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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 21.01.1999
Aktenzeichen: C-120/97
Rechtsgebiete: Richtlinie 65/65/EWG


Vorschriften:

Richtlinie 65/65/EWG
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1 Die Richtlinie 65/65 über Arzneispezialitäten und das Gemeinschaftsrecht allgemein verpflichten die Mitgliedstaaten nicht, ein Verfahren der gerichtlichen Nachprüfung nationaler Entscheidungen über den Widerruf von Genehmigungen für das Inverkehrbringen von Arzneispezialitäten einzuführen, das die zuständigen nationalen Gerichte ermächtigt, ihre Würdigung des Sachverhalts, insbesondere der zur Begründung der Widerrufsentscheidung herangezogenen wissenschaftlichen Beweise, an die Stelle der Bewertung zu setzen, die die für den Widerruf der Genehmigungen für das Inverkehrbringen zuständigen nationalen Behörden vorgenommen haben.

Die Richtlinie 65/65 regelt nicht die Modalitäten der Umsetzung des Klagerechts in bezug auf nationale Entscheidungen über den Widerruf von Genehmigungen für das Inverkehrbringen von Arzneispezialitäten und überläßt es somit den Mitgliedstaaten, ihr eigenes System der gerichtlichen Nachprüfung solcher Entscheidungen einzurichten. Diese Entscheidungen wurden von den zuständigen nationalen Behörden nach Abschluß komplexer Beurteilungen auf medizinisch-pharmakologischem Gebiet erlassen; es ist nicht ersichtlich, daß nur ein Verfahren der gerichtlichen Nachprüfung nationaler Entscheidungen über den Widerruf von Genehmigungen, das die zuständigen nationalen Gerichte ermächtigt, ihre Würdigung des Sachverhalts, insbesondere der zur Begründung der Widerrufsentscheidung herangezogenen wissenschaftlichen Beweise, an die Stelle der Bewertung zu setzen, die die für den Widerruf der Genehmigungen zuständigen nationalen Behörden vorgenommen haben, geeignet ist, zu verhindern, daß die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert werden. Eine Gemeinschaftsbehörde, die im Rahmen ihrer Aufgabe komplexe Prüfungen vorzunehmen hat, verfügt dabei nämlich über einen weiten Ermessensspielraum, dessen Wahrnehmung einer beschränkten gerichtlichen Nachprüfung unterliegt, die nicht einschließt, daß der Gemeinschaftsrichter seine Würdigung des Sachverhalts an die Stelle derjenigen dieser Behörde setzt.

Folglich verlangt das Gemeinschaftsrecht nicht, daß die Mitgliedstaaten ein Verfahren der gerichtlichen Nachprüfung nationaler Entscheidungen über den Widerruf von Genehmigungen für das Inverkehrbringen, die nach der Richtlinie 65/65 und unter Vornahme komplexer Beurteilungen erlassen werden, einführen, das eine weitergehende Nachprüfung umfaßt, als sie der Gerichtshof in vergleichbaren Fällen vornimmt.

2 Das Gemeinschaftsrecht verlangt nicht, daß das nationale Gericht, das mit einer Anfechtungsklage gegen eine Entscheidung über den Widerruf einer Genehmigung für das Inverkehrbringen einer bestimmten Arzneispezialität befaßt ist, über diese Klage unter Berücksichtigung aller einschlägigen nach Erlaß dieser Entscheidung gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnisse entscheidet.

Durch ein gerichtliches Kontrollsystem, bei dem das nationale Gericht über Anfechtungsklagen gegen solche Entscheidungen entscheidet, ohne die einschlägigen nach Erlaß der angefochtenen Entscheidung gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnisse zu berücksichtigen, wird die Ausübung der durch die Richtlinie 65/65 über Arzneispezialitäten verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert, da der Betroffene in dem Fall, in dem sich nach Erlaß der Entscheidung über den Widerruf einer Genehmigung für das Inverkehrbringen neue Erkenntnisse ergeben, stets die Möglichkeit hat, einen neuen Antrag auf Genehmigung zu stellen. Es ist dann Sache der zuständigen Verwaltungsbehörde, zu beurteilen, ob unter Berücksichtigung sämtlicher ihr zur Verfügung stehender Informationen die Voraussetzungen für die Erteilung einer neuen Genehmigung für das Inverkehrbringen erfuellt sind.

3 Die Richtlinie 65/65 und die Richtlinie 75/319 über Arzneispezialitäten, beide in der Fassung der Richtlinie 83/570, sind dahin auszulegen, daß sie in dem Fall, in dem der Ausschuß für Arzneispezialitäten von mehreren Mitgliedstaaten im Anschluß an eine von der zuständigen nationalen Behörde erlassene Entscheidung über die Aussetzung einer Genehmigung für das Inverkehrbringen befaßt worden und die Frist für die Abgabe seiner Stellungnahme abgelaufen ist, diese Behörde nicht daran hindern, eine Entscheidung über den Widerruf dieser Genehmigung für das Inverkehrbringen zu erlassen, ohne die Stellungnahme des Ausschusses für Arzneispezialitäten abzuwarten.

