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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 22.12.1998
Aktenzeichen: BVerwG 8 C 7.97
Rechtsgebiete: AbwAG 1987


Vorschriften:

AbwAG 1987 § 4 Abs. 1
AbwAG 1987 § 6
AbwAG 1987 § 9 Abs. 5
AbwAG 1987 § 10 Abs. 3
Leitsatz:

Eine Minderung der Abwasserabgabe nach § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG ist auch dann möglich, wenn der Ermittlung der Schadeinheiten gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 AbwAG das höchste Meßergebnis aus der behördlichen Überwachung zugrunde zu legen ist.

Urteil des 8. Senats vom 22. Dezember 1998 - BVerwG 8 C 7.97 -

I. VG Neustadt a.d.W. vom 16.05.1994 - Az.: VG 1 K 3122/92 - II. OVG Koblenz vom 31.10.1996 - Az.: OVG 12 A 12684/94 -


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 8 C 7.97 OVG 12 A 12684/94

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 8. Senat ddes Bundesverwaltungsgerichts am 22. Dezember 1998 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Müller und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Pagenkopf, Krauß, Golze und Postier

ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 31. Oktober 1996 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Gründe:

I.

Die Klägerin leitete im Jahre 1990 vorgeklärtes Schmutzwasser aus verschiedenen Kläranlagen u.a. denen in W. und in E. in einen Vorfluter ein. Im November 1989 erklärte sie in einem Schreiben an die Beklagte, die Abwasserbehandlungsanlagen W. und E. sowie eine weitere Anlage würden bis zum 31. Dezember 1991 durch die Kläranlage F. ersetzt. Es werde erwartet, daß die neue Anlage einen CSB-Wert von 60 mg/l einhalte. Gleichzeitig beantragte die Klägerin, die Abwasserabgabe gemäß § 10 Abs. 3 AbwAG zu ermäßigen. Tatsächlich wurde die Kläranlage F. am 15. September 1993 in Betrieb genommen. Der wasserrechtliche Bescheid setzt für diese Anlage einen Grenzwert von 60 mg/l (CSB) fest.

Mit Bescheid vom 17. Januar 1992 setzte der Beklagte gegenüber der Klägerin für das Jahr 1990 eine Abwasserabgabe in Höhe von 322 217,98 DM fest. Davon entfallen auf die Kläranlage W. ein Betrag in Höhe von 138 320 DM und auf die Kläranlage E. ein Betrag in Höhe von 9 328 DM. In beiden Fällen wurde der Ermittlung der Schadeinheiten gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 AbwAG das höchste Meßergebnis aus der behördlichen Überwachung (247 mg/l CSB bei der Kläranlage W. und 106 mg/l CSB bei der Kläranlage E.) zugrunde gelegt. Die beantragte Minderung der Abgabe nach § 10 Abs. 3 AbwAG lehnte der Beklagte ab, weil eine solche nur in Betracht komme, wenn ein Bescheid nach § 4 Abs. 1 AbwAG oder eine Erklärung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG vorläge. Den dagegen gerichteten Widerspruch wies der Beklagte mit Bescheid vom 7. Oktober 1992 zurück.

Daraufhin hat die Klägerin gegen den Bescheid des Beklagten insoweit Klage erhoben, als die Abwasserabgabe den Betrag von 247 944,29 DM übersteigt. Sie hat einige Punkte der Abgabeberechnung angegriffen. U.a. hat sie geltend gemacht, die Abwasserabgabe für die Kläranlagen W. und E. sei gemäß § 10 Abs. 3 AbwAG für die Zeit vom 15. September bis 31. Dezember 1990 zu ermäßigen. Dadurch verringere sich die Abgabe für die Kläranlage W. auf 107 620,95 DM und die Abgabe für die Anlage in E. auf 8 141,32 DM.

