Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Beschluss verkündet am 19.07.1995
Aktenzeichen: C-149/95 P(R)
Rechtsgebiete: EG-Vertrag


Vorschriften:

EG-Vertrag Art. 85
EG-Vertrag Art. 185
EG-Vertrag Art. 186
EG-Vertrag Art. 168a
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Die Artikel 168a EG-Vertrag und 51 Absatz 1 der Satzung des Gerichtshofes, die die Rechtsmittel unter Ausschluß jeder Tatsachenbewertung auf Rechtsfragen beschränken, gelten auch für Rechtsmittel, die gemäß Artikel 50 Absatz 2 dieser Satzung gegen Entscheidungen des Gerichts eingelegt werden, die im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ergangen sind.

2. Der Richter der einstweiligen Anordnung kann die Aussetzung des Vollzugs anordnen und einstweilige Anordnungen treffen, wenn die Notwendigkeit der Anordnungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht glaubhaft gemacht ist (Fumus boni iuris) und wenn feststeht, daß sie dringlich in dem Sinne sind, daß es zur Verhinderung eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens für die Interessen des Antragstellers erforderlich ist, daß sie bereits vor der Entscheidung zur Hauptsache erlassen werden und ihre Wirkungen entfalten. Sie müssen ausserdem vorläufig in dem Sinne sein, daß sie den Rechts- oder Tatsachenfragen des Rechtsstreits nicht vorgreifen und die Folgen der später zur Hauptsache zu treffenden Entscheidung nicht im voraus neutralisieren.

Im Rahmen dieser Gesamtprüfung verfügt der Richter der einstweiligen Anordnung über ein weites Ermessen, und er kann im Hinblick auf die Besonderheiten des Einzelfalls die Art und Weise, in der diese verschiedenen Voraussetzungen zu prüfen sind, sowie die Reihenfolge dieser Prüfung frei bestimmen, da keine Vorschrift des Gemeinschaftsrechts ihm ein feststehendes Prüfungsschema für die Beurteilung der Erforderlichkeit einer vorläufigen Entscheidung vorschreibt.

3. Zur Erfuellung der für die Aussetzung des Vollzugs oder den Erlaß einstweiliger Anordnungen aufgestellten Voraussetzung, daß für den Antragsteller die Gefahr eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens besteht, ist es nicht erforderlich, daß das unmittelbare Bevorstehen dieses Schadens mit absoluter Sicherheit nachgewiesen wird. Insbesondere wenn die Entstehung des Schadens vom Eintritt einer Reihe von Faktoren abhängt, genügt es, daß er mit einem hinreichenden Grad von Wahrscheinlichkeit vorhersehbar ist.

4. Wenn der Richter der einstweiligen Anordnung in einem Verfahren wegen eines Antrags auf Aussetzung des Vollzugs, in dem auf die Gefahr hingewiesen wird, daß der Antragsteller einen schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden erleidet, die betroffenen Belange gegeneinander abwägt, dann hat er zu prüfen, ob die etwaige Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung durch den Richter der Hauptsache die Umkehrung der Lage erlauben würde, die durch den sofortigen Vollzug dieser Entscheidung entstanden wäre, und ° umgekehrt ° ob die Aussetzung des Vollzugs dieser Entscheidung deren volle Wirksamkeit behindern könnte, falls die Klage abgewiesen würde.

5. Vom Gericht kann im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht verlangt werden, daß es ausdrücklich auf alle tatsächlichen und rechtlichen Punkte eingeht, die möglicherweise im Laufe dieses Verfahrens erörtert worden sind. Es genügt, daß die von ihm berücksichtigten Gründe angesichts der Umstände des Einzelfalls seinen Beschluß schlüssig rechtfertigen und dem Gerichtshof im Rechtsmittelverfahren die Ausübung seiner gerichtlichen Kontrolle ermöglichen.


BESCHLUSS DES PRAESIDENTEN DES GERICHTSHOFES VOM 19. JULI 1995. - KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN ATLANTIC CONTAINER LINE AB UND ANDERE. - RECHTSMITTEL - IN EINEM VERFAHREN DER EINSTWEILIGEN ANORDNUNG ERLASSENER BESCHLUSS DES PRAESIDENTEN DES GERICHTS ERSTER INSTANZ - WETTBEWERB - MULTIMODALER TRANSPORT. - RECHTSSACHE C-149/95 P(R).

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission hat mit Rechtsmittelschrift, die am 12. Mai 1995 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 168a EG-Vertrag und Artikel 50 Absatz 2 der EG-Satzung des Gerichtshofes ein Rechtsmittel gegen den Beschluß eingelegt, den der Präsident des Gerichts erster Instanz am 10. März 1995 in der Rechtssache T-395/94 R erlassen hat und mit dem er einem Antrag auf Aussetzung des Vollzugs der Entscheidung 94/980/EG der Kommission vom 19. Oktober 1994 in einem Verfahren nach Artikel 85 des EG-Vertrags (IV/34.446 ° Trans Atlantic Agreement [TAA]; ABl. L 376, S. 1) teilweise stattgegeben hat.

