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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Beschluss verkündet am 31.07.2003
Aktenzeichen: C-208/03 P-R
Rechtsgebiete: EG, Satzung des Gerichtshofes, KS, EA


Vorschriften:

EG Art. 225
EG Art. 190 Absatz 4
EG Artikel 242
EG Art. 243
Satzung des Gerichtshofes Art. 56 Absatz 1
KS Art. 21 Absatz 3
EA Art. 108 Absatz 3
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Ein im Rahmen eines Rechtsmittels gegen ein Urteil des Gerichts gestellter Antrag auf einstweilige Anordnung kann nicht mit der Begründung für unzulässig erklärt werden, dass er auf die Aussetzung des Vollzugs der streitigen, im ersten Rechtszug angefochtenen Handlung gerichtet sei.

Eine Auslegung von Artikel 83 § 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes, wonach der Gerichtshof nicht befugt wäre, die Aussetzung des Vollzugs der im ersten Rechtszug angefochtenen Handlung anzuordnen, wenn er im Rahmen eines Rechtsmittels damit befasst ist, hätte nämlich zur Folge, dass in einer Vielzahl von Rechtsmittelverfahren und insbesondere dann, wenn sich der Antrag auf Aufhebung des Urteils des Gerichts dagegen richtet, dass es die Klage für unzulässig erklärt hat, dem Rechtsmittelführer jede Möglichkeit eines vorläufigen Rechtsschutzes genommen wäre. Eine solche Auslegung wäre mit dem Anspruch auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz unvereinbar, bei dem es sich um einen allgemeinen Rechtsgrundsatz handelt, der den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten zugrunde liegt. Dieser Grundsatz ist auch in den Artikeln 6 und 13 der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert. Der Anspruch auf umfassenden und effektiven gerichtlichen Rechtsschutz, den der Einzelne nach dem Gemeinschaftsrecht hat, bedeutet u. a., dass ihm vorläufiger Schutz gewährt werden kann, wenn dies für die volle Wirksamkeit der künftigen Endentscheidung erforderlich ist.

( vgl. Randnrn. 79-81, 85 )

2. Im Rahmen eines Rechtsmittels gegen ein Urteil des Gerichts, mit dem eine Nichtigkeitsklage für unzulässig erklärt wird, kann das Vorbringen des Antragstellers gegen dieses Urteil, so stichhaltig es auch sein mag, nicht ausreichen, um die Aussetzung des Vollzugs der Handlung, deren Nichtigerklärung im ersten Rechtszug begehrt wurde, auf den ersten Blick zu rechtfertigen. Um nachzuweisen, dass die Voraussetzung des Fumus boni iuris erfuellt ist, müsste der Antragsteller dartun können, dass das Vorbringen, mit dem im Rahmen der Nichtigkeitsklage die Rechtmäßigkeit der streitigen Handlung in Abrede gestellt wurde, geeignet ist, auf den ersten Blick die beantragte Aussetzung zu rechtfertigen.

( vgl. Randnrn. 89-90 )

3. Der schwere und nicht wieder gutzumachende Schaden - das Kriterium der Dringlichkeit - stellt den Ausgangspunkt des Vergleichs dar, der im Rahmen der Interessenabwägung durchgeführt wird. Bei diesem Vergleich muss der Richter der einstweiligen Anordnung insbesondere prüfen, ob die etwaige Nichtigerklärung der streitigen Handlung durch den Richter der Hauptsache die Umkehrung der Lage erlauben würde, die durch den sofortigen Vollzug dieser Handlung entstanden wäre, und - umgekehrt - ob die Aussetzung des Vollzugs dieser Handlung deren volle Wirksamkeit behindern könnte, falls die Klage abgewiesen würde. Überdies kann der Richter der einstweiligen Anordnung das unterschiedliche Gewicht der Rechtsmittelgründe, die geltend gemacht werden, um einen Fumus boni iuris darzutun, bei seiner Beurteilung der Dringlichkeit und gegebenenfalls der Interessenabwägung berücksichtigen.

( vgl. Randnrn. 106, 110 )


Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofes vom 31. Juli 2003. - Jean-Marie Le Pen gegen Europäisches Parlament. - Vorläufiger Rechtsschutz - Aussetzung des Vollzugs - Antrag auf einstweilige Anordnungen - Urteil des Gerichts, mit dem eine Nichtigkeitsklage für unzulässig erklärt wird - Rechtsmittel - Aussetzung des Vollzugs der Handlung, deren Nichtigerklärung im ersten Rechtszug beantragt wurde - Zulässigkeit - Fumus boni iuris - Dringlichkeit - Abwägung der bestehenden Interessen. - Rechtssache C-208/03 P-R.

Parteien:

In der Rechtssache C-208/03 P-R

Jean-Marie Le Pen, Saint-Cloud (Frankreich), Prozessbevollmächtigter: F. Wagner, avocat,

Antragsteller,

wegen Aussetzung des Vollzugs der in Form einer Erklärung der Präsidentin des Europäischen Parlaments vom 23. Oktober 2000 getroffenen Entscheidung über den Verlust des Mandats von Herrn Le Pen als Mitglied des Europäischen Parlaments im Zusammenhang mit dem Rechtsmittel von Herrn Le Pen gegen das Urteil des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften (Fünfte Kammer) vom 10. April 2003 in der Rechtssache T-353/00 (Le Pen/Parlament, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht),

andere Verfahrensbeteiligte:

Europäisches Parlament, vertreten durch H. Krück und C. Karamarcos als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagter im ersten Rechtszug,

Französische Republik, vertreten durch R. Abraham, G. de Bergues und L. Bernheim als Bevollmächtigte,

Streithelferin im ersten Rechtszug,

erlässt

DER PRÄSIDENT DES GERICHTSHOFES

nach Anhörung des Generalanwalts F. G. Jacobs

folgenden

Beschluss

Entscheidungsgründe:

1 Mit Rechtsmittelschrift, die am 10. Mai 2003 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, hat Herr Le Pen gemäß den Artikeln 225 EG und 56 Absatz 1 der Satzung des Gerichtshofes ein Rechtsmittel gegen das Urteil des Gerichts erster Instanz vom 10. April 2003 in der Rechtssache T-353/00 (Le Pen/Parlament, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, im Folgenden: angefochtenes Urteil) eingelegt, mit dem das Gericht seine Klage auf Nichtigerklärung der in Form einer Erklärung der Präsidentin des Europäischen Parlaments vom 23. Oktober 2000 getroffenen Entscheidung über den Verlust seines Mandats als Mitglied des Parlaments (im Folgenden: streitige Handlung) als unzulässig abgewiesen hat.

2 Mit besonderem Schriftsatz, der am 10. Juni 2003 in das Register der Kanzlei des Gerichtshofes eingetragen worden ist, hat der Antragsteller gemäß den Artikeln 242 EG und 243 EG die Aussetzung des Vollzugs der streitigen Handlung beantragt.

3 Das Parlament und die französische Regierung haben ihre schriftlichen Erklärungen zum Antrag auf einstweilige Anordnung am 26. und 30. Juni 2003 abgegeben. Sie beantragen, den Antrag auf einstweilige Anordnung als unzulässig, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen.

4 Da die Schriftsätze der Verfahrensbeteiligten alle zur Entscheidung über den Antrag erforderlichen Informationen enthalten, bedarf es keiner mündlichen Anhörung.

Rechtlicher Rahmen

Die Verträge

5 Die Artikel 190 Absatz 4 EG, 21 Absatz 3 KS und 108 Absatz 3 EA sehen vor, dass das Parlament einen Entwurf für die Wahl seiner Mitglieder nach einem einheitlichen Verfahren in allen Mitgliedstaaten oder im Einklang mit den allen Mitgliedstaaten gemeinsamen Grundsätzen ausarbeitet und dass der Rat der Europäischen Union einstimmig die entsprechenden Bestimmungen erlässt und sie den Mitgliedstaaten zur Annahme empfiehlt.

Der Akt von 1976

6 Am 20. September 1976 erließ der Rat den Beschluss 76/787/EGKS, EWG, Euratom über den Akt zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten der Versammlung (ABl. L 278, S. 1); der Akt ist diesem Beschluss als Anhang beigefügt (im Folgenden in seiner ursprünglichen Fassung: Akt von 1976).