Mit Urteil vom 16. Mai 1994 hat das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben. Die dagegen eingelegte Berufung des Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht mit Urteil vom 31. Oktober 1996 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt: Der angefochtene Bescheid sei u.a. auch deshalb fehlerhaft, weil die Abgabe für die Kläranlagen W. und E. für die Zeit vom 15. September bis 31. Dezember 1990 gemäß § 10 Abs. 3 AbwAG zu mindern sei. Voraussetzung der Minderung sei nicht, daß ein Bescheid nach § 4 Abs. 1 AbwAG oder eine Erklärung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG vorliege, weil § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG keine Beschränkung auf eine bestimmte Ermittlungsmethode enthalte. Für die gegenteilige Auffassung sprächen weder die Systematik des Gesetzes noch der Wille des Gesetzgebers. Auch führe eine am Zweck des Gesetzes orientierte Auslegung zu keinem anderen Ergebnis. Im übrigen fände eine solche Auslegung ihre Grenze im eindeutigen Wortlaut des Gesetzes. Die Berechnung der sich aus § 10 Abs. 3 AbwAG ergebenden Minderung der Abwasserabgabe durch das Verwaltungsgericht sei zutreffend.

Die vom erkennenden Senat zugelassene Revision des Beklagten richtet sich nur gegen die Minderung der Abwasserabgabe gemäß § 10 Abs. 3 AbwAG für die Kläranlagen W. und E.

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil.

Der Oberbundesanwalt beteiligt sich am Verfahren.

II.

Mit Zustimmung der Beteiligten konnte der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 101 Abs. 2 VwGO).

Die zulässige Revision ist unbegründet. Das angefochtene Urteil beruht nicht auf der Verletzung von Bundesrecht (vgl. § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).

Anzuwenden ist im vorliegenden Fall noch das Abwasserabgabengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. März 1987 (BGBl I S. 880) - AbwAG 1987 -. Das Dritte Gesetz zur Änderung des Abwasserabgabengesetzes vom 2. November 1990 (BGBl I S. 2425) - AbwAG 1991 - ist am 1. Januar 1991 in Kraft getreten (vgl. Art. 5 des Gesetzes). Daß der Bescheid für das Veranlagungsjahr 1990 erst nach dessen Ablauf erlassen wurde, ist insoweit ohne Bedeutung. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Überleitungsvorschrift zu § 10 Abs. 3 AbwAG (vgl. Art. 2 Abs. 1 des Dritten Änderungsgesetzes).

A. Der Bescheid des Beklagten in der Fassung des Widerspruchsbescheids ist insoweit rechtswidrig, als die Abwasserabgabe für die Kläranlagen W. und E. nicht gemäß § 10 Abs. 3 AbwAG gemindert wurde. Das Verwaltungsgericht hat den angefochtenen Bescheid insoweit zu Recht aufgehoben, das Oberverwaltungsgericht die daraufhin eingelegte Berufung zu Recht zurückgewiesen.

Entgegen der Auffassung des Beklagten und des Oberbundesanwalts ist Voraussetzung für die Minderung der Abgabepflicht nach § 10 Abs. 3 AbwAG nicht, daß ein Bescheid nach § 4 Abs. 1 AbwAG oder eine Erklärung des Überwachungswertes nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG vorliegt.

