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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 19.02.2009
Aktenzeichen: BVerwG 8 C 4.08
Rechtsgebiete: VermG


Vorschriften:

VermG § 2 Abs. 2 Satz 2
VermG § 3 Abs. 1 Satz 4
Im Vermögensrecht sind Aktien unabhängig von der Höhe ihres Anteils am gezeichneten Kapital als Beteiligung an dem Unternehmen anzusehen. Lag der Sitz des Unternehmens im Beitrittsgebiet, so ist für einen auf den verfolgungsbedingten Verlust der Aktien gestützten Restitutionsanspruch der räumliche Geltungsbereich des Vermögensgesetzes eröffnet, unabhängig davon, wo die Aktien aufbewahrt wurden.
In der Verwaltungsstreitsache

...

hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts

auf die mündliche Verhandlung vom 19. Februar 2009

durch

den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Gödel,

den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Pagenkopf,

die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. von Heimburg,

den Richter am Bundesverwaltungsgericht Postier und

die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hauser

für Recht erkannt:

Tenor:

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 4. Mai 2007 wird aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

I

Der Kläger wendet sich gegen die Rücknahme der Feststellung, ihm und seiner Schwester stehe ein Entschädigungsanspruch wegen der Entziehung von Aktien zu, die seiner Großmutter Georgiana A., geborene A., gehörten.

Georgiana A. wurde 1865 in San Francisco geboren, wuchs in Stuttgart auf und war jüdischer Religionszugehörigkeit. 1889 erwarb sie die deutsche Staatsangehörigkeit durch Eheschließung mit dem Kaufmann Joseph A., der 1921 oder 1927 verstarb. Jedenfalls seit 1933/34 besaß sie (wieder) die US-amerikanische Staatsangehörigkeit.

Wegen der "Vermutung", dass sie auszuwandern beabsichtige, erging am 31. Oktober 1938 gegenüber Georgiana A. eine Sicherungsanordnung nach § 37a des Gesetzes über die Devisenbewirtschaftung vom 4. Februar 1935 (RGBl S. 106). Diese erfasste ihr Immobilienvermögen sowie sämtliche Bankguthaben und Wertpapiere. Dazu gehörten auch die im Depot Nr. 1 1042 der Deutschen Bank Stuttgart verwahrten Aktien. Nach der Inhaftierung ihres Sohnes verpfändete die Großmutter des Klägers am 8. November 1938 einen Teil des Depotbestandes im Nennwert von insgesamt 16 800 RM als Sicherheit für die Begleichung der Reichsfluchtsteuer und anderer Steuern. Als ihr Sohn im Dezember 1938 aus dem Konzentrationslager Dachau entlassen wurde, reiste sie mit ihm und seinen Geschwistern aus Deutschland aus und ließ sich bei ihrer Schwester Clare A. in San Francisco nieder.

Ein Teil der im Depot Nr. 1 1042 verwahrten Aktien wurde zur Begleichung der Reichsfluchtsteuer und der Judenvermögensabgabe eingezogen. Im Depot verblieben u.a. Aktien der Rostocker Straßenbahn AG mit Sitz in Rostock im Nennwert von 2 100 RM. Nach den verwaltungsgerichtlichen Feststellungen gehörten zum Restbestand außerdem Aktien der Mecklenburger Bank AG mit Sitz in Schwerin im Nennwert von 5 000 RM. Laut Schreiben des Klägers an das Verwaltungsgericht vom 1. Mai 2007 standen diese Aktien 1938 allerdings noch im Eigentum Clare A. und gingen erst 1941 durch Erbfall auf seine Großmutter über. Sie erscheinen nicht in der nachträglichen "Aufstellung des Gesamtvermögens" für 1938 und der undatierten , wohl 1938/39 im Zusammenhang mit der Auswanderung erstellten "List of Securities". Sie fehlen auch in der Depotaufstellung der Deutschen Bank vom 24. November 1948, die bis zum 29. Juli 1941 zurückreicht. Noch im August 1948 forschte die Großmutter des Klägers vergeblich nach einem Konto Clare A. Erst die zu den Akten gereichte Aufstellung ihres eigenen Depots per 31. Dezember 1957 führt die Mecklenburger Bank Aktien auf.

Einen Transfer der im Depot Nr. 1 1042 verbliebenen Aktien auf ein Auslandsdepot verhinderte die Devisenstelle Stuttgart 1938 ebenso wie einen Verkauf und die Überweisung des Erlöses in die USA. Als schließlich Mitte Juni 1941 die devisenrechtliche Unbedenklichkeitsbescheinigung für den Transfer des Depotbestands vorlag und die Erteilung der steuerrechtlichen Unbedenklichkeitsbescheinigung bevorstand, verweigerte die Deutsche Bank mit Schreiben vom 24. Juni 1941 die zuvor zugesagte Abwicklung des Transfers, da die Ausführung des Auftrags "im Hinblick auf die ungeklärten Verhältnisse im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht möglich" sei.

Georgiana A. verstarb 1949 und wurde von ihrer Tochter Nelly A. sowie dem Kläger und dessen Schwester beerbt. Das Landesamt für Wiedergutmachung Stuttgart gewährte den Erben mit Bescheid vom 27. September 1952 eine Entschädigung wegen der Entziehung von Wertpapieren zur Begleichung der Reichsfluchtsteuer und mit weiterem Teilbescheid vom 2. Juni 1953 eine Entschädigung wegen der Entrichtung der Judenvermögensabgabe. Beide Bescheide betreffen nicht die verfahrensgegenständlichen Aktien.