7 Gemäß Artikel 3 Absatz 1 des Aktes von 1976 werden die Mitglieder des Parlaments auf fünf Jahre gewählt".

8 In Artikel 6 Absatz 1 des Aktes von 1976 wird aufgezählt, mit welchen Ämtern die Mitgliedschaft im Parlament unvereinbar ist, und in Artikel 6 Absatz 2 heißt es, dass jeder Mitgliedstaat nach Artikel 7 Absatz 2 innerstaatlich geltende Unvereinbarkeiten festlegen" kann.

9 Nach Artikel 7 Absatz 1 des Aktes von 1976 ist das Parlament für die Ausarbeitung des Entwurfs eines einheitlichen Wahlverfahrens zuständig; bis heute wurde jedoch kein solches Verfahren geschaffen.

10 Artikel 7 Absatz 2 des Aktes von 1976 lautet:

Bis zum Inkrafttreten eines einheitlichen Wahlverfahrens und vorbehaltlich der sonstigen Vorschriften dieses Akts bestimmt sich das Wahlverfahren in jedem Mitgliedstaat nach den innerstaatlichen Vorschriften."

11 In Artikel 11 des Aktes von 1976 heißt es:

Bis zum Inkrafttreten des in Artikel 7 Absatz 1 vorgesehenen einheitlichen Wahlverfahrens prüft [das Parlament] die Mandate der Abgeordneten. Zu diesem Zweck nimmt [es] die von den Mitgliedstaaten amtlich bekannt gegebenen Wahlergebnisse zur Kenntnis und befindet über die Anfechtungen, die gegebenenfalls auf Grund der Vorschriften dieses Akts - mit Ausnahme der innerstaatlichen Vorschriften, auf die darin verwiesen wird - vorgebracht werden könnten."

12 Artikel 12 des Aktes von 1976 bestimmt:

(1) Bis zum Inkrafttreten des nach Artikel 7 Absatz 1 einzuführenden einheitlichen Wahlverfahrens und vorbehaltlich der sonstigen Vorschriften dieses Akts legt jeder Mitgliedstaat für den Fall des Freiwerdens eines Sitzes während der in Artikel 3 genannten fünfjährigen Wahlperiode die geeigneten Verfahren fest, um diesen Sitz für den verbleibenden Zeitraum zu besetzen.

(2) Hat das Freiwerden seine Ursache in den in einem Mitgliedstaat geltenden innerstaatlichen Vorschriften, so unterrichtet dieser Mitgliedstaat [das Parlament] hierüber, [das] davon Kenntnis nimmt.

In allen übrigen Fällen stellt [das Parlament] das Freiwerden fest und unterrichtet den Mitgliedstaat hierüber."

Die Geschäftsordnung des Parlaments

13 Artikel 7 der Geschäftsordnung des Parlaments in ihrer zum maßgebenden Zeitpunkt geltenden Fassung (ABl. 1999, L 202, S. 1, im Folgenden: Geschäftsordnung des Parlaments) ist mit Prüfung der Mandate" überschrieben. Artikel 7 Absatz 4 lautet:

Der zuständige Ausschuss wacht darüber, dass alle Angaben, die die Ausübung des Mandats eines Mitglieds bzw. die Rangfolge der Stellvertreter beeinflussen können, dem Parlament unverzüglich von den Behörden der Mitgliedstaaten und der Union unter Angabe des Inkrafttretens im Falle einer Benennung übermittelt werden.

Falls die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten gegen ein Mitglied ein Verfahren eröffnen, das den Verlust des Mandats zur Folge haben könnte, so ersucht der Präsident sie darum, ihn regelmäßig über den Stand des Verfahrens zu unterrichten. Er befasst damit den zuständigen Ausschuss, auf dessen Vorschlag das Parlament Stellung nehmen kann."

14 Artikel 8 Absatz 6 der Geschäftsordnung des Parlaments sieht Folgendes vor:

Als Stichtag für das Erlöschen des Mandats und für das Freiwerden eines Sitzes gelten:

- im Rücktrittsfall: der Tag, an dem das Freiwerden des Sitzes vom Parlament entsprechend dem Rücktrittsprotokoll festgestellt wurde;

- im Falle der Ernennung zu einem Amt, das aufgrund innerstaatlichen Wahlrechts oder gemäß Artikel 6 des Akts [von 1976] mit dem Mandat eines Mitglieds des Europäischen Parlaments unvereinbar ist: der von den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten oder der Union mitgeteilte Zeitpunkt."

15 Artikel 8 Absatz 9 der Geschäftsordnung lautet:

Stehen der Annahme oder Aufgabe des Mandats offenbar Fehlerhaftigkeit oder Willensmängel entgegen, behält sich das Parlament das Recht vor, das geprüfte Mandat für ungültig zu erklären oder sich zu weigern, das Freiwerden des Sitzes festzustellen."

Nationales Recht

16 Artikel 5 des Gesetzes 77-729 vom 7. Juli 1977 über die Wahl der Vertreter der Versammlung der Europäischen Gemeinschaften (JORF vom 8. Juli 1977, S. 3579) lautet in seiner für den Rechtsstreit maßgebenden Fassung (im Folgenden: Gesetz von 1977):

Die Artikel LO 127 bis LO 130-1 der Wahlordnung sind auf die Wahl der [Mitglieder des Europäischen Parlaments] anwendbar....

Der Verlust des passiven Wahlrechts während der Laufzeit des Mandats führt zum Erlöschen des Mandats. Dies wird durch Dekret festgestellt."

17 Artikel 25 des Gesetzes von 1977 sieht Folgendes vor:

Die Wahl der [Mitglieder des Europäischen Parlaments] kann binnen zehn Tagen nach Bekanntgabe der Wahlergebnisse in Bezug auf jede die Anwendung des vorliegenden Gesetzes betreffende Frage von jedem Wähler vor dem Conseil d'État angefochten werden, der im streitigen Verfahren entscheidet. Die Entscheidung ergeht im Plenum.

Die Klage hat keine aufschiebende Wirkung."

Vorgeschichte des Rechtsstreits

18 Der am 13. Juni 1999 zum Mitglied des Europäischen Parlaments gewählte Antragsteller war zuvor durch Urteil der Cour d'appel Versailles (Frankreich) vom 17. November 1998 des gemäß Artikel 222-13 Absatz 1 Nr. 4 des französischen Strafgesetzbuchs unter Strafe gestellten Vergehens für schuldig erklärt worden, gegenüber einer Person, die Träger öffentlicher Gewalt ist, anlässlich der Ausübung ihres Amtes Gewalttätigkeiten begangen zu haben, wenn die Eigenschaft des Opfers offenkundig oder dem Täter bekannt ist. Wegen dieses Vergehens wurde er zu einer zur Bewährung ausgesetzten Haftstrafe von drei Monaten und zu einer Geldstrafe von 5 000 FRF verurteilt. Als Nebenstrafe wurde ihm gemäß Artikel 131-26 des Strafgesetzbuchs das passive Wahlrecht für die Dauer eines Jahres aberkannt.

19 Nachdem das vom Antragsteller gegen dieses Urteil eingelegte Rechtsmittel mit Urteil der französischen Cour de cassation vom 23. November 1999 zurückgewiesen worden war, stellte der französische Premierminister gemäß Artikel 5 Absatz 2 des Gesetzes von 1977 mit Dekret vom 31. März 2000 fest, dass der Verlust des passiven Wahlrechts [des Antragstellers] zum Erlöschen seines Mandats als Vertreter im Europäischen Parlament führt". Dieses Dekret wurde dem Antragsteller mit Schreiben des Generalsekretärs des französischen Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten vom 5. April 2000 bekannt gegeben. In diesem Schreiben hieß es, der Antragsteller könne gegen das Dekret binnen zwei Monaten nach dessen Bekanntgabe Klage beim französischen Conseil d'État erheben.