Dies ergibt sich - wie das Berufungsgericht zu Recht festgestellt hat - aus dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes. Gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG entsteht - unter den dort genannten weiteren Voraussetzungen - die Abgabepflicht nicht in der Höhe, die der zu erwartenden Minderung "des der Ermittlung der Schadeinheiten jeweils zugrunde zu legenden Wertes" entspricht. Damit nimmt die Vorschrift Bezug auf die §§ 4 Abs. 1 und 6 Abs. 1 AbwAG, die die Ermittlung der Schadeinheiten regeln. Die Ermittlung der Schadeinheiten erfolgt aber nicht nur aufgrund der Festlegungen in einem Bescheid (§ 4 Abs. 1 AbwAG) oder des Inhalts einer Erklärung (§ 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG), sondern gegebenenfalls auch dadurch, daß das höchste Meßergebnis aus der behördlichen Überwachung zugrunde gelegt wird (§ 6 Abs. 1 Satz 2 AbwAG) oder daß die Überwachungswerte geschätzt werden (§ 6 Abs. 1 Satz 3 AbwAG). Eine Beschränkung auf bestimmte Methoden zur Ermittlung der Schadeinheiten enthält § 10 Abs. 3 AbwAG nicht. Nichts anderes ergibt sich daraus, daß § 10 Abs. 3 AbwAG von Werten spricht und der Begriff "Überwachungswert" in den §§ 4 Abs. 1 und 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG genannt wird, nicht aber in § 6 Abs. 1 Satz 2 AbwAG. In den Fällen des § 6 Abs. 1 Satz 2 AbwAG ist der Ermittlung der Schadeinheiten jeweils das höchste Meßergebnis aus der behördlichen Überwachung zugrunde zu legen. Das Ergebnis einer Messung ist aber nach dem allgemeinen Sprachgebrauch immer ein Wert. Daß das Abwasserabgabengesetz "Wert" im Sinne des allgemeinen Sprachgebrauchs versteht - und nicht etwa nur durch Bescheid festgesetzte oder erklärte Werte als solche - verdeutlicht § 6 Abs. 1 Satz 3 AbwAG. Soweit diese Bestimmung anwendbar ist, sind "Überwachungswerte" zu schätzen. Dem kann nicht mit dem Einwand des Beklagten begegnet werden, die Wortfassung des § 6 Abs. 1 Satz 3 AbwAG sei unpräzise.

Für diese sich bereits aus dem Wortlaut ergebende Auslegung von § 10 Abs. 3 AbwAG sprechen auch die Bestimmung des § 9 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 AbwAG und der Wille des Gesetzgebers. Eine Ermäßigung des Abgabesatzes ist gemäß § 9 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 AbwAG nur möglich, wenn ein Bescheid nach § 4 Abs. 1 AbwAG oder eine Erklärung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG vorliegt. Eine entsprechende Regelung enthält § 10 Abs. 3 AbwAG nicht. Der Grund für diese unterschiedlichen Regelungen ergibt sich aus der amtlichen Begründung des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Abwasserabgabengesetzes vom 19. Dezember 1986 (BTDrucks 10/5533). Mit diesem Änderungsgesetz wurde u.a. § 6 AbwAG neu gefaßt. Für den Fall, daß kein Überwachungswert in einem Bescheid nach § 4 Abs. 1 AbwAG festgesetzt ist, wurde der Einleiter zur Abgabe einer Erklärung verpflichtet (§ 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG). Gleichzeitig wurde in § 9 Abs. 5 AbwAG geregelt, daß, wenn die Verpflichtung zur Abgabe einer Erklärung nicht erfüllt wird, eine Ermäßigung des Abgabesatzes selbst dann ausscheidet, wenn der Einleiter die Anforderungen nach § 7 a WHG oder sogar höhere Anforderungen einhält. Dadurch sollten die Einleiter angehalten werden, rechtzeitig und vollständig die erforderlichen Angaben zu machen (vgl. BTDrucks 10/5533 S. 13). Dem Gesetzgeber schien es dagegen nicht erforderlich zu sein, Einleitern, die ihre Erklärungspflicht nicht erfüllen, darüber hinaus eine Minderung der Abgabe nach § 10 Abs. 3 AbwAG zu versagen.