Die Stellungnahme des Ausschusses ist keineswegs bindend und, da es um die Volksgesundheit geht, können die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet werden, die Stellungnahme des Ausschusses auch dann noch abzuwarten, wenn die Frist für deren Abgabe abgelaufen ist, bevor sie beschließen, eine Arzneispezialität zurückzuziehen, in der sie eine mögliche Gefahr für die Volksgesundheit sehen, deren Schutz das wesentliche Ziel der Richtlinie 65/65 darstellt.


Urteil des Gerichtshofes (Fünfte Kammer) vom 21. Januar 1999. - Upjohn Ltd gegen The Licensing Authority established by the Medicines Act 1968 u.a.. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Court of Appeal (England) - Vereinigtes Königreich. - Arzneispezialitäten - Widerruf einer Genehmigung für das Inverkehrbringen - Gerichtliche Kontrolle. - Rechtssache C-120/97.

Parteien:

In der Rechtssache C-120/97

betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag vom Court of Appeal (England & Wales) (Vereinigtes Königreich) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit

Upjohn Ltd

gegen

The Licensing Authority established by the Medicines Act 1968 u. a.

vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Richtlinie 65/65/EWG des Rates vom 26. Januar 1965 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten (ABl. 1965, Nr. 22, S. 369)

erläßt

DER GERICHTSHOF

(Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-P. Puissochet sowie der Richter J. C. Moitinho de Almeida, C. Gulmann (Berichterstatter), D. A. O. Edward und M. Wathelet,

Generalanwalt: P. Léger

Kanzler: D. Louterman-Hubeau, Hauptverwaltungsrätin

unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen

- der Upjohn Ltd, vertreten durch Richard Gordon, QC, und Barrister Nicholas Green, beauftragt von den Solicitors Simon Pearl und Peter Ellis,

- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch Lindsey Nicoll, Treasury Solicitor's Department, als Bevollmächtigte im Beistand von Peter Duffy, QC, und Barrister Richard McManus,

- der französischen Regierung, vertreten durch Kareen Rispal-Bellanger, Abteilungsleiterin in der Direktion für Rechtsfragen des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten, und durch Régine Loosli-Surrans, Chargé de mission in derselben Direktion, als Bevollmächtigte,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch den Hauptrechtsberater Richard Wainwright und durch Fernando Castillo de la Torre, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte,

aufgrund des Sitzungsberichts,

nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Upjohn Ltd, vertreten durch Richard Gordon und Nicholas Green, der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch John E. Collins, Assistant Treasury Solicitor, als Bevollmächtigten im Beistand von Peter Duffy und Richard McManus, der französischen Regierung, vertreten durch Régine Loosli-Surrans, und der Kommission, vertreten durch Richard Wainwright, in der Sitzung vom 24. März 1998,

nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 9. Juni 1998,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Der Court of Appeal (England & Wales) hat mit Beschluß vom 26. Oktober 1995, beim Gerichtshof eingegangen am 24. März 1997, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag drei Fragen nach der Auslegung der Richtlinie 65/65/EWG des Rates vom 26. Januar 1965 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten (ABl. 1965, Nr. 22, S. 369) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit der Upjohn Ltd gegen die aufgrund des Medicines Act 1968 eingerichtete Licensing Authority (im folgenden: Lizenzbehörde) und die gemeinsam als Lizenzbehörde zuständigen Minister über die Entscheidung dieser Behörde, sämtliche Genehmigungen für das Inverkehrbringen des Medikaments "Triazolam", das von der Klägerin des Ausgangsverfahrens auch unter der Markenbezeichnung Halcion eingetragen worden ist, mit sofortiger Wirkung zu widerrufen.

3 Gemeinschaftsrecht

Artikel 11 der Richtlinie 65/65 in der Fassung der Richtlinie 83/570/EWG des Rates vom 26. Oktober 1983 zur Änderung der Richtlinien 65/65/EWG, 75/318/EWG und 75/319/EWG (ABl. L 332, S. 1) bestimmt:

"Die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten setzen die Genehmigung für das Inverkehrbringen einer Arzneispezialität aus oder widerrufen sie, wenn sich herausstellt, entweder daß die Arzneispezialität schädlich ist oder daß ihre therapeutische Wirksamkeit fehlt oder daß die Arzneispezialität nicht die angegebene Zusammensetzung nach Art und Menge aufweist. Die therapeutische Wirksamkeit fehlt, wenn feststeht, daß sich mit der Arzneispezialität keine therapeutischen Ergebnisse erzielen lassen.

Die Genehmigung wird ebenfalls ausgesetzt oder widerrufen, wenn sich herausstellt, daß die gemäß den Artikeln 4 und 4a in den Akten enthaltenen Angaben unrichtig sind oder nicht gemäß Artikel 9a geändert wurden, oder wenn die in Artikel 8 dieser Richtlinie oder in Artikel 27 der Zweiten Richtlinie 75/319/EWG des Rates vom 20. Mai 1975 über die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneimittel genannten Kontrollen des Fertigerzeugnisses nicht durchgeführt worden sind."

4 Gemäß Artikel 12 Absatz 1 der Richtlinie 65/65 müssen die aufgrund von Artikel 11 ergangenen Entscheidungen eingehend begründet werden. Sie sind den Betroffenen unter Angabe der vorgesehenen Rechtsbehelfe und Rechtsbehelfsfristen zuzustellen.