20 In der Plenarsitzung vom 3. Mai 2000 teilte die Präsidentin des Parlaments dessen Mitgliedern mit, dass sie am 26. April 2000 ein Schreiben der französischen Behörden vom 20. April erhalten habe, dem eine Akte zum Verlust des Mandats von Herrn Le Pen beigefügt sei. Ferner erklärte sie, dass sie gemäß Artikel 7 Absatz 4 Unterabsatz 2 der Geschäftsordnung des Parlaments den Ausschuss für Recht und Binnenmarkt (im Folgenden: Rechtsausschuss) damit befassen werde.

21 Der Rechtsausschuss nahm in seinen nichtöffentlichen Sitzungen vom 4., 15. und 16. Mai 2000 eine Prüfung des Mandats des Antragstellers vor.

22 In der Plenarsitzung vom 18. Mai 2000 verlas die Präsidentin des Parlaments ein Schreiben, das sie am Vortag von der Vorsitzenden des Rechtsausschusses erhalten hatte. In diesem Schreiben heißt es:

[A]uf seiner Sitzung vom 16. Mai 2000 hat der [Rechtsausschuss] sich nochmals mit der Situation [des Antragstellers] beschäftigt....

Unter dem Blickwinkel des am Vortag gefassten Beschlusses, derzeit nicht zu empfehlen, dass das Parlament förmlich das Dekret betreffend [den Antragsteller] zur Kenntnis nimmt, erörterte der Ausschuss mögliche weitere Schritte. Hierfür wurde der Fall von Herrn Tapie als Präzedenzfall herangezogen, woraus sich ergibt, dass das Europäische Parlament das Dekret über den Mandatsentzug förmlich erst nach Ablauf der Berufungsfrist vor dem Conseil d'État bzw. gegebenenfalls nach einer Entscheidung desselben zur Kenntnis nimmt."

23 Im Anschluss an die Verlesung dieses Schreibens kündigte die Präsidentin des Parlaments an, dass sie beabsichtige, der Stellungnahme des Rechtsausschusses" zu folgen.

24 Während der Debatte zwischen mehreren Mitgliedern des Parlaments, die dieser Ankündigung folgte, wies die Präsidentin des Parlaments u. a. darauf hin, dass die Kenntnisnahme durch das Parlament erfolgt und nicht durch seine Präsidentin".

25 Gemäß dem Protokoll dieser Plenarsitzung ging die Präsidentin des Parlaments am Ende der Debatte davon aus, dass sich Herr Barón Crespo, der beantragt hatte, das Parlament möge sich zur Stellungnahme des Rechtsausschusses äußern, letztlich dem Standpunkt von Herrn Hänsch angeschlossen habe, wonach insbesondere wegen des Fehlens eines förmlichen Vorschlags des Ausschusses keine Abstimmung erfolgen sollte. Die Präsidentin des Parlaments kam zu dem Schluss, dies sei die beste Lösung für alle", da es an einem echten Vorschlag des Rechtsausschusses" fehle.

26 Am 5. Juni 2000 erhob der Antragsteller beim Conseil d'État Klage auf Nichtigerklärung des Dekrets vom 31. März 2000.

27 Mit Urteil vom 6. Oktober 2000 wies der Conseil d'État die Klage des Antragstellers ab.

28 Mit Schreiben vom 20. Oktober 2000 informierte die Präsidentin des Parlaments den Antragsteller darüber, dass sie am Vortag die offizielle Mitteilung der zuständigen Behörden der Französischen Republik" über das genannte Urteil des Conseil d'État erhalten habe und dass sie in Einklang mit der Geschäftsordnung des Parlaments und dem Akt von 1976 von dem Dekret [vom 31. März 2000] nach Wiederaufnahme der Plenarsitzung am 23. Oktober Kenntnis nehmen" werde.

29 Der Antragsteller wies die Präsidentin des Parlaments mit Schreiben vom 23. Oktober 2000 darauf hin, dass das genannte Urteil des Conseil d'État nur von zwei vereinigten Unterabteilungen erlassen worden sei, obwohl Artikel 25 des Gesetzes von 1977 im Fall des Mandats eines Mitglieds des Parlaments eine Entscheidung des Plenums verlange, und dass er daher den Conseil d'État erneut anrufen werde. Ferner teilte er ihr mit, dass ein Gnadengesuch beim Präsidenten der Französischen Republik und eine Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingereicht worden seien. Er forderte deshalb, den Rechtsausschuss zu einer erneuten Sitzung einzuberufen und ihn sowie seine Anwälte dort anzuhören.

30 In der Plenarsitzung des Parlaments vom 23. Oktober 2000 machten der Antragsteller und weitere Abgeordnete seiner politischen Partei nochmals angebliche Rechtsfehler der französischen Behörden in dem Verfahren geltend, das zum Urteil des Conseil d'État vom 6. Oktober 2000 geführt hatte. Sie beantragten, dass das Parlament von dem fraglichen Mandatsverlust keine Kenntnis nehmen solle, zumindest nicht vor einer erneuten Befassung des Rechtsausschusses.

31 Gemäß dem Protokoll dieser Sitzung vom 23. Oktober 2000 gab die Präsidentin des Parlaments im Rahmen des Tagesordnungspunkts Mitteilung der Präsidentin" folgende Erklärung ab:

Ich habe Ihnen zur Kenntnis zu bringen, dass ich am Donnerstag, dem 19. Oktober 2000, die offizielle Bekanntgabe der zuständigen Behörden der Französischen Republik über ein Urteil mit Datum vom 6. Oktober 2000 des Staatsrates erhalten habe, mit dem der Einspruch [des Antragstellers] gegen den Erlass des französischen Premierministers vom 31. März 2000 zur Beendigung seines Mandats als Mitglied des Europäischen Parlaments abgelehnt wurde.

Ich teile Ihnen mit, dass ich inzwischen eine Kopie des Begnadigungsgesuchs erhalten habe, das die Herren Charles de Gaulle, Carl Lang, Jean-Claude Martinez und Bruno Gollnisch zu Gunsten [des Antragstellers] bei Herrn Jacques Chirac, Präsident der Republik, eingereicht haben."

32 Im Anschluss an diese Erklärung erteilte die Präsidentin des Parlaments der Vorsitzenden des Rechtsausschusses das Wort, die sich wie folgt äußerte:

Frau Präsidentin! Der [Rechtsausschuss] hatte nach seiner Beratung auf der Sitzung am 15. und 16. Mai dieses Jahres beschlossen, die Aussetzung der Kenntnisnahme des Entzugs des Mandats [des Antragstellers] durch das Parlament im Plenum... bis zum Ablauf der [dem Antragsteller] eingeräumten Berufungsfrist vor dem französischen Conseil d'État bzw. bis zu einer Entscheidung desselben [zu empfehlen]....

Der Conseil d'État hat - wie Sie sagten - diese Berufung abgelehnt, und diese Ablehnung wurde uns in gebührender Form mitgeteilt. Somit liegt kein Grund vor, der eine weitere Aussetzung dieser Kenntnisnahme im Plenum rechtfertigen würde, da es sich um einen förmlichen Akt gemäß vorrangigem Recht, konkret gemäß Artikel 12 Absatz 2 des [Aktes von 1976] handelt.

Das Gnadengesuch... ändert nichts an dieser Sachlage, da es sich nicht um eine Rechtsbeschwerde handelt. [Es] handelt es sich um einen höchststaatlichen Akt, der das Dekret der französischen Regierung, das gemäß der Empfehlung des [Rechtsausschusses] dem Plenum zur Kenntnis zu geben ist, nicht berührt."

33 Daraufhin erklärte die Präsidentin des Parlaments:

Folglich nimmt das Europäische Parlament gemäß Artikel 12 Absatz 2 des [Aktes von 1976] die Bekanntgabe der französischen Regierung über die Aberkennung des Mandats [des Antragstellers] zur Kenntnis."

34 Sie forderte den Antragsteller daher auf, den Plenarsaal zu verlassen, und unterbrach die Sitzung, um ihm dies zu erleichtern.

35 Mit Schreiben vom 27. Oktober 2000 informierte die Präsidentin des Parlaments Herrn Védrine, den französischen Außenminister, darüber, dass das Parlament von dem Dekret vom 31. März 2000 Kenntnis genommen habe, und forderte ihn auf, ihr gemäß Artikel 12 Absatz 1 des [Aktes von 1976] mitzuteilen, wer den frei gewordenen Sitz [des Antragstellers] besetzen wird".

