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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 10.10.2001
Aktenzeichen: BVerwG 9 BN 2.01
Rechtsgebiete: GG, VwGO


Vorschriften:

GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 105 Abs. 2 a
VwGO § 108 Abs. 1 Satz 1
VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 3
Es liegt kein Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz vor, wenn das Oberverwaltungsgericht unter Berücksichtigung der aktuell vorhandenen kynologischen Literatur ohne weitere Beweisaufnahme zu der Auffassung gelangt, die Verwendung einer Hunderassenliste in der Hundesteuersatzung, die für "Kampfhunde" einen erhöhten Steuersatz festlegt, sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (im Anschluss an BVerwGE 110, 265).
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

BVerwG 9 BN 2.01

In der Normenkontrollsache

hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 10. Oktober 2001 durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Hien und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Kipp und Vallendar

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 20. Dezember 2000 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Unter Abänderung der Streitwertfestsetzung im Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 14. Februar 2001 wird der Wert des Streitgegenstandes für beide Rechtszüge auf je 5 000 DM festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen die Gültigkeit der Hundesteuersatzung der Antragsgegnerin. Er ist seit 1995 Halter eines American Staffordshire Terriers. Nach der mehrfach geänderten Satzung gehört dieses Tier zu einer Liste von Hunderassen, für die unwiderleglich die so genannte Kampfhundeeigenschaft vermutet wird. Für einen solchen Hund beträgt die Jahressteuer 1 000 DM gegenüber 60 DM für Hunde, die keine Kampfhunde im Sinne der Satzung sind.

Der Antragsteller macht vor allem geltend, die Verwendung einer Hunderassenliste in der Satzung sei mit höherrangigem Recht nicht zu vereinbaren.

Durch Urteil vom 20. Dezember 2000 hat das Oberverwaltungsgericht den Antrag abgelehnt. Mit der vorliegenden Beschwerde erstrebt der Antragsteller die Zulassung der Revision an das Bundesverwaltungsgericht.

II.

Die auf das behauptete Vorliegen eines Verfahrensmangels im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

1. Die Beschwerde macht als Verfahrensmangel geltend, das Oberverwaltungsgericht habe seine Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO verletzt, weil es zu der Frage der abstrakten Gefährlichkeit der in der Hundesteuersatzung der Antragsgegnerin aufgeführten Hunderassen keine weitere Sachaufklärung betrieben, insbesondere keinen Sachverständigenbeweis erhoben habe. Diese Rüge greift nicht durch.

Die Aufklärungsrüge stellt im Grundsatz kein Mittel dar, um Versäumnisse eines Prozessbeteiligten in der Tatsacheninstanz, vor allem das Unterlassen von förmlichen Beweisanträgen, zu kompensieren (vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. März 1995 - BVerwG 6 B 81.94 - <Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 265>). Indessen kann dahin stehen, ob der bezeichnete Verfahrensfehler aus diesem Grunde schon deshalb nicht vorliegt, weil der Antragsteller in der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht keinen Beweisantrag in Bezug auf die von ihm für notwendig erachtete Sachaufklärung gestellt hat.

Entscheidend ist vielmehr, dass sich der Vorinstanz die von der Beschwerde bezeichneten Ermittlungen nicht aufdrängen mussten (vgl. zu diesem Maßstab: BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - <Buchholz 310 § 133 n.F. VwGO Nr. 26 S. 15>). Maßgeblich für diese Sichtweise ist im Ausgangspunkt die vom Oberverwaltungsgericht eingenommene materiellrechtliche Position; denn ob ein Gericht die für seine Verfahrensweise in Bezug auf die Sachaufklärung geltenden Grundsätze verletzt, kann nur auf der Basis seiner eigenen materiellrechtlichen Überzeugung überprüft werden.