1954 beerbten der Kläger und seine Schwester Nelly A. Am 11. September 1956 schlossen sie mit dem Deutschen Reich einen Vergleich, mit dem eine Schadensersatzpflicht des Deutschen Reiches wegen der Entziehung im Einzelnen aufgezählter, mit den verfahrensgegenständlichen Aktien nicht identischer Wertpapiere, die zur Entrichtung der Reichsfluchtsteuer und der Judenvermögensabgabe abgeliefert worden waren, vereinbart wurde.

Am 24. September 1990 meldete der Kläger auch im Namen seiner Schwester vermögensrechtliche Ansprüche wegen des "Konto- und Depotguthabens" Nr. 1 1042 bei der Deutschen Bank, Filiale Stuttgart, an und legte dazu die Aufstellung vom 20. Oktober 1966 vor.

Mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 2. Dezember 2003 stellte das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen der Hansestadt Rostock fest, der Kläger und seine Schwester seien zur gesamten Hand Berechtigte hinsichtlich der "Mecklenburger Bank Aktien über 5 000 RM" und der "Aktien der Verkehrs- und Industriewerke" <richtig: -werte> "(Rostocker Straßenbahn) über 2 100 RM"; ihnen stehe eine Entschädigung nach dem NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz (NS-VEntschG) zu. Die Begründung führte aus, Aktien seien Unternehmensbeteiligungen im Sinne des § 2 Abs. 2 Satz 2 VermG. Eine Schädigung nach § 1 Abs. 6 VermG liege in der Verhinderung von Verfügungen über die Aktien in der Zeit zwischen 1937 und 1940. Wegen des Untergangs des Emittenten und der nachgeholten Kraftloserklärung sei eine Rückübertragung unmöglich. Über die Höhe der Entschädigung habe die Oberfinanzdirektion Berlin gesondert zu entscheiden.

Zum 1. Januar 2004 ging die Zuständigkeit für Verfahren nach § 1 Abs. 6 VermG einschließlich der Entschädigungsfestsetzung auf das Bundesamt zur Regelung offener Vermögensfragen über. Auf eine Sachstandsanfrage des Bundesministeriums der Finanzen im Februar 2005 äußerte es Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des Entschädigungsgrundlagenbescheides. Schließlich nahm es nach Anhörung des Klägers mit dem hier angegriffenen Bescheid vom 25. Mai 2005 den Bescheid vom 2. Dezember 2003 mit Wirkung für die Vergangenheit zurück und stellte fest, der Kläger und seine Schwester seien nicht Berechtigte im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 1 Abs. 6 VermG. Ihnen stehe kein Entschädigungsanspruch nach dem NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz zu. Der zurückgenommene Bescheid sei rechtswidrig, weil die Entziehung nicht im räumlichen Geltungsbereich des Vermögensgesetzes stattgefunden habe. Dafür sei der Aufbewahrungsort der Aktien maßgeblich. Bei der Ermessensausübung komme dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und dem öffentlichen Interesse an der Rücknahme des rechtswidrigen Bescheides im konkreten Fall höheres Gewicht zu als dem Interesse des Adressaten am Fortbestehen des Bescheides und dem Interesse der Allgemeinheit am Eintreten von Rechtsfrieden und Rechtssicherheit. Auf schutzwürdiges Vertrauen könne der Kläger sich nicht berufen. Leistungen seien noch nicht gewährt, und Vermögensdispositionen weder geltend gemacht worden noch sonst erkennbar. Auch das fiskalische Interesse an einer zweckentsprechenden Verwendung der Mittel des Entschädigungsfonds spreche für die Rücknahme.

Auf die Klage des Klägers hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 4. Mai 2007 den Rücknahmebescheid des Bundesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen vom 25. Mai 2005 aufgehoben. Zur Begründung führt es aus, der Rücknahmebescheid widerspreche § 48 VwVfG, da der Ausgangsbescheid vom 2. Dezember 2003 rechtmäßig sei. Der Kläger sei als Miterbe Berechtigter. Eine Entziehung im Sinne des § 1 Abs. 6 VermG liege im Verfügungsverbot aus dem Jahr 1938. Die Schädigung betreffe Unternehmensbeteiligungen und nicht nur - sonstige - Wertpapiere. Die Auffassung der Beklagten, nach der eine Beteiligung nur bei einem Kapitalanteil von mindestens 20 v.H. vorliege, finde im Gesetz keine Stütze. Das Vermögensgesetz definiere den Begriff der Beteiligung nicht. § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG schränke Ansprüche nur im Rahmen des sogenannten doppelten Durchgriffs ein. Die Verweisung der amtlichen Gesetzesbegründung auf § 271 HGB und § 16 AktG rechtfertige keine andere Beurteilung. Träfe die verallgemeinernde Auslegung der Beklagten zu, wäre § 3 Abs. 1 Satz 4 Halbs. 3 VermG überflüssig. Aus Art. 18 REAO lasse sich ebenfalls keine Mindestbeteiligungsschwelle herleiten. Zwar schließe die Vorschrift einen gutgläubigen Erwerb von Inhaberpapieren aus, sofern sie eine maßgebliche Beteiligung an Unternehmen verkörperten. Sie konkretisiere diesen Begriff aber nicht im Sinne eines Mindestanteils und beschränke den Rückerstattungsanspruch wegen Anteilsentziehungen auch nicht auf die Entziehung maßgeblicher Beteiligungen. Die bisherige Rechtsprechung gehe ebenfalls nicht von einer Mindestschwelle aus. Bei der Bestimmung des räumlichen Geltungsbereichs des Vermögensgesetzes habe sie bisher nicht festgelegt, auf welchen Ort es bei der Schädigung von Aktien ankomme. Gegenstand der vom Kläger in den 1950er und 1960er Jahren betriebenen Wiedergutmachungsverfahren seien nur Aktien von "West"-Unternehmen gewesen; die der "Ost"-Unternehmen habe man ausgeklammert. Da eine Restitution dieser Gesellschaftsanteile nach § 6 Abs. 5b VermG wegen Untergangs der Unternehmensträger und Kraftloserklärung der Aktien nicht mehr möglich sei, bestehe ein Anspruch auf Entschädigung.