5 Nach Artikel 21 der Richtlinie darf die Genehmigung für das Inverkehrbringen nur aus den in dieser Richtlinie aufgeführten Gründen versagt, ausgesetzt oder widerrufen werden.

6 Artikel 8 der Richtlinie 75/319 (ABl. L 147, S. 13) in der Fassung der Richtlinie 83/570 sieht vor: "Um eine gemeinsame Haltung der Mitgliedstaaten bei den Entscheidungen über die Erteilung von Genehmigungen für das Inverkehrbringen zu erleichtern und auf diese Weise den freien Verkehr der Arzneispezialitäten zu begünstigen, wird ein Ausschuß für Arzneispezialitäten... eingesetzt, der aus Vertretern der Mitgliedstaaten und der Kommission besteht [und] auf Antrag eines Mitgliedstaats oder der Kommission" tätig wird.

7 Nach Artikel 11 Absätze 1 und 2 der Richtlinie 75/319 in der Fassung der Richtlinie 83/570 kann, wenn ein oder mehrere Mitgliedstaaten eine Genehmigung für das Inverkehrbringen ausgesetzt oder zurückgenommen haben, während diese Genehmigung in einem oder mehreren anderen Mitgliedstaaten nicht ausgesetzt, widerrufen oder zurückgenommen worden ist, einer der betreffenden Mitgliedstaaten oder die Kommission den Ausschuß für Arzneispezialitäten mit der Anwendung des Verfahrens nach Artikel 14 dieser Richtlinie befassen.

8 Artikel 14 Absatz 1 Unterabsatz 1 Richtlinie 75/319 in der Fassung der Richtlinie 83/570 bestimmt, daß bei Inanspruchnahme des in diesem Artikel beschriebenen Verfahrens der Ausschuß berät und binnen 60 Tagen, nachdem er befaßt wurde, eine mit Gründen versehene Stellungnahme abgibt. Nach Artikel 14 Absatz 2 Unterabsatz 1 betrifft die Stellungnahme des Ausschusses u. a. die Gründe, aus denen die Genehmigung für das Inverkehrbringen in den in Artikel 11 genannten Fällen ausgesetzt, widerrufen oder zurückgenommen worden ist.

9 Gemäß Artikel 14 Absatz 2 Unterabsatz 2 setzt der Ausschuß den oder die betreffenden Mitgliedstaaten und die für das Inverkehrbringen verantwortliche Person unverzüglich von seiner Stellungnahme oder - sofern Unterschiede bestehen - von den Stellungnahmen seiner Mitglieder in Kenntnis. Nach Artikel 14 Absatz 3 äußern sich schließlich der oder die betreffenden Mitgliedstaaten binnen höchstens 60 Tagen nach der Unterrichtung gemäß Artikel 14 Absatz 2 Unterabsatz 2 über die weitere Behandlung der Stellungnahme des Ausschusses.

Nationales Recht

10 Der Medicines Act 1968, bei dem es sich um die grundlegende Regelung auf dem Gebiet der Genehmigungen für das Inverkehrbringen von Arzneispezialitäten im Vereinigten Königreich handelt, bestellt die Lizenzbehörde zur zuständigen Behörde für die Genehmigungen für das Inverkehrbringen. Diese Behörde hat ihre Aufsichtsbefugnisse der Medicines Control Agency (MCA) übertragen.

11 Das Committee for the Safety of Medicines (CSM) ist ein Gremium, das von der Lizenzbehörde im Rahmen von Verfahren zur Aussetzung, zum Widerruf oder zur Änderung von Genehmigungen für das Inverkehrbringen angehört werden muß.

12 Die Medicines Commission ist ebenfalls ein Gremium mit der Aufgabe, die Lizenzbehörde im Zusammenhang mit Genehmigungen oder Bescheinigungen für Arzneispezialitäten zu beraten.

13 Nach geltendem nationalem Recht wird, wenn die Lizenzbehörde den Widerruf einer Genehmigung für das Inverkehrbringen erwägt, ein Verwaltungsverfahren eröffnet, in dem der Inhaber der Genehmigung zu hören ist und insbesondere sämtliche zweckdienlichen Unterlagen vorlegen und sich von Fachleuten seiner Wahl unterstützen lassen kann, um nachzuweisen, daß die von der Verwaltung untersuchte Arzneispezialität die nach der Richtlinie 65/65 für die Erteilung einer Genehmigung erforderlichen Merkmale aufweist.

14 Gemäß Section 107 des Medicines Act kann jede Person, die insbesondere vom Widerruf einer Genehmigung für das Inverkehrbringen einer Arzneispezialität betroffen ist, binnen drei Monaten nach der Mitteilung der Entscheidung an sie deren Gültigkeit beim High Court mit der Begründung anfechten,

a) sie sei nicht im Rahmen der durch diesen Act verliehenen Befugnisse ergangen, oder aber

b) eine der Anforderungen dieses Act oder von Verordnungen aufgrund dieses Act, die auf die Angelegenheit anwendbar sind, auf die sich die Entscheidung bezieht, sei nicht erfuellt.

