUR veräußerte.

Die Beigeladene erhielt aus einem Schreiben der Stadtverwaltung Eisenach vom 26. August 2003 Kenntnis von der Aufgabe des Nutzungsrechts. Sie beantragte daraufhin beim Thüringer Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen die Wiederaufnahme des vermögensrechtlichen Verfahrens, da mit der Aufgabe des Nutzungsrechts der Grund für den Ausschluss der Rückübertragung entfallen sei.

Das Staatliche Amt zur Regelung offener Vermögensfragen Gera lehnte ein Wiederaufgreifen des Verfahrens mit Bescheid vom 12. Januar 2004 ab. Dem dagegen erhobenen Widerspruch gab das Thüringer Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen mit Bescheid vom 16. Januar 2006 statt, griff das Restitutionsverfahren wieder auf und stellte fest, dass der Beigeladenen gegen die Klägerin ein Anspruch auf Auskehr des Veräußerungserlöses zustehe. Nach seiner Auffassung ist § 51 ThürVwVfG auch in vermögensrechtlichen Verfahren anwendbar und liegt ein Wiederaufgreifensgrund in der Aufgabe des Nutzungsrechtes.

Daraufhin hat die Klägerin am 15. Februar 2006 Klage erhoben mit dem Antrag, den Widerspruchsbescheid vom 16. Januar 2006 aufzuheben. Sie hält die Voraussetzung von § 51 Abs. 1 Nr. 1 ThürVwVfG nicht für gegeben. Zweifelhaft sei schon, ob die Ablehnung der Rückübertragung als Dauerverwaltungsakt anzusehen sei. Jedenfalls sei ein Wiederaufgreifen wegen nachträglicher Änderung der Sach- oder Rechtslage nach der Natur der Sache ausgeschlossen. Der Beklagte und die Beigeladene haben jeweils Klageabweisung beantragt.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage auf Grund mündlicher Verhandlung vom 29. August 2007 abgewiesen. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus: Aus dem Wortlaut von § 51 Abs. 1 Nr. 1 ThürVwVfG ergäben sich keine Anhaltspunkte für eine Unanwendbarkeit auf Rückübertragungsverfahren. Dies folge auch nicht aus § 5 Abs. 3 VermG. Vielmehr hätte es dieser Regelung nicht bedurft, wenn der Gesetzgeber angenommen hätte, der Berechtigte könne sich grundsätzlich nicht auf eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse berufen. Der Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens sei zulässig und begründet.

Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine fehlerhafte Anwendung von § 51 Abs. 1 Nr. 1 ThürVwVfG.

Sie beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Gera vom 29. August 2007 und den Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 16. Januar 2006 aufzuheben.

Der Beklagte und die Beigelade beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Sie treten dem angefochtenen Urteil bei.

II

Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil verletzt revisibles Recht im Sinne von § 137 Abs. 1 Nr. 2 VwGO. Das Verwaltungsgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass wegen nachträglichen Wegfalls eines Ausschlussgrundes das Restitutionsverfahren nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 ThürVwVfG wieder aufgenommen werden muss. Die Klage ist mit der Folge begründet, dass der angefochtene Widerspruchsbescheid des Landesamtes aufzuheben ist.

Nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 ThürVwVfG, der nach dem Wortlaut mit § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG des Bundes übereinstimmt (§ 137 Abs. 1 Nr. 2 VwGO), hat die Behörde auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsakts zu entscheiden, wenn sich die dem Verwaltungsakt zugrundeliegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zu Gunsten des Betroffenen geändert hat. Zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass die Änderung der Sachlage in dem Verzicht der Eheleute F. auf das zu ihren Gunsten eingeräumte dingliche Nutzungsrecht liegt. Fehlerhaft ist jedoch die Annahme, diese Änderung wirke sich "zu Gunsten des Betroffenen" aus. Betroffene ist zwar die Beigeladene, deren Antrag auf Restitution des streitbefangenen Grundstücks wegen des rechtlichen Erwerbs des dinglichen Nutzungsrechts bestandskräftig abgelehnt worden war. Die Änderung des entscheidungserheblichen Sachverhaltes kann aber nicht zu einer für die Beigeladene günstigeren Entscheidung führen, weil sie sich auf die Rechtmäßigkeit des ablehnenden Bescheides nicht auswirkt. Das liegt daran, dass die ablehnende Restitutionsentscheidung die damalige Sachlage zeitpunktbezogen rechtlich gestaltet hat.

