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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 28.03.1996
Aktenzeichen: C-191/94
Rechtsgebiete: Protokoll über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften


Vorschriften:

Protokoll über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften Art. 3
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Unter Artikel 3 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der Gemeinschaften, der die Befreiung der Gemeinschaften von jeder direkten Steuer und den Erlaß oder die Erstattung der in den Preisen der grösseren Einkäufe, die die Gemeinschaften für ihren Dienstbedarf tätigen, enthaltenen indirekten Steuern und Verkaufsabgaben durch die Mitgliedstaaten vorsieht, fallen Pflichtabgaben wie Prämienzuschläge in der Kraftfahrtversicherung, die zur Finanzierung gemeinnütziger Einrichtungen beitragen sollen, da diese Zuschläge von allen Versicherungsnehmern einschließlich derer, die nichts mit den begünstigten Einrichtungen zu tun haben, und folglich unabhängig davon geschuldet werden, ob der Zahlungspflichtige diesen Einrichtungen angehört. Die den Gemeinschaften durch Artikel 28 des Fusionsvertrags, in dessen Anhang das Protokoll enthalten ist, gewährte Befreiung wird nämlich sehr weit definiert und gilt für alle Arten von direkten oder indirekten Steuern; sie erstreckt sich daher auf Beiträge oder Abgaben jeder Art, die inländische Abgaben im Sinne des Gemeinschaftsrechts sind, einschließlich der fraglichen Abgaben.

Absatz 2 dieser Vorschrift über den Erlaß oder die Erstattung gilt für jede Art von Kauf, einschließlich der Inanspruchnahme von Dienstleistungen, der für die Erfuellung der Aufgaben der Gemeinschaften erforderlich ist und dessen Betrag die im einschlägigen nationalen Recht festgesetzte Schwelle überschreitet.

Absatz 3 dieser Vorschrift, wonach von den Abgaben, die lediglich die Vergütung für Leistungen gemeinnütziger Versorgungsbetriebe darstellen, keine Befreiung gewährt wird, gilt nicht für die vorgenannten Abgaben, da diese nicht die Gegenleistung für eine bestimmte Dienstleistung darstellen.


Urteil des Gerichtshofes vom 28. März 1996. - AGF Belgium SA gegen Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, Institut national d'assurance maladie-invalidité (INAMI), Fonds national de reclassement social des handicapés, Rotes Kreuz Belgien und Belgischer Staat. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Tribunal de première instance de Bruxelles - Belgien. - Protokoll über die Vorrechte und Befreiungen der Gemeinschaften - Prämienzuschläge in der Kraftfahrtversicherung. - Rechtssache C-191/94.

Entscheidungsgründe:

1 Das Tribunal de première instance Brüssel hat mit Urteil vom 23. Juni 1994, beim Gerichtshof eingegangen am 1. Juli 1994, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag drei Fragen nach der Auslegung des Artikels 3 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften (im folgenden: Protokoll) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der AGF Belgium SA (AGF) auf der einen Seite und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, dem Institut national d' assurance maladie-invalidité (INAMI), dem Fonds national de reclassement social des handicapés (FNRSH; die Funktionen des FNRSH wurden 1995 nach Abschluß seiner Auflösung vom INAMI übernommen), dem Belgischen Roten Kreuz (BRK) und dem belgischen Staat auf der anderen Seite über die Zahlung von Prämienzuschlägen in der Kraftfahrtversicherung.

3 Artikel 3 des Protokolls lautet wie folgt:

"Die Gemeinschaften, ihre Guthaben, Einkünfte und sonstigen Vermögensgegenstände sind von jeder direkten Steuer befreit.

Die Regierungen der Mitgliedstaaten treffen in allen Fällen, in denen es ihnen möglich ist, geeignete Maßnahmen für den Erlaß oder die Erstattung des Betrages der indirekten Steuern und Verkaufsabgaben, die in den Preisen für bewegliche oder unbewegliche Güter inbegriffen sind, wenn die Gemeinschaften für ihren Dienstbedarf grössere Einkäufe tätigen, bei denen derartige Steuern und Abgaben im Preis enthalten sind. Die Durchführung dieser Maßnahmen darf jedoch den Wettbewerb innerhalb der Gemeinschaften nicht verfälschen.

Von den Abgaben, die lediglich die Vergütung für Leistungen gemeinnütziger Versorgungsbetriebe darstellen, wird keine Befreiung gewährt."