Der Ausgangsrechtsstreit

15 Triazolam, das auch unter der Markenbezeichnung Halcion, deren Inhaberin Upjohn ist, vertrieben wird, ist ein verschreibungspflichtiges Benzodiazepin-Arzneimittel für die Behandlung von Schlaflosigkeit. Triazolam wurde im Vereinigten Königreich im September 1978 für Tabletten mit einem Wirkstoffgehalt von 0,25 mg und 0,125 mg zugelassen.

16 Nachdem die MCA im Juli 1991 der Presse entnommen hatte, daß eine Frau mittleren Alters ihre Mutter unter dem Einfluß von Triazolam erschossen hatte, holte sie die Stellungnahme des CSM ein, der zu dem vorläufigen Ergebnis gelangte, daß die Genehmigungen für das Inverkehrbringen zu widerrufen seien; die MCA teilte Upjohn daraufhin am 2. Oktober 1991 mit, daß die Lizenzbehörde entschieden habe, die Genehmigungen für das Inverkehrbringen dieses Medikaments für drei Monate auszusetzen. Diese Aussetzung wurde bis zum Zeitpunkt des Widerrufs der Genehmigungen am 9. Juni 1993 um jeweils drei Monate verlängert.

17 Parallel zum nationalen Verfahren und im Einklang mit Artikel 11 Absatz 2 der geänderten Richtlinie 75/319 befaßten die Französische Republik und das Königreich der Niederlande im Oktober 1991 den Ausschuß für Arzneispezialitäten. Am 11. Dezember 1991 gab der Ausschuß eine Stellungnahme ab, die sich gegen einen vollständigen Widerruf der Genehmigungen aussprach, und forderte die von ihm ernannte Ad-hoc-Gruppe von Berichterstattern auf, ihre Arbeit durch eine Beurteilung der Risiko/Vorteil-Relation bei sämtlichen Schlafmitteln mit Kurzzeitwirkung einschließlich Triazolam zu vervollständigen.

18 Trotz dieser Stellungnahme sowie derjenigen der Medicines Commission mit der Empfehlung, die Genehmigungen nur für die Erzeugnisse mit einem Wirkstoffgehalt von 0,25 mg zu widerrufen, teilte die MCA Upjohn am 17. Juli 1992 jedoch mit, daß die Lizenzbehörde beabsichtige, sämtliche Genehmigungen für Triazolam endgültig zu widerrufen. Dabei habe die Lizenzbehörde die Stellungnahme des Ausschusses für Arzneispezialitäten vom 11. Dezember 1991 berücksichtigt.

19 Die MCA teilte Upjohn außerdem mit, daß sie, da die Lizenzbehörde der Stellungnahme der Medicines Commission nicht gefolgt sei, von der durch die Lizenzbehörde "beauftragten Person" oder der "Gruppe beauftragter Personen" angehört werden könne. Upjohn machte von dieser Möglichkeit Gebrauch und wurde von der Gruppe beauftragter Personen angehört. Der Bericht dieser Gruppe gelangte jedoch zu dem Ergebnis, daß die Vorteile von Triazolam in einer Dosierung von 0,25 mg und 0,125 mg größer seien als die Risiken.

20 Was das in Randnummer 17 des vorliegenden Urteils erwähnte Verfahren vor dem Ausschuß für Arzneispezialitäten angeht, so prüfte der Ausschuß am 11./12. Mai 1993 die Entwürfe der Zusammenfassungen der Produktmerkmale für sämtliche Schlafmittel mit Kurzzeitwirkung einschließlich Triazolam, die von der Ad-hoc-Gruppe von Berichterstattern vorbereitet worden waren. Der Entwurf einer Zusammenfassung der Produktmerkmale ließ die Verschreibung von Triazolam in einer Dosis von 0,125 mg oder 0,25 mg für Erwachsene und von 0,125 mg für alte Menschen zu. Der Ausschuß für Arzneispezialitäten folgte den Empfehlungen der Ad-hoc-Gruppe. Die Entwürfe der Zusammenfassungen der Produktmerkmale wurden dann den Mitgliedstaaten und den betreffenden Lizenzinhabern übermittelt. Stellungnahmen sollten bis zum 1. Juli 1993 eingereicht werden, damit der Ausschuß sie in seiner Tagung vom 13./14. Juli prüfen konnte.

21 Die Lizenzbehörde übermittelte Upjohn jedoch am 9. Juni 1993 ihren Bescheid, mit dem sämtliche Genehmigungen für das Inverkehrbringen von Triazolam mit sofortiger Wirkung widerrufen wurden.

22 Am 15. September 1993 nahm der Ausschuß für Arzneispezialitäten den Bericht der Ad-hoc-Gruppe von Berichterstattern an, der u. a. zu dem Ergebnis gelangte, daß Triazolam weiter vertrieben werden könne.

23 Zwischenzeitlich hatte Upjohn am 31. August 1993 beim High Court die Aufhebung der Entscheidung der Lizenzbehörde vom 9. Juni 1993 beantragt. Upjohn trug in diesem Verfahren vor, daß es vor jeder Prüfung in der Sache erforderlich sei, dem Gerichtshof die Frage vorzulegen, wie die nationalen Gerichte bei der Prüfung der vorliegenden Rechtssache vorgehen sollten. Der High Court entschied, daß eine Vorlage an den Gerichtshof nicht erforderlich sei.