Die Beklagte hat die vom Senat zugelassene Revision eingelegt. Sie begründet sie insbesondere damit, dass Aktienanteile von weniger als 20 v.H. Kapitalanteil an einem Unternehmen nicht als Unternehmensbeteiligung, sondern als sonstige Wertpapiere anzusehen seien. Deshalb komme es für die Anwendung des Vermögensgesetzes auf den Ort der Belegenheit der Aktien - hier: Stuttgart - an.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil der 25. Kammer des Verwaltungsgerichts Berlin vom 4. Mai 2007 (VG 25 A 84.05), zugestellt am 22. Mai 2007, aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil.

Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht unterstützt die Rechtsauffassung der Beklagten, dass erst ab einem Anteil von 20 v.H. von einer Unternehmensbeteiligung im Sinne des Vermögensgesetzes auszugehen sei.

II

Die Revision ist begründet. Das Urteil des Verwaltungsgerichts verletzt Bundesrecht und stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO).

1.

Das Verwaltungsgericht ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass der räumliche Geltungsbereich des Vermögensgesetzes eröffnet ist (a) und der vermögensrechtliche Begriff der Beteiligung an einem Unternehmen im Sinne des § 2 Abs. 2 VermG keine Mindestanteilsquote voraussetzt (b).

a)

§ 1 Abs. 6 Satz 1 VermG begründet Rückübertragungsansprüche für Bürger und Vereinigungen, denen durch NS-Verfolgungsmaßnahmen auf dem Gebiet der späteren DDR und des sowjetischen Sektors von Berlin Vermögen entzogen wurde (Urteil vom 27. Mai 1997 - BVerwG 7 C 67.96 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 112 S. 338). § 1 Abs. 6 Satz 1 VermG erstreckt sich damit nur auf solche NS-Verfolgungsmaßnahmen, die eine Gebietsbezogenheit zum Beitrittsgebiet aufweisen. Das entspricht dem Zweck des Vermögensgesetzes. Er besteht in der Wiedergutmachung von Unrechtsmaßnahmen des NS-Staates in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945, zu der sich der Gesetzgeber der Bundesrepublik Deutschland mit Blick auf den Rechts- und Sozialstaatsgedanken des Grundgesetzes verpflichtet hat. Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass es in der sowjetischen Besatzungszone ebenso wie später in der DDR und im sowjetischen Sektor Berlins bis zum Erlass des Vermögensgesetzes keine Wiedergutmachungsgesetzgebung gegeben hat, die den in den westlichen Besatzungszonen und -sektoren Berlins und später in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Wiedergutmachungsgesetzen gleichwertig gewesen wäre (Beschluss vom 23. August 2000 - BVerwG 8 B 60.00 - Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 6 S. 22 f. m.w.N.).

Eine Vermögensentziehung im Beitrittsgebiet setzt damit voraus, dass der geschädigte Vermögenswert dort belegen war. Das ist im Fall der Schädigung von Aktien jedenfalls dann der Fall, wenn die Aktien - auch bei einer Anteilsquote von weniger als 20 v.H. - als Beteiligung an einem Unternehmen angesehen werden (s. dazu unter b) und das Unternehmen seinen Sitz im Beitrittsgebiet hatte. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

Mit der Feststellung, dass es sich bei Aktien unabhängig von der Höhe ihres Anteils um eine Unternehmensbeteiligung handelt, ist noch keine Aussage über die Belegenheit des Vermögenswertes und damit die Anwendbarkeit des Vermögensgesetzes getroffen. Nach den allgemeinen Grundsätzen sind Beteiligungen am Sitz des Unternehmens belegen. Die Belegenheit von Forderungen und Rechten richtet sich nach dem Ort, an dem sie geltend zu machen bzw. auszuüben sind.