Eine vom Beklagten und vom Oberbundesanwalt auf Grund des Gesetzeszwecks für geboten gehaltene einschränkende Auslegung von § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG, die unter "Ermittlung der Schadeinheiten" nur eine Ermittlung aufgrund eines Bescheids nach § 4 Abs. 1 AbwAG oder einer Erklärung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG versteht, nicht aber eine Ermittlung der Schadeinheiten nach dem höchsten Meßergebnis aus der behördlichen Überwachung (§ 6 Abs. 1 Satz 2 AbwAG), würde die Grenzen einer zulässigen Auslegung überschreiten. Sie stünde nämlich wie dargelegt im Widerspruch zu dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes und zum Willen des Gesetzgebers. Eine am Zweck einer Norm ausgerichtete Auslegung setzt aber grundsätzlich voraus, daß ihr Ergebnis nicht im Widerspruch zum eindeutigen Wortlaut und zu dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers steht. Der eindeutige Wortlaut setzt einer zweckorientierten Auslegung - wie auch einer verfassungskonformen Auslegung - von vornherein Grenzen (vgl. Urteil vom 23. August 1996 BVerwG 8 C 10.95 - Buchholz 401.64 § 4 AbwAG Nr. 4 S. 7 <10 f.> sowie zur verfassungskonformen Auslegung BVerfGE 8, 28, 34; 71, 81, 105).

Auch widerspricht die sich aus dem Wortlaut des Gesetzes ergebende Auslegung von § 10 Abs. 3 AbwAG nicht dem Zweck des Gesetzes. Das in § 10 Abs. 3 AbwAG verankerte "Bauphasenprivileg" soll finanzielle Anreize zur Schaffung oder Verbesserung von Abwasserbehandlungsanlagen geben. Zur Vermeidung der andernfalls eintretenden Doppelbelastung durch den Investitionsaufwand und die gleichzeitig zu entrichtenden Abwasserabgaben soll der Einleiter als Betreiber der künftigen Abwasserbehandlungsanlage schon während der auf drei Jahre geschätzten Bauzeit so gestellt werden, als werde die Reinigungsleistung der neuen Anlage bereits erbracht (vgl. Urteile vom 13. November 1992 - BVerwG 8 C 17.90 - Buchholz 401.64 § 10 AbwAG Nr. 1 S. 1 <2 f.> und vom 17. Oktober 1997 - BVerwG 8 C 26.96 - Buchholz 401.64 § 10 AbwAG Nr. 2 S. 1 <3>). Dieser Zweck wird auch erreicht, wenn ein Einleiter seiner Verpflichtung, eine Erklärung abzugeben (§ 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG), nicht nachgekommen ist. Nichts zu ändern vermag daran auch der Einwand des Beklagten, wenn der Ermittlung der Schadeinheiten gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 AbwAG das höchste Meßergebnis aus der behördlichen Überwachung zugrunde gelegt werde, hänge es vom Zufall ab, ob die Abwasserabgabe nach § 10 Abs. 3 AbwAG zu mindern sei. Nur wenn der zufällig gemessene Wert um mindestens 20 vom Hundert über dem Wert liege, den die neue Abwasserbehandlungsanlage erwarten lasse, ermäßige sich die Abwasserabgabe nach § 10 Abs. 3 AbwAG. Dies trifft zwar in gewissem Umfang zu. Der höchste gemessene Wert spiegelt nicht immer den Normalbetrieb einer Kläranlage wider, sondern kann zufällig höher oder niedriger sein. Dem kann jedoch nicht durch eine einschränkende Auslegung von § 10 Abs. 3 AbwAG begegnet werden. Denn in den Fällen des § 6 Abs. 1 Satz 2 AbwAG ist die Abwasserabgabe stets von dem zufälligen höchsten Meßergebnis abhängig. Dies bliebe auch so, wenn hier eine Minderung der Abgabe gemäß § 10 Abs. 3 AbwAG ausgeschlossen wäre.