24 Upjohn legte daher gegen diese Entscheidung Rechtsmittel beim Court of Appeal ein, der das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt hat:

1. Sind die Richtlinie 65/65/EWG des Rates in der geänderten Fassung und das Gemeinschaftsrecht allgemein so auszulegen, daß ein nationales Gericht bei der Entscheidung darüber, ob die Entscheidung der Lizenzbehörde eines Mitgliedstaats, die Lizenz des Herstellers eines Arzneimittels zu widerrufen, mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist, zu prüfen hat, ob die Widerrufsentscheidung richtig ist, wenn die Lizenzbehörde aufgrund der ihr vorliegenden Informationen in sachgerechter Weise auch zu einer anderen Entscheidung hätte kommen können?

2. Falls die Antwort auf die erste Frage lautet, daß das nationale Gericht prüfen muß, ob die Entscheidung der zuständigen Behörde richtig war, verlangt dann das Gemeinschaftsrecht, daß dieses Gericht diese Frage allein aufgrund der der zuständigen Behörde vorliegenden Unterlagen entscheidet, oder muß das Gericht alle einschlägigen Informationen, die nach Erlaß dieser Entscheidung bekannt werden, berücksichtigen?

3. Durfte die Lizenzbehörde die Lizenz widerrufen, wenn ihr bekannt war, daß sich der Ausschuß für Arzneispezialitäten in Kürze in einem Gutachten für die Aufrechterhaltung der Lizenz aussprechen würde?

25 In den Verfahren vor dem High Court und dem Court of Appeal hat Upjohn vorgetragen, daß die Richtlinie 65/65 und allgemeiner das Gemeinschaftsrecht die Mitgliedstaaten verpflichteten, ein Verfahren der gerichtlichen Nachprüfung von Entscheidungen der für Genehmigungen für das Inverkehrbringen von Arzneispezialitäten zuständigen nationalen Behörden einzuführen, das die nationalen Gerichte ermächtige, auf der Grundlage einer erneuten und umfassenden Würdigung der tatsächlichen und rechtlichen Umstände zu prüfen, ob die erlassene Entscheidung richtig sei. Das nationale Gericht, das mit einer Anfechtungsklage gegen die Entscheidung über den Widerruf der Genehmigungen für das Inverkehrbringen von Triazolam befaßt sei, müsse darüber befinden können, ob diese Entscheidung im Hinblick auf die wissenschaftlichen Gegebenheiten, auf denen sie beruhe, die richtige sei.

26 Die Lizenzbehörde hat dem entgegengehalten, daß es nach der Richtlinie 65/65 nur eine nationale Behörde geben könne, die für Entscheidungen auf dem Gebiet von Herstellung und Vertrieb von Arzneispezialitäten, insbesondere von Entscheidungen über den Widerruf von Genehmigungen für das Inverkehrbringen, zuständig sei. Im Vereinigten Königreich sei diese Behörde eben die Lizenzbehörde. Somit sei das nationale Gericht, das mit der Klage gegen die Entscheidung über den Widerruf der Genehmigungen für das Inverkehrbringen von Triazolam befaßt sei, nicht befugt, sich an die Stelle der Lizenzbehörde zu setzen, sondern müsse sich auf eine Äußerung zu der Frage beschränken, ob die streitige Entscheidung mit einem Fehler behaftet sei, der ihre Nichtigerklärung nach sich ziehe.

Zur ersten Frage

27 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Richtlinie 65/65 und das Gemeinschaftsrecht allgemein die Mitgliedstaaten verpflichten, ein Verfahren der gerichtlichen Nachprüfung nationaler Entscheidungen über den Widerruf von Genehmigungen für das Inverkehrbringen von Arzneispezialitäten einzuführen, das die zuständigen nationalen Gerichte ermächtigt, ihre Würdigung des Sachverhalts, insbesondere der zur Begründung der Widerrufsentscheidung herangezogenen wissenschaftlichen Beweise, an die Stelle der Bewertung zu setzen, die die für den Widerruf der Genehmigungen für das Inverkehrbringen zuständigen nationalen Behörden vorgenommen haben.

28 Im Rahmen des durch die hier in Rede stehenden Gemeinschaftsrechtsakte über Arzneispezialitäten errichteten Systems verweist lediglich Artikel 12 der Richtlinie 65/65 auf Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen nach Artikel 11 dieser Richtlinie, also die Entscheidungen über Aussetzung oder Widerruf der Genehmigungen für das Inverkehrbringen von Arzneispezialitäten. Wie in Randnummer 4 des vorliegenden Urteils ausgeführt, beschränkt sich Artikel 11 Absatz 1 jedoch auf die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, dafür zu sorgen, daß gegen solche Entscheidungen ein Rechtsbehelf eingelegt werden kann.

29 Es zeigt sich daher, daß diese Bestimmung nicht die Modalitäten der Umsetzung des Klagerechts regelt und es somit den Mitgliedstaaten überläßt, ihr eigenes System der gerichtlichen Nachprüfung von Entscheidungen über Versagung, Aussetzung oder Widerruf von Genehmigungen für das Inverkehrbringen von Arzneispezialitäten einzurichten.