Auch hier ist von der Belegenheit einer Beteiligung am Sitz des Unternehmens auszugehen. Die Beteiligung ist ein Anteil am Unternehmenskapital, der als Inbegriff der Mitgliedschaftsrechte des Inhabers vermögenswerte Forderungen und Verwaltungsrechte gegenüber dem Unternehmensträger zusammenfasst (vgl. Koller/Roth/Morck, HGB, 6. Aufl. 2007, § 271 Rn. 3). Diese Rechte sind am Sitz des Unternehmens geltend zu machen und durchzusetzen. Auch Beteiligungen, die in Aktien verbrieft sind, vermitteln Rechte, die am Unternehmenssitz wahrzunehmen und durchzusetzen sind. Aktienanteile erschöpfen sich nicht in dem durch Veräußerung zu realisierenden wirtschaftlichen Wert, sondern geben dem Aktionär darüber hinaus Mitwirkungs-, insbesondere Stimmrechte (vgl. § 12 Abs. 1 Satz 1 AktG), die am Sitz der Aktiengesellschaft ausgeübt werden. Lag dieser im Beitrittsgebiet, so ist auch der Vermögenswert im Beitrittsgebiet entzogen worden, unabhängig davon, wo die Aktien die die Beteiligung an dem Unternehmen dokumentierten, gelagert waren.

Ob darüber hinaus aus § 2 Abs. 2 Satz 2 Alt. 3 VermG geschlossen werden muss, dass die Unternehmensbeteiligung nur am Sitz des Unternehmens belegen sein konnte (so Neuhaus, in: Fieberg/Reichenbach/Messerschmidt/Neuhaus, VermG, § 2 VermG Rn. 33) oder ob zumindest bei Inhaberpapieren subsidiär an den Aufbewahrungsort angeknüpft werden kann (zur rückerstattungsrechtlichen Rechtsprechung vgl. z.B. ORG Berlin, Entscheidungen vom 1. November 1961 - ORG/A/1663 - ORGE 17, 99 <109 f.>, vom 2. November 1971 - ORG/A/4897 - ORGE 29, 108 <112 f.> und vom 23. März 1976 - ORG/A/7058 - ORGE 32, 151 <153 f.>), bedarf hier keiner Entscheidung. Für die Anwendung des Vermögensgesetzes ist die Belegenheit der Aktien jedenfalls dann ohne Bedeutung, wenn der Sitz des die Aktien ausgebenden Unternehmens im Beitrittsgebiet war. Hier ist der räumliche Geltungsbereich des § 1 Abs. 6 VermG eröffnet, weil Rostock und Schwerin als Sitz der betroffenen Unternehmensträger jeweils im Beitrittsgebiet liegen.

b)

Aktien sind - entgegen der Auffassung der Revision - unabhängig von der Höhe ihres Anteils am gezeichneten Kapital als Beteiligung an dem Unternehmen anzusehen. Das ergibt sich sowohl aus dem Wortlaut als auch der Systematik, der Entstehungsgeschichte und dem Sinn und Zweck des Vermögensgesetzes.

Der vermögensrechtliche Begriff der Beteiligung an einem Unternehmen im Sinne des § 2 Abs. 2 Satz 2 VermG setzt keine Mindestanteilsquote voraus. Er geht vom gesellschaftsrechtlichen Begriff des Unternehmensanteils aus (vgl. Wasmuth, in: Rechtshandbuch Vermögen und Investitionen in der ehemaligen DDR, § 2 VermG Rn. 182; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 61, I 1a <aa>), ohne das auf unternehmerische Beteiligungen bezogene, bilanzrechtlich begründete Kriterium einer Mindestquote aus § 271 Abs. 1 Satz 3 HGB aufzunehmen.

Diese Auslegung liegt auch der bisherigen Rechtsprechung zugrunde. So stellte der 7. Senat bereits in seinem Urteil vom 31. August 2006 - BVerwG 7 C 16.05 - (Buchholz 428 § 31 VermG Nr. 12 Rn. 15) fest, wenn es bei einer Schädigung um Unternehmensbeteiligungen gehe, sei jeder einzelne Anteil, z.B. jede Aktie, ein Vermögenswert im Sinne des § 2 VermG. Die einleitende, bedingungsgleiche Formulierung ist entgegen der Auffassung der Revision nicht dahin zu verstehen, dass Aktien nur unter bestimmten, im Urteil nicht genannten Voraussetzungen als Beteiligung qualifiziert werden dürften. Aus dem Zusammenhang der Entscheidungsgründe ergibt sich vielmehr, dass auch ein im konkreten Fall nachgewiesener Aktienanteil i.H.v. nur 5,215 v.H. des gezeichneten Kapitals als Beteiligung anzusehen ist, so dass eine entsprechende Entschädigungsberechtigung besteht. Damit ist ein Ansatz, der die Mindestanteilsquote nach § 3 Abs. 1 Satz 4 Teilsatz 3 VermG zum Begriffsmerkmal der Beteiligung erhebt, nicht zu vereinbaren. Auch in der früheren Rechtsprechung wurde bereits eine Bruchteilsrestitution bei einer Beteiligung von weniger als 20 v.H. des Nennkapitals anerkannt (vgl. Urteil vom 28. August 1997 - BVerwG 7 C 36.96 - Buchholz 428 § 3 VermG Nr. 19 S. 20 f. und Beschluss vom 25. Juli 2007 - BVerwG 8 B 9.07 - ZOV 2008, 261 <262>).