Schließlich ergibt sich aus der Systematik des Abwasserabgabengesetzes nichts anderes. Der Beklagte weist zwar zu Recht darauf hin, daß Einleiter, die ihrer Verpflichtung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG nicht nachkommen, teilweise bessergestellt werden als Einleiter, die diese Pflicht erfüllen oder für die ein Bescheid nach § 4 Abs. 1 AbwAG vorliegt. Dies ist jedoch der vom Gesetzgeber in § 6 Abs. 1 Satz 2 AbwAG vorgesehenen Ermittlungsmethode immanent. Die durch Bescheid festgesetzten oder erklärten Werte liegen in der Praxis häufig über dem höchsten gemessenen Wert. Der Abgabeberechnung müssen folglich mehr Schadeinheiten zugrunde gelegt werden als dies bei Fehlen von Bescheid und Erklärung der Fall wäre. Dies wiederum wird dann nicht durch eine Ermäßigung des Abgabesatzes (§ 9 Abs. 5 AbwAG) ausgeglichen, wenn diese daran scheitert, daß Bescheid oder Erklärung nicht den Anforderungen des § 7 a WHG entsprechen (vgl. § 9 Abs. 5 Satz 1 Ziff. 1 AbwAG) oder daß diese Anforderungen nicht eingehalten werden (vgl. § 9 Abs. 5 Satz 1 Ziff. 2 AbwAG). Mit anderen Worten: Wer eine veraltete Anlage betreibt, kann durch die Bestimmung des § 9 Abs. 5 Satz 1 Ziff. 1 AbwAG nicht zur Erfüllung seiner Erklärungspflicht angehalten werden. Möglicherweise hat der Gesetzgeber dies übersehen. Dieses Problem würde aber nicht durch eine einschränkende Auslegung von § 10 Abs. 3 AbwAG gelöst. Denn bei Fehlen eines Bescheids hätte gerade derjenige Einleiter, der keine Erklärung abgibt, eine veraltete Anlage betreibt und nichts oder zu wenig investiert, nach wie vor Vorteile gegenüber dem Einleiter, der seiner Erklärungspflicht nachkommt.

Gegen die Bestimmungen des § 6 Abs. 1 Satz 2 und des § 10 Abs. 3 AbwAG bestehen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Zwar ist es grundsätzlich sachlich nicht gerechtfertigt, denjenigen, der seine gesetzlichen Pflichten nicht erfüllt, besser zu stellen, als denjenigen, der sich pflichtgemäß verhält. Dies könnte aber allenfalls dann einen Verstoß einer Norm gegen das Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) begründen, wenn es bei ordnungsgemäßem Vollzug der Norm zu einer derartigen Ungleichbehandlung käme. Führt dagegen erst der unzureichende Vollzug einer Norm zu sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlungen, ist nicht die Norm willkürlich, sondern es liegt ein - die Verfassungsmäßigkeit der Norm nicht berührendes - behördliches Vollzugsdefizit vor. So liegt es hier. Der die Abwassereinleitung zulassende Bescheid hat Überwachungswerte festzulegen (§ 4 Abs. 1 Satz 2 AbwAG). Nach dem Wortlaut des Gesetzes war der Beklagte hierzu verpflichtet. Die Tatsache, daß § 6 AbwAG ein anderes Instrumentarium für die der Abgabeerhebung zugrunde zu legende Ermittlung der Schadeinheiten vorsieht, wenn dies nicht geschehen ist, ändert nichts an der primär bestehenden Verpflichtung, Überwachungswerte nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AbwAG festzulegen. Weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus der Entstehungsgeschichte ergeben sich Anhaltspunkte dafür, daß die Behörde zwischen der "Bescheidslösung" in § 4 AbwAG und der "Erklärungslösung" in § 6 AbwAG wählen kann. Bei § 6 AbwAG handelt es sich vielmehr lediglich um einen Auffangtatbestand (vgl. Urteil vom 14. Dezember 1995 BVerwG 4 C 7.94 - Buchholz 401.64 § 4 AbwAG Nr. 3 S. 1 <3 f.>). Enthielte das Abwasserabgabengesetz keinen Auffangtatbestand, könnte, wenn Überwachungswerte nicht in einem Bescheid festgesetzt sind, keine Abwasserabgabe erhoben werden. Dies wäre sachlich nicht gerechtfertigt. Daß ein Auffangtatbestand, der stets nur im Falle eines behördlichen Vollzugsdefizits zur Anwendung kommt, nicht immer zu billigen Ergebnissen führt, ist dagegen grundsätzlich unbedenklich, solange - wie hier - das Vollzugsdefizit nur zu einer Besserstellung des Normadressaten führen kann.