4 Die belgischen Rechtsvorschriften sehen zugunsten des FNRSH (Artikel 24 des Gesetzes vom 16. April 1963 sowie Königliche Verordnungen vom 5. Juli 1963, 23. Oktober 1978 und 28. Juni 1984), des INAMI (Artikel 121 des Gesetzes vom 9. August 1963 in der durch Artikel 57 des Haushaltsgesetzes 1974-1975 und durch Artikel 31 des Gesetzes vom 26. Juni 1992 ergänzten Fassung sowie Königliche Verordnungen vom 20. Mai 1976 und 20. Juli 1992) und des BRK (Gesetz vom 7. August 1974 und Königliche Verordnung vom 16. Dezember 1974 in der Fassung der Königlichen Verordnungen vom 21. Januar 1976 und 20. März 1991) Pflichtzuschläge zu den Prämien in der Kraftfahrtversicherung vor.

5 Die Europäischen Gemeinschaften, die bei der AGF Kraftfahrzeughaftpflichtversicherungen für Fahrzeuge verschiedener Organe abgeschlossen hatten, weigerten sich mit der Begründung, die im belgischen Recht vorgesehenen Zuschläge zu zahlen, die als Zuschläge verlangten Beträge stellten nationale Steuern dar, von denen sie gemäß Artikel 3 des Protokolls befreit seien.

6 Die AGF, die den begünstigten Einrichtungen diese Zuschläge vorschießen musste, erhob beim Tribunal de première instance Brüssel Klage auf Verurteilung entweder der EWG oder der betreffenden Einrichtungen und des belgischen Staates als Gesamtschuldner zur Zahlung der entsprechenden Beträge.

7 Da dieses Gericht der Ansicht war, daß der Ausgang des Rechtsstreits von der Auslegung des Artikels 3 des Protokolls abhänge, hat es das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Fallen unter Artikel 3 des Protokolls Abgaben, die nach nationalem Recht als Sozialbeiträge angesehen werden könnten, weil sie zwar von Amts wegen und aufgrund eines Gesetzes erhoben werden, für sie aber die Verfassungsgrundsätze der Jährlichkeit und der Allgemeinheit von Steuern nicht gelten und sie nicht in die Staatskasse, sondern unmittelbar an die mit ihrer Verwendung beauftragten Einrichtungen gezahlt werden?

2. Fallen unter Artikel 3 Absatz 3 des Protokolls Abgaben, die als Zuschläge zu Versicherungsprämien (im vorliegenden Fall zur Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung) zugunsten von sozialen Einrichtungen wie dem INAMI, dem FNRSH oder dem BRK entrichtet werden, weil ein ° allerdings mittelbarer und nur potentieller ° Zusammenhang zwischen diesen Abgaben und den Leistungen dieser Einrichtungen besteht?

3. Fallen unter Artikel 3 Absatz 2 des Protokolls indirekte Steuern oder Abgaben, die für Dienstleistungen für den Dienstbedarf der Gemeinschaften von grösserem Wert erhoben werden?

Zur ersten Frage

8 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die fraglichen Abgaben als Abgaben im Sinne des Artikels 3 des Protokolls anzusehen sind, obwohl sie in seinen Augen grössere Ähnlichkeit zu Sozialbeiträgen als zu Steuern aufweisen, da sie nicht an die Staatskasse, sondern an die begünstigten Einrichtungen gezahlt werden.

9 Die Kommission schlägt vor, diese Frage zu bejahen. Sie ist insbesondere der Ansicht, daß die streitigen Abgaben die Kriterien erfuellen, anhand deren internationale Organisationen den Begriff der Steuer definieren, der alle Pflichtabgaben zugunsten öffentlicher Stellen ohne Gegenleistung umfasse. Ausserdem ergebe sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes, daß besondere Beiträge zugunsten nichtstaatlicher öffentlicher Körperschaften zu den inländischen Abgaben im Sinne des Artikels 95 EG-Vertrag gehörten.

10 Das INAMI, der FNRSH und die belgische Regierung schlagen dagegen vor, die Frage zu verneinen. Die streitigen Prämienzuschläge sollten, auch wenn sie von Amts wegen zur Finanzierung von der Allgemeinheit zur Last fallenden Ausgaben erhoben würden, nicht die in den Staatshaushalt eingestellten allgemeinen Ausgaben decken. Diese Abgaben wiesen Ähnlichkeit mit den Sozialbeiträgen auf, die nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes keine Steuern darstellten und folglich nicht unter Artikel 3 des Protokolls fielen.