Die Systematik der Vorschrift gibt ebenso wenig wie der Wortlaut des § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG Anhaltspunkte für eine Einschränkung des vermögensrechtlichen Beteiligungsbegriffs im Sinne einer Mindestanteilsquote. § 3 Abs. 1 Satz 4 Teilsatz 2 VermG differenziert nur nach unmittelbarer und mittelbarer Beteiligung, d.h. nach einer Beteiligung am betroffenen Unternehmen selbst oder einer Beteiligung an einer Beteiligungsgesellschaft, die ihrerseits Anteile des betroffenen Unternehmens hält. Erst der dritte Teilsatz führt eine Differenzierung nach dem Beteiligungsumfang ein, und zwar ausdrücklich nur für die mittelbare Beteiligung. Danach wird der Begriff der Beteiligung in § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG als Oberbegriff verwendet, der selbst keine Mindestanteilsquote voraussetzt. Er gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, den Beteiligungsbegriff nur für Aktienanteile, nicht aber für sonstige Beteiligungen nach dem Kriterium einer Mindestquote einzuschränken.

Mit der Entstehungsgeschichte des § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG lässt sich die von der Revision vertretene Einschränkung des vermögensrechtlichen Beteiligungsbegriffs ebenfalls nicht begründen. Ein Ausschluss von Aktienbeteiligungen bis zu 20 v.H. des Grundkapitals von den Regelungen über Unternehmensbeteiligungen ist nicht aus dem Ziel einer Angleichung der vermögensrechtlichen Ansprüche von NS-Verfolgten an die rückerstattungsrechtliche Rechtslage herzuleiten (vgl. dazu Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zum Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetz vom 25. Juni 1992, BTDrucks 12/2944 S. 50 und zum Entwurf des Wohnraummodernisierungssicherungsgesetzes vom 20. März 1997, BTDrucks 13/7275 S. 43 f.). Der Gesetzgeber hat keine genaue Kopie der rückerstattungsrechtlichen Regelungen beabsichtigt, sondern mit der Regelung des § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG, für die es kein Vorbild bei den Rückerstattungsgesetzen gab, eine rechtliche Konstruktion geschaffen, die im Ergebnis der rückerstattungsrechtlichen Wiedergutmachung entsprechen soll.

Anhaltspunkte dafür, dass der Vermögensrechts-Gesetzgeber Ansprüche wegen der Schädigung von Unternehmensbeteiligungen, entgegen dem rückerstattungsrechtlichen Ansatz, von vornherein auf maßgebliche Beteiligungen hätte begrenzen wollen, ergeben sich aus den Gesetzesmaterialien zu Art. 3 Abs. 1 Satz 4 VermG nicht. Ihnen lässt sich auch keine Reduzierung des Beteiligungsbegriffs auf Sperrminoritäts-Beteiligungen entnehmen. Vielmehr wird ausdrücklich betont, dass - nicht näher definierte - Minderheitsbeteiligungen berücksichtigt werden sollten. Nur für die Fälle der mittelbaren Beteiligung wollte der Gesetzgeber den - dann doppelten - Durchgriff auf ehemaliges Unternehmensvermögen von einer Mindestbeteiligung abhängig machen, um "Kleinstbeteiligungen" von "diesem" Anspruch auszuschließen (vgl. BTDrucks 13/7275 S. 44). Diese Spezialregelung für mittelbare Beteiligungen normiert die Mindestgrenze weder für die Beteiligung insgesamt, deren Umfang sich als Produkt der beiden Anteilsquoten errechnet, noch für den Anteil an der Beteiligungsgesellschaft. Die Mindestquote gilt nur für deren Anteil am (Tochter-)Unternehmen. Die klare Trennung der Gesetzesbegründung zwischen einfachem und doppeltem Durchgriff belegt, dass die Differenzierung zwischen Ansprüchen bei unmittelbarer und mittelbarer Beteiligung gewollt, und ein Ausschluss der Bruchteilsrestitution auch für unmittelbare Kleinstbeteiligungen gerade nicht beabsichtigt war. Unter diesen Umständen kann der ungenaue Verweis der Gesetzesmaterialien auf die keineswegs kongruenten Regelungen in § 271 HGB und § 16 AktG keine Einschränkung des vermögensrechtlichen Beteiligungsbegriffs auf Anteile von mehr als 20 v.H. des Nennkapitals rechtfertigen.

Die von der Revision vorgetragenen bewertungsrechtlichen Normen sind weder in den Gesetzesmaterialien erwähnt, noch von den dort zitierten Vorschriften in Bezug genommen. Sie sind für die Auslegung des vermögensrechtlichen Beteiligungsbegriffs nicht relevant. Inwieweit sie die Abgrenzung des Anwendungsbereichs des § 2 Satz 2 und Satz 4 NS-VEntschG bestimmen, die nicht an den Beteiligungsbegriff, sondern an die Einheitswertfestsetzung anknüpft, ist hier nicht zu entscheiden.

2.

Das angegriffene Urteil verletzt aber Bundesrecht, weil es zu Unrecht eine tatbestandsmäßige Schädigung annimmt. Denn allein eine devisenrechtliche Sicherungsanordnung und die Verhinderung eines Kapitaltransfers führen noch nicht zu einem Vermögensverlust im Sinne des § 1 Abs. 6 VermG.