36 Herr Védrine antwortete ihr mit Schreiben vom 13. November 2000, dass Frau Marie-France Stirbois [dem Antragsteller] im Namen der Liste des Front national für die Europawahlen nachfolgen wird".

37 Mit Klageschrift, die am 21. November 2000 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhob der Antragsteller Klage auf Nichtigerklärung der streitigen Handlung.

38 Mit besonderem Schriftsatz, der am gleichen Tag bei der Kanzlei des Gerichts einging, beantragte er die Aussetzung des Vollzugs dieser Handlung im Wege der einstweiligen Anordnung.

39 Mit Beschluss vom 26. Januar 2001 in der Rechtssache T-353/00 R (Le Pen/Parlament, Slg. 2001, II-125) setzte der Präsident des Gerichts den Vollzug der in Form einer Erklärung der Präsidentin des Europäischen Parlaments vom 23. Oktober 2000 getroffenen Entscheidung [aus], soweit es sich um eine Entscheidung des Europäischen Parlaments handelt, mit der dieses vom Verlust des Mandats des Antragstellers als Mitglied des Europäischen Parlaments Kenntnis nimmt", und behielt die Kostenentscheidung vor.

40 Im angefochtenen Urteil wies das Gericht die Nichtigkeitsklage des Antragstellers gegen die streitige Handlung als unzulässig ab und verurteilte ihn zur Tragung der Kosten.

41 Das Gericht entschied u. a. in Randnummer 97 des angefochtenen Urteils, dass das Dekret vom 31. März 2000 die Maßnahme ist, mit der im vorliegenden Fall Rechtswirkungen erzeugt wurden, die zur Beeinträchtigung der Interessen des Klägers geeignet waren", und dass die [streitige] Handlung... nicht dazu bestimmt [war], eigene, von diesem Dekret gesonderte Rechtswirkungen zu erzeugen".

42 Es kam daher in Randnummer 98 des Urteils zu dem Ergebnis, dass die [streitige] Handlung nicht Gegenstand einer Nichtigkeitsklage im Sinne von Artikel 230 EG sein" könne und dass die Nichtigkeitsklage daher als unzulässig abzuweisen sei, ohne dass die übrigen Klagegründe und Argumente in Bezug auf die Zulässigkeit geprüft zu werden brauchten.

Zum Antrag auf einstweilige Anordnung

Vorbringen der Beteiligten

Zur Zulässigkeit des Antrags auf einstweilige Anordnung

43 Die französische Regierung äußert zunächst Zweifel an der Zulässigkeit des Antrags auf einstweilige Anordnung, da er auf die Aussetzung des Vollzugs der im ersten Rechtszug angefochtenen Handlung und nicht auf die Aussetzung des mit dem Rechtsmittel angefochtenen Urteils des Gerichts gerichtet sei. Es sei fraglich, ob mit dem Antrag auf Aussetzung des Vollzugs, der mit einem Rechtsmittel zusammenhänge, das ein Urteil des Gerichts und nicht die vom Gericht im ersten Rechtszug geprüfte Handlung betreffe, ein anderes Ziel als die Aussetzung des Urteils des Gerichts verfolgt werden könne.

44 Falls es für zulässig erachtet werde, dass sich der im Rahmen eines Rechtsmittels gestellte Antrag auf einstweilige Anordnung gegen die im ersten Rechtszug angefochtene Handlung richte, sei sodann davon auszugehen, dass dieser Antrag über das Rechtsmittel hinaus an die Klage auf Nichtigerklärung der genannten Handlung anknüpfe. Das Gericht habe diese Klage aber für unzulässig erklärt, so dass auch ein solcher Antrag unzulässig sein müsse.

45 Schließlich müsse der Antrag auf einstweilige Anordnung für unzulässig erklärt werden, weil die beantragte Aussetzung keine einstweilige Regelung wäre, wie es Artikel 39 Absatz 3 der Satzung des Gerichtshofes verlange, sondern unumkehrbare Tatsachen schaffen könnte, da das Mandat der Mitglieder in der aktuellen Legislaturperiode im Mai 2004 ende. Die Anordnung der beantragten Aussetzung würde die tatsächliche Durchführung eines das angefochtene Urteil bestätigenden Urteils des Gerichtshofes unmöglich machen.

46 Das Parlament trägt vor, der Antrag auf einstweilige Anordnung ziele auf ein Ergebnis ab, das die Kompetenzen der Gemeinschaft und die Befugnisse ihrer Organe überschreite. Aus dem Akt von 1976 ergebe sich, dass nicht die Gemeinschaft, sondern ausschließlich die Mitgliedstaaten dafür zuständig seien, den Mandatsverlust eines Mitglieds des Parlaments auszusprechen. Es gebe keine Rechtsgrundlage, die es dem Gemeinschaftsrichter erlauben würde, die Eigenschaft des Antragstellers als Mitglied des Parlaments auch nur vorübergehend wiederherzustellen oder der Französischen Republik dahin gehende Anordnungen zu erteilen. Die französische Regierung schließt sich diesem Vorbringen im Wesentlichen an.

47 Das Parlament weist auch darauf hin, dass die Klage nach dem angefochtenen Urteil offensichtlich unzulässig gewesen sei. Die streitige Handlung sei keinesfalls dazu bestimmt gewesen, verbindliche Rechtswirkungen zu erzeugen, und könne einer den Antragsteller unmittelbar und individuell betreffenden Entscheidung nicht gleichgestellt werden. Dies gehe eindeutig aus der fehlenden Zuständigkeit der Gemeinschaft für die aus der Anwendung des nationalen Rechts resultierenden Voraussetzungen für die Unvereinbarkeit und den Verlust des passiven Wahlrechts hervor.

Zum Fumus boni iuris

48 Zur Glaubhaftmachung der Notwendigkeit der beantragten Anordnung (Fumus boni iuris) trägt der Antragsteller zum einen Argumente vor, die die Zulässigkeit der Klage auf Nichtigerklärung der streitigen Handlung betreffen.

49 Die streitige Handlung erfuelle alle Voraussetzungen, um Gegenstand einer Nichtigkeitsklage zu sein. Sie sei als Handlung des Parlaments anzusehen, die endgültige Rechtswirkungen außerhalb von dessen rein interner Sphäre entfalte. Durch sie werde der Mandatsverlust des Antragstellers ausgesprochen oder festgestellt und damit dessen Rechtsstellung verändert.

50 Die Argumentation des Gerichts hierzu sei widersprüchlich, da es in Randnummer 97 des angefochtenen Urteils die Ansicht vertrete, dass die [streitige] Handlung... nicht dazu bestimmt [war], eigene, von [dem] Dekret [vom 31. März 2000] gesonderte Rechtswirkungen zu erzeugen", während es zuvor in Randnummer 91 des Urteils dem Parlament eine Prüfungsbefugnis... in diesem Zusammenhang" zuerkannt habe, auch wenn diese Befugnis besonders stark eingeschränkt" sei.

51 Zum anderen führt der Antragsteller eine Reihe von Argumenten zum Gegenstand des Rechtsstreits an, mit denen er sowohl die externe Rechtmäßigkeit" als auch die interne Rechtmäßigkeit" der streitigen Handlung in Frage stellt.

52 Was die externe Rechtmäßigkeit der streitigen Handlung anbelangt, so rügt er erstens die Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften. Zum einen hätte nach Artikel 7 Absatz 4 Unterabsatz 2 der Geschäftsordnung des Parlaments vor der Ankündigung des Mandatsverlusts in der Plenarsitzung vom 23. Oktober 2000 der Rechtsausschuss einberufen werden müssen, was entgegen der früheren Praxis nicht geschehen sei. Zum anderen sei der Antragsteller zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens angehört worden; dies verstoße gegen den Grundsatz der Wahrung der Verteidigungsrechte.

53 Zweitens sei die Präsidentin des Parlaments mangels einer sie dazu ermächtigenden Rechtsgrundlage nicht befugt gewesen, sich im Namen des Parlaments zu äußern. Der Antragsteller habe Anspruch darauf gehabt, dass sich das Parlament zum Verlust seines Mandats äußere. Aus der Befassung des Rechtsausschusses gemäß Artikel 7 der Geschäftsordnung, der die Prüfung der Mandate betreffe, folge, dass sich das Parlament selbst äußern müsse.

