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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 23.03.2006
Aktenzeichen: C-209/04
Rechtsgebiete: Richtlinie 79/409/EWG, Richtlinie 92/43/EWG


Vorschriften:

Richtlinie 79/409/EWG Art. 4 Abs. 1
Richtlinie 79/409/EWG Art. 4 Abs. 2
Richtlinie 92/43/EWG Art. 6 Abs. 4
Richtlinie 92/43/EWG Art. 7
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

URTEIL DES GERICHTSHOFES (Zweite Kammer)

23. März 2006

"Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Richtlinie 79/409/EWG - Erhaltung der wild lebenden Vogelarten - Wachtelkönig - BSG des nationalen Landschaftsschutzgebiets Lauteracher Ried - Ausschluss der Gebiete Soren und Gleggen-Köblern - Richtlinie 92/43/EWG - Erhaltung der natürlichen Lebensräume - Wild lebende Tiere und Pflanzen - Verfahren betreffend einen Bauplan oder ein Bauvorhaben - Trassenfestlegungsverfahren für eine Schnellstraße - Verfahren zur Prüfung der Umweltverträglichkeit - Verfahrensfehler im Zusammenhang mit dem Bauvorhaben Bundesschnellstraße S18 in Österreich - Zeitliche Geltung der Richtlinie 92/43"

Parteien:

In der Rechtssache C-209/04

betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Artikel 226 EG, eingereicht am 12. Mai 2004,

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch M. van Beek und B. Schima als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin,

gegen

Republik Österreich, vertreten durch E. Riedl und J. Müller sowie K. Humer als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans sowie der Richter R. Schintgen, P. Kuris (Berichterstatter), G. Arestis und J. Klucka,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: K. Sztranc, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 6. Oktober 2005,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 27. Oktober 2005

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Mit ihrer Klageschrift beantragt die Kommission der Europäischen Gemeinschaften beim Gerichtshof die Feststellung, dass die Republik Österreich gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 4 Absätze 1 und 2 der Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 2. April 1979 über die Erhaltung der wild lebenden Vogelarten (ABl. L 103, S. 1) in ihrer durch die Richtlinie 97/49/EG der Kommission vom 29. Juli 1997 (ABl. L 223, S. 9) geänderten Fassung (im Folgenden: Vogelrichtlinie) und aus Artikel 6 Absatz 4 in Verbindung mit Artikel 7 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen (ABl. L 206, S. 7, im Folgenden: Habitatrichtlinie) verstoßen hat, indem sie

- mit den Gebieten Soren und Gleggen-Köblern Teilgebiete, die nach wissenschaftlichen Kriterien zusammen mit dem ausgewiesenen BSG (im Folgenden: BSG) des nationalen Landschaftsschutzgebiets Lauteracher Ried (im Folgenden: Lauteracher Ried) zu den zahlen- und flächenmäßig geeignetsten Gebieten nach Artikel 4 Absätze 1 und 2 der Vogelrichtlinie zählen, nicht in dieses BSG aufgenommen hat und

- bei der Bewilligung des Straßenbauvorhabens Bundesschnellstraße Bodensee S18 (im Folgenden: S18) die Erfordernisse, die gemäß Artikel 6 Absatz 4 der Habitatrichtlinie für den Fall der Vorhabensdurchführung bei Vorliegen eines negativen Ergebnisses der Verträglichkeitsprüfung des Vorhabens gelten, nicht korrekt und vollständig eingehalten hat.

Rechtlicher Rahmen

Die Akte über den Beitritt der Republik Österreich zur Europäischen Union

2 Die Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge (ABl. 1994, C 241, S. 21 und ABl. 1995, L 1, S. 1; im Folgenden: Beitrittsakte) ist am 24. Juni 1994 unterzeichnet worden und am 1. Januar 1995 in Kraft getreten.

3 Nach Artikel 2 der Beitrittsakte sind "[a]b dem Beitritt ... die ursprünglichen Verträge und die vor dem Beitritt erlassenen Rechtsakte der Organe für die neuen Mitgliedstaaten verbindlich und gelten in diesen Staaten nach Maßgabe der genannten Verträge und dieser Akte".