Danach ergibt sich, dass das angefochtene Urteil in Übereinstimmung mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Januar 2000 - BVerwG 11 C 8.99 - (BVerwGE 110, 265; vgl. dazu: Gössl, BWGZ 2000, S. 535; Hamann, NVwZ 2000, S. 894; Kolb, Neue Justiz 2000, S. 385; Seitz, JZ 2000, S. 949) die Auffassung vertritt, es sei vom Gestaltungsspielraum der steuererhebenden Gemeinde als Satzungsgeberin umfasst, bestimmte Hunderassen - und dabei insbesondere den vom Antragsteller gehaltenen American Staffordshire Terrier - in einer Liste gefährlicher Hunde aufzuführen und sodann das Halten solcher Hunde wegen einer gesteigerten abstrakten Gefährlichkeit mit einem erhöhten Steuersatz zu belegen(ebenso zum Hundesteuerrecht: OVG Koblenz, Urteil vom 19. September 2000 - 6 A 10789/00 - <NVwZ 2001, S. 228>; VGH Kassel, Beschluss vom 29. Mai 2001 - 5 N 92/00 -; vgl. im Übrigen zum Polizei- und Ordnungsrecht: LVerfGH Bln, Urteil vom 12. Juli 2001 - VerfGH 152/00 - m.w.N.; zum Meinungsstand insgesamt: Hölscheidt, Nds.VBl 2000, S. 1; Caspar, DVBl 2000, S. 1580; Schnupp, DÖD 2001, S. 189).

Das Oberverwaltungsgericht kann nur dahin verstanden werden, dass es diese Rechtsansicht in Auswertung der von den Beteiligten in das Verfahren eingebrachten Unterlagen, insbesondere also auch der vom Antragsteller vorgelegten kynologischen Veröffentlichungen und Stellungnahmen gebildet hat. Ob diese Überzeugungsbildung ihrerseits verfahrensfehlerfrei war, ist gesondert zu prüfen (dazu unter 2.); selbst wenn sie es nicht wäre, ergäbe sich daraus keine Verletzung der Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO. Vielmehr konnte sich die Vorinstanz durchaus auf den Standpunkt stellen, auch eine - unterstellte - Bestätigung der in einer Reihe von Veröffentlichungen zum Ausdruck gebrachten Vorbehalte gegen die Verwendung so genannter Rassenlisten würde nicht zur Folge haben können, eine Überschreitung des Normsetzungsspielraums der Antragsgegnerin festzustellen (vgl. ebenso LVerfGH Bln a.a.O. - S. 33 UA). Danach mussten sich der Vorinstanz weder die Durchführung einer Beweisaufnahme durch Einholung von Sachverständigengutachten noch andere Aufklärungsmaßnahmen aufdrängen.

2. Auch die von der Beschwerde gerügte Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes liegt nicht vor. Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Die Einhaltung der daraus entstehenden verfahrensmäßigen Verpflichtung ist nicht schon dann in Frage gestellt, wenn ein Beteiligter wie hier der Antragsteller eine aus seiner Sicht fehlerhafte Verwertung des vorliegenden Tatsachenmaterials rügt, aus dem er andere Schlüsse ziehen will als das angefochtene Urteil. Denn damit wird ein - angeblicher - Fehler in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung angesprochen. Solche Fehler sind revisionsrechtlich regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzuordnen und können einen Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO grundsätzlich nicht begründen (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 2. November 1995 - BVerwG 9 B 710.94 - <Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 266 S. 18 f.>).

Der hier in Betracht kommende Ausnahmefall einer aktenwidrigen Feststellung des Sachverhalts durch das Gericht liegt nicht vor. Er setzt einen zweifelsfreien, also ohne weitere Beweiserhebung offensichtlichen Widerspruch zwischen den Feststellungen der Vorinstanz und dem Akteninhalt voraus (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. November 1997 - BVerwG 4 B 182.97 - <Buchholz 406.11 § 153 BauGB Nr. 1 m.w.N.>). Ein solcher Widerspruch ist nicht gegeben.

Dies kann exemplarisch an der Kontroverse um die rechtliche Würdigung von Stellungnahmen und Äußerungen der kynologischen Sachverständigen Dr. E. dargestellt werden. Das angefochtene Urteil nimmt Bezug auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Januar 2000 (a.a.O.), in dem Dr. E. mit der Äußerung zitiert wird, es sei "unbestritten, dass die aufgelisteten Hundegruppen ein Potential zur Erzeugung des gefährlichen Hundes darstellen, die einen wegen ihrer Masse, die anderen ihres Mutes wegen" (vgl. E. in der Broschüre des Verbandes für das Deutsche Hundewesen e.V. "Kampfhunde? Gefährliche Hunde?", 5. Auflage 2000, S. 7). In ihrem, dem Oberverwaltungsgericht in der mündlichen Verhandlung in Kopie überreichten Schreiben an den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. November 2000 kritisiert Dr. E. diese Zitierweise und macht geltend, das Zitat sei aus dem Zusammenhang genommen und erwecke den Anschein, als befürworte sie die Auflistung von Rassen, die insgesamt und a priori ein Gefahrenpotential darstellten. Genau das Gegenteil sei der Fall. Aus zoologischer Sichtweise sei nochmals darauf hinzuweisen, dass allein die Rassezugehörigkeit eines Hundes eine Aussage über seine individuelle Gefährlichkeit nicht zulasse.