Auch kann es - wie dargelegt - aufgrund von § 9 Abs. 5 Satz 1 AbwAG zu einer Besserstellung desjenigen, der seine Erklärungspflicht nicht erfüllt, nur kommen, wenn die Anforderungen nach § 7 a Abs. 1 WHG nicht eingehalten werden. In diesen Fällen entspricht die Einleitung der Abwässer nicht den einschlägigen wasserrechtlichen Bestimmungen (vgl. § 7 a Abs. 1 WHG). Die zuständigen Behörden haben dann in der Regel durch Erlaß eines Wasserrechtsbescheids, der auch Überwachungswerte nach § 4 Abs. 1 AbwAG enthalten muß sicherzustellen, daß die erforderlichen Maßnahmen durchgeführt werden (§ 7 a Abs. 2 WHG). Tun sie dies nicht, liegt regelmäßig auch insoweit ein Vollzugsdefizit vor, das eine Willkürlichkeit der nicht ordnungsgemäß vollzogenen Norm nicht zu begründen vermag.

B. Die sich aus § 10 Abs. 3 AbwAG ergebende Verringerung der Abgabe für die Kläranlagen W. und E. wurde von der Vorinstanz richtig ermittelt:

Zutreffend ist das Oberverwaltungsgericht davon ausgegangen, der Dreijahreszeitraum des § 10 Abs. 3 AbwAG beziehe sich nicht auf Abgabenjahre, sondern sei taggenau vom maßgeblichen Zeitpunkt der Inbetriebnahme rückzuberechnen (vgl. Urteil vom 17. Oktober 1997 BVerwG 8 C 26.96 a.a.O. <S. 3>).

Als maßgeblichen Zeitpunkt hat das Berufungsgericht nicht den von der Klägerin zunächst vorgesehenen Tag der Inbetriebnahme, sondern den Tag der tatsächlichen Inbetriebnahme angesehen. Auch dies entspricht der Rechtslage. Bei der Bemessung des Dreijahreszeitraums ist nämlich allgemein der Zeitpunkt der tatsächlichen Inbetriebnahme der neuen Anlage maßgeblich, wenn sich deren Fertigstellung verzögert hat und über die Höhe der Abgabe erst nach der tatsächlichen Inbetriebnahme entschieden wird. Dies folgt daraus, daß die Freistellung von der Abwasserabgabe mit Blick auf den vorgesehenen Zeitpunkt der Inbetriebnahme einer besseren Abwasserbehandlungsanlage nur vorläufigen Charakter hat, die endgültige Bemessung der Abgabenminderung aber von der tatsächlichen Inbetriebnahme abhängt (vgl. Urteil vom 17. Oktober 1997 BVerwG 8 C 26.96 a.a.O.). Dies gilt nicht nur, wenn die Abgabe nach der Inbetriebnahme erhoben wird, sondern auch, wenn die Inbetriebnahme wie hier erst erfolgt, während eine Klage gegen den Abgabebescheid vor dem Verwaltungsgericht anhängig ist.

Die Höhe der sich aus § 10 Abs. 3 AbwAG ergebenden Minderung der Abgabe ist vom Verwaltungsgericht zutreffend berechnet worden. Die Parteien haben insoweit auch keine Einwendungen erhoben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Beschluß

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 31 885,73 DM festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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