4 Artikel 168 der Beitrittsakte bestimmt:

"Sofern in der Liste des Anhangs XIX oder in anderen Bestimmungen dieser Akte nicht eine Frist vorgesehen ist, setzen die neuen Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen in Kraft, um den Richtlinien und Entscheidungen im Sinne des Artikels 189 des EG-Vertrags und des Artikels 161 des Euratom-Vertrags sowie den Empfehlungen und Entscheidungen im Sinne des Artikels 14 des EGKS-Vertrags vom Beitritt an nachzukommen."

Die Vogelrichtlinie

5 Die Vogelrichtlinie betrifft nach ihrem Artikel 1 Absatz 1 "die Erhaltung sämtlicher wild lebenden Vogelarten, die im europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten, auf welches der Vertrag Anwendung findet, heimisch sind. Sie hat den Schutz, die Bewirtschaftung und die Regulierung dieser Arten zum Ziel und regelt die Nutzung dieser Arten."

6 Der Wachtelkönig (crex crex) ist eine Art, die durch die Richtlinie 85/411/EWG der Kommission vom 25. Juli 1985 zur Änderung der Richtlinie 79/409 (ABl. L 233, S. 33) in Anhang I der Vogelrichtlinie (im Folgenden: Anhang I) aufgenommen wurde.

7 Artikel 4 der Vogelrichtlinie sieht vor:

"(1) Auf die in Anhang I aufgeführten Arten sind besondere Schutzmaßnahmen hinsichtlich ihrer Lebensräume anzuwenden, um ihr Überleben und ihre Vermehrung in ihrem Verbreitungsgebiet sicherzustellen.

In diesem Zusammenhang ist Folgendes zu berücksichtigen:

a) vom Aussterben bedrohte Arten,

b) gegen bestimmte Veränderungen ihrer Lebensräume empfindliche Arten,

c) Arten, die wegen ihres geringen Bestands oder ihrer beschränkten örtlichen Verbreitung als selten gelten,

d) andere Arten, die aufgrund des spezifischen Charakters ihres Lebensraums einer besonderen Aufmerksamkeit bedürfen.

Bei den Bewertungen werden Tendenzen und Schwankungen der Bestände der Vogelarten berücksichtigt.

Die Mitgliedstaaten erklären insbesondere die für die Erhaltung dieser Arten zahlen- und flächenmäßig geeignetsten Gebiete zu Schutzgebieten, wobei die Erfordernisse des Schutzes dieser Arten in dem geografischen Meeres- und Landgebiet, in dem diese Richtlinie Anwendung findet, zu berücksichtigen sind.

(2) Die Mitgliedstaaten treffen unter Berücksichtigung der Schutzerfordernisse in dem geografischen Meeres- und Landgebiet, in dem diese Richtlinie Anwendung findet, entsprechende Maßnahmen für die nicht in Anhang I aufgeführten, regelmäßig auftretenden Zugvogelarten hinsichtlich ihrer Vermehrungs-, Mauser- und Überwinterungsgebiete sowie der Rastplätze in ihren Wanderungsgebieten. ...

...

(4) Die Mitgliedstaaten treffen geeignete Maßnahmen, um die Verschmutzung oder Beeinträchtigung der Lebensräume sowie die Belästigung der Vögel, sofern sich diese auf die Zielsetzungen dieses Artikels erheblich auswirken, in den [in den] Absätzen 1 und 2 genannten Schutzgebieten zu vermeiden. Die Mitgliedstaaten bemühen sich ferner, auch außerhalb dieser Schutzgebiete die Verschmutzung oder Beeinträchtigung der Lebensräume zu vermeiden."

Die Habitatrichtlinie

8 Artikel 6 Absätze 3 und 4 Unterabsatz 1 der Habitatrichtlinie bestimmt:

"(3) Pläne oder Projekte, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung des Gebietes in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind, die ein solches Gebiet jedoch einzeln oder in Zusammenwirkung mit anderen Plänen und Projekten erheblich beeinträchtigen könnten, erfordern eine Prüfung auf Verträglichkeit mit den für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungszielen. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung und vorbehaltlich des Absatzes 4 stimmen die zuständigen einzelstaatlichen Behörden dem Plan bzw. Projekt nur zu, wenn sie festgestellt haben, dass das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt wird, und nachdem sie gegebenenfalls die Öffentlichkeit angehört haben.