30 Upjohn trägt vor, daß Artikel 11 der Richtlinie 65/65 in der geänderten Fassung unmittelbar anwendbar sei; folglich müsse das nationale Gericht eine umfassende Kontrolle über das Handeln der Verwaltungsbehörde ausüben können. Andernfalls gebe es keinen effektiven Schutz der Rechte, die Upjohn aus der unmittelbaren Wirkung dieser Bestimmung ableite.

31 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes hat Artikel 11 der Richtlinie 65/65, soweit er die Voraussetzungen für den Widerruf der Genehmigungen für das Inverkehrbringen festlegt, ebenso unmittelbare Wirkung wie Artikel 21, der die Möglichkeiten zum Widerruf dieser Genehmigungen auf die in der Richtlinie ausdrücklich erwähnten Gründe der Volksgesundheit beschränkt (vgl. Urteil vom 26. Januar 1984 in der Rechtssache 301/82, Clin-Midy u. a., Slg. 1984, 251, Randnrn. 4 und 10).

32 Nach ständiger Rechtsprechung sind die Bestimmung der zuständigen Gerichte und die Ausgestaltung von gerichtlichen Verfahren, die den Schutz der dem Bürger aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, mangels einer gemeinschaftsrechtlichen Regelung dieses Bereiches Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten; diese Verfahren dürfen jedoch nicht ungünstiger gestaltet sein als bei entsprechenden Klagen, die das innerstaatliche Recht betreffen (Grundsatz der Gleichwertigkeit), und sie dürfen die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Grundsatz der Effektivität) (vgl. u. a. Urteile vom 14. Dezember 1995 in der Rechtssache C-312/93, Peterbroeck, Slg. 1995, I-4599, Randnr. 12, und vom 1. Dezember 1998 in der Rechtssache C-326/96, Levez, Slg. 1998, I-0000, Randnr. 18).

33 Die Entscheidungen über den Widerruf von Genehmigungen für das Inverkehrbringen werden von den zuständigen nationalen Behörden nach Abschluß komplexer Beurteilungen auf medizinisch-pharmakologischem Gebiet erlassen; es ist nicht ersichtlich, daß nur ein Verfahren der gerichtlichen Nachprüfung solcher nationaler Entscheidungen, das die zuständigen nationalen Gerichte ermächtigt, ihre Würdigung des Sachverhalts, insbesondere der zur Begründung der Widerrufsentscheidung herangezogenen wissenschaftlichen Beweise, an die Stelle der Bewertung zu setzen, die die für den Widerruf der Genehmigungen für das Inverkehrbringen zuständigen nationalen Behörden vorgenommen haben, geeignet ist, zu verhindern, daß die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert wird.

34 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes verfügt nämlich eine Gemeinschaftsbehörde, die im Rahmen ihrer Aufgabe komplexe Prüfungen vorzunehmen hat, dabei über einen weiten Ermessensspielraum, dessen Wahrnehmung einer beschränkten gerichtlichen Nachprüfung unterliegt, die nicht einschließt, daß der Gemeinschaftsrichter seine Würdigung des Sachverhalts an die Stelle derjenigen dieser Behörde setzt. Somit beschränkt sich der Gemeinschaftsrichter in einem solchen Fall auf die Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen und ihrer rechtlichen Bewertung durch diese Behörde und insbesondere der Frage, ob deren Handeln einen offensichtlichen Irrtum oder Ermessensmißbrauch aufweist oder ob sie die Grenzen ihres Ermessensspielraums offensichtlich überschritten hat (vgl. u. a. Urteile vom 13. Juli 1966 in den Rechtssachen 56/64 und 58/64, Consten und Grundig/Kommission, Slg. 1966, 429, vom 22. Januar 1976 in der Rechtssache 55/75, Balkan-Import-Export, Slg. 1976, 19, Randnr. 8, vom 14. Juli 1983 in der Rechtssache 9/82, Øhrgaard und Delvaux/Kommission, Slg. 1983, 2379, Randnr. 14, vom 15. Juni 1993 in der Rechtssache C-225/91, Matra/Kommission, Slg. 1993, I-3203, Randnrn. 24 und 25, und vom 5. Mai 1998 in der Rechtssache C-157/96, National Farmers' Union u. a., Slg. 1998, I-2211, Randnr. 39).

35 Folglich verlangt das Gemeinschaftsrecht nicht, daß die Mitgliedstaaten ein Verfahren der gerichtlichen Nachprüfung nationaler Entscheidungen über den Widerruf von Genehmigungen für das Inverkehrbringen, die nach der Richtlinie 65/65 und unter Vornahme komplexer Beurteilungen erlassen werden, einführen, das eine weitergehende Nachprüfung umfaßt, als sie der Gerichtshof in vergleichbaren Fällen vornimmt.

36 Das ändert jedoch nichts daran, daß jedes nationale Verfahren der gerichtlichen Nachprüfung von Entscheidungen nationaler Behörden über den Widerruf von Genehmigungen für das Inverkehrbringen dem mit einer Anfechtungsklage gegen eine solche Entscheidung befaßten Gericht ermöglichen muß, im Rahmen der Überprüfung der Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung die maßgebenden Grundsätze und Vorschriften des Gemeinschaftsrechts tatsächlich anzuwenden.