54 Was die interne Rechtmäßigkeit der streitigen Handlung anbelangt, so rügt der Antragsteller erstens die Verletzung der in Artikel 4 Absatz 2 des Aktes von 1976 vorgesehenen parlamentarischen Immunität, deren Aufhebung durch das Parlament hätte beantragt werden müssen, bevor die strafrechtliche Verfolgung eingeleitet worden sei, die zu seiner Verurteilung geführt habe.

55 Zweitens führt der Antragsteller eine Reihe von Argumenten zur Rechtssicherheit und zur Beachtung der Rechtsordnung der Gemeinschaft" an, mit denen er darzutun versucht, dass angesichts der Entwicklung des Gemeinschaftsrechts dem Parlament eine ausschließliche Zuständigkeit für die Feststellung oder Aussprache des Mandatsverlusts eines seiner Mitglieder zuerkannt werden müsse. So schlössen es nunmehr Artikel 10 EG, der Grundsatz der Unabhängigkeit des Parlaments", der in Artikel 2 seiner Geschäftsordnung angesprochen werde, die allgemeine unmittelbare Wahl der Mitglieder des Parlaments, die Bestimmungen des Vertrages über die Europäische Union in Bezug auf die Unionsbürgerschaft und die Erweiterung der Zuständigkeiten des Parlaments aus, dem Mitgliedstaat eine ausschließliche Zuständigkeit für die Aussprache des Mandatsverlusts eines Abgeordneten des Europäischen Parlaments zuzuerkennen. Die Annahme, dass die Zuständigkeit des französischen Premierministers gemäß dem Gesetz von 1977 als solche ausreiche, verstoße im Übrigen gegen die Rechtsordnung der Gemeinschaft, da das Gesetz als Maßnahme zur Durchführung dieser Rechtsordnung anzusehen sei.

56 Nach Ansicht des Parlaments ist die Notwendigkeit der beantragten einstweiligen Anordnung nicht glaubhaft gemacht.

57 Zur Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage führt das Parlament zunächst aus, das angefochtene Urteil habe einen fumus mali iuris" geschaffen, den der Antragsteller ausräumen müsse, was er nicht getan habe.

58 Nach Artikel 7 Absatz 2 des Aktes von 1976 unterliege das Verfahren für das Freiwerden eines Sitzes in Artikel 12 Absatz 2 Unterabsatz 1 des Aktes weiterhin den innerstaatlichen Vorschriften.

59 Somit gestatte es das Fehlen einer Gemeinschaftszuständigkeit in diesem Bereich nicht, das Verfahren, mit dem der Mandatsverlust des Antragstellers zur Kenntnis genommen worden sei, als Handlung einzustufen, die seine Rechtsstellung im Sinne von Artikel 230 EG verändert habe. Die Veränderung der Rechtsstellung des Betroffenen ergebe sich aus den innerstaatlichen Vorschriften, auf die der Akt von 1976 verweise. Im Übrigen sei es nicht Sache des Gerichtshofes, die Rechtmäßigkeit von Maßnahmen zu prüfen, die nationale Behörden eines Mitgliedstaats anhand innerstaatlicher Rechtsvorschriften getroffen hätten.

60 Zudem werde im Antrag auf einstweilige Anordnung nicht genau angegeben, gegen welche Bestandteile des angefochtenen Urteils er sich wende. Das meiste Vorbringen des Antragstellers zur Stützung seines Rechtsmittels beschränke sich auf die Wiedergabe seines Vorbringens vor dem Gericht und sei daher unzulässig. Was den angeblichen Widerspruch zwischen den Randnummern 91 und 97 des Urteils anbelange, so sei es nicht widersprüchlich, dem Parlament eine auf ganz bestimmte Tatsachen beschränkte Prüfungsbefugnis zuzuerkennen und zugleich festzustellen, dass eine solche Prüfung von Tatsachen nicht dazu bestimmt sei, eigene Rechtswirkungen zu erzeugen.

61 Hilfsweise nimmt das Parlament zum Gegenstand des Rechtsstreits Stellung.

62 Dabei trägt es vor, die Nichtigkeitsklage des Antragstellers sei offensichtlich unbegründet, da sie in Wirklichkeit auf die Nichtigerklärung eines Rechtsakts der nationalen französischen Behörden abziele, die allein dafür zuständig seien, den Mandatsverlust des Antragstellers auszusprechen.

63 Das Parlament habe die einschlägigen Verfahrensvorschriften nicht verletzt. Insbesondere betreffe das in Artikel 7 Absatz 4 Unterabsatz 2 der Geschäftsordnung des Parlaments vorgesehene Verfahren nicht den vorliegenden Fall. Auch eine zweite Befassung des Rechtsausschusses wäre unangebracht und unnötig gewesen.

64 Der Rechtsmittelgrund der Unzuständigkeit der Präsidentin des Parlaments für die Vornahme der streitigen Handlung sei unbegründet. Die Frage des Mandatsverlusts des Antragstellers sei in der Plenarsitzung vom 18. Mai 2000 erörtert worden, und das Parlament und nicht seine Präsidentin habe diesen Mandatsverlust in der Plenarsitzung vom 23. Oktober 2000 zur Kenntnis genommen.

65 Mit dem Rechtsmittelgrund einer Verletzung der parlamentarischen Immunität werde das Verhalten eines Mitgliedstaats in Frage gestellt, und er sei deshalb irrelevant. Die parlamentarische Immunität des Antragstellers sei jedenfalls nicht verletzt worden. Sie beschränke sich nach französischem Recht auf freiheitsberaubende oder -beschränkende Maßnahmen und erstrecke sich nicht auf die Verfolgung von Verbrechen oder Vergehen.

66 Schließlich entsprächen die vom Antragsteller auf eine Beeinträchtigung der Rechtssicherheit und eine Verletzung der Rechtsordnung der Gemeinschaft gestützten Rechtsmittelgründe nicht dem gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts. Insoweit seien immer noch die Vorschriften des Aktes von 1976 anzuwenden.

67 Auch die französische Regierung ist der Ansicht, dass der Antragsteller keine gewichtigen Rechtsmittelgründe vorbringe, die den Fumus boni iuris begründen könnten.

68 Hinsichtlich der Zulässigkeit der Klage auf Nichtigerklärung der streitigen Handlung entspricht das Vorbringen der französischen Regierung im Wesentlichen dem in den Randnummern 57 bis 60 des vorliegenden Beschlusses wiedergegebenen Vorbringen des Parlaments.

69 Zur externen Rechtmäßigkeit der streitigen Handlung trägt die französische Regierung vor, das Parlament habe bei der Kenntnisnahme des Mandatsverlusts des Antragstellers keinen Formfehler begangen. Die Form einer solchen Handlung unterliege angesichts der Befugnisbindung" des Parlaments in diesem Bereich keinen besonderen Anforderungen. Zur internen Rechtmäßigkeit der streitigen Handlung verweist die französische Regierung auf das Vorbringen des Parlaments vor dem Gericht, aus dem hervorgehe, dass die Rechtsmittelgründe des Antragstellers nicht als gewichtig angesehen werden könnten.

Zur Dringlichkeit

70 Zum Nachweis der Dringlichkeit seines Aussetzungsantrags beruft sich der Antragsteller darauf, dass er aufgrund der streitigen Handlung sein Mandat nicht weiter ausüben könne und dass dies einen schweren und nicht wieder gutzumachenden Schaden darstelle. Er weist insoweit darauf hin, dass die Laufzeit des Mandats der Mitglieder des Parlaments auf fünf Jahre begrenzt sei, von denen nur noch ein Jahr verbleibe.

71 Das Parlament hält die Dringlichkeit nicht für erwiesen. Es liege auf der Hand, dass die Laufzeit des parlamentarischen Mandats zeitlich begrenzt sei und dass der Verlust des Mandats dessen Ausübung unmöglich mache. Die Bedeutung des parlamentarischen Mandats reiche als solche bei abstrakter Betrachtung nicht aus, um die beantragte Aussetzung zu rechtfertigen. Konkret müsse die Aussetzung zumindest bei offensichtlicher Unzulässigkeit der Klage oder offensichtlicher Unbegründetheit der zu ihrer Stützung geltend gemachten Gründe abgelehnt werden.