2 Der dem Rechtsstreit zugrunde liegende Sachverhalt ist in dem angefochtenen Beschluß folgendermassen dargestellt:

"15 Die Antragstellerinnen sind die fünfzehn Linienreedereien, die die TAA geschlossen haben, nach deren Wortlaut sie gemeinsam für die Durchführung des internationalen containerisierten Linien-Seetransports im Transatlantikverkehr zwischen Nordeuropa und den Vereinigten Staaten von Amerika in Ost-West-Richtung und West-Ost-Richtung sorgen. Die TAA, die die früher bestehenden Linienkonferenzen ersetzte, trat am 31. August 1992 in Kraft. Der Vereinbarung sind seit ihrem Inkrafttreten vier neue Mitglieder beigetreten.

16 Die TAA gilt für verschiedene Aspekte des Seetransports. Sie enthält u. a. Regeln zur Festlegung der Frachtraten, über Servicekontrakte (nach denen sich ein Kunde verpflichten kann, während eines bestimmten Zeitraums eine Mindestmenge von Waren befördern zu lassen, wofür ihm ein untertariflicher Preis eingeräumt wird) und über ein Kapazitätsbewirtschaftungsprogramm (das das Transportangebot begrenzen soll, um die Stabilität des Marktes zu sichern).

17 Die TAA umfasst zwei Kategorien von Mitgliedern. Die Mitglieder der ersten Kategorie (' strukturierte Mitglieder' ) gehören den Ausschüssen an, die die Anwendung der Tarife und der Servicekontrakte kontrollieren. Diese Mitglieder haben alle bis auf zwei an den beiden Linienkonferenzen teilgenommen, die dem Abschluß der TAA vorausgegangen sind. Die Mitglieder der zweiten Kategorie (' nichtstrukturierte Mitglieder' ) gehören den genannten Ausschüssen nicht an und können unabhängige Servicekontrakte abschließen, was den 'strukturierten Mitgliedern' nicht gestattet ist, sowie an den von den 'strukturierten Mitgliedern' ausgehandelten Servicekontrakten teilnehmen, während diese an den von den 'nichtstrukturierten Mitgliedern' abgeschlossenen Kontrakten nicht teilnehmen können.

18 Die TAA legt die Tarife für den Seetransport und den kombinierten Transport fest, der nicht nur den Seetransport erfasst, sondern auch den Landtransport von Waren, die von einem Binnenort zur Küste oder in umgekehrter Richtung befördert werden. Die für den kombinierten Transport geltenden Tarife, die sich für jeden Geschäftsvorgang auf einen einzigen Transportvertrag beziehen, decken also das Seetransportsegment und das Landtransportsegment ab.

19 Die TAA wurde am 28. August 1992 bei der Kommission angemeldet. Die Antragstellerinnen beantragten gemäß Artikel 12 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 4056/86 des Rates vom 22. Dezember 1986 über die Einzelheiten der Anwendung der Artikel 85 und 86 des Vertrages auf den Seeverkehr (ABl. L 378, S. 4), ihnen eine positive Entscheidung über die Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages zu gewähren.

20 Mit Schreiben vom 24. September 1992 teilte die Kommission den Antragstellerinnen mit, daß sie die Vereinbarung auch anhand der Bestimmungen der Verordnung (EWG) Nr. 1017/68 des Rates vom 19. Juli 1968 über die Anwendung von Wettbewerbsregeln auf dem Gebiet des Eisenbahn-, Strassen- und Binnenschiffsverkehrs (ABl. L 175, S. 1) prüfen werde.

21 In der Zeit vom 13. Oktober 1992 bis 19. Juli 1993 erhielt die Kommission zahlreiche Beschwerden wegen der Durchführung der TAA. Diese Beschwerden stammten von Exporteuren und Vereinigungen von Exporteuren, die in verschiedenen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft ansässig und im Handel mit den Vereinigten Staaten von Amerika tätig waren, von mehreren europäischen Hafenbehörden sowie von Spediteuren und Vereinigungen von Spediteuren. In diesen Beschwerden wurden gegenüber der TAA verschiedene Vorwürfe wegen eines Verstosses gegen die Artikel 85 und 86 des Vertrages erhoben, wobei hinsichtlich der Festlegung der Tarife die Durchsetzung unangemessener Vertragsbedingungen und die künstliche Beschränkung des Transportangebots gerügt wurden.

22 Die Beschwerdeführer forderten die Kommission auf, einstweilige Maßnahmen gemäß Artikel 11 Absatz 1 der Verordnung Nr. 4056/86 zu treffen. Nach Einleitung des in Artikel 23 der Verordnung vorgesehenen Verfahrens gab die Kommission diesen Anträgen nicht statt.

23 Mit Schreiben vom 10. Dezember 1993 stellte die Kommission den Antragstellerinnen eine Mitteilung der Beschwerdepunkte zu.

24 Im Anschluß an die Erörterungen, die im Laufe des Vorverfahrens stattgefunden hatten, meldeten die Antragstellerinnen am 5. Juli 1994 bei der Kommission eine geänderte Fassung der TAA mit der Bezeichnung Trans Atlantic Conference Agreement (im folgenden: TACA) an. Nach Vornahme mehrerer Änderungen trat diese neue Vereinbarung am 24. Oktober 1994 in Kraft und ersetzte die TAA. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Kommission die Untersuchung dieser Vereinbarung noch nicht abgeschlossen.