37 Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, daß die Richtlinie 65/65 und das Gemeinschaftsrecht allgemein die Mitgliedstaaten nicht verpflichten, ein Verfahren der gerichtlichen Nachprüfung nationaler Entscheidungen über den Widerruf von Genehmigungen für das Inverkehrbringen von Arzneispezialitäten einzuführen, das die zuständigen nationalen Gerichte ermächtigt, ihre Würdigung des Sachverhalts, insbesondere der zur Begründung der Widerrufsentscheidung herangezogenen wissenschaftlichen Beweise, an die Stelle der Bewertung zu setzen, die die für den Widerruf der Genehmigungen für das Inverkehrbringen zuständigen nationalen Behörden vorgenommen haben.

Zur zweiten Frage

38 Mit seiner zweiten Frage möchte der Court of Appeal wissen, ob das Gemeinschaftsrecht verlangt, daß das nationale Gericht, das mit einer Anfechtungsklage gegen eine Entscheidung über den Widerruf einer Genehmigung für das Inverkehrbringen einer bestimmten Arzneispezialität befaßt ist, über diese Klage unter Berücksichtigung aller einschlägigen nach Erlaß dieser Entscheidung bekannt gewordenen wissenschaftlichen Erkenntnisse entscheidet.

39 Durch ein gerichtliches Kontrollsystem, bei dem das nationale Gericht über Anfechtungsklagen gegen Entscheidungen über den Widerruf von Genehmigungen für das Inverkehrbringen von Arzneispezialitäten entscheidet, ohne die einschlägigen nach Erlaß der angefochtenen Entscheidung gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnisse zu berücksichtigen, wird die Ausübung der durch die Richtlinie verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert.

40 Wie die Regierung des Vereinigten Königreichs vorgetragen hat, hat nämlich in dem Fall, in dem sich nach Erlaß der Entscheidung über den Widerruf einer Genehmigung für das Inverkehrbringen neue Erkenntnisse ergeben, der Betroffene stets die Möglichkeit, einen neuen Antrag auf Genehmigung für das Inverkehrbringen zu stellen. Es ist dann Sache der zuständigen Verwaltungsbehörde, zu beurteilen, ob unter Berücksichtigung sämtlicher ihr zur Verfügung stehender Informationen die Voraussetzungen für die Erteilung einer neuen Genehmigung für das Inverkehrbringen erfuellt sind.

41 Dieses Ergebnis ist im vorliegenden Fall im Hinblick darauf zulässig, daß sich zum einen die wissenschaftlichen Erkenntnisse, insbesondere was die Schädlichkeit einer Arzneispezialität angeht, für die die Genehmigung für das Inverkehrbringen widerrufen worden ist, im Lauf der Zeit ändern können und daß zum anderen die Richtlinie 65/65 die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet, ein Verfahren der gerichtlichen Nachprüfung nationaler Entscheidungen über den Widerruf von Genehmigungen für das Inverkehrbringen von Arzneispezialitäten einzuführen, das die zuständigen nationalen Gerichte ermächtigt, ihre Würdigung des Sachverhalts, insbesondere der zur Begründung der Widerrufsentscheidung herangezogenen wissenschaftlichen Beweise, an die Stelle der Bewertung zu setzen, die die für den Widerruf der Genehmigungen für das Inverkehrbringen zuständigen nationalen Behörden vorgenommen haben.

42 Somit ist auf die zweite Frage zu antworten, daß das Gemeinschaftsrecht nicht verlangt, daß das nationale Gericht, das mit einer Anfechtungsklage gegen eine Entscheidung über den Widerruf einer Genehmigung für das Inverkehrbringen einer bestimmten Arzneispezialität befaßt ist, über diese Klage unter Berücksichtigung aller einschlägigen nach Erlaß dieser Entscheidung bekannt gewordenen wissenschaftlichen Erkenntnisse entscheidet.

Zur dritten Frage

43 Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob in dem Fall, in dem der Ausschuß für Arzneispezialitäten von mehreren Mitgliedstaaten im Anschluß an eine von der zuständigen nationalen Behörde erlassene Entscheidung über die Aussetzung einer Genehmigung für das Inverkehrbringen befaßt worden und die Frist für die Abgabe seiner Stellungnahme abgelaufen ist, die Richtlinien 65/65 und 75/319 in der Fassung der Richtlinie 83/570 diese Behörde daran hindern, eine Entscheidung über den Widerruf dieser Genehmigung für das Inverkehrbringen zu erlassen, ohne die Stellungnahme des Ausschusses für Arzneispezialitäten abzuwarten.

44 Nach Artikel 11 Absätze 1 und 2 der Richtlinie 75/319 in der Fassung der Richtlinie 83/570 kann, wenn eine Genehmigung für das Inverkehrbringen von einem oder mehreren Mitgliedstaaten ausgesetzt worden ist, in einem oder mehreren anderen Mitgliedstaaten jedoch nicht, einer der betreffenden Mitgliedstaaten den Ausschuß für Arzneispezialitäten mit der Anwendung des Verfahrens nach Artikel 14 dieser Richtlinie befassen.