(4) Ist trotz negativer Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art ein Plan oder Projekt durchzuführen und ist eine Alternativlösung nicht vorhanden, so ergreift der Mitgliedstaat alle notwendigen Ausgleichsmaßnahmen, um sicherzustellen, dass die globale Kohärenz von Natura 2000 geschützt ist. Der Mitgliedstaat unterrichtet die Kommission über die von ihm ergriffenen Ausgleichsmaßnahmen."

9 Artikel 7 dieser Richtlinie sieht vor:

"Was die nach Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie 79/409/EWG zu BSGen erklärten oder nach Artikel 4 Absatz 2 derselben Richtlinie als solche anerkannten Gebiete anbelangt, so treten die Verpflichtungen nach Artikel 6 Absätze 2, 3 und 4 der vorliegenden Richtlinie ab dem Datum für die Anwendung der vorliegenden Richtlinie bzw. danach ab dem Datum, zu dem das betreffende Gebiet von einem Mitgliedstaat entsprechend der Richtlinie 79/409/EWG zum BSG erklärt oder als solches anerkannt wird, an die Stelle der Pflichten, die sich aus Artikel 4 Absatz 4 Satz 1 der Richtlinie 79/409/EWG ergeben."

Vorgeschichte des Rechtsstreits

10 Das Lauteracher Ried liegt im Land Vorarlberg. Nach dem Beitritt der Republik Österreich zur Europäischen Union gab die österreichische Regierung am 7. Juni 1995 der Kommission erstmals die Ausweisung dieses Landschaftsschutzgebiets als BSG bekannt und legte danach ergänzende Unterlagen vor. Die Gebiete Soren und Gleggen-Köblern gehören nicht zu diesem BSG.

11 Das Trassenfestlegungsverfahren für das Straßenbauvorhaben S18 wurde 1992 eingeleitet. Nach einer Verhandlung am 29. April 1992 mit der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn wurde das Vorhaben vollständig überarbeitet, um dem Gutachten des Amtssachverständigen für Natur- und Landschaftsschutz des Landes Vorarlberg Rechnung zu tragen. Das Auflage- und Anhörungsverfahren zur Festlegung des Verlaufs dieser Straße wurde am 8. März 1994 auf der Grundlage des Bundesstraßengesetzes 1971 eingeleitet. Es wurde mit der Festlegung der Trasse durch Verordnung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 8. April 1997 abgeschlossen. In diesem Stadium des Vorhabens waren die österreichischen Behörden zu dem Ergebnis gekommen, dass es keine Ersatzstreckenführung für die S18 gebe.

12 Am 27. Januar 1999 wurde das Baubewilligungsverfahren für diese Straße eingeleitet. Mit Bescheid vom 6. Juli 2001 wurde das Bauvorhaben S18 von den Bezirkshauptmannschaften Bregenz und Dornbirn nach dem Recht des Landes Vorarlberg genehmigt. In Anbetracht der genannten Verordnung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten konnte mit diesem Bescheid keine andere Trasse als die festgestellte beschlossen werden.

13 Der genannte Bescheid war Gegenstand einer Berufung bei der Landesregierung Vorarlberg. Diese erließ am 21. Februar 2003 eine den Bescheid bestätigende Entscheidung, deren Vollstreckung am 29. August 2003 vom Verwaltungsgerichtshof ausgesetzt wurde. Die Durchführung des Straßenbauvorhabens S18 ruht gegenwärtig.

Vorverfahren

14 Auf eine Beschwerde hin richtete die Kommission am 12. November 2001 ein Schreiben an die österreichischen Behörden betreffend die aus ornithologischer Sicht unzureichende Ausweisung des BSG Lauteracher Ried, die zu befürchtenden negativen Auswirkungen des Straßenbauvorhabens S18 auf den Wachtelkönig und die sonstigen zu schützenden Vogelpopulationen in diesem Gebiet sowie weitere mit dem Schutz dieses Gebietes in Zusammenhang stehende Fragen.

15 Nach Überprüfung des am 1. Februar 2002 an die Kommission gerichteten Antwortschreibens der österreichischen Regierung sandte die Kommission am 27. Juni 2002 ein Mahnschreiben an die Republik Österreich. Da die Erklärungen der österreichischen Regierung die Kommission nicht zufrieden stellten, erließ diese am 11. Juli 2003 eine mit Gründen versehene Stellungnahme, in der sie den Mitgliedstaat aufforderte, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um der Stellungnahme binnen zwei Monaten nach ihrer Zustellung nachzukommen.