72 Die französische Regierung führt im Wesentlichen aus, die beantragte einstweilige Anordnung könne den vom Antragsteller erlittenen Schaden nicht beseitigen, da dieser nicht aus der streitigen Handlung resultiere, deren Aussetzung er begehre, sondern aus dem auf Entscheidungen der französischen Behörden beruhenden Mandatsverlust.

Würdigung

73 Nach Artikel 242 EG haben Klagen beim Gerichtshof keine aufschiebende Wirkung.

74 Gemäß den Artikeln 242 EG und 243 EG kann der Gerichtshof jedoch, wenn er dies den Umständen nach für nötig hält, die Durchführung der angefochtenen Handlung aussetzen oder in den bei ihm anhängigen Sachen die erforderlichen einstweiligen Anordnungen treffen.

75 Nach Artikel 83 § 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes sind Anträge auf Aussetzung des Vollzugs von Maßnahmen eines Organs im Sinne von Artikel 242 EG nur zulässig, wenn der Antragsteller die betreffende Maßnahme durch Klage beim Gerichtshof angefochten hat.

76 Artikel 83 § 2 der Verfahrensordnung sieht vor, dass die auf Artikel 242 EG oder 243 EG gestützten Anträge den Streitgegenstand bezeichnen und die Umstände anführen müssen, aus denen sich die Dringlichkeit ergibt; ferner ist die Notwendigkeit der beantragten Anordnung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht glaubhaft zu machen.

77 Nach ständiger Rechtsprechung kann der Richter der einstweiligen Anordnung die Aussetzung des Vollzugs anordnen und sonstige einstweilige Anordnungen treffen, wenn die Notwendigkeit der Anordnungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht glaubhaft gemacht ist (Fumus boni iuris) und wenn feststeht, dass sie in dem Sinne dringlich sind, dass sie zur Verhinderung eines schweren und nicht wieder gutzumachenden Schadens für die Interessen des Antragstellers bereits vor der Entscheidung zur Hauptsache erlassen werden und ihre Wirkungen entfalten müssen. Der Richter der einstweiligen Anordnung nimmt gegebenenfalls auch eine Abwägung der bestehenden Interessen vor (vgl. u. a. Beschlüsse vom 25. Juli 2000 in der Rechtssache C-377/98 R, Niederlande/Parlament und Rat, Slg. 2000, I-6229, Randnr. 41, und vom 23. Februar 2001 in der Rechtssache C-445/00 R, Österreich/Rat, Slg. 2001, I-1461, Randnr. 73).

Zur Zulässigkeit des Antrags auf einstweilige Anordnung

78 Der Antrag, der Gegenstand des vorliegenden Verfahrens der einstweiligen Anordnung ist, wird im Rahmen eines Rechtsmittels gegen ein Urteil des Gerichts gestellt, mit dem die Nichtigkeitsklage des Antragstellers für unzulässig erklärt wurde. Da der Antrag über die Aussetzung der Durchführung des angefochtenen Urteils hinaus auf die vorläufige Aussetzung der streitigen Handlung abzielt, überschreitet er zweifellos den formalen Rahmen des Rechtsmittels, mit dem er zusammenhängt.

79 Eine Auslegung von Artikel 83 § 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes, wonach der Gerichtshof nicht befugt wäre, die Aussetzung des Vollzugs der im ersten Rechtszug angefochtenen Handlung anzuordnen, wenn er im Rahmen eines Rechtsmittels damit befasst ist, hätte zur Folge, dass in einer Vielzahl von Rechtsmittelverfahren und insbesondere dann, wenn sich der Antrag auf Aufhebung des Urteils des Gerichts dagegen richtet, dass es die Klage für unzulässig erklärt hat, dem Rechtsmittelführer jede Möglichkeit eines vorläufigen Rechtsschutzes genommen wäre.

80 Eine solche Auslegung wäre mit dem Anspruch auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz unvereinbar, bei dem es sich um einen allgemeinen Rechtsgrundsatz handelt, der den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten zugrunde liegt. Dieser Grundsatz ist auch in den Artikeln 6 und 13 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 verankert (vgl. Urteil vom 15. Mai 1986 in der Rechtssache 222/84, Johnston, Slg. 1986, 1651, Randnr. 18).

81 Der Anspruch auf umfassenden und effektiven gerichtlichen Rechtsschutz, den der Einzelne nach dem Gemeinschaftsrecht hat, bedeutet u. a., dass ihm vorläufiger Schutz gewährt werden kann, wenn dies für die volle Wirksamkeit der künftigen Endentscheidung erforderlich ist (vgl. u. a. Urteile vom 19. Juni 1990 in der Rechtssache C-213/89, Factortame u. a., Slg. 1990, I-2433, Randnr. 21, und vom 21. Februar 1991 in den Rechtssachen C-143/88 und C-92/89, Zuckerfabrik Süderdithmarschen und Zuckerfabrik Soest, Slg. 1991, I-415, Randnrn. 16 bis 18, sowie Beschlüsse vom 3. Mai 1996 in der Rechtssache C-399/95 R, Deutschland/Kommission, Slg. 1996, I-2441, Randnr. 46, und vom 29. Januar 1997 in der Rechtssache C-393/96 P[R], Antonissen/Rat und Kommission, Slg. 1997, I-441, Randnr. 36).

82 In einem Fall wie dem vorliegenden wäre die Aussetzung der Durchführung des angefochtenen Urteils aber für sich genommen nicht geeignet, die Rechte des Antragstellers für den Fall zu wahren, dass sein Begehren letztlich Erfolg hätte.

83 Außerdem wird der Antrag auf einstweilige Anordnung im vorliegenden Fall auch auf Artikel 243 EG gestützt, wonach der Gerichtshof in den bei ihm anhängigen Sachen die erforderlichen einstweiligen Anordnungen treffen kann.

84 Nach Artikel 83 § 1 Absatz 2 der Verfahrensordnung setzt die Zulässigkeit eines Antrags auf einstweilige Anordnung gemäß Artikel 243 EG voraus, dass er von einer Partei eines beim Gerichtshof anhängigen Rechtsstreits gestellt wird und sich auf diesen bezieht. Diese Voraussetzungen sind hier erfuellt.

85 Folglich kann der vorliegende Antrag auf einstweilige Anordnung nicht mit der Begründung für unzulässig erklärt werden, dass er auf die Aussetzung des Vollzugs der streitigen, im ersten Rechtszug angefochtenen Handlung gerichtet sei.

86 Dem Vorbringen, dass die vom Gericht festgestellte Unzulässigkeit der Nichtigkeitsklage zwangsläufig zur Unzulässigkeit des Antrags auf einstweilige Anordnung führe, kann nicht gefolgt werden. Hierzu genügt die Feststellung, dass eine solche Auslegung dazu führen würde, vorläufigen Rechtsschutz systematisch in allen Fällen zu versagen, in denen - wie hier - das Urteil, das Gegenstand des Rechtsmittels ist, ausschließlich Ausführungen zur Zulässigkeit der Klage enthält; diese Auslegung wäre daher mit dem in den Randnummern 80 und 81 des vorliegenden Beschlusses angesprochenen allgemeinen Grundsatz unvereinbar, dass Anspruch auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz besteht.

87 Schließlich ist das Vorbringen, die beantragte Aussetzung habe keinen vorläufigen Charakter, da sie eine unumkehrbare Sachlage zu schaffen drohe, untrennbar mit der Beurteilung der Dringlichkeit und der Abwägung der bestehenden Interessen verbunden. Es erscheint dagegen für die Beurteilung der Zulässigkeit des Antrags auf einstweilige Anordnung irrelevant.

88 Somit ist der Antrag auf einstweilige Anordnung zulässig.

Zum Fumus boni iuris

89 Das angefochtene Urteil beschränkt sich darauf, die Nichtigkeitsklage des Antragstellers für unzulässig zu erklären, da die streitige Handlung, mit der das Parlament seinen Mandatsverlust zur Kenntnis genommen habe, nicht zur Erzeugung von Rechtswirkungen bestimmt gewesen sei.

