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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 09.03.2006
Aktenzeichen: C-174/05
Rechtsgebiete: Richtlinie 91/414/EWG, Entscheidung 2003/199/EG


Vorschriften:

Richtlinie 91/414/EWG Art. 8
Entscheidung 2003/199/EG Art. 2 Abs. 1 Nr. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

URTEIL DES GERICHTSHOFES (Zweite Kammer)

9. März 2006

"Zulassung für das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln - Richtlinie 91/414/EWG - Artikel 8 - 'Aldicarb' genannter Wirkstoff - Gültigkeit von Artikel 2 Absatz 1 Nummer 3 der Entscheidung 2003/199/EG"

Parteien:

In der Rechtssache C-174/05

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom College van Beroep voor het bedrijfsleven (Niederlande) mit Entscheidung vom 19. April 2005, beim Gerichtshof eingegangen am gleichen Tag, in dem Verfahren

Stichting Zuid-Hollandse Milieufederatie,

Stichting Natuur en Milieu

gegen

College voor de toelating van bestrijdingsmiddelen,

Beteiligte:

Bayer CropScience BV,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans sowie der Richter J. Makarczyk, R. Schintgen, P. Kuris und J. Klucka (Berichterstatter),

Generalanwältin: E. Sharpston,

Kanzler: R. Grass,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

- der Stichting Zuid-Hollandse Milieufederatie, vertreten durch J. Rutteman als Bevollmächtigten,

- des College voor de toelating van bestrijdingsmiddelen, vertreten durch R. J. M. van den Tweel, advocaat,

- der Bayer CropScience BV, vertreten durch D. Waelbroeck, avocat,

- der niederländischen Regierung, vertreten durch H. G. Sevenster als Bevollmächtigte,

- der belgischen Regierung, vertreten durch M. Wimmer als Bevollmächtigten,

- der griechischen Regierung, vertreten durch G. Kanellopoulos und S. Papaïoannou als Bevollmächtigte,

- des Rates der Europäischen Union, vertreten durch F. P. Ruggeri Laderchi, Z. Kupcová und B. Driessen als Bevollmächtigte,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch B. Doherty und M. van Heezik als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Gültigkeit von Artikel 2 Absatz 1 Nummer 3 der Entscheidung 2003/199/EG des Rates vom 18. März 2003 über die Nichtaufnahme von Aldicarb in Anhang I der Richtlinie 91/414/EWG des Rates und den Widerruf der Zulassungen für Pflanzenschutzmittel mit diesem Wirkstoff (ABl. L 76, S. 21).

2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits der Stichting Zuid-Hollandse Milieufederatie und der Stichting Natuur en Milieu (im Folgenden zusammen: Stiftungen) gegen das College voor de toelating van bestrijdingsmiddelen (im Folgenden: College) über die Entscheidung des College vom 20. Februar 2004.

3 Mit dieser Entscheidung wies das College den Widerspruch gegen seine Entscheidung vom 11. Juli 2003 in der geänderten Fassung vom 1. August 2003 als unbegründet zurück, mit der es gemäß der Entscheidung 2003/199 die Zulassung für das Inverkehrbringen aller Pflanzenschutzmittel mit dem Wirkstoff "Aldicarb" mit Ausnahme der Zulassungen für "essential uses" dieses Mittels widerrufen hatte.

Rechtlicher Rahmen

Richtlinie 91/414

4 Artikel 8 Absatz 2 erster und vierter Unterabsatz der Richtlinie 91/414/EWG des Rates vom 15. Juli 1991 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln (ABl. L 230, S. 1) lautet:

"Abweichend von Artikel 4 kann ein Mitgliedstaat unbeschadet des Absatzes 3 und der Richtlinie 79/117/EWG während eines Zeitraums von zwölf Jahren vom Zeitpunkt der Bekanntgabe dieser Richtlinie an zulassen, dass in seinem Gebiet Pflanzenschutzmittel in den Verkehr gebracht werden, die nicht in Anhang I aufgeführte Wirkstoffe enthalten und zwei Jahre nach dem Zeitpunkt der Bekanntgabe dieser Richtlinie bereits im Handel sind.