11 Diesem letztgenannten Vorbringen kann nicht gefolgt werden.

12 Zwar hat der Gerichtshof bei der Auslegung bestimmter Vorschriften des Protokolls zwischen Abgaben, die die allgemeinen Ausgaben der öffentlichen Hand decken sollen, und Beiträgen unterschieden, die der Finanzierung eines Sozialversicherungssystems dienen; dies gilt auch dann, wenn solche Beiträge in einer Form erhoben werden, die der Steuererhebung entlehnt ist (vgl. Urteil vom 25. Februar 1969 in der Rechtssache 23/68, Klomp, Slg. 1969, 43, Randnr. 20).

13 Diese Unterscheidung ist jedoch auf den vom vorlegenden Gericht beschriebenen Sachverhalt nicht anwendbar.

14 Zum einen betrifft das genannte Urteil, wie die Kommission bemerkt, nämlich die Auslegung der Bestimmungen des Protokolls, nach denen die Beamten und sonstigen Bediensteten der Gemeinschaften von innerstaatlichen Steuern auf die Gehälter, Löhne und Bezuege befreit sind. Diese Befreiung betrifft nur die Bediensteten der Gemeinschaften und solche nationalen Abgaben, die auf ihre Dienstbezuege erhoben werden können; diese unterliegen einer Gemeinschaftsteuer. In der vorliegenden Rechtssache geht es um die Bestimmungen des Protokolls, die die Gemeinschaften selbst von jeder direkten Steuer befreien und die ausserdem für ihre Einkäufe unter bestimmten Voraussetzungen den Erlaß oder die Erstattung der indirekten Steuern und Verkaufsabgaben vorsehen.

15 Zum anderen kann, wie der Generalanwalt in den Nummern 21 und 22 seiner Schlussanträge anführt, die Finanzierung von Sozialeinrichtungen sowohl durch besondere Beiträge als auch durch Steuern erfolgen. Die blosse Tatsache, daß die streitigen Prämienzuschläge zu einer solchen Finanzierung beitragen sollen, erlaubt es daher nicht, sie als Sozialbeiträge anzusehen.

16 Vielmehr können die fraglichen Abgaben unabhängig davon, wie sie im nationalen Recht einzuordnen sind, nicht als Beiträge angesehen werden, die von Personen geschuldet werden, die einem System der sozialen Sicherheit unterliegen oder Mitglieder einer Sozialeinrichtung sind. Aus den Angaben im Vorlageurteil ergibt sich nämlich, daß diese Prämienzuschläge von allen Kraftfahrtversicherungsnehmern einschließlich derer, die nichts mit den begünstigten Einrichtungen zu tun haben, und folglich unabhängig davon geschuldet werden, ob der Zahlungspflichtige diesen Einrichtungen angehört.

17 Demnach sind solche Abgaben als Pflichtbeiträge zugunsten gemeinnütziger Einrichtungen anzusehen. Überdies sind die Prämienzuschläge als solche im Bericht des belgischen Versicherungsaufsichtsamts verzeichnet, der die verschiedenen Abgaben und Beiträge im Zusammenhang mit Versicherungen auflistet und den die Kommission ihren Erklärungen beigefügt hat.

18 Wie die Kommission geltend macht, gehören derartige Beiträge zu den in den Steuerlichen Vorschriften des EG-Vertrags genannten inländischen Abgaben. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ist es für die Anwendung dieser Vorschriften unerheblich, ob eine Abgabe oder ein Beitrag von einer nichtstaatlichen öffentlichen Körperschaft oder zu ihren Gunsten erhoben wird, ob es sich um eine Sonderabgabe handelt oder ob sie einem besonderen Zweck dient (vgl. Urteil vom 22. März 1977 in der Rechtssache 74/76, Iannelli, Slg. 1977, 557, Randnr. 19).

19 Gemäß Artikel 28 des Vertrages zur Einsetzung eines gemeinsamen Rates und einer gemeinsamen Kommission der Europäischen Gemeinschaften, in dessen Anhang das Protokoll enthalten ist, genießen die Gemeinschaften im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten die zur Erfuellung ihrer Aufgabe erforderlichen Vorrechte und Befreiungen. Die Steuerbefreiung, die ihnen nach dieser Bestimmung gewährt wird, um insbesondere ihre Unabhängigkeit gegenüber den Mitgliedstaaten und ihr ordnungsgemässes Funktionieren zu gewährleisten, wird im Protokoll sehr weit definiert. So sieht Artikel 3 nicht nur vor, daß die Gemeinschaften, ihre Guthaben, Einkünfte und sonstigen Vermögensgegenstände von jeder direkten Steuer befreit sind, sondern auch, daß die Mitgliedstaaten den Erlaß oder die Erstattung der indirekten Steuern und Verkaufsabgaben gewähren, die in den Preisen der grösseren Einkäufe, die die Gemeinschaften für ihren Dienstbedarf tätigen, enthalten sind.