90 Daraus folgt, so stichhaltig das Vorbringen des Antragstellers gegen das angefochtene Urteil, mit dem die Nichtigkeitsklage für unzulässig erklärt wurde, auch sein mag, dass dieses Vorbringen nicht ausreichen kann, um die Aussetzung des Vollzugs der streitigen Handlung auf den ersten Blick zu rechtfertigen. Um nachzuweisen, dass die Voraussetzung des Fumus boni iuris erfuellt ist, müsste der Antragsteller zudem dartun können, dass das Vorbringen, mit dem im Rahmen der Nichtigkeitsklage die Rechtmäßigkeit der streitigen Handlung in Abrede gestellt wurde, geeignet ist, auf den ersten Blick die beantragte Aussetzung zu rechtfertigen.

91 Zum Vorbringen des Antragstellers, auf das er sein Rechtsmittel stützt und mit dem er sich gegen die Feststellung der Unzulässigkeit durch das Gericht wendet, ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof nach Artikel 230 Absatz 1 EG die Rechtmäßigkeit... der Handlungen des Europäischen Parlaments mit Rechtswirkung gegenüber Dritten [überwacht]".

92 Nach ständiger Rechtsprechung können Handlungen oder Entscheidungen nur dann Gegenstand einer Nichtigkeitsklage im Sinne von Artikel 230 EG sein, wenn sie verbindliche Rechtswirkungen erzeugen, die geeignet sind, die Interessen des Klägers dadurch zu beeinträchtigen, dass sie seine Rechtsstellung in qualifizierter Weise verändern (vgl. u. a. Beschlüsse vom 8. März 1991 in den Rechtssachen C-66/91 und C-66/91 R, Emerald Meats/Kommission, Slg. 1991, I-1143, Randnr. 26, und vom 13. Juni 1991 in der Rechtssache C-50/90, Sunzest/Kommission, Slg. 1991, I-2917, Randnr. 12; Urteile vom 11. November 1981 in der Rechtssache 60/81, IBM/Kommission, Slg. 1981, 2639, Randnr. 9, vom 5. Oktober 1999 in der Rechtssache C-308/95, Niederlande/Kommission, Slg. 1999, I-6513, Randnr. 26, und vom 22. Juni 2000 in der Rechtssache C-147/96, Niederlande/Kommission, Slg. 2000, I-4723, Randnr. 25). Dagegen kann eine Handlung nicht mit einer Nichtigkeitsklage angefochten werden, wenn sie Rechtswirkungen weder erzeugen kann noch soll (vgl. u. a. Urteil vom 27. März 1980 in der Rechtssache 133/79, Sucrimex und Westzucker/Kommission, Slg. 1980, 1299, Randnrn. 17 bis 19, Beschluss vom 17. Mai 1989 in der Rechtssache 151/88, Italien/Kommission, Slg. 1989, 1255, Randnr. 22, sowie Urteile vom 5. Oktober 1999, Niederlande/Kommission, Randnr. 27, und vom 22. Juni 2000, Niederlande/Kommission, Randnr. 26).

93 Auf den ersten Blick liefert eine Prüfung der verschiedenen Sprachfassungen von Artikel 12 Absatz 2 des Aktes von 1976, auf die das Parlament verweist, keine Anhaltspunkte, die es ermöglichen, den Worten Kenntnis nimmt" in dieser Bestimmung einen anderen als den ihnen in der Rechtssprache üblicherweise zukommenden Sinn beizumessen, wonach sie grundsätzlich keine Handlung bezeichnen, die ähnlich wie eine Entscheidung verbindliche Rechtswirkungen erzeugen soll, sondern eine Handlung, die eine Tatsache - wie den Erhalt von Informationen oder die Kenntniserlangung von einer Entscheidung eines Dritten - förmlich zum Ausdruck bringen soll.

94 Die in Artikel 12 Absatz 2 des Aktes von 1976 getroffene Unterscheidung zwischen dem Fall, dass das Freiwerden eines Sitzes seine Ursache in den in einem Mitgliedstaat geltenden innerstaatlichen Vorschriften hat - dann unterrichtet dieser Mitgliedstaat [das Parlament] hierüber, [das] davon Kenntnis nimmt" -, und allen übrigen Fällen, in denen das Parlament das Freiwerden fest[stellt] und... den Mitgliedstaat hierüber [unterrichtet]", stärkt auf den ersten Blick die Auslegung, wonach das Freiwerden des Sitzes seine Ursache im erstgenannten Fall nicht in einer Handlung des Parlaments hat, sondern in innerstaatlichen Vorschriften, über deren Anwendung das Parlament unterrichtet wird.

95 Ferner deutet auf den ersten Blick Artikel 12 Absatz 2 des Aktes von 1976 in Verbindung mit Artikel 8 Absatz 9 der Geschäftsordnung des Parlaments, der vorsieht, dass dieses nur unter ganz bestimmten Umständen die Möglichkeit hat, sich zu weigern, das Freiwerden eines Sitzes festzustellen", darauf hin, dass diese Möglichkeit nicht die Fälle betrifft, in denen das Freiwerden seine Ursache in der Anwendung innerstaatlicher Vorschriften hat.

96 Das Gericht hat zwar in Randnummer 91 des angefochtenen Urteils entschieden, dass das Parlament in diesem Zusammenhang über eine Prüfungsbefugnis verfügt, auch wenn diese sich im Wesentlichen auf die Kontrolle [beschränkt], ob der Sachverhalt in Bezug auf das Freiwerden des Sitzes des Betroffenen zutreffend festgestellt worden ist". Das Vorbringen des Antragstellers, dass die Ausübung einer solchen - wenn auch eingeschränkten - Prüfungsbefugnis einer Kontrolle durch den Gemeinschaftsrichter unterliegen müsse, kann nicht ohne weiteres von der Hand gewiesen werden. Das Vorbringen des Parlaments und der französischen Regierung, dass die Ausübung dieser Prüfungsbefugnis nicht dazu bestimmt sei, eigene Rechtswirkungen zu erzeugen, erscheint jedoch plausibel.

97 Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass die Frage der Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage aufgrund des Wesens der streitigen Handlung Rechtsfragen aufwirft, die über den Rahmen der zwangsläufig summarischen Beurteilung durch den Richter der einstweiligen Anordnung hinausgehen und mit denen sich der Gerichtshof bei seiner Entscheidung über das Rechtsmittel befassen muss. Auf den ersten Blick scheint dieses daher nicht als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen werden zu können.

98 Das Vorbringen des Antragstellers zum Gegenstand des Rechtsstreits wurde vom Gericht nicht geprüft, ist vom Gerichtshof im Rahmen des bei ihm anhängigen Rechtsmittels nicht zu prüfen und müsste im Fall der Aufhebung des angefochtenen Urteils normalerweise vom Gericht geprüft werden, an das die Sache zurückverwiesen würde.

99 Eine Gesamtprüfung dieses Vorbringens der Beteiligten im Rahmen des vorliegenden Antrags auf einstweilige Anordnung lässt den Schluss zu, dass der Standpunkt des Parlaments und der französischen Regierung durch Argumente gestützt zu werden scheint, die sich bei erster Analyse als mindestens ebenso plausibel wie die des Antragstellers erweisen.

100 Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass sich der Antragsteller nicht auf einen besonders ausgeprägten Fumus boni iuris berufen kann, ohne dass jedoch in diesem Verfahrensstadium davon ausgegangen werden kann, dass sein Vorbringen jeder rechtlichen Grundlage entbehrt. Unter diesen Umständen kann der Antrag auf Aussetzung der streitigen Handlung nicht aus diesem Grund zurückgewiesen werden (in diesem Sinne auch Beschlüsse vom 31. Januar 1991 in der Rechtssache C-345/90 P-R, Parlament/Hanning, Slg. 1991, I-231, Randnrn. 29 und 30, vom 17. Juli 2001 in der Rechtssache C-180/01 P-R, Kommission/NALOO, Slg. 2001, I-5737, Randnrn. 49 und 51, vom 8. Mai 2003 in der Rechtssache C-39/03 P-R, Kommission/Artegodan u. a., noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 40, und vom 20. Juni 2003 in der Rechtssache C-156/03 P-R, Kommission/Laboratoires Servier, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 34).