25 Am 19. Oktober 1994 erließ die Kommission die streitige Entscheidung. In Artikel 1 dieser Entscheidung wird festgestellt, daß die Bestimmungen der TAA betreffend die Preisfestsetzungs- und Kapazitätsabsprachen Verstösse gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages darstellen. In Artikel 2 der Entscheidung wird die Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages und von Artikel 5 der Verordnung Nr. 1017/68 auf die in Artikel 1 bezeichneten Bestimmungen der TAA abgelehnt. Nach Artikel 3 der Entscheidung haben die in Artikel 6 aufgeführten Adressaten die in Artikel 1 genannten Verstösse abzustellen, und in Artikel 4 wird ihnen aufgegeben, künftig von jeder Vereinbarung oder abgestimmten Verhaltensweise, die den gleichen oder einen ähnlichen Zweck oder die gleiche oder eine ähnliche Wirkung wie die in Artikel 1 bezeichneten Vereinbarungen und Praktiken haben können, Abstand zu nehmen. Schließlich verpflichtet Artikel 5 der Entscheidung die Adressaten dazu, innerhalb von zwei Monaten die Kunden, mit denen sie im Rahmen der TAA Servicekontrakte geschlossen haben oder sonstige vertragliche Beziehungen unterhalten, zu unterrichten, so daß diese Kunden ° sofern sie es wünschen ° die Bedingungen dieser Verträge neu aushandeln oder die Verträge sofort beenden können."

3 Fünfzehn Linienreedereien (im folgenden: die Atlantic Container Line AB u. a.) haben mit Klageschrift, die am 23. Dezember 1994 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, gemäß Artikel 173 EG-Vertrag eine Nichtigkeitsklage gegen die Entscheidung 94/980 erhoben.

4 Mit besonderem Schriftsatz, der am selben Tag bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, haben sie gemäß den Artikeln 185 und 186 EG-Vertrag die Aussetzung des Vollzugs der streitigen Entscheidung beantragt.

5 Mit dem angefochtenen Beschluß hat der Präsident des Gerichts u. a. die Aussetzung des Vollzugs der Artikel 1, 2, 3 und 4 der Entscheidung 94/980 angeordnet, "soweit diese Artikel es den Antragstellerinnen untersagen, im Rahmen der kombinierten Transportdienste gemeinsam die Befugnis zur Festlegung der Frachtraten für die Landtransportsegmente im Gebiet der Gemeinschaft auszuüben" (Nr. 4 des Tenors).

6 In dem vorliegenden Rechtsmittelverfahren beantragt die Kommission beim Präsidenten des Gerichtshofes, diesen Beschluß aufzuheben, soweit durch ihn die Anwendung der Artikel 1, 2, 3 und 4 der Entscheidung 94/980 ausgesetzt wird, den Antrag auf einstweilige Anordnung zurückzuweisen und den erstinstanzlichen Antragstellerinnen die Kosten des Verfahrens der einstweiligen Anordnung aufzuerlegen.

7 Die Atlantic Container Line AB u. a. haben mit Schriftsatz, der am 15. Juni 1995 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, schriftliche Erklärungen eingereicht. The Japanese Shipowners' Association und The European Community Shipowners' Associations ASBL als Streithelferinnen zur Unterstützung der Anträge der erstinstanzlichen Antragstellerinnen sowie The Freight Transport Association Ltd, die Association des utilisateurs des transports de fret und The European Council of Transport Users ASBL als Streithelferinnen zur Unterstützung der Anträge der Kommission haben mit Schriftsätzen, die am 16. Juni 1995 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen sind, schriftliche Erklärungen eingereicht.

8 Mit Schriftsatz, der am 21. Juni 1995 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, hat das Comité de liaison européen des commissionnaires et auxiliaires de transport du marché commun (im folgenden: das Clecat) beantragt, als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen zu werden.

9 Da die vom Clecat zur Begründung seines Streithilfeantrags vorgetragenen Argumente dem ersten Anschein nach ein berechtigtes Interesse am Ausgang des vorliegenden Rechtsmittelverfahrens erkennen lassen, ist seinem Antrag stattzugeben, was ihm durch Schreiben der Kanzlei des Gerichtshofes vom 22. Juni 1995 mitgeteilt wurde.

10 Das Clecat hat am 30. Juni 1995 schriftliche Erklärungen zu dem vorliegenden Rechtsmittel abgegeben.

11 Da die schriftlichen Erklärungen der Beteiligten alle Informationen enthalten, die für die Entscheidung über das vorliegende Rechtsmittel erforderlich sind, besteht keine Veranlassung zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

Zulässigkeit

12 Die Atlantic Container Line AB u. a. tragen vor, daß das Rechtsmittel aus zwei Gründen unzulässig sei.

13 Erstens sei das Rechtsmittel auf der Grundlage von Artikel 49 der EG-Satzung des Gerichtshofes und nicht gemäß Artikel 50, der einschlägig sei, eingelegt worden.

14 Hierzu ist festzustellen, daß der Umstand, daß in der Rechtsmittelschrift eine Bestimmung der EG-Satzung des Gerichtshofes irrtümlich als angebliche Grundlage für das Rechtsmittel angegeben worden ist, obwohl die Verfahrensordnung des Gerichtshofes die Angabe einer solchen Bestimmung nicht vorschreibt, einen Schreibfehler darstellt, der im übrigen von der Kommission durch Schreiben vom 14. Juni 1995 an die Kanzlei des Gerichtshofes berichtigt worden ist. Dieser Irrtum, der keine Folgen für den späteren Ablauf des Verfahrens gehabt hat, stellt keinen Grund für die Unzulässigkeit des Rechtsmittels dar.

15 Dieses Vorbringen ist daher zurückzuweisen.

16 Zweitens führen die Atlantic Container Line AB u. a. aus, daß das Rechtsmittel, wenigstens teilweise, unzulässig sei, weil es nicht auf Rechtsfragen beschränkt sei, wie dies Artikel 51 der EG-Satzung des Gerichtshofes vorschreibe.

17 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß nach Artikel 168a EG-Vertrag und Artikel 51 Absatz 1 der EG-Satzung des Gerichtshofes ein Rechtsmittel nur auf Gründe gestützt werden kann, mit denen die Verletzung von Rechtsvorschriften durch das Gericht, unter Ausschluß jeder Tatsachenbewertung, geltend gemacht wird.

18 Da die genannten Bestimmungen auch für Rechtsmittel gelten, die gemäß Artikel 50 Absatz 2 der EG-Satzung des Gerichtshofes eingelegt werden, muß sich der vorliegende Rechtsbehelf auf Rechtsfragen beschränken; die Tatsachenbewertung, die der Richter der einstweiligen Anordnung für deren Erlaß vorgenommen hat, kann in keiner Weise in Frage gestellt werden.

19 Das Vorbringen der Atlantic Container Line AB u. a. zu dieser Frage ist jedoch im Rahmen der Gründe zu prüfen, auf die die Kommission ihr Rechtsmittel stützt.

Begründetheit

20 Die Kommission vertritt die Auffassung, daß der Beschluß verschiedene Rechtsfehler aufweise, und zwar hinsichtlich der Beurteilung des Fumus boni iuris und der Dringlichkeit, also der Voraussetzungen, von denen Artikel 104 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts die Anordnung der Aussetzung abhängig mache, hinsichtlich der Abwägung der widerstreitenden Interessen, der Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit und seiner Begründung.

21 Vorab ist darauf hinzuweisen, daß nach den Artikeln 185 und 186 EG-Vertrag der Richter der einstweiligen Anordnung, wenn er dies den Umständen nach für nötig hält, die Durchführung der angefochtenen Handlung aussetzen oder die erforderlichen einstweiligen Anordnungen treffen kann. Hierbei berücksichtigt er die Voraussetzungen des Artikels 83 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes oder des Artikels 104 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts, wie sie durch die Rechtsprechung näher bestimmt worden sind.

22 Daher kann der Richter der einstweiligen Anordnung die Aussetzung des Vollzugs anordnen und einstweilige Anordnungen treffen, wenn die Notwendigkeit der Anordnungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht glaubhaft gemacht ist (Fumus boni iuris) und wenn feststeht, daß sie dringlich in dem Sinne sind, daß es zur Verhinderung eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens für die Interessen des Antragstellers erforderlich ist, daß sie bereits vor der Entscheidung zur Hauptsache erlassen werden und ihre Wirkungen entfalten. Sie müssen ausserdem vorläufig in dem Sinne sein, daß sie den Rechts- oder Tatsachenfragen des Rechtsstreits nicht vorgreifen und die Folgen der später zur Hauptsache zu treffenden Entscheidung nicht im voraus neutralisieren.

23 Im Rahmen dieser Gesamtprüfung verfügt der Richter der einstweiligen Anordnung über ein weites Ermessen, und er kann im Hinblick auf die Besonderheiten des Einzelfalls die Art und Weise, in der diese verschiedenen Voraussetzungen zu prüfen sind, sowie die Reihenfolge dieser Prüfung frei bestimmen, da keine Vorschrift des Gemeinschaftsrechts ihm ein feststehendes Prüfungsschema für die Beurteilung der Erforderlichkeit einer vorläufigen Entscheidung vorschreibt.

24 In Anbetracht dieser Überlegungen ist zu prüfen, ob sich der angefochtene Beschluß bei Berücksichtigung der von der Kommission geltend gemachten Rechtsmittelgründe in diesen Grenzen hält und keinen Rechtsfehler aufweist.

Zum Fumus boni iuris

25 Nach Auffassung der Kommission enthält der angefochtene Beschluß einen Fehler bei der Beurteilung der Elemente, durch die die Notwendigkeit der beantragten Anordnungen glaubhaft gemacht werde. Indem der Richter der einstweiligen Anordnung in Randnummer 49 ausgeführt habe, daß die von der Atlantic Container Line AB u. a. geltend gemachten Gründe "auf den ersten Blick erheblich und jedenfalls nicht ohne Grundlage erscheinen", habe er die Voraussetzung des Fumus boni iuris in eine Voraussetzung des Fumus non mali iuris umgewandelt und folglich dieses Erfordernis abgeschwächt, da der Antragsteller gegebenenfalls nicht nachweisen müsse, daß die Rügen zur Hauptsache auf den ersten Blick begründet seien, sondern, daß sie nicht offensichtlich ohne Grundlage seien.

26 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß in der Rechtsprechung mehrere Formulierungen verwendet worden sind, um die Voraussetzung des Fumus boni iuris je nach den Umständen des Einzelfalls zu definieren. Die im angefochtenen Beschluß verwendete Formulierung, mit der darauf hingewiesen wird, daß die Gründe auf den ersten Blick nicht ohne Grundlage erscheinen, stimmt mit der Formulierung, auf die der Gerichtshof oder sein Präsident wiederholt zurückgegriffen hat, überein oder ähnelt ihr (vgl. insbesondere Beschlüsse des Präsidenten des Gerichtshofes vom 13. Juni 1989 in der Rechtssache 56/89 R, Publishers Association/Kommission, Slg. 1989, 1693, Randnr. 31, vom 10. Oktober 1989 in der Rechtssache 246/89 R, Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg. 1989, 3125, Randnr. 33, vom 28. Juni 1990 in der Rechtssache C-195/90 R, Kommission/Deutschland, Slg. 1990, I-2715, Randnr. 19, vom 31. Januar 1992 in der Rechtssache C-272/91 R, Kommission/Italien, Slg. 1992, I-457, Randnr. 24, sowie Beschluß des Gerichtshofes vom 29. Juni 1993 in der Rechtssache C-280/93 R, Deutschland/Rat, Slg. 1993, I-3667, Randnr. 21). Eine solche Formulierung lässt erkennen, daß das Vorbringen des Antragstellers nach Ansicht des Richters der einstweiligen Anordnung im Stadium dieses Verfahrens nicht ohne eine eingehendere Prüfung zurückgewiesen werden kann.

27 Aus der erwähnten Rechtsprechung ergibt sich, daß der Richter der einstweiligen Anordnung in Anbetracht der Umstände des Einzelfalls die Auffassung vertreten kann, daß durch solche Gründe die Notwendigkeit der Aussetzung des Vollzugs gemäß Artikel 185 oder die Notwendigkeit einstweiliger Anordnungen im Sinne von Artikel 186 glaubhaft gemacht wird.

28 Die Kommission trägt ausserdem vor, daß die TAA einen offenkundigen Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages darstelle, daß die Festlegung der Tarife für den Landtransport nicht in den Anwendungsbereich der in der Verordnung Nr. 4056/86 vorgesehenen Gruppenfreistellung falle und daß sie keine Einzelfreistellung gewähren könne, weil die Verbraucher daraus keinen Vorteil ziehen würden und weil die in Rede stehende Beschränkung nicht unerläßlich sei.

29 Die Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Kommission fügen hinzu, daß die Art und Weise, in der die Voraussetzung des Fumus boni iuris in dem angefochtenen Beschluß geprüft worden sei, dazu geführt habe, daß Argumente als prima facie begründet angesehen worden seien, die tatsächlich unhaltbar seien. Dies gelte für die Behauptung der Atlantic Container Line AB u. a., daß der relevante Markt für den im Rahmen des multimodalen Transports durchgeführten Landtransport von Containern der Markt des Seetransports sei.

30 Die Prüfung der Begründetheit der Argumente der Atlantic Container Line AB u. a., mit denen nachgewiesen werden soll, daß die Vereinbarungen über den multimodalen Transport, soweit dieser die Landtransportsegmente betrifft, von der in Artikel 3 der Verordnung Nr. 4056/86 vorgesehenen Gruppenfreistellung erfasst werden oder daß der TAA jedenfalls der Vorteil einer Einzelfreistellung auf der Grundlage von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages oder, soweit er anwendbar sein sollte, auf der Grundlage von Artikel 5 der Verordnung Nr. 1017/68 hätte gewährt werden müssen, bringt die Prüfung komplexer rechtlicher Fragen mit sich, darunter der Frage nach der Bestimmung des Anwendungsbereichs der Verordnungen Nr. 4056/86 und Nr. 1017/68. Diese Fragen bedürfen einer eingehenden Prüfung nach streitiger Verhandlung.

31 Das Vorbringen der Kommission, daß die TAA einen offenkundigen Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages darstelle, ist nicht erheblich, da sich in diesem Stadium die Frage stellt, ob für diese Vereinbarung eine Gruppen- oder Einzelfreistellung gewährt werden kann.

32 Die Kommission und die sie unterstützenden Streithelfer tragen schließlich vor, daß der von den erstinstanzlichen Antragstellerinnen gegen die Kommission erhobene und in Randnummer 49 des angefochtenen Beschlusses erwähnte Vorwurf, daß diese ihre Schlußfolgerungen bezueglich der TAA in rechtswidriger Weise auf die TACA angewandt habe, unerheblich sei, da die streitige Entscheidung nur die TAA betreffe.

33 Die letztgenannte Behauptung ist unrichtig. Denn Artikel 4 der streitigen Entscheidung erfasst, indem er die Atlantic Container Line AB u. a. verpflichtet, künftig von jeder Vereinbarung oder abgestimmten Verhaltensweise Abstand zu nehmen, die den gleichen oder einen ähnlichen Zweck oder die gleiche oder eine ähnliche Wirkung wie die in Artikel 1 dieser Entscheidung bezeichneten Vereinbarungen und Praktiken haben kann, unbestreitbar die TACA, die eine geänderte Fassung der TAA ist.

34 Der erste Rechtsmittelgrund ist daher zurückzuweisen.

Zur Dringlichkeit

35 Mit einem zweiten Rechtsmittelgrund trägt die Kommission vor, daß die in dem angefochtenen Beschluß enthaltene Beurteilung der Voraussetzung der Dringlichkeit mehrere Rechtsfehler aufweise, die ebenfalls zu einer Abschwächung dieser Voraussetzung führten.

36 Erstens ergibt sich nach Auffassung der Kommission aus dem angefochtenen Beschluß, daß die blosse Möglichkeit eines Schadens im Rahmen der Dringlichkeit berücksichtigt worden sei. Nach ständiger Rechtsprechung müsse der Antragsteller aber mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die Gefahr eines schweren und nicht wiedergutzumachenden spezifischen Schadens nachweisen.

37 Zu diesem ersten Argument ist festzustellen, daß in Randnummer 50 des angefochtenen Beschlusses zutreffend auf die ständige Rechtsprechung hingewiesen wird, nach der die Dringlichkeit eines Antrags auf einstweilige Anordnung danach zu beurteilen ist, ob eine vorläufige Entscheidung erforderlich ist, um zu verhindern, daß dem Antragsteller ein schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden entsteht.

38 Insoweit berücksichtigt der Beschluß entgegen dem Vorbringen der Kommission nicht einen rein hypothetischen Schaden, sondern einen schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden, der nach den Umständen des Falles infolge der sofortigen Durchführung der streitigen Entscheidung zum Nachteil der Atlantic Container Line AB u. a. eintreten kann. Zudem ergibt sich aus der erwähnten Rechtsprechung nicht, daß das unmittelbare Bevorstehen des Schadens mit absoluter Sicherheit nachgewiesen werden muß. Insbesondere wenn die Entstehung des Schadens vom Eintritt einer Reihe von Faktoren abhängt, genügt es, daß er mit einem hinreichenden Grad von Wahrscheinlichkeit vorhersehbar ist (vgl. insbesondere Beschluß des Gerichtshofes in der Rechtssache Deutschland/Rat, a. a. O., Randnrn. 32 und 34).

39 Die in dem angefochtenen Beschluß enthaltene Untersuchung hinsichtlich dieses Schadens sowie die Prüfung der für den Schaden vorgelegten Beweise erfordern eine Tatsachenbewertung, die vom Gerichtshof nicht kontrolliert werden kann, da das Rechtsmittel auf Rechtsfragen beschränkt ist.

40 Das erste Argument ist daher zurückzuweisen.

41 Zweitens vertritt die Kommission die Auffassung, daß der Antragsteller das Bestehen eines Kausalzusammenhangs zwischen der streitigen Entscheidung und dem behaupteten Schaden nachweisen müsse. Im vorliegenden Fall ergebe sich dieser Schaden aber nicht zwangsläufig aus der Anwendung der streitigen Entscheidung. Denn zum einen verpflichte diese die Antragstellerinnen nicht, einen besonderen Tarif für den multimodalen Transport anzuwenden; zum anderen habe die Kommission, selbst wenn der behauptete Schaden auf die streitige Entscheidung zurückzuführen sein sollte, ein Mittel zur Verhinderung dieses Schadens aufgezeigt, nämlich die Unterzeichnung einer Vereinbarung, mit der sich die betroffenen Transportunternehmen verpflichteten, keine Tarife anzuwenden, die unter den tatsächlichen Kosten für die Landtransportdienste lägen. Für diese Lösung hätte eine Einzelfreistellung gemäß Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages gewährt werden können, und sie hätte vom Präsidenten des Gerichts im Wege der einstweiligen Anordnung durchgesetzt werden können.

42 Dieses Vorbringen ist zurückzuweisen.

43 Zunächst würde, auch wenn der der Atlantic Container Line AB u. a. möglicherweise entstehende Schaden in erster Linie auf das Verhalten der Adressaten der streitigen Entscheidung zurückzuführen wäre, da diese Gesellschaften besondere Tarife für den multimodalen Transport anwendeten, dies nichts daran ändern, daß diese Situation ohne die Anwendung dieser Entscheidung nicht eintreten könnte. Sodann kann der Richter der einstweiligen Anordnung bei der Beurteilung der von den Parteien vorgetragenen verschiedenen Gesichtspunkte, die die Dringlichkeit begründen, ungehindert diejenigen heranziehen, die ihn überzeugen, um seine Entscheidung zu rechtfertigen. So ist der Umstand, daß es, worauf sich die Kommission beruft, eine andere Maßnahme als die Aussetzung der Entscheidung gibt, um den Schaden zu verhindern, nur einer dieser Gesichtspunkte, die der Richter der einstweiligen Anordnung berücksichtigen kann; aber dieser Umstand allein kann ihn nicht zwingen, den Aussetzungsantrag zurückzuweisen.

44 Drittens führt die Kommission aus, daß in Randnummer 55 des angefochtenen Beschlusses als allgemeiner Grundsatz die Behauptung aufgestellt werde, daß durch den Erlaß der Entscheidung verursachte bedeutende Änderungen des Rahmens, in dem sich die Tätigkeit der Adressaten dieser Entscheidung vollziehe, auf dem Markt eine Entwicklung herbeiführen könnten, die später, falls der Klage stattgegeben würde, nur sehr schwer rückgängig zu machen wären. Hierzu trägt die Kommission zum einen vor, daß kein derartiger allgemeiner Grundsatz bestehe, und zum anderen, daß die Rechtsprechung, auf die Randnummer 55 verweise, nur vertikale Vertriebsvereinbarungen betreffe, deren Abschaffung nur schwer hätte rückgängig gemacht werden können, weil die Verbraucher eine Rückkehr zum alten System nicht akzeptiert hätten, während es sich im vorliegenden Fall um eine horizontale Vereinbarung zur Festlegung der Preise handele, deren System ohne Schwierigkeiten wiederhergestellt werden könne.

45 Randnummer 55 des angefochtenen Beschlusses hat folgenden Wortlaut: "Wie der Richter der einstweiligen Anordnung bereits entschieden hat, begründen solche Situationen, in denen alle Bedingungen des Marktes durch eine Entscheidung der Kommission geändert werden, die innerhalb einer relativ kurzen Frist anwendbar wird, für die Adressaten der Entscheidung die Gefahr eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens, soweit sie bedeutende Änderungen des Rahmens, in dem sich ihre Tätigkeit vollzieht, mit sich bringen. Diese Änderung kann eine Entwicklung auf dem Markt herbeiführen, die später, falls der Klage stattgegeben wird, nur sehr schwer rückgängig zu machen wäre. Umgekehrt kann die Aussetzung des Vollzugs die volle Wirkung der Entscheidung von dem Zeitpunkt an, zu dem die Klage gegebenenfalls abgewiesen wird, nicht hindern (vgl. in diesem Sinne Beschlüsse des Präsidenten des Gerichtshofes [vom 11. Mai 1989 in den Rechtssachen 76/89 R, 77/89 R und 91/89 R], RTE u. a./Kommission, [Slg. 1989, 1141,] Randnrn. 15 und 18, und vom 13. Juni 1989 in der Rechtssache 56/89 R, Publishers Association/Kommission, Slg. 1989, 1693, Randnrn. 34 und 35, sowie Beschlüsse des Präsidenten des Gerichts vom 16. Juni 1992 in den Rechtssachen T-24/92 R und T-28/92 R, Langnese-Iglo und Schöller Lebensmittel/Kommission, Slg. 1992, II-1839, Randnr. 29, und vom 16. Juli 1992 in der Rechtssache T-29/92 R, SPO u. a./Kommission, Slg. 1992, II-2161, Randnr. 31)."

46 In dieser Randnummer wird kein allgemeiner Grundsatz hinsichtlich der Voraussetzung der Dringlichkeit aufgestellt; ausserdem dienen die darin enthaltenen Rechtsprechungshinweise nur zur Erläuterung der Schlußfolgerungen, zu denen der Richter der einstweiligen Anordnung auf der Grundlage einer Tatsachenbewertung gelangt ist.

47 Der zweite Rechtsmittelgrund ist daher zurückzuweisen.

Zur Interessenabwägung

48 Mit einem dritten Rechtsmittelgrund werfen die Kommission und die sie unterstützenden Streithelfer dem Präsidenten des Gerichts vor, daß er die Interessen Dritter, insbesondere der Verlader und der europäischen Exporteure, die wegen der von der Atlantic Container Line AB u. a. durchgesetzten Preiserhöhung einen erheblichen Schaden erleiden würden, nicht hinreichend berücksichtigt habe. Die Kommission fügt hinzu, daß auch das Allgemeininteresse der europäischen Industrie und der Wirtschaft im weiteren Sinne nicht berücksichtigt worden sei.

49 Die Kommission vertritt die Auffassung, daß die Interessenabwägung jedenfalls erst vorgenommen werden könne, wenn nachgewiesen sei, daß die Atlantic Container Line AB u. a. einen schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden erleiden würden, wenn die streitige Entscheidung sofort durchgeführt würde.

50 Es steht fest, daß der schwere und nicht wiedergutzumachende Schaden, das Kriterium der Dringlichkeit, auch den ersten Punkt des Vergleichs darstellt, der im Rahmen der Interessenabwägung durchgeführt wird. Bei diesem Vergleich muß der Richter der einstweiligen Anordnung insbesondere prüfen, ob die etwaige Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung durch den Richter der Hauptsache die Umkehrung der Lage erlauben würde, die durch den sofortigen Vollzug dieser Entscheidung entstanden wäre, und ° umgekehrt ° ob die Aussetzung des Vollzugs dieser Entscheidung deren volle Wirksamkeit behindern könnte, falls die Klage abgewiesen würde (vgl. insbesondere Beschluß RTE u. a./Kommission, a. a. O., Randnr. 15).

51 Im vorliegenden Fall wird in Randnummer 55 des angefochtenen Beschlusses festgestellt, daß die Aussetzung des Vollzugs der streitigen Entscheidung bei einer Abweisung der Klage die volle Wirkung dieser Entscheidung nicht hindern würde, daß dagegen die Durchführung der Entscheidung der Kommission Schwierigkeiten von grösserem Gewicht hervorrufen würde, da sie eine bedeutende Änderung des Rahmens der Geschäftstätigkeit der Atlantic Container Line AB u. a. mit sich bringe, die auf dem Transportmarkt eine Entwicklung herbeiführen könne, die später, falls der Klage stattgegeben würde, nur sehr schwer rückgängig zu machen wäre.

52 Diese Gründe zeigen zur Genüge, daß der Richter der einstweiligen Anordnung im vorliegenden Fall die in Rede stehenden Interessen bewertet und dabei eine Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Durchführung der Entscheidungen der Kommission im Wettbewerbsbereich, dem Interesse der Adressaten der Entscheidung daran, daß ihnen kein schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden entsteht, sowie der Notwendigkeit, die Stabilität des betreffenden Marktes insgesamt zu wahren, vorgenommen hat.

53 Der dritte Rechtsmittelgrund ist daher zurückzuweisen.

Zum Grundsatz der Verhältnismässigkeit

54 Mit einem vierten Rechtsmittelgrund macht die Kommission geltend, daß der angefochtene Beschluß gegen den Grundsatz der Verhältnismässigkeit verstosse, weil sich die einstweiligen Anordnungen nicht auf das beschränkt hätten, was zur Verhinderung des behaupteten Schadens absolut erforderlich gewesen sei. Zum einen hätten die erstinstanzlichen Antragstellerinnen in dieser Hinsicht über ein weniger einschränkendes Mittel verfügt, nämlich über die Möglichkeit, eine Vereinbarung zu unterzeichnen, nach der sie sich verpflichteten, für die Landtransportsegmente eines multimodalen Transports keine Preise anzuwenden, die unter den tatsächlichen Kosten lägen. Zum anderen habe der Schutz der Interessen der Atlantic Container Line AB u. a. nicht die Aussetzung des Vollzugs der Artikel 1, 2 und 3 der streitigen Entscheidung erfordert. Nach Auffassung der Kommission hätte die Aussetzung allein auf Artikel 4 der Entscheidung beschränkt werden können, der für die Zukunft den Rückgriff auf jede Vereinbarung oder abgestimmte Verhaltensweise untersage, die den gleichen oder einen ähnlichen Zweck oder die gleiche oder eine ähnliche Wirkung wie die in Rede stehenden Vereinbarungen und Praktiken haben könnte.

55 In den Randnummern 56 und 57 des angefochtenen Beschlusses wird angesichts der besonderen Umstände des vorliegenden Falles und vor allem wegen der wirtschaftlichen Bedeutung, die dem Markt des Seetransports zukomme, festgestellt, daß eine bedeutende Änderung des Rahmens, in dem sich die Tätigkeit der Antragstellerinnen vollziehe, wie sie mit der Entscheidung der Kommission verbunden sei, nicht nur zu einem schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden für die Antragstellerinnen führen, sondern auch die Stabilität dieses Marktes beeinträchtigen könnte. Dazu ist zu bemerken, daß die Behauptungen der Kommission diese Feststellungen nicht entkräften können, die nach Auffassung des Richters der einstweiligen Anordnung auch unter Berücksichtigung der von der Kommission als Alternative vorgeschlagenen einstweiligen Maßnahmen einen grundlegenden Einwand gegen die sofortige Durchführung der Entscheidung, auf die sich der Aussetzungsantrag bezieht, darstellen.

56 Unter diesen Umständen kann dem angefochtenen Beschluß kein offensichtlicher Beurteilungsfehler hinsichtlich des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit angelastet werden. Der vierte Rechtsmittelgrund ist daher zurückzuweisen.

Zur Begründung

57 Mit einem fünften Rechtsmittelgrund trägt die Kommission vor, daß der angefochtene Beschluß in bestimmten wesentlichen Punkten, wie dem Kausalzusammenhang zwischen der streitigen Entscheidung und dem angeblichen Schaden, der Berücksichtigung der Interessen Dritter und der Interessenabwägung allgemein, nicht hinreichend begründet sei.

58 Hierzu ist zu sagen, daß vom Richter der einstweiligen Anordnung nicht verlangt werden kann, daß er ausdrücklich auf alle tatsächlichen oder rechtlichen Punkte eingeht, die möglicherweise im Laufe des Verfahrens der einstweiligen Anordnung erörtert worden sind. Es genügt, daß die von ihm berücksichtigten Gründe angesichts der Umstände des Einzelfalls seinen Beschluß schlüssig rechtfertigen und dem Gerichtshof die Ausübung seiner gerichtlichen Kontrolle ermöglichen.

59 In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen, die sich speziell mit der Dringlichkeit und der Interessenabwägung befassen, wie sie in dem angefochtenen Beschluß geprüft worden sind, ist der fünfte Rechtsmittelgrund als unbegründet zurückzuweisen.

60 Das Rechtsmittel ist folglich zurückzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

61 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die von der Rechtsmittelführerin geltend gemachten Rechtsmittelgründe zurückgewiesen worden sind, sind ihr die Kosten des vorliegenden Rechtsmittelverfahrens aufzuerlegen.

62 Im übrigen tragen nach Artikel 69 § 4 der Verfahrensordnung The Freight Transport Association Ltd, die Association des utilisateurs des transports de fret, The European Council of Transport Users ASBL und das Clecat, die dem Rechtsstreit zur Unterstützung der Anträge der Kommission beigetreten sind, ihre eigenen Kosten.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER PRÄSIDENT DES GERICHTSHOFES

beschlossen:

1) Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.

2) Die Kommission trägt die Kosten.

3) The Freight Transport Association Ltd, die Association des utilisateurs des transports de fret, The European Council of Transport Users ASBL und das Comité de liaison européen des commissionnaires et auxiliaires de transport du marché commun tragen ihre eigenen Kosten.

Luxemburg, den 19. Juli 1995

Ende der Entscheidung

Zurück