Der Bescheid vom 30. Juli 1996, nach dem der Restitution der Ausschlussgrund von § 4 Abs. 2 VermG entgegensteht, hatte einen in der Vergangenheit abgeschlossenen Erwerbstatbestand zum Gegenstand. Er aktualisiert sich nicht immer wieder neu, sondern die Angelegenheit sollte mit Eintritt der Bestandskraft ihr Bewenden haben. Die Aufhebung des Nutzungsrechts wirkte auch nicht zurück. Die Ablehnung einer Rückübertragung nach § 4 Abs. 2 VermG erfolgt, "wenn" in dem für die Rückübertragung maßgeblichen Zeitpunkt ein redlicher Rechtserwerb vorliegt und nicht, solange dieser besteht. Für künftige Rechtsentwicklungen ist der Bescheid nicht offen; er erschöpfte sich, soweit es den sozialverträglichen Ausgleich betrifft, in einer einmaligen Gestaltung oder Bestätigung der Rechtslage. Eine spätere Aufgabe des Nutzungsrechts ist für den Ausschlussgrund unerheblich (Beschluss vom 2. November 1999 - BVerwG 8 B 336.99 - Buchholz 428 § 4 Abs. 2 VermG Nr. 7). Ihm kommt auch nicht deswegen eine auf Dauer angelegte Wirkung zu, weil einem aufgrund der geänderten Umstände erneut gestellten Leistungsantrag nunmehr die Ausschlussfrist von § 30a Abs. 1 Satz 1 VermG entgegensteht. Die Folge wäre ein Unterlaufen des Zwecks der Ausschlussfrist, wenn allein deswegen statt eines Neuantrags ein Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens statthaft sein sollte. Die Ausschlussfrist beruht auf der Absicht des Gesetzgebers, im Interesse der Verkehrsfähigkeit angemeldeter Vermögenswerte für Rechtsklarheit zu sorgen.

Aus § 5 Abs. 3 Satz 1 VermG lässt sich ein gegenteiliges Ergebnis für die Beurteilung der Rechtsfrage nicht herleiten. Die Vorschrift schließt für die in § 5 Abs. 1 Buchst. a bis d VermG genannten Ausschlussgründe ein Wiederaufgreifen nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 ThürVwVfG ausdrücklich aus. Daraus zu schlussfolgern, anderenfalls würde § 51 ThürVwVfG auch für den Fall einer Änderung der Sach- oder Rechtslage gelten, lässt den Regelungsgehalt der Vorschrift außer Betracht. Beabsichtigt war auf Grund anderslautender Äußerungen in der Literatur zu § 5 VermG nur eine Klarstellung, dass es sich bei der Entscheidung, ob ein Restitutionsausschlussgrund im Sinne von § 5 Abs. 1 VermG vorliegt, um einen das Verfahren abschließenden Verwaltungsakt handelt (BTDrucks 15/1180 S. 22 zu Art. 3 Nr. 1).

Einer Umdeutung des angefochtenen Widerspruchsbescheides in einen Widerruf nach § 49 ThürVwVfG steht § 47 Abs. 3 ThürVwVfG entgegen, wonach eine Entscheidung, die nur als gesetzlich gebundene Entscheidung ergehen kann, nicht in eine Ermessensentscheidung umgedeutet werden kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.

Ende der Entscheidung

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