16 Da die Kommission das Vorbringen der Republik Österreich in deren Antwortschreiben vom 26. September 2003 auf die mit Gründen versehene Stellungnahme nicht für überzeugend hielt und von einem Fortbestehen der beanstandeten Vertragsverletzung ausging, hat sie die vorliegende Klage erhoben.

Zur Klage

17 Die Kommission stützt ihre Klage auf zwei Rügen. Sie wirft der Republik Österreich erstens vor, Artikel 4 Absätze 1 und 2 der Vogelrichtlinie in Bezug auf das Verfahren zur Auswahl und Ausweisung eines BSG nicht beachtet zu haben. Zweitens macht sie geltend, bei der Genehmigung des Straßenbauvorhabens S18 sei den Anforderungen des Artikels 6 Absatz 4 der Habitatrichtlinie nicht nachgekommen worden.

Zur ersten Rüge: Nichtbeachtung von Artikel 4 Absätze 1 und 2 der Vogelrichtlinie

Vorbringen der Parteien

18 Mit ihrer ersten Rüge macht die Kommission geltend, die gegenwärtige Ausweisung und Abgrenzung des BSG Lauteracher Ried entsprächen nicht den Erfordernissen des Schutzes und der nachhaltigen Erhaltung der in diesem Gebiet vorkommenden Vogelarten, insbesondere des Wachtelkönigs und anderer wiesenbrütender Zugvogelarten. Um den Anforderungen des Artikels 4 Absätze 1 und 2 der Vogelrichtlinie zu genügen, müsse der Raum dieses BSG auf die Gebiete Soren und Gleggen-Köblern erweitert werden.

19 Die Kommission bringt für ihre Rüge zunächst vor, dass der entscheidende Anhaltspunkt für die Abgrenzung des BSG das Vorkommen der schützenswerten Vogelarten sei. Nach den wissenschaftlichen Informationen und den Ergebnissen der in den Jahren 2000 bis 2002 durchgeführten Überwachungen seien die genannten Gebietsteile nicht nur Vorkommensgebiete, sondern auch Teil des zentralen Brutgebiets des Wachtelkönigs und anderer wiesenbrütender Zugvögel. Hervorzuheben sei auch, dass die Wiesen im und um das Lauteracher Ried in Bezug auf den Vogelschutz einen einheitlichen, strukturell besonders geeigneten Lebensraum böten und von denselben Vogelpopulationen genutzt würden. Außerdem bildeten die im Vorarlberger Rheintal vorkommenden Wachtelkönige eine Population von Vögeln, die in engem Kontakt miteinander stünden.

20 Weiters erschöpfe sich die Verpflichtung, alle Gegenden zu BSG zu erklären, die nach ornithologischen Kriterien am geeignetsten erschienen, nicht in der erstmaligen Ausweisung. Das Ziel der Erhaltung gefährdeter Arten mache es vielmehr erforderlich, eine Gebietsausweisung im Licht neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse zu überprüfen und gegebenenfalls eine neue Grenzziehung des bestehenden BSG vorzunehmen.

21 Schließlich ändere die Tatsache, dass die Republik Österreich die Gebiete Bangs und Matschels, die ebenfalls im Land Vorarlberg lägen und die Erhaltung des Wachtelkönigs sicherstellen sollten, als Schutzgebiet ausgewiesen habe, nichts an der Verpflichtung des Mitgliedstaats, dies auch für die an das ausgewiesene BSG grenzenden Gebietsteile Soren und Gleggen-Köblern zu tun.

22 Die Republik Österreich bringt vor, die gegenwärtige Abgrenzung des BSG Lauteracher Ried entspreche den Anforderungen der Vogelrichtlinie an den Schutz und die Erhaltung des Wachtelkönigs und der im Vorarlberger Rheintal regelmäßig vorkommenden Zugvogelarten in optimaler Weise.