Eine solche Aussage haben allerdings weder das Bundesver-waltungsgericht noch die Vorinstanz in dem angefochtenen Urteil gemacht. Damit wird deutlich, dass der Antragsteller mit seinem Beschwerdevorbringen den vom Bundesverwaltungsgericht und Oberverwaltungsgericht verwendeten Begriff der abstrakten Gefährlichkeit verkennt. Anknüpfungspunkt für die erhöhte Hundesteuer bei den in der Hunderassenliste aufgeführten Tieren ist nicht eine festgestellte oder vermutete individuelle Gefährlichkeit des einzelnen Hundes, sondern ein genetisches Potential, welches bei dem Hinzutreten weiterer Umstände die aufgelisteten Hunde zu einer Gefahr werden lassen kann. Ob dieser Gesichtspunkt in einer Hundesteuersatzung aufgegriffen und in Übereinstimmung mit Art. 3 Abs. 1 GG als Differenzierungsmerkmal verwendet werden darf, ist danach eine - reine - Rechtsfrage, deren Beantwortung vorliegend nicht von einer aktenwidrigen Sachverhaltsfeststellung beeinflusst ist.

Folglich ist festzuhalten, dass die kynologische Sachverstän-dige Dr. E. wie auch andere Kynologen, Zoologen und Tiermediziner der Verwendung von Rassenlisten widersprechen, dies allerdings mit der Begründung, die vorhandenen Unter-schiede in genetischer Disposition und historischen Zuchtbedingungen berechtigten nicht zu einer Differenzierung, weil die individuelle Gefährlichkeit wesentlich oder sogar hauptsächlich durch andere Umstände verursacht werde. Diesen "Grundtenor" der vom Antragsteller beigebrachten Stellung-nahmen verkennt das Oberverwaltungsgericht nicht, gelangt jedoch auf dieser Basis zu einer rechtlichen Bewertung, die der Antragsteller für falsch hält. Darin liegt kein Verfahrensfehler in der Form eines Verstoßes gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Soweit die Beschwerde darüber hinaus geltend macht, das Oberverwaltungsgericht habe die vom Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 19. Januar 2000 (a.a.O.) hervorgehobene Pflicht des Normgebers außer Acht gelassen, eine in gewisser Hinsicht experimentell erlassene Regelung unter Kontrolle zu halten und gegebenenfalls nachzubessern, wird damit bereits im Ansatz kein Verfahrensfehler, sondern eine fehlerhafte Anwendung des materiellen Rechts angesprochen. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass der vom Antragsteller gehaltene American Staffordshire Terrier nunmehr auch in Art. 1 § 1 des (Bundes)Gesetzes zur Bekämpfung gefährlicher Hunde vom 12. April 2001 (BGBl I S. 530) als gefährlicher Hund bezeichnet wird (vgl. ebenso jetzt: § 1 Abs. 1 Satz 1 und § 8 Satz 3 des <sächsischen> Gesetzes zum Schutze der Bevölkerung vor gefährlichen Hunden vom 24. August 2000 <GVBl S. 358> in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums des Innern zur Durchführung des Gesetzes zum Schutze der Bevölkerung vor gefährlichen Hunden vom 1. November 2000 <GVBl S. 467>; vgl. schließlich zur aktuellen Diskussion: Antwort des Bayerischen Staatsministeriums des Innern vom 20. Juni 2001 auf die Schriftliche Anfrage eines Abgeordneten des Bayerischen Landtags, LTDrucks 14/6960). Auch inhaltlich kann folglich angesichts dieser Rechtsentwicklung nicht vertreten werden, die Antragsgegnerin habe mit der beibehaltenen Auflistung des genannten Hundes in der Anlage zu ihrer Hundesteuersatzung ihre Überprüfungspflicht verletzt.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Sreitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 1, § 25 Abs. 2 Satz 2 GKG i.V.m. Ziffer 2.1 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit - Fassung 1996 - (NVwZ 1996, S. 563 ff.).

Ende der Entscheidung

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