Die seinerzeit in Stuttgart lebende Großmutter und Rechtsvorgängerin des Klägers gehörte als Jüdin im Sinne der NS-Rassegesetze unabhängig von ihrer (auch) US-amerikanischen Staatsangehörigkeit zur Gruppe der Kollektivverfolgten im Sinne des § 1 Abs. 6 VermG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 Buchst. b REAO. Die ihr gegenüber erlassene Sicherungsanordnung und die Verweigerung der Transfergenehmigung sind unabhängig davon, inwieweit der Depotbestand zur Begleichung von Abgaben benötigt wurde, als Maßnahmen rassischer Verfolgung anzusehen. Das gilt auch, soweit die devisenrechtlichen Vorschriften grundsätzlich ebenso für nicht-jüdische Auswanderer galten.

Die diskriminierende devisenrechtliche Sicherungsanordnung und das Versagen der danach erforderlichen Genehmigung zum Aktien- oder Erlöstransfer in der Zeit vom 31. Oktober 1938 bis in die erste Jahreshälfte 1941 bewirkten jedoch keinen vollständigen und endgültigen Verlust der Aktienanteile, sondern stellten sich als bloße Verfügungsbeschränkungen dar, die den Tatbestand des § 1 Abs. 6 VermG nicht erfüllen. Das Verwaltungsgericht hat mit seiner abweichenden Auffassung bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 1 Abs. 6 VermG den rechtlichen Maßstab verkannt. § 1 Abs. 6 VermG setzt einen vollständigen und endgültigen Verlust des Vermögenswertes voraus, auf den verfolgungsbedingt zugegriffen wurde. Dabei muss es nicht zur förmlichen Enteignung kommen. Ausreichend ist eine faktische Enteignung, die den Rechtsinhaber vollständig und endgültig aus seiner Rechtsstellung verdrängt, indem der Staat sich eigentümergleiche Verfügungsbefugnisse anmaßt. Vorläufige Sicherungsmaßnahmen und bloße zeitweilige Verwaltungs- und Verfügungsbeschränkungen genügen hingegen nicht (vgl. Urteil vom 2. Dezember 1999 - BVerwG 7 C 46.98 - Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 5; Beschlüsse vom 15. Februar 2006 - BVerwG 7 B 8.06 - ZOV 2006, 182 <183> und vom 4. Juli 2007 - BVerwG 8 B 8.07 - Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 44 Rn. 7).

Der Erlass einer devisenrechtlichen Sicherungsanordnung führte grundsätzlich nur zu einer Verfügungsbeschränkung, indem sie einen Genehmigungsvorbehalt für Veräußerungen begründete (ORG Berlin, Entscheidungen vom 8. Februar 1960 - ORG/A/1643 - ORGE 14, 93 <95> und vom 24. November 1960 - ORG/A/1537 - ORGE 15, 62 <65>, vom 26. März 1964 - ORG/A/2814 - ORGE 20, 220, vom 5. Mai 1967 - ORG/III/765 - RzW 1967, 443 f., vom 25. September 1971 - ORG/A/5733 - ORGE 29, 218 <219 f.> und vom 27. Mai 1975 - ORG/A/6675 - ORGE 32, 57 <59 f.>). Als Entziehung sah die rückerstattungsrechtliche Rechtsprechung solche Maßnahmen lediglich, wenn ihnen eine Beschlagnahme oder Pfändung zum Zweck der Verwertung unmittelbar nachfolgte (ORG Berlin, Entscheidungen vom 8. Februar 1960 und 25. September 1971, je a.a.O.), staatlicherseits ein Treuhänder bestellt wurde (ORG Berlin, Entscheidung vom 15. September 1971 - ORG/A/5852 - ORGE 29, 90 <91 f.>) oder die Behörde eine Veräußerung zur Begleichung diskriminierender Abgaben oder zu das Reich begünstigenden Zwecken oder die Umlegung auf ein eigenes Konto anordnete (ORG Berlin, Entscheidungen vom 22. Dezember 1965 - ORG/A/3160 - ORGE 23, 51 <51 f., 54 f.> und vom 27. Mai 1975, a.a.O.). Im Übrigen wurde eine Entziehung erst bei behördlicher Einziehung und Verwertung der Wertpapiere bejaht. An diese Rechtsprechung kann die Auslegung des Merkmals des Verfügungsverlustes nach § 1 Abs. 6 VermG anknüpfen, weil danach die NS-Verfolgten nicht schlechter gestellt werden sollen als nach alliiertem Rückerstattungsrecht.

Umstände, aus denen sich nach diesen Kriterien hier ein vollständiges, endgültiges Verdrängen der Großmutter des Klägers aus ihrer Rechtsstellung und eine behördliche Anmaßung eigentümergleicher Verfügungsgewalt ergeben könnten, liegen nach den nicht gerügten tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts nicht vor. Von der rechtsgeschäftlichen Verpfändung nicht verfahrensgegenständlicher Aktien am 8. November 1938 abgesehen, kam es nicht zu einer Pfändung oder Verpfändung von der Sicherungsanordnung betroffener Wertpapiere, ebenso wenig zu einer über die Sicherungsanordnung hinausgehenden Beschlagnahme, die Eigenbesitz der Finanzbehörden begründet hätte. Ein Treuhänder wurde ebenfalls nicht bestellt. Stattdessen beauftragte die Großmutter des Klägers einen Bevollmächtigten, Dr. Felix P., der ihre Interessen gegenüber den Finanzbehörden und den Banken wahrnahm und das Depot weiterhin für ihre Rechnung verwaltete. Die zum Kapitaltransfer erforderliche devisenrechtliche Genehmigung wurde auch nicht endgültig verweigert, sondern im ersten Halbjahr 1941 erteilt, da die Deutsche Bank, Filiale Stuttgart, im Juni dieses Jahres mitteilte, die Genehmigung liege ihr nun vor. Der Transfer scheiterte letztlich daran, dass die Deutsche Bank sich - wohl im Hinblick auf die Kriegsentwicklung - weigerte, den Auftrag zur Veräußerung der Wertpapiere gegen Devisen auszuführen.