23 Sie sei ihren Verpflichtungen aus der Vogelrichtlinie durch die Abgrenzung des genannten BSG gemeinsam mit dem Flora-, Fauna-, Habitat- und Vogelschutzgebiet Bangs und Matschels nachgekommen und habe damit die zahlen- und flächenmäßig geeignetsten Gebiete des Vorarlberger Rheintals für die Erhaltung der in Anhang I aufgeführten Vogelart des Wachtelkönigs sowie der regelmäßig vorkommenden Zugvogelarten zu BSG erklärt und als solche anerkannt.

24 Die Grenzziehungen des BSG beruhten auf dem zur Zeit der Auswahl und Ausweisung dieses Gebietes zur Verfügung stehenden wissenschaftlichen Beweismaterial, das von der Rechtsprechung des Gerichtshofes als verlässlich anerkannt werde und zur Ausweisung nur dieses Gebietes als wichtigstes Wiesenvogelbrutgebiet des Landes Vorarlberg geführt habe.

25 Die Republik Österreich habe sich bei der Klassifizierung dieses Gebietes nur an den ornithologischen bzw. naturschutzfachlichen Aspekten, wie sie sich aus Artikel 4 Absätze 1 und 2 der Vogelrichtlinie ableiten ließen, orientiert. Eine für den Wachtelkönig unabdingbare unberührte natürliche Einheit konzentriere sich im BSG Lauteracher Ried, erstrecke sich aber nicht auf die in den Gebieten Soren und Gleggen-Köblern vorkommenden Streuwiesen.

26 Für die Bestimmung der geeignetsten Gebiete seien mehrere Kriterien zu prüfen, u. a. der Umstand, dass in einem bestimmten Gebiet oder Gebietsteil Vögel beider Kategorien anzutreffen seien. Letzteres sei aber für die Erfüllung der Anforderungen der Vogelrichtlinie nicht allein ausschlaggebend. Um zu den geeignetsten Gebieten im Sinne dieser Richtlinie zu gehören, müsse das Gebiet zugleich weiteren ornithologischen bzw. naturschutzfachlichen Aspekten genügen. Auch sei zu ermitteln und zu beurteilen, ob dieses Gebiet flächen- und zahlenmäßig sowie von seinem Zustand und seiner Umgebung her geeignet sei. Gemeint seien insoweit bereits vorhandene Beeinträchtigungen eines Gebietes durch Freizeitaktivitäten, das Bewirtschaftungssystem oder sonstige Gegebenheiten und die dadurch bewirkte Verschlechterung des Lebensraums. Aufgrund der Vorbelastung sowie der gegenwärtigen Qualität der beiden Gebiete Soren und Gleggen-Köblern entsprächen diese nicht den maßgeblichen Kriterien der Vogelrichtlinie für eine Ausweisung als BSG.

27 In diesem Zusammenhang weist die Republik Österreich darauf hin, dass im Rahmen der Beurteilung der flächenmäßigen Eignung eines Gebietes eine zumindest mittelbare Berücksichtigung von wirtschaftlichen und sozialen Belangen eine Rolle spielen könne, und unterstreicht, dass dies bei Eingriffen in die Rechtssphäre Einzelner der Fall sei.

28 Die Rüge, dass die Republik Österreich das BSG Lauteracher Ried nachträglich hätte ändern und ständig anpassen müssen, entbehre einer Rechtsgrundlage. Eine solche Verpflichtung könnte sich als mit dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung schwer vereinbar und als im Widerspruch zur Rechtsprechung des Gerichtshofes stehend erweisen.

29 Außerdem seien die Gebiete Soren und Gleggen-Köblern, auch wenn sie nicht zu den geeignetsten Gebieten im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 Unterabsatz 4 der Vogelrichtlinie gehörten, dennoch nicht völlig schutzlos. Sie seien im Rahmen des Berufungsverfahrens über das Straßenbauvorhaben S18 nämlich der Schutzregelung des Absatzes 4 Satz 2 dieses Artikels unterworfen worden.

Würdigung durch den Gerichtshof

30 Für die Entscheidung dieses Rechtsstreits ist vorab auf die Grundsätze in Bezug auf die nach der Vogelrichtlinie bestehenden Verpflichtungen der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Auswahl und Ausweisung von BSG hinzuweisen.