45 Nach Artikel 14 berät der Ausschuß für Arzneispezialitäten bei Inanspruchnahme des in diesem Artikel beschriebenen Verfahrens und gibt binnen 60 Tagen, nachdem er befaßt wurde, eine mit Gründen versehene Stellungnahme ab. Der Ausschuß setzt den oder die betreffenden Mitgliedstaaten und die für das Inverkehrbringen verantwortliche Person unverzüglich von seiner Stellungnahme oder - sofern Unterschiede bestehen - von den Stellungnahmen seiner Mitglieder in Kenntnis. Der oder die betreffenden Mitgliedstaaten äußern sich binnen höchstens 60 Tagen nach ihrer Unterrichtung über die weitere Behandlung der Stellungnahme des Ausschusses.

46 Es kann dahingestellt bleiben, ob eine nationale Behörde nach den vorgenannten Bestimmungen befugt ist, innerhalb der Frist von 60 Tagen nach der Befassung des Ausschusses für Arzneispezialitäten den Widerruf einer Genehmigung für das Inverkehrbringen zu verfügen; jedenfalls hindert nichts diese Behörde daran, eine Genehmigung für das Inverkehrbringen zu widerrufen, wenn der Ausschuß seine Stellungnahme nicht innerhalb dieser Frist abgegeben hat.

47 Wie der Generalanwalt in den Nummern 63 und 64 seiner Schlußanträge ausgeführt hat, ist die Stellungnahme des Ausschusses keineswegs bindend und Artikel 14 kann, da es um die Volksgesundheit geht, nicht dahin ausgelegt werden, daß er die Mitgliedstaaten verpflichtet, die Stellungnahme des Ausschusses auch dann noch abzuwarten, wenn die 60-Tage-Frist für deren Abgabe abgelaufen ist, bevor sie beschließen, eine Arzneispezialität zurückzuziehen, in der sie eine mögliche Gefahr für die Volksgesundheit sehen, deren Schutz das wesentliche Ziel der Richtlinie 65/65 darstellt.

48 Somit ist auf die dritte Frage zu antworten, daß die Richtlinien 65/65 und 75/319 in der Fassung der Richtlinie 83/570 dahin auszulegen sind, daß sie in dem Fall, in dem der Ausschuß für Arzneispezialitäten von mehreren Mitgliedstaaten im Anschluß an eine von der zuständigen nationalen Behörde erlassene Entscheidung über die Aussetzung einer Genehmigung für das Inverkehrbringen befaßt worden und die Frist für die Abgabe seiner Stellungnahme abgelaufen ist, diese Behörde nicht daran hindern, eine Entscheidung über den Widerruf dieser Genehmigung für das Inverkehrbringen zu erlassen, ohne die Stellungnahme des Ausschusses für Arzneispezialitäten abzuwarten.

Kostenentscheidung:

Kosten

49 Die Auslagen der Regierung des Vereinigten Königreichs und der französischen Regierung sowie der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Fünfte Kammer)

auf die ihm vom Court of Appeal (England & Wales) mit Beschluß vom 26. Oktober 1995 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1. Die Richtlinie 65/65/EWG des Rates vom 26. Januar 1965 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten und das Gemeinschaftsrecht allgemein verpflichten die Mitgliedstaaten nicht, ein Verfahren der gerichtlichen Nachprüfung nationaler Entscheidungen über den Widerruf von Genehmigungen für das Inverkehrbringen von Arzneispezialitäten einzuführen, das die zuständigen nationalen Gerichte ermächtigt, ihre Würdigung des Sachverhalts, insbesondere der zur Begründung der Widerrufsentscheidung herangezogenen wissenschaftlichen Beweise, an die Stelle der Bewertung zu setzen, die die für den Widerruf der Genehmigungen für das Inverkehrbringen zuständigen nationalen Behörden vorgenommen haben.

2. Das Gemeinschaftsrecht verlangt nicht, daß das nationale Gericht, das mit einer Anfechtungsklage gegen eine Entscheidung über den Widerruf einer Genehmigung für das Inverkehrbringen einer bestimmten Arzneispezialität befaßt ist, über diese Klage unter Berücksichtigung aller einschlägigen nach Erlaß dieser Entscheidung bekannt gewordenen wissenschaftlichen Erkenntnisse entscheidet.

3. Die Richtlinie 65/65 und die Zweite Richtlinie 75/319/EWG des Rates vom 20. Mai 1975 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten, beide in der Fassung der Richtlinie 83/570/EWG des Rates vom 26. Oktober 1983, sind dahin auszulegen, daß sie in dem Fall, in dem der Ausschuß für Arzneispezialitäten von mehreren Mitgliedstaaten im Anschluß an eine von der zuständigen nationalen Behörde erlassene Entscheidung über die Aussetzung einer Genehmigung für das Inverkehrbringen befaßt worden und die Frist für die Abgabe seiner Stellungnahme abgelaufen ist, diese Behörde nicht daran hindern, eine Entscheidung über den Widerruf dieser Genehmigung für das Inverkehrbringen zu erlassen, ohne die Stellungnahme des Ausschusses für Arzneispezialitäten abzuwarten.

Ende der Entscheidung

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