Zu einer zwangsweisen Veräußerung bzw. einem Kapitaltransfer zum benachteiligenden ungünstigen Sperrmark-Kurs, der noch unter dem ohnedies ungünstigen Auslandskurs der Reichsmark lag, kam es im maßgeblichen Zeitraum bis zum 8. Mai 1945 nicht. Der Depotauszug vom 24. November 1948 und der Auszug per 31. Dezember 1957 belegen, dass das Konto weiterhin für die Großmutter des Klägers bzw. deren Erben geführt wurde. Mindestens bis 1948 waren die Aktien der Rostocker Straßenbahn AG auch noch Depotbestandteil. Sie gingen also nicht im Zeitraum bis zum 8. Mai 1945 verloren.

Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die streitgegenständlichen Aktien auf Grund § 3 der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941 dem Reich verfallen waren. Zwar ist der Vermögensverfall nach § 3 der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz eine Entziehungsmaßnahme im Sinne des § 1 Abs. 6 VermG (vgl. Urteil vom 18. Mai 1995 - BVerwG 7 C 19.94 - BVerwGE 98, 261<263>). Er betraf aber den Vermögensverfall von Juden, die die deutsche Staatsangehörigkeit auf Grund dieser Verordnung verloren haben, weil sie als deutsche Staatsangehörige beim Inkrafttreten der Verordnung ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hatten. Die Großmutter des Klägers war bei Inkrafttreten der Verordnung zumindest auch amerikanische Staatsangehörige. Ob sie daneben noch die deutsche Staatsangehörigkeit besessen und diese mit Inkrafttreten der Verordnung verloren hat, bedarf keiner weiteren Aufklärung. Denn aus den Depotauszügen vom November 1948 und vom Januar 1958 (Stand 31. Dezember 1957), aus denen sich ergibt, dass die Aktien weiterhin zum Depot gehörten, ergibt sich, dass die 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz auf diese Fälle nicht angewandt wurde. Dies erklärt sich mit einer Weisung des Auswärtigen Amtes, Vermögen insbesondere von Juden mit US-amerikanischer Staatsangehörigkeit nur zu sequestrieren, aber nicht einzuziehen, um Gegenmaßnahmen gegen deutsches Auslandsvermögen zu vermeiden (Lindner, Das Reichskommissariat für die Behandlung feindlichen Vermögens im Zweiten Weltkrieg, 1991, S. 135 ff., 141).

Soweit das Verwaltungsgericht auch für die Aktien der Mecklenburger Bank AG einen Vermögensverlust im Sinne des § 1 Abs. 6 VermG annimmt, sind - über den Rechtsanwendungsfehler der Voraussetzungen des Vermögensverlustes hinaus - die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts zudem aktenwidrig. Die entsprechende Feststellung verstößt deshalb gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Sie bindet den Senat auch ohne einschlägige Verfahrensrügen nicht.

Anders als die Aktien der Rostocker Straßenbahn AG sind die Mecklenburger Bank AG-Aktien weder in der im Zusammenhang mit der Flucht erstellten List of Securities aufgeführt, noch in dem zu den Verwaltungsvorgängen gereichten Depotauszug vom 24. November 1948, der sämtliche Bestandsveränderungen des betroffenen Depots Nr. 1 1042 seit dem 29. Juli 1941 ausweist. Ein früherer Depotzu- und abgang der Bankaktien ist nach Aktenlage ausgeschlossen. Wie der Kläger dem Verwaltungsgericht schriftsätzlich mitteilte, gelangte das Aktienpaket erst mit dem Versterben seiner Großtante Clare A. im Jahr 1941 in das Eigentum seiner Großmutter. Wie sich aus einer Anfrage der Großmutter des Klägers vom August 1948 an das Bankhaus Josef Frisch ergibt, versuchte sie zu diesem Zeitpunkt noch festzustellen, wo das ihr zugefallene Guthaben ihrer Schwester geführt wurde. Bis zur Erteilung der devisenrechtlichen Genehmigung im ersten Halbjahr 1941 können die Bankaktien daher nicht in ihrem Depot gewesen sein.

In Ermangelung einer Schädigungsmaßnahme im Sinne des § 1 Abs. 6 VermG stellt sich somit entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts die Feststellung des angefochtenen Bescheides, dass der eine Entschädigungsberechtigung des Klägers und seiner Schwester nach dem NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz bejahende Bescheid vom 2. Dezember 2003 rechtswidrig ist, im Ergebnis als richtig dar.

3.