...

Nach der Prüfung eines Wirkstoffs durch den in Artikel 19 genannten Ausschuss kann innerhalb des im ersten Unterabsatz genannten Zeitraums von zwölf Jahren nach dem Verfahren desselben Artikels entschieden werden, dass und unter welchen Voraussetzungen der Wirkstoff in Anhang I aufgenommen werden kann bzw. dass er, wenn die Anforderungen des Artikels 5 nicht erfüllt oder die angeforderten Informationen und Angaben nicht fristgerecht vorgelegt worden sind, nicht in Anhang I aufgenommen wird. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die betreffenden Zulassungen in einem vorgeschriebenen Zeitraum erteilt, widerrufen bzw. geändert werden."

5 Nach Artikel 8 Absatz 4 kann "ein Mitgliedstaat [abweichend von Artikel 4] unter besonderen Umständen für eine Dauer von höchstens 120 Tagen das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln, die den Bestimmungen von Artikel 4 nicht entsprechen, für eine beschränkte und kontrollierte Verwendung zulassen, wenn dies aufgrund einer unvorhersehbaren Gefahr notwendig ist, die mit anderen Mitteln nicht eingedämmt werden kann. In diesem Fall unterrichtet der betreffende Mitgliedstaat die anderen Mitgliedstaaten und die Kommission unverzüglich von seiner Maßnahme. Nach dem Verfahren des Artikels 19 wird unverzüglich darüber entschieden, ob und unter welchen Voraussetzungen die von dem Mitgliedstaat getroffene Maßnahme um einen festzulegenden Zeitraum verlängert, wiederholt oder widerrufen werden kann."

Entscheidung 2003/199

6 Die neunte Begründungserwägung der Entscheidung 2003/199 lautet:

"Es sollten Maßnahmen getroffen werden, um sicherzustellen, dass bestehende Zulassungen für aldicarbhaltige Pflanzenschutzmittel innerhalb einer vorgeschriebenen Frist widerrufen und keine neuen Zulassungen für derartige Mittel erteilt werden."

7 In der zehnten Begründungserwägung der Entscheidung heißt es:

"Im Licht der dem Rat vorliegenden Informationen scheint es, dass in Ermangelung wirksamer Alternativen für bestimmte beschränkte Verwendungen in einigen Mitgliedstaaten ein Bedarf für die weitere Verwendung des Wirkstoffs besteht, um die Entwicklungen von Alternativen zu ermöglichen. Daher ist es unter den derzeitigen Umständen gerechtfertigt, unter strengen, auf eine Risikominimierung gerichteten Bedingungen ... einen längeren Zeitraum für den Widerruf von bestehenden Zulassungen für die beschränkten Verwendungen vorzuschreiben, bei denen es derzeit keine wirksamen Alternativen für die Kontrolle von Schadorganismen zu geben scheint."

8 Nach Artikel 1 der Entscheidung wird der Wirkstoff "Aldicarb" nicht in Anhang I der Richtlinie 91/414 aufgenommen.

9 Artikel 2 der Entscheidung bestimmt:

"Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass

1. alle Zulassungen für Aldicarb enthaltende Pflanzenschutzmittel bis zum 18. September 2003 widerrufen werden;

2. ab dem 18. März 2003 Zulassungen im Rahmen der Ausnahmeregelung gemäß Artikel 8 Absatz 2 der Richtlinie 91/414/EWG für Aldicarb enthaltende Pflanzenschutzmittel weder erteilt noch erneuert werden;