31 Nach Artikel 4 Absatz 1 Unterabsatz 4 dieser Richtlinie müssen die Mitgliedstaaten die für die Erhaltung der in Anhang I aufgeführten geschützten Arten zahlen- und flächenmäßig geeignetsten Gebiete zu BSG erklären. Dabei müssen sie die Erfordernisse des Schutzes dieser Arten in dem geografischen Meeres- und Landgebiet, in dem diese Richtlinie Anwendung findet, berücksichtigen. Nach Absatz 2 dieses Artikels müssen sie entsprechende Maßnahmen für die nicht in Anhang I aufgeführten regelmäßig auftretenden Zugvogelarten hinsichtlich ihrer Vermehrungs-, Mauser- und Überwinterungsgebiete sowie der Rastplätze in ihren Wanderungsgebieten treffen.

32 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes verpflichtet Artikel 4 Absätze 1 und 2 der Vogelrichtlinie die Mitgliedstaaten dazu, ein BSG mit einem rechtlichen Schutzstatus auszustatten, der geeignet ist, u. a. das Überleben und die Vermehrung der in Anhang I aufgeführten Vogelarten sowie die Vermehrung, die Mauser und die Überwinterung der nicht in Anhang I aufgeführten, regelmäßig auftretenden Zugvogelarten sicherzustellen (vgl. Urteil vom 18. März 1999 in der Rechtssache C-166/97, Kommission/Frankreich, Slg. 1999, I-1719, Randnr. 21 und die dort zitierte Rechtsprechung).

33 Außerdem hat der Gerichtshof entschieden, dass sich der Ermessensspielraum der Mitgliedstaaten bei der Auswahl der Gebiete, die für die Ausweisung als BSG am geeignetsten sind, nicht darauf bezieht, diejenigen Gebiete zu BSG zu erklären, die nach ornithologischen Kriterien am geeignetsten erscheinen, sondern nur auf die Anwendung dieser Kriterien für die Bestimmung der Gebiete, die für die Erhaltung der in Anhang I aufgeführten Arten am geeignetsten sind (vgl. u. a. Urteil vom 19. Mai 1998 in der Rechtssache C-3/96, Kommission/Niederlande, Slg. 1998, I-3031, Randnr. 61).

34 Ferner ist darauf hinzuweisen, dass nach den Ergebnissen wissenschaftlicher Studien und einer Überwachung, die von der Kommission im Lauf des Verfahrens vorgelegt und von der österreichischen Regierung nicht bestritten worden sind, in den Jahren 2000 bis 2002 jeweils 4 oder 5, 4 und 3 rufende Wachtelkönigmännchen im BSG Lauteracher Ried beobachtet worden sind, das eine Fläche von 580 Hektar hat. Die Beobachtungen in den Gebieten Soren und Gleggen-Köblern, die 64 bzw. 352 Hektar umfassen, lagen mit jeweils 4, 2 und 3 entdeckten Vögeln nur leicht darunter.

35 Wie außerdem die Kommission ebenfalls unwidersprochen ausgeführt hat, brüteten im Jahr 2001 Zugvögel der Arten Bekassine (gallinago gallinago), Kiebitz (vanellus vanellus) und Großer Brachvogel (numenius arquata) sogar in größerer Zahl in den beiden von den österreichischen Behörden nicht als BSG ausgewiesenen Gebieten. Die Zahl der Brutpaare betrug im BSG Lauteracher Ried 3 bis 5 bei den Bekassinen, 11 oder 12 bei den Kiebitzen und 3 bei den Großen Brachvögeln. In den Gebieten Soren und Gleggen-Köblern belief sie sich auf 3 und 3 oder 4 bei den Bekassinen, 6 und 9 bei den Kiebitzen sowie 1 (wahrscheinlich) und 8 bei den Großen Brachvögeln.

36 Daraus folgt, wie die Generalanwältin in Nummer 32 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, dass die Gebiete Soren und Gleggen-Köblern sowohl für den Wachtelkönig als auch für nicht in Anhang I aufgeführte Zugvogelarten wie die Bekassine, den Kiebitz und den Großen Brachvogel zumindest von vergleichbarer Bedeutung wie die Flächen innerhalb des BSG Lauteracher Ried sind. Außerdem werden die von der österreichischen Regierung im Standarddatenbogen angegebenen Zahlen bei diesen drei letztgenannten Zugvogelarten nur erreicht, wenn auch die Teilflächen außerhalb des genannten BSG berücksichtigt werden.

37 Zum Vorbringen der österreichischen Regierung, dass die Gebiete Soren und Gleggen-Köblern aufgrund der bestehenden Vorbelastung sowie ihres Zustands und ihrer gegenwärtigen Qualität nicht die geeignetsten Gebiete für den Schutz der vorstehend genannten Vogelarten seien, genügt der Hinweis, dass sie, wie oben in den Randnummern 34 und 35 ausgeführt, auf einer kleineren Fläche als das besagte BSG eine ähnliche Zahl von Brutvögeln beheimaten, wie sie im BSG festgestellt wurde.

38 Somit ist festzustellen, dass die Gebiete Soren und Gleggen-Köblern nach ornithologischen Kriterien zusammen mit dem BSG Lauteracher Ried zu den zahlen- und flächenmäßig geeignetsten Gebieten für eine Ausweisung als BSG gemäß Artikel 4 Absätze 1 und 2 der Vogelrichtlinie gehören.

39 Diese Feststellung kann auch nicht durch das Vorbringen der österreichischen Regierung erschüttert werden, dass bei der notwendigen Beurteilung der Eigenschaften des Gebietes, das als BSG ausgewiesen werden solle, zumindest mittelbar wirtschaftliche und soziale Belange berücksichtigt werden müssten.

40 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes darf ein Mitgliedstaat bei der Auswahl und Abgrenzung eines BSG wirtschaftliche Erfordernisse nämlich weder als Gründe des Gemeinwohls, die Vorrang vor den mit der Vogelrichtlinie verfolgten Umweltbelangen haben, noch als zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses, wie sie in Artikel 6 Absatz 4 Unterabsatz 1 der Habitatrichtlinie genannt sind, berücksichtigen (vgl. u. a. Urteil vom 11. Juli 1996 in der Rechtssache C-44/95, Royal Society for the Protection of Birds, Slg. 1996, I-3805, Randnrn. 31 und 42).

41 Was das Vorbringen der österreichischen Regierung anbelangt, dass die Ergebnisse der Vor-Ort-Überwachung nicht den Schluss erlaubten, dass die Gebiete Soren und Gleggen-Köblern für die Erhaltung der zu schützenden Vogelarten geeignet seien, ist festzustellen, dass darin keine wissenschaftliche Rechtfertigung für die Nichtaufnahme dieser Gebiete in das BSG liegt. Vielmehr muss die Ausweisung dieser Gebiete als BSG den Erhaltungszustand des Wachtelkönigs, einer in Anhang I aufgeführten Art, sowie sonstiger regelmäßig auftretender Zugvogelarten im Einklang mit den Zielen der Vogelrichtlinie sichern.

42 Dem Vorbringen der österreichischen Regierung, dass die Behauptung der Kommission, das BSG Lauteracher Ried müsse geändert und ständig angepasst werden, falsch sei, weil ein solches Erfordernis einer Rechtsgrundlage entbehre, kann nicht gefolgt werden.

43 Denn auch wenn die Verpflichtung zur Ausweisung der als BSG geeignetsten Gebiete für die Republik Österreich unstreitig am 1. Januar 1995 mit ihrem Beitritt zur Europäischen Union volle Wirkung entfaltete, endet eine solche Verpflichtung nicht an diesem Tag. Weder die Vogelrichtlinie noch der Wortlaut ihres Artikels 4 enthalten nämlich den geringsten Hinweis darauf, dass die Wirkungen der Verpflichtung zur Umsetzung dieser Richtlinie mit dem genannten Tag erschöpft waren. Wie außerdem auch die Generalanwältin in Nummer 39 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, wäre es mit dem Ziel wirksamen Vogelschutzes kaum vereinbar, herausragende Gebiete für die Erhaltung der zu schützenden Arten nur deshalb nicht unter Schutz zu stellen, weil sich ihre herausragende Eignung erst nach Umsetzung der Vogelrichtlinie herausgestellt hat.

44 Was das Vorbringen der österreichischen Regierung anbelangt, dass sie sich auf die 1995 vom Umweltbundesamt in Zusammenarbeit mit BirdLife durchgeführte Studie Important Bird Areas in Österreich als einzige verlässliche Bestandsaufnahme und wissenschaftliche Bewertung zur Zeit der Auswahl und Ausweisung des Lauteracher Rieds als BSG gestützt habe, genügt die Feststellung, dass die Ausweisungsverpflichtung, wie die Kommission zu Recht geltend macht, nicht durch den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu einem bestimmten Zeitpunkt beschränkt wird.

45 In der Tat ist aus dem Akt ersichtlich, dass weitere ornithologische Studien und Gutachten mit wissenschaftlichem Charakter sowie jüngere Überwachungsergebnisse als diejenigen, aufgrund deren die Ausweisung des BSG Lauteracher Ried erfolgte, vorliegen. Auf der Grundlage dieser Anhaltspunkte, deren Richtigkeit von der Republik Österreich nicht bestritten wird, musste also die Ausweisung dieses BSG überprüft werden.

46 Die Republik Österreich kann sich auch nicht darauf berufen, dass sie durch die Schutzgebietausweisung der Gebiete Bangs und Matschels, in denen der Wachtelkönig ebenfalls vorkommt, einer Ausweisung der Gebiete Soren und Gleggen-Köblern als BSG enthoben wäre.

47 Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, alle Gegenden zu BSG zu erklären, die nach ornithologischen Kriterien am geeignetsten für die Erhaltung der betreffenden Arten erscheinen (vgl. u. a. Urteil Kommission/Niederlande, Randnr. 62).

48 Zum Vorbringen der österreichischen Regierung betreffend den Umstand, dass die Gebiete Soren und Gleggen-Köblern nicht völlig schutzlos seien, genügt schließlich der Hinweis, dass Artikel 4 Absatz 1 der Vogelrichtlinie die Mitgliedstaaten verpflichtet, diejenigen Gebiete zu BSG zu erklären, die für die Erhaltung der in Anhang I genannten Arten zahlen- und flächenmäßig am geeignetsten sind, und dass diese Verpflichtung nicht durch den Erlass anderer besonderer Erhaltungsmaßnahmen umgangen werden kann (Urteil Kommission/Niederlande, Randnr. 55).

49 Nach alledem ist die erste Rüge der Kommission begründet.

Zur zweiten Rüge: Nichtbeachtung der Anforderungen des Artikels 6 Absatz 4 der Habitatrichtlinie

50 Mit ihrer zweiten Rüge macht die Kommission geltend, die Republik Österreich sei den Verpflichtungen aus Artikel 6 Absatz 4 in Verbindung mit Artikel 7 der Habitatrichtlinie bei der Genehmigung des Straßenbauvorhabens S18 hinsichtlich der für das BSG Lauteracher Ried festgesetzten Erfordernisse zum Schutz von Biotopen und Lebensräumen nicht nachgekommen.

51 Die Kommission führt zunächst aus, vor dem Mai 2000 habe keine konkrete und detaillierte Prüfung im Einklang mit den Zielen der Vogelrichtlinie stattgefunden. Als die Verträglichkeitsprüfung im Mai 2000 zu einer ablehnenden Stellungnahme des Amtssachverständigen des Landes Vorarlberg wegen der Auswirkungen des Straßenbauvorhabens S18 auf das BSG geführt habe, sei keine Untersuchung eingeleitet worden, um zu prüfen, ob Ersatzlösungen für die Trasse dieser Straße vorstellbar seien. Sodann weist die Kommission darauf hin, dass sie nach Erlass des Baugenehmigungsbescheids am 6. Juli 2001 nicht unmittelbar über die Ausgleichsmaßnahmen unterrichtet worden sei, die ergriffen worden seien, um den negativen Auswirkungen des Baus abzuhelfen. Schließlich macht sie geltend, es sei auch nicht erwiesen, dass alle Ausgleichsmaßnahmen, die zur Sicherstellung der globalen Kohärenz von Natura 2000 notwendig seien, tatsächlich getroffen worden seien.

52 Die Republik Österreich widerspricht sämtlichen Klagegründen, auf die die Kommission ihre zweite Rüge stützt.

Zur zeitlichen Geltung der Habitatrichtlinie

53 Da, wie aus Randnummer 11 des vorliegenden Urteils ersichtlich ist, der Sachverhalt in Bezug auf das Straßenbauvorhaben S18 zeitlich z. T. vor dem Beitritt der Republik Österreich zur Europäischen Union liegt, ist vor der Entscheidung über die Rüge eines Verstoßes gegen die Habitatrichtlinie zu prