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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 20.04.1999
Aktenzeichen: BVerwG 9 C 29.98
Rechtsgebiete: AuslG, AsylVfG


Vorschriften:

AuslG § 53
AuslG § 43 Abs. 1 Nr. 4
AsylVfG § 42 Satz 1
AsylVfG § 73 Abs. 1
Leitsätze:

Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge ist berechtigt, beim Widerruf einer Asylanerkennung auch erstmals eine Entscheidung über das Bestehen von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG zu treffen (Bestätigung des Urteils vom 27. Februar 1996 - BVerwG 9 C 145.95 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 185 = InfAuslR 1996, 322 = DVBl 1996, 624).

Urteil des 9. Senats vom 20. April 1999 - BVerwG 9 C 29.98 -

I. VG Würzburg vom 06.12.1996 - Az.: VG W 7 K 95.32168 - II. VGH München vom 23.07.1998 - Az.: VGH 25 B 97.30023 -


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 9 C 29.98 VGH 25 B 97.30023

In der Verwaltungsstreitsache

der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesministerium des Innern, dieses vertreten durch den Leiter des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, 90469 Nürnberg,

Beklagten, Berufungsklägerin und Revisionsklägerin,

gegen

Herrn ,

Kläger, Berufungsbeklagten und Revisionsbeklagten,

- Prozeßbevollmächtigte: -

Beteiligte:

1. Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, 90513 Zirndorf,

2. Landesanwaltschaft Bayern als Vertreter des öffentlichen Interesses, Ludwigstraße 23, 80539 München,

hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 20. April 1999 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Seebass, die Richter am Bundesverwaltungsgericht Hund und Richter, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Beck und den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eichberger

für Recht erkannt:

Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 23. Juli 1998 wird aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlußentscheidung vorbehalten.

Gründe:

I.

Der 1963 geborene Kläger gehört zu den albanischen Staatsangehörigen, die im Juli 1990 auf das Gelände der Deutschen Botschaft in Tirana geflüchtet waren, sich weigerten, das Botschaftsgelände wieder zu verlassen und dann mit Hilfe der Bundesregierung nach Deutschland reisen durften. Er wurde hier im März 1991 als Asylberechtigter anerkannt und erhielt eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Im Hinblick auf die geänderte politische Situation in Albanien widerrief das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) mit Bescheid vom 27. Oktober 1995 die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter sowie die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 51 Abs. 1 AuslG (Nr. 1 des Widerrufsbescheids) und stellte fest, daß Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen (Nr. 2 des Bescheids).

Auf die hiergegen erhobene Klage hob das Verwaltungsgericht die Feststellung des Bundesamts nach § 53 AuslG (Nr. 2 des Widerrufsbescheids) auf und wies die Klage im übrigen - inzwischen rechtskräftig - ab. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung hat er ausgeführt, die negative Feststellungsentscheidung des Bundesamts zu § 53 AuslG sei rechtswidrig. Mangels einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage sei das Bundesamt nicht befugt, im Rahmen des Widerrufs der Asylanerkennung erstmalig eine Entscheidung nach § 53 AuslG zu treffen. Entgegen der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts komme eine Rechtsanalogie zu verschiedenen Regelungen des Asylverfahrensgesetzes nicht in Betracht. Aufenthaltsbeendende Maßnahmen des Bundesamts stünden beim Widerruf einer Asylanerkennung - anders als regelmäßig beim negativen Abschluß eines Asylverfahrens - nicht bevor. Nach Rechtskraft des Widerrufs der Asylanerkennung liege das aufenthaltsrechtliche Schicksal des Betroffenen allein in den Händen der Ausländerbehörde, die nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden habe, ob sie die dem Betroffenen erteilte Aufenthaltsgenehmigung widerrufe und aufenthaltsbeendende Maßnahmen einleite. In Anbetracht dieser Gegebenheiten erscheine es nicht gerechtfertigt, dem Bundesamt die Befugnis zuzuerkennen, bereits mit dem Widerruf der Asylanerkennung gleichsam "vorsorglich" auch über Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG zu entscheiden. Die Annahme einer entsprechenden Befugnis des Bundesamts hätte darüber hinaus zur Folge, daß die Ausländerbehörde eine spätere Änderung der nach § 53 AuslG abschiebungsrelevanten Umstände nicht in eigener Kompetenz berücksichtigen könnte, weil sie insoweit an die Entscheidung des Bundesamts gebunden wäre (§ 42 Satz 1 AsylVfG). Letztlich würde dies zu einer mehrfachen Befassung des Bundesamts und der Ausländerbehörde mit der Feststellungsentscheidung nach § 53 AuslG führen und damit dem Gedanken der Verfahrensökonomie zuwiderlaufen.

Mit ihrer vom Berufungsgericht wegen Divergenz zugelassenen Revision macht sich die Beklagte im wesentlichen die Gründe des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Februar 1996 - BVerwG 9 C 145.95 - (Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 185 = InfAuslR 1996, 322 = DVBl 1996, 624) zu eigen, das dem Berufungsurteil entgegenstehe.

II.

Die Revision der Beklagten ist begründet. Die Entscheidungsgründe des Berufungsurteils verletzen Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des Berufungsgerichts kann der Senat nicht abschließend beurteilen, ob sich die Berufungsentscheidung aus anderen als den vom Berufungsgericht angeführten Gründen als richtig darstellt (§ 144 Abs. 4 VwGO). Die Sache ist deshalb zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist das Bundesamt berechtigt, zusammen mit dem Widerruf einer Asylanerkennung gegebenenfalls auch erstmals Feststellungen über das Vorliegen der - hier nicht streitigen - Abschiebungsschutzvoraussetzungen nach § 51 Abs. 1 AuslG und etwaiger Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG zu treffen. Die Ermächtigungsgrundlage hierfür ergibt sich aus einer Rechtsanalogie zu den Regelungen in § 24 Abs. 2, § 31 Abs. 2 Satz 1, § 31 Abs. 3 Satz 1, § 32, § 39 Abs. 2 und § 73 Abs. 1 bis 3 AsylVfG. Diesen Vorschriften, die übereinstimmend anordnen, daß in bestimmten Phasen des Asylverfahrens eine Feststellung betreffend § 51 Abs. 1 oder § 53 AuslG zu treffen ist oder früher ergangene Feststellungen aufzuheben sind, läßt sich als gemeinsamer Leitgedanke entnehmen, daß in den Verfahren der Schutzgewährung für Ausländer, die politische Verfolgung geltend machen, eine umfassende Entscheidung ergeht, die alle Arten des Schutzes vor zielstaatsbezogenen Gefahren einbezieht. Es soll namentlich nach der Beendigung eines Asylverfahrens nicht offenbleiben, ob und in welcher Form dem Ausländer Abschiebungsschutz gewährt wird. Aufgrund rechtsanaloger Anwendung der genannten Vorschriften ist das Bundesamt daher zu den genannten Feststellungen und damit zu der im Entscheidungsfall allein streitigen Feststellung hinsichtlich § 53 AuslG grundsätzlich berechtigt. Dies hat der Senat bereits mit Urteil vom 27. Februar 1996 - BVerwG 9 C 145.95 - (a.a.O.) entschieden. Nach erneuter Prüfung hält der Senat an dieser Rechtsprechung fest; auch der im Ausgangsverfahren abweichende Senat des Berufungsgerichts hat sich ihr inzwischen wieder angeschlossen (vgl. VGH München, Urteile vom 28. Juli 1998 - 25 B 97.30033 - und vom 17. September 1998 - 25 B 97.30046).

Die im Berufungsurteil geäußerten Bedenken des Berufungsgerichts geben dem Senat keine Veranlassung, seine Rechtsprechung aufzugeben. Die angeführten Unterschiede zwischen Asylantragsverfahren und Widerrufsverfahren sprechen nicht gegen den vom Senat gezogenen Analogieschluß. Das Argument des Berufungsgerichts, daß das Bundesamt im Antragsverfahren bei Ablehnung des Asyls - anders als im Widerrufsverfahren - zugleich auch die aufenthaltsbeendenden Maßnahmen nach §§ 34 ff. AsylVfG einleite und nur dies die Zuständigkeit für die Entscheidung nach § 53 AuslG rechtfertige, trifft so nicht zu. Denn auch im Antragsverfahren erläßt das Bundesamt, sofern der Ausländer eine Aufenthaltsgenehmigung besitzt, keine Abschiebungsandrohung (§ 34 Abs. 1 AsylVfG), hat aber gleichwohl die Entscheidung nach § 53 AuslG zu treffen (§ 31 Abs. 3 AsylVfG). Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts sprechen auch Aspekte der Praktikabilität eher für die Rechtsanalogie und gegen die Lösung des Berufungsgerichts. Mit dem Widerruf einer Asyl-anerkennung trifft das Bundesamt eine abschließende Entscheidung darüber, ob dem Betroffenen Schutz vor politischer Verfolgung zu gewähren ist. Aufgrund der Sachnähe zum Asylverfahren und angesichts der besonderen Sachkunde des Bundesamts ist es sinnvoll, daß das Bundesamt - wie bei der Ablehnung eines Asylantrags - zusätzlich prüft, ob dem Ausländer im Zielstaat einer möglichen Abschiebung aus anderen als politischen Gründen abschiebungsrelevante Gefahren im Sinne des § 53 AuslG drohen. Daß Abschiebungshindernisse gemäß § 53 AuslG ausschließlich Gefahren erfassen, die dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen, entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteil vom 11. November 1997 - BVerwG 9 C 13.96 - BVerwGE 105, 322 = Buchholz 402.240 § 53 Nr. 9 = NVwZ 1998, 526 = InfAuslR 1998, 121 = DVBl 1998, 282).

Hat das Bundesamt die Asylanerkennung widerrufen und Feststellungen zu § 53 AuslG getroffen, ist die Ausländerbehörde hieran gebunden und muß sich ggf. da-rauf beschränken, im Zusammenhang mit dem Erlaß einer Abschiebungsandrohung etwaige inlandsbezogene Abschiebungshindernisse zu prüfen. Diese Aufgabenverteilung zwischen Bundesamt und Ausländerbehörde entspricht derjenigen im Asyl-antragsverfahren und ist auch bei Widerrufsfällen nach § 73 Abs. 1 AsylVfG systemgerecht. Daß sich, wie das Berufungsgericht meint, aus der Bindungswirkung des § 42 Satz 1 AsylVfG unangemessene Verfahrensverzögerungen ergeben können, ist vom Berufungsgericht nicht näher erörtert worden und auch nicht ersichtlich. Die Vertreter der Beklagten und der Landesanwaltschaft haben in der Revisionsverhandlung vielmehr übereinstimmend bestätigt, daß durch die Zuständigkeit des Bundesamts für Feststellungen nach § 53 AuslG auch bei Widerrufsfällen nach § 73 Abs. 1 AsylVfG in der Praxis weder Abstimmungsprobleme zwischen Bundesamt und Ausländerbehörden noch sonst Anwendungsprobleme aufgetreten seien.

Im Entscheidungsfall war das Bundesamt daher verfahrensrechtlich zu der Feststellung ermächtigt, daß Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Ob die Feststellung in der Sache zutrifft, ist bisher weder vom Verwaltungsgericht - von einer beiläufigen Bemerkung abgesehen - noch insbesondere vom Berufungsgericht geprüft worden. Der erkennende Senat kann daher mangels entsprechender tatsächlicher Feststellungen nicht abschließend über die Sache entscheiden. Die Sache ist deshalb zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Ende der Entscheidung

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