20 Vorbehaltlich des Artikels 3 Absätze 2 und 3 des Protokolls gilt diese Befreiung für alle Arten von direkten oder indirekten Steuern; sie erstreckt sich daher auf Beiträge oder Abgaben jeder Art, die inländische Abgaben im Sinne des Gemeinschaftsrechts sind.

21 Daher ist auf die erste Frage zu antworten, daß unter Artikel 3 des Protokolls Pflichtabgaben wie Prämienzuschläge in der Kraftfahrtversicherung fallen, die zur Finanzierung gemeinnütziger Einrichtungen beitragen sollen.

Zur zweiten Frage

22 Die zweite Frage des vorlegenden Gerichts geht dahin, ob die streitigen Abgaben als Abgaben angesehen werden können, die lediglich die Vergütung für Leistungen gemeinnütziger Versorgungsbetriebe im Sinne von Artikel 3 Absatz 3 des Protokolls darstellen, von denen keine Befreiung gewährt wird.

23 Die Kommission ist der Ansicht, daß diese Abgaben, weil sie weder mit dem Preis gelieferter Güter noch mit dem Wert einer tatsächlich erbrachten Dienstleistung in Zusammenhang stuenden, eine allgemeine Abgabe und keine Vergütung für eine Dienstleistung darstellten. Weder die Gemeinschaft noch ihre Beamten seien dem belgischen System der sozialen Sicherheit angeschlossen; sie erhielten von ihm keine Leistung.

24 Das INAMI, der FNRSH und die belgische Regierung tragen dagegen vor, die streitigen Prämienzuschläge trügen tatsächlich zur Vergütung für eine Leistung gemeinnütziger Versorgungsbetriebe bei.

25 Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, wird die im nationalen Recht der einzelnen Mitgliedstaaten bekannte Unterscheidung zwischen Steuern, die dazu dienen, die allgemeinen Lasten der öffentlichen Verwaltung zu decken, und Gebühren, die die Gegenleistung für eine bestimmte Dienstleistung darstellen, in Artikel 3 des Protokolls ausdrücklich anerkannt (vgl. Urteil vom 8. Februar 1968 in der Rechtssache 32/67, Van Leeuwen, Slg. 1968, 63).

26 Schon der Begriff der Gegenleistung für eine bestimmte Dienstleistung setzt voraus, daß diese Dienstleistung den Gebührenpflichtigen erbracht wird oder zumindest erbracht werden kann. Ein Beitrag kann daher nur insoweit die Gegenleistung für Leistungen gemeinnütziger Versorgungsbetriebe im Sinne von Artikel 3 Absatz 3 des Protokolls darstellen, als solche Leistungen dem Beitragspflichtigen erbracht werden oder zumindest erbracht werden können.

27 Wie aber in Randnummer 16 festgestellt wurde, sind die Prämienzuschläge in der Kraftfahrtversicherung von allen Versicherungsnehmern unabhängig davon zu zahlen, ob sie Empfänger von Leistungen der begünstigten Einrichtungen sind oder nicht, und sie begründen keinen Anspruch auf besondere Erbringung solcher Dienstleistungen. Wie die Kommission ausführt, sind weder die Gemeinschaften noch ihre nach dem Statut Bediensteten dem belgischen System der sozialen Sicherheit angeschlossen; sie erhalten von ihm keine Leistung.

28 Daher ist auf die zweite Frage zu antworten, daß Artikel 3 Absatz 3 des Protokolls nicht für Pflichtabgaben wie Prämienzuschläge in der Kraftfahrtversicherung gilt, die allgemein zur Finanzierung gemeinnütziger Einrichtungen beitragen und die nicht die Gegenleistung für eine bestimmte Dienstleistung darstellen.

Zur dritten Frage

29 Die dritte Frage des vorlegenden Gerichts geht dahin, ob Artikel 3 Absatz 2 des Protokolls, der den Erlaß oder die Erstattung der in den Preisen für bewegliche oder unbewegliche Güter inbegriffenen indirekten Steuern und Verkaufsabgaben bei grösseren Einkäufen der Gemeinschaften für ihren Dienstbedarf betrifft, auch für Steuern und Abgaben gilt, die unter den gleichen Voraussetzungen für Dienstleistungen erhoben werden.

30 Die Kommission, nach deren Ansicht die streitigen Abgaben ebensogut als direkte Steuern wie als indirekte Steuern angesehen werden könnten, macht geltend, daß zumindest Artikel 3 Absatz 2 des Protokolls über den Erlaß der Steuern und Abgaben anzuwenden sei, wenn es sich um Güter oder Dienstleistungen betreffende Einkäufe handele, deren Betrag die in den nationalen Rechtsvorschriften festgelegte Schwelle überschreite.