Zur Dringlichkeit und zur Interessenabwägung

101 Zur Voraussetzung der Dringlichkeit ist darauf hinzuweisen, dass es der Zweck des Verfahrens der einstweiligen Anordnung ist, die volle Wirksamkeit der künftigen Endentscheidung zu gewährleisten, um eine Lücke in dem vom Gerichtshof gewährten Rechtsschutz zu verhindern (vgl. u. a. Beschluss vom 12. Dezember 1968 in der Rechtssache 27/68 R, Renckens/Kommission, Slg. 1969, 274, 276, sowie Beschlüsse Deutschland/Kommission, Randnr. 46, Antonissen/Rat und Kommission, Randnr. 36, und Kommission/NALOO, Randnr. 52). Um dieses Ziel zu erreichen, ist die Dringlichkeit danach zu beurteilen, ob eine einstweilige Anordnung erforderlich ist, um den Eintritt eines schweren und nicht wieder gutzumachenden Schadens bei der Partei, die vorläufigen Rechtsschutz beantragt, zu verhindern (vgl. Beschluss vom 25. März 1999 in der Rechtssache C-65/99 P[R], Willeme/Kommission, Slg. 1999, I-1857, Randnr. 62, sowie Beschlüsse Kommission/NALOO, Randnr. 52, und Kommission/Laboratoires Servier, Randnr. 35).

102 Im vorliegenden Fall geht daraus, dass die Laufzeit des Mandats der Mitglieder des Parlaments nach Artikel 3 Absatz 1 des Aktes von 1976 auf fünf Jahre beschränkt ist und dass der Mandatsverlust die weitere Ausübung des Amtes als europäischer Abgeordneter unmöglich macht, klar hervor, dass der Schaden, den der Antragsteller erleidet, wenn der Vollzug der streitigen Handlung nicht ausgesetzt wird, nicht wieder gutzumachen wäre.

103 Die Behauptung, es sei unmöglich, den geltend gemachten Schaden mittels der beantragten einstweiligen Anordnung zu beheben, ist im vorliegenden Fall zurückzuweisen. Zwar können einstweilige Anordnungen, die schon nicht geeignet wären, den vom Antragsteller angeführten schweren und nicht wieder gutzumachenden Schaden zu verhindern, hierfür erst recht nicht erforderlich sein (Beschlüsse vom 30. April 1997 in der Rechtssache C-89/97 P[R], Moccia Irme/Kommission, Slg. 1997, I-2327, Randnr. 44, und vom 12. Februar 2003 in der Rechtssache C-399/02 P[R], Slg. 2003, I-1417, Randnr. 26), doch würde eine solche Beurteilung in der vorliegenden Rechtssache voraussetzen, dass sich der Richter der einstweiligen Anordnung zum genauen Umfang der Befugnisse des Parlaments im Bereich des Mandatsverlusts seiner Mitglieder äußert, was zwangsläufig die Hauptsache vorwegnehmen würde.

104 Folglich ist die Dringlichkeit dargetan.

105 Zur Beurteilung der Notwendigkeit der beantragten Aussetzung ist jedoch der geltend gemachte Schaden im Licht aller bestehenden Interessen zu analysieren (Beschlüsse vom 29. Juni 1993 in der Rechtssache C-280/93 R, Deutschland/Rat, Slg. 1993, I-3667, Randnr. 29, vom 24. September 1996 in den Rechtssachen C-239/96 R und C-240/96 R, Vereinigtes Königreich/Kommission, Slg. 1996, I-4475, Randnr. 67, und vom 29. Juni 1999 in der Rechtssache C-107/99 R, Italien/Kommission, Slg. 1999, I-4011, Randnr. 89).

106 Es steht fest, dass der schwere und nicht wieder gutzumachende Schaden - das Kriterium der Dringlichkeit - überdies den Ausgangspunkt des Vergleichs darstellt, der im Rahmen der Interessenabwägung durchgeführt wird (Beschluss vom 22. April 1994 in der Rechtssache C-87/94 R, Kommission/Belgien, Slg. 1994, I-1395, Randnr. 27). Bei diesem Vergleich muss der Richter der einstweiligen Anordnung insbesondere prüfen, ob die etwaige Nichtigerklärung der streitigen Handlung durch den Richter der Hauptsache die Umkehrung der Lage erlauben würde, die durch den sofortigen Vollzug dieser Handlung entstanden wäre, und - umgekehrt - ob die Aussetzung des Vollzugs dieser Handlung deren volle Wirksamkeit behindern könnte, falls die Klage abgewiesen würde (vgl. u. a. Beschlüsse vom 19. Juli 1995 in der Rechtssache C-149/95 P[R], Kommission/Atlantic Container Line u. a., Slg. 1995, I-2165, Randnr. 50, und vom 12. Juli 1996 in der Rechtssache C-180/96 R, Vereinigtes Königreich/Kommission, Slg. 1996, I-3903, Randnr. 89).

107 Im vorliegenden Fall würde ein für den Antragsteller günstiges Urteil zur Hauptsache die durch den sofortigen Vollzug der streitigen Handlung entstandene Lage nicht umkehren, da ein solches Urteil höchstwahrscheinlich erst nach Ablauf der Legislaturperiode und damit zu einem Zeitpunkt ergehen würde, zu dem der vom Antragsteller geltend gemachte Schaden - der Verlust seines Status als Mitglied des Parlaments - unumkehrbar eingetreten wäre.

108 Dieser Schaden ist gegen die Gefahr abzuwägen, dass im Fall der Vornahme der beantragten Aussetzung der auf ein rechtskräftig gewordenes Strafurteil zurückgehende Mandatsverlust des Antragstellers wirkungslos bliebe. Angesichts der zeitlichen Nähe der nächsten Parlamentswahlen würde das Urteil des Gerichtshofes über das Rechtsmittel und, falls darin dem Antrag des Antragstellers stattgegeben würde, ein etwaiges Urteil zur Hauptsache erst nach Ende der Legislaturperiode ergehen. Die Aussetzung des Vollzugs hätte der streitigen Handlung somit für den Fall der Klageabweisung endgültig jede Wirkung genommen und die Durchführung von Entscheidungen der Strafgerichte eines Mitgliedstaats in nicht wieder gutzumachender Weise beeinträchtigt. Unter diesen Umständen stellen das Interesse des Parlaments und allgemeiner das der Gemeinschaft an einer rechtmäßigen Zusammensetzung des Parlaments sowie das Interesse der Französischen Republik als des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften die Grundlage für den fraglichen Mandatsverlust bilden, am Fortbestand der streitigen Handlung gewichtige Argumente gegen die Vornahme der beantragten Aussetzung dar.

109 Zudem ist bei der Interessenabwägung im vorliegenden Verfahren zu berücksichtigen, dass der Antragsteller bereits während des gesamten Verfahrens vor dem Gericht, also für über zwei Jahre, in den Genuss einer Aussetzung des Vollzugs der streitigen Handlung gekommen ist.

110 Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass der Richter der einstweiligen Anordnung das unterschiedliche Gewicht der Rechtsmittelgründe, die geltend gemacht werden, um einen Fumus boni iuris darzutun, bei seiner Beurteilung der Dringlichkeit und gegebenenfalls der Interessenabwägung berücksichtigen kann (in diesem Sinne auch Beschluss Österreich/Rat, Randnr. 110, und Beschluss vom 11. April 2002 in der Rechtssache C-481/01 P[R], NDC Health/IMS Health und Kommission, Slg. 2002, I-3401, Randnr. 63).

111 Unter diesen Umständen ist in Ermangelung von Rechtsmittelgründen und Argumenten von solchem Gewicht, dass sich aus ihnen ein besonders stark ausgeprägter Fumus boni iuris ergeben würde, der Vollzug der streitigen Handlung nicht auszusetzen.

112 Folglich ist der Antrag auf einstweilige Anordnung zurückzuweisen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER PRÄSIDENT DES GERICHTSHOFES

beschlossen:

1. Der Antrag auf einstweilige Anordnung wird zurückgewiesen.

2. Die Entscheidung über die Kosten bleibt vorbehalten.

Ende der Entscheidung

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