Das angegriffene Urteil beruht auf der Verletzung des § 1 Abs. 6 VermG. Ursächlich für die stattgebende Entscheidung war die irrige Annahme, die Rücknahmeverfügung sei rechtswidrig, weil der zurückgenommene Entschädigungsgrundlagenbescheid rechtmäßig sei. Diese Beurteilung stützt sich auf die zu weit greifende, auch Verfügungsbeschränkungen ohne Entziehungswirkung erfassende Auslegung des Schädigungstatbestands. Hinsichtlich der Aktien der Mecklenburger Bank AG beruht sie darüber hinaus auf der aktenwidrigen Annahme, die devisenrechtliche Transfersperre im Zeitraum von 1938 bis Juni 1941 habe sich auch auf diese Aktien erstreckt. Insofern ist auch die Verletzung des § 108 Abs. 1 VwGO für die Stattgabe ursächlich.

4.

Die angegriffene Entscheidung stellt sich nicht gemäß § 144 Abs. 4 VwGO aus anderen Gründen als im Ergebnis richtig dar.

Der Anwendungsbereich des § 48 VwVfG ist eröffnet. Da der Entschädigungsgrundlagenbescheid einen begünstigenden Verwaltungsakt darstellt, ist seine Rücknahme nur unter den Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 bis 4 VwVfG zulässig.

Die Feststellung der Berechtigung und des grundsätzlichen Anspruchs auf Entschädigung nach dem NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz ist Voraussetzung einer einmaligen Geldleistung. Für ihre Rücknahme ist deshalb § 48 Abs. 2 VwVfG einschlägig. Diese Vorschrift steht der Rücknahme nicht entgegen, weil das Vertrauen des Klägers auf den Bestand des Ausgangsbescheides unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an der Rücknahme nicht schutzwürdig ist.

Eine Schutzwürdigkeit ergibt sich nicht aus der Regel des § 48 Abs. 2 Satz 2 VwVfG, weil der Kläger keine Vermögensdispositionen geltend gemacht hat, die ein schutzwürdiges Vertrauen im Sinne dieser Regelung begründen könnten. Auch eine wertende Abwägung der Gesichtspunkte, die für eine Aufrechterhaltung des begünstigenden Hoheitsaktes sprechen, gegen das öffentliche Interesse an der Herstellung des an sich nach den maßgeblichen Rechtsvorschriften gebotenen Rechtszustandes führt hier nicht dazu, dass das Vertrauen des Klägers schutzwürdig ist.

Das Rücknahmeermessen wurde fehlerfrei ausgeübt. Nach § 40 VwVfG muss die Ermessensausübung sich am Zweck der Ermächtigung orientieren. Zutreffend geht der Rücknahmebescheid davon aus, dass § 48 VwVfG dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung dient. Das schließt die Einbeziehung fiskalischer Erwägungen nicht aus (vgl. Urteil vom 31. August 2006 - BVerwG 7 C 16.05 - a.a.O.). Danach ist nicht zu beanstanden, dass die Beklagte sich von dem Gedanken leiten ließ, die zweckentsprechende Verwendung der Mittel des Entschädigungsfonds zu sichern und Belastungen durch rechtswidrige Zahlungen zu vermeiden.

Schließlich stellt es auch keinen Ermessensfehler dar, dass die Beklagte den Ausgangsbescheid zwar im Ergebnis zutreffend, aber aus irrigen Gründen für rechtswidrig gehalten hat. Die Erkenntnis, dass statt der räumlichen Anwendbarkeit die sachliche Anwendbarkeit des § 1 Abs. 6 VermG fehlt, macht die Ermessenserwägungen der Beklagten, die allein auf die Fehlerhaftigkeit der Ausgangsentscheidung und den Schutz fiskalischer Interessen abstellen, nicht rechtsfehlerhaft.

Das Verwaltungsgericht ist schließlich auch rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG bei Erlass des angefochtenen Bescheides vom 25. Mai 2005 noch nicht abgelaufen war. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beginnt diese Frist erst zu laufen, wenn die Behörde die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes erkannt hat und ihr die weiteren für die Rücknahmeentscheidung erheblichen Tatsachen vollständig bekannt sind (vgl. Beschluss vom 19. Dezember 1984 - Gr. Sen. 1 und 2.84 - BVerwGE 70, 356). Eine solche vollständige Tatsachenkenntnis hatte die Behörde frühestens nach Anhörung des Klägers mit Schreiben vom 19. April 2005 und damit weniger als ein Jahr vor Erlass des Bescheides vom 25. Mai 2005.

Die Rücknahmebefugnis war auch nicht verwirkt. Eine Verwirkung setzt nicht nur ein Zeit-, sondern auch ein Umstandsmoment voraus, das die Rechtsausübung als rechtsmissbräuchlich erscheinen lässt. Dazu genügt nicht, dass die Beklagte die für die Rücknahme ausschlaggebenden Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des Ausgangsbescheides nicht sofort offen legte. Aus den Verwaltungsakten geht hervor, dass das Bundesamt zur Regelung offener Vermögensfragen den Kläger nicht wider besseres eigenes Wissen in Sicherheit wiegte. Es musste die Relevanz des Aufbewahrungsortes der Aktien erst in Abstimmung mit dem Bundesministerium der Finanzen und in Auseinandersetzung mit dessen Rechtsauffassung klären.

5.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 3 630 EUR festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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