3. ein im Anhang Spalte A angegebener Mitgliedstaat Zulassungen für Aldicarb enthaltende Pflanzenschutzmittel hinsichtlich der in Spalte B aufgeführten Verwendungen bis zum 30. Juni 2007 weiter gelten lassen darf, sofern er

a) sicherstellt, dass diese Pflanzenschutzmittel, die auf dem Markt bleiben, entsprechend den eingeschränkten Verwendungsbedingungen neu gekennzeichnet werden,

b) alle geeigneten Risikominimierungsmaßnahmen zur Auflage macht, um etwaige Risiken zu verringern[,] um den Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier wie auch der Umwelt zu gewährleisten, und

c) insbesondere durch Aktionspläne sicherstellt, dass ernsthaft nach Alternativerzeugnissen oder -verfahren für diese Verwendungen geforscht wird.

Der betreffende Mitgliedstaat unterrichtet die Kommission spätestens am 31. Dezember 2004 über die Anwendung des vorliegende[n] Artikels, insbesondere über die gemäß den Buchstaben a) bis c) eingeleiteten Maßnahmen, und unterbreitet jährlich Schätzungen der Mengen von Aldicarb, die für wesentliche Verwendungen gemäß diesem Artikel verwendet wurden."

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

10 Die Stiftungen erhoben am 9. April 2004 Klage gegen die Entscheidung vom 20. Februar 2004 beim College van Beroep voor het bedrijfsleven. Sie machten im Wesentlichen geltend, dass die Entscheidung 2003/199 mit der Richtlinie 91/414 unvereinbar sei, da diese Richtlinie jede Verwendung eines Pflanzenschutzmittels verbiete, wenn nicht festgestellt worden sei, dass das Mittel den in der Richtlinie festgelegten Umweltnormen entspreche.

11 Bayer CropScience trat dem Ausgangsverfahren zur Unterstützung des College bei.

12 Das vorlegende Gericht stellt fest, dass sich die Entscheidung 2003/199 insbesondere auf Artikel 8 Absatz 2 erster und vierter Unterabsatz der Richtlinie 91/414 beziehe, obwohl diese Vorschrift keine Möglichkeit vorsehe, das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln zuzulassen, die einen Wirkstoff enthielten, dessen Aufnahme in Anhang I der Richtlinie ausdrücklich abgelehnt worden sei.

13 Das Gericht führt aus, dass nur Artikel 8 Absatz 4 der Richtlinie 91/414 es den Mitgliedstaaten erlaube, unter besonderen Umständen für eine Dauer von höchstens 120 Tagen das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln, die den Bestimmungen von Artikel 4 dieser Richtlinie nicht entsprechen, zuzulassen, wenn dies aufgrund einer unvorhersehbaren Gefahr notwendig sei, die mit anderen Mitteln nicht eingedämmt werden könne.

14 Einige dieser Voraussetzungen seien beim Wirkstoff "Aldicarb" offensichtlich nicht erfüllt. Insbesondere könne von einer unvorhersehbaren Gefahr keine Rede sein, und der in Artikel 2 Absatz 1 Nummer 3 der Entscheidung 2003/199 vorgesehene Zeitraum überschreite die 120 Tage.

15 Das Gericht vertritt folglich die Auffassung, dass der genannte Artikel 2 Absatz 1 Nummer 3 nicht auf Artikel 8 der Richtlinie 91/414 gestützt werden könne und daher mit dieser Richtlinie unvereinbar sei.

16 Unter diesen Umständen hat das College van Beroep voor het bedrijfsleven beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist Artikel 2 Absatz 1 Nummer 3 der Entscheidung 2003/199/EG gültig?

Zur Vorlagefrage

17 Das vorlegende Gericht möchte mit seiner Frage im Wesentlichen wissen, ob Artikel 2 Absatz 1 Nummer 3 der Entscheidung 2003/199 mit Artikel 8 der Richtlinie 91/414 vereinbar ist.