31 Das INAMI und der FNRSH sind dagegen der Ansicht, daß die Prämienzuschläge in der Kraftfahrtversicherung keine bei einem Einkauf im Preis inbegriffenen Steuern oder Abgaben seien und daß sie daher nicht unter Artikel 3 Absatz 2 des Protokolls fielen.

32 Wie der Generalanwalt in den Nummern 37 und 38 seiner Schlussanträge ausführt, kann der Umstand, daß Dienstleistungen in Artikel 3 Absatz 2 des Protokolls nicht ausdrücklich genannt sind, mit der grösseren Bedeutung erklärt werden, die der Besteuerung von Gütern historisch beigemessen wurde; aus ihm kann nicht geschlossen werden, daß die Verfasser des Protokolls die Zahlungen für Dienstleistungen vom Geltungsbereich dieser Vorschrift ausschließen wollten.

33 Generell betreffen die indirekten Steuern und Verkaufsabgaben, die in den Preisen für bewegliche oder unbewegliche Güter inbegriffen sind, nicht nur den Kauf gegenständlicher Dinge, sondern auch den Erwerb von Rechten unterschiedlicher Art. So fällt die Mehrwertsteuer, die die wichtigste Verkaufsabgabe darstellt, die im Preis eines Gutes inbegriffen ist, nicht nur beim Kauf im eigentlichen Sinne an, sondern auch bei Lieferungen jeglicher Art, einschließlich Mietverträgen, aufgrund deren über ein Gut unter bestimmten Voraussetzungen verfügt werden kann, ohne daß daran Eigentum erworben wurde, und bei den verschiedenen Arten von Dienstleistungen.

34 In Anbetracht des Zweckes der den Gemeinschaften gewährten Steuerbefreiung gibt es keinen Grund, den Erlaß oder die Erstattung der indirekten Steuern und Verkaufsabgaben auf den Kauf von Gütern im engen Sinne zu beschränken und die Dienstleistungsgeschäfte auszuschließen. Wenn diese Geschäfte zur Erfuellung der Aufgaben der Gemeinschaften erforderlich sind und wenn sie aufgrund ihres Umfangs nach den Werten, die im einschlägigen Recht festgesetzt sind, bedeutend sind, so muß das zum Erlaß oder zur Erstattung der in ihrem Preis inbegriffenen Steuern oder Abgaben führen.

35 Im übrigen ergibt sich aus den von der Kommission und der belgischen Regierung in Beantwortung einer schriftlichen Frage des Gerichtshofes übermittelten Unterlagen, daß die Maßnahmen, die von den Mitgliedstaaten gemäß Artikel 3 Absatz 2 des Protokolls zum Erlaß oder zur Erstattung der indirekten Steuern und Verkaufsabgaben getroffen wurden, die Dienstleistungen ebenso erfassen wie die Lieferungen von Gütern.

36 Daher ist auf die dritte Frage zu antworten, daß Artikel 3 Absatz 2 des Protokolls über den Erlaß oder die Erstattung der indirekten Steuern und Verkaufsabgaben für jede Art von Kauf, einschließlich der Inanspruchnahme von Dienstleistungen, gilt, der für die Erfuellung der Aufgaben der Gemeinschaften erforderlich ist und dessen Betrag die im einschlägigen Recht festgesetzte Schwelle überschreitet.

Kostenentscheidung:

Kosten

37 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

auf die ihm vom Tribunal de première instance Brüssel mit Urteil vom 23. Juni 1994 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1. Unter Artikel 3 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften fallen Pflichtabgaben wie Prämienzuschläge in der Kraftfahrtversicherung, die zur Finanzierung gemeinnütziger Einrichtungen beitragen sollen.

2. Artikel 3 Absatz 3 dieses Protokolls gilt nicht für Pflichtabgaben wie Prämienzuschläge in der Kraftfahrtversicherung, die allgemein zur Finanzierung gemeinnütziger Einrichtungen beitragen und die nicht die Gegenleistung für eine bestimmte Dienstleistung darstellen.

3. Artikel 3 Absatz 2 dieses Protokolls über den Erlaß oder die Erstattung der indirekten Steuern und Verkaufsabgaben gilt für jede Art von Kauf, einschließlich der Inanspruchnahme von Dienstleistungen, der für die Erfuellung der Aufgaben der Gemeinschaften erforderlich ist und dessen Betrag die im einschlägigen Recht festgesetzte Schwelle überschreitet.

Ende der Entscheidung

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