18 Die Antwort auf diese Frage verlangt zunächst eine Auslegung von Artikel 2 Absatz 1 Nummer 3 der Entscheidung 2003/199, um dann die Vereinbarkeit dieser Vorschrift mit Artikel 8 Absatz 2 der Richtlinie 91/414 prüfen und schließlich - für den Fall der Vereinbarkeit - die in dieser Vorschrift vorgesehenen Modalitäten und Fristen konkret beurteilen zu können.

19 Was erstens die Auslegung von Artikel 2 Absatz 1 Nummer 3 der Entscheidung 2003/199 angeht, so ist einleitend festzustellen, dass der Ausgangsrechtsstreit im Wesentlichen aus Unterschieden zwischen den verschiedenen Sprachfassungen dieser Vorschrift hervorgegangen ist. Denn nach deren niederländischer Fassung können die betroffenen Mitgliedstaaten Zulassungen von Pflanzenschutzmitteln mit dem Wirkstoff "Aldicarb" erteilen ("verstrekken"), während nach den anderen Sprachfassungen der Vorschrift diese Mitgliedstaaten nur die Möglichkeit haben, solche Zulassungen weiter gelten zu lassen.

20 Insoweit entspricht es ständiger Rechtsprechung, dass bei mehreren möglichen Auslegungen einer gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift derjenigen der Vorzug zu geben ist, die die praktische Wirksamkeit der Vorschrift zu wahren geeignet ist (vgl. Urteile vom 22. September 1988 in der Rechtssache 187/87, Saarland u. a., Slg. 1988, 5013, Randnr. 19, und vom 4. Oktober 2001 in der Rechtssache C-403/99, Italien/Kommission, Slg. 2001, I-6883, Randnr. 28) und die ihre Gültigkeit nicht in Frage stellt (vgl. Urteil Italien/Kommission, Randnr. 37). Außerdem schließt es die Notwendigkeit einer einheitlichen Auslegung des Gemeinschaftsrechts aus, dass im Zweifelsfall der Wortlaut einer Vorschrift isoliert betrachtet wird, sondern sie verlangt vielmehr, dass er unter Berücksichtigung der Fassungen in den anderen Amtssprachen ausgelegt wird (vgl. Urteile vom 12. Juli 1979 in der Rechtssache 9/79, Koschniske, Slg. 1979, 2717, Randnr. 6, und vom 2. April 1998 in der Rechtssache C-296/95, EMU Tabac u. a., Slg. 1998, I-1605, Randnr. 36).

21 Was die Entscheidung 2003/199 betrifft, so heißt es in ihrer neunten Begründungserwägung, dass "Maßnahmen getroffen werden [sollten], um sicherzustellen, dass bestehende Zulassungen für aldicarbhaltige Pflanzenschutzmittel innerhalb einer vorgeschriebenen Frist widerrufen und keine neuen Zulassungen für derartige Mittel erteilt werden". In der zehnten Begründungserwägung der Entscheidung wird hinzugefügt, dass "in Ermangelung wirksamer Alternativen für bestimmte beschränkte Verwendungen in einigen Mitgliedstaaten ein Bedarf für die weitere Verwendung des Wirkstoffs besteht, um die Entwicklungen von Alternativen zu ermöglichen", und daher "[ein] längere[r] Zeitraum für den Widerruf von bestehenden Zulassungen für die beschränkten Verwendungen" zu gewähren ist.

22 Eine Lesart von Artikel 2 Absatz 1 Nummer 3 der genannten Entscheidung, die es den Mitgliedstaaten erlauben würde, neue Zulassungen für das Inverkehrbringen solcher Mittel trotz der Nichtaufnahme des Wirkstoffs "Aldicarb" in Anhang I der Richtlinie 91/414 zu erteilen, wäre sowohl unvereinbar mit der allgemeinen Systematik und dem Zweck dieser Richtlinie als auch ein Verstoß gegen ihren Artikel 8 Absatz 2 vierter Unterabsatz, wonach die Mitgliedstaaten, wenn sie entscheiden, den Wirkstoff nicht in Anhang I aufzunehmen, sicherzustellen haben, dass die betreffenden Zulassungen in einem vorgeschriebenen Zeitraum widerrufen oder geändert werden.

23 Außerdem widerspricht eine solche Lesart von Artikel 2 Absatz 1 Nummer 3 der Entscheidung 2003/199, wie in Randnummer 19 des vorliegenden Urteils festgestellt, den anderen Sprachfassungen dieser Vorschrift, insbesondere der deutschen ("weiter gelten lassen darf"), der englischen ("may maintain in force"), der polnischen ("moze utrzymac w mocy") und der slowakischen ("môze zachovat v úcinnosti") Fassung.

24 Artikel 2 Absatz 1 Nummer 3 der Entscheidung 2003/199 ist demnach so auszulegen, dass er den im Anhang Spalte A der Entscheidung angegebenen Mitgliedstaaten unter bestimmten Bedingungen erlaubt, bis zum 30. Juni 2007 Zulassungen für das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln mit dem Wirkstoff "Aldicarb" für wesentliche Verwendungen weiter gelten zu lassen.

25 Was zweitens die Frage angeht, ob Artikel 8 Absatz 2 der Richtlinie 91/414 es ausschließt, dass der Rat den Mitgliedstaaten erlaubt, Zulassungen für das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln, die einen Wirkstoff enthalten, dessen Aufnahme in Anhang I der Richtlinie abgelehnt wurde, weiter gelten zu lassen, so sieht die Richtlinie in Artikel 8 Absatz 2 vierter Unterabsatz vor, dass "[d]ie Mitgliedstaaten ... sicher[stellen], dass die betreffenden Zulassungen in einem vorgeschriebenen Zeitraum erteilt, widerrufen bzw. geändert werden". Die Richtlinie bestimmt folglich nicht selbst die Frist, innerhalb deren die Mitgliedstaaten dafür zu sorgen haben, dass diese Zulassungen widerrufen oder geändert werden, sondern bezieht sich insoweit auf einen "vorgeschriebenen Zeitraum", d. h. auf eine Frist, die gegebenenfalls im Wege einer Durchführungsmaßnahme zu bestimmen ist.

26 Folglich setzt Artikel 2 Absatz 1 Nummer 3 der Entscheidung 2003/199 aufgrund der Durchführungsbefugnis, die sich aus der Richtlinienvorschrift ergibt, die Frist für den Widerruf der Zulassungen für das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln mit dem Wirkstoff "Aldicarb" fest.

27 Da also die Richtlinie 91/414 insoweit keine Beschränkung enthält, kann der Grundsatz der Bestimmung verschiedener Fristen für den Widerruf der Zulassungen für das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln mit einem Wirkstoff, dessen Aufnahme in Anhang I der Richtlinie abgelehnt wurde, nach Maßgabe der Verwendungen, für die diese Mittel bestimmt sind, nicht als unvereinbar mit den Vorschriften der Richtlinie angesehen werden.

28 Was schließlich die konkrete Beurteilung der Modalitäten und Fristen betrifft, die für den Widerruf der Zulassungen für das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln mit dem Wirkstoff "Aldicarb" vorgeschrieben sind, so ist daran zu erinnern, dass die Handlungen der Gemeinschaftsorgane nach dem allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht die Grenzen dessen überschreiten dürfen, was zur Erreichung der mit der fraglichen Regelung verfolgten berechtigten Ziele geeignet und erforderlich ist, wobei dann, wenn mehrere geeignete Maßnahmen zur Auswahl stehen, die am wenigsten belastende anzuwenden ist und die verursachten Nachteile nicht außer Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen dürfen (vgl. Urteile vom 11. Juli 1989 in der Rechtssache 265/87, Schräder, Slg. 1989, 2237, Randnr. 21, vom 13. November 1990 in der Rechtssache C-331/88, Fedesa u. a., Slg. 1990, I-4023, Randnr. 13, vom 5. Oktober 1994 in den Rechtssachen C-133/93, C-300/93 und C-362/93, Crispoltoni u. a., Slg. 1994, I-4863, Randnr. 41, und vom 12. Juli 2001 in der Rechtssache C-189/01, Jippes u. a., Slg. 2001, I-5689, Randnr. 81).

29 Daraus ergibt sich, dass im Rahmen der gerichtlichen Kontrolle der Durchführung eines solchen Grundsatzes in Anbetracht des weiten Ermessens, über das der Rat beim Erlass der Entscheidung 2003/199 verfügt hat, nur die offensichtliche Ungeeignetheit einer Maßnahme im Hinblick auf das Ziel, das er erreichen will, die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahme beeinträchtigen kann (in diesem Sinne Urteile Schräder, Randnr. 22, Fedesa u. a., Randnr. 14, Crispoltoni u. a., Randnr. 42, und Jippes u. a., Randnr. 82).

30 Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Gründen der Richtlinie 91/414, dass diese die Beseitigung der Hindernisse für den innergemeinschaftlichen Handel mit Pflanzenerzeugnissen wie auch die Verbesserung der Pflanzenerzeugung und außerdem den Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier sowie der Umwelt bezweckt.

31 Darüber hinaus geht aus der siebten und der zehnten Begründungserwägung der Entscheidung 2003/199 hervor, dass die Informationen, die dem Rat vorlagen, nicht genügt haben, um nachzuweisen, dass Pflanzenschutzmittel mit dem Wirkstoff "Aldicarb" unter den vorgeschlagenen Anwendungsbedingungen allgemein die Anforderungen gemäß Artikel 5 Absatz 1 Buchstaben a und b der Richtlinie 91/414 erfüllen, insbesondere was die möglichen Auswirkungen auf Nichtzielorganismen wie kleine Vögel und Erdwürmer angeht, dass aber in Ermangelung wirksamer Alternativen für bestimmte beschränkte Verwendungen in einigen Mitgliedstaaten ein Bedarf dafür besteht, dass während eines begrenzten Zeitraums unter strengen, auf eine Risikominimierung gerichteten Bedingungen die wesentlichen Verwendungen dieser Mittel weiter gestattet werden.

32 So sind die Festlegung verschiedener Fristen für den Widerruf der Zulassungen für das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln mit dem Wirkstoff "Aldicarb" entsprechend der Verwendung dieser Mittel, der eingeschränkte Inhalt der Liste der wesentlichen Verwendungen, die Anwendung dieser Ausnahme nur auf einige Mitgliedstaaten und das Vorhandensein eines strengen Kontroll- und Begleitprogramms für diese Verwendungen zusammen mit der zehnten Begründungserwägung der Entscheidung 2003/199 alles Anhaltspunkte, die zeigen, dass der Rat die Vor- und Nachteile des zu errichtenden Systems umfassend abgewogen hat und dass dieses System im Hinblick auf die verfolgten Ziele jedenfalls nicht offensichtlich ungeeignet war.

33 Aus diesen Erwägungen folgt, dass die Prüfung der Vorlagefrage nichts ergeben hat, was die Gültigkeit von Artikel 2 Absatz 1 Nummer 3 der Entscheidung 2003/199 beeinträchtigen könnte.

Kostenentscheidung:

Kosten

34 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

Die Prüfung der Vorlagefrage hat nichts ergeben, was die Gültigkeit von Artikel 2 Absatz 1 Nummer 3 der Entscheidung 2003/199/EG des Rates vom 18. März 2003 über die Nichtaufnahme von Aldicarb in Anhang I der Richtlinie 91/414/EWG des Rates und den Widerruf der Zulassungen für Pflanzenschutzmittel mit diesem Wirkstoff beeinträchtigen könnte.



Ende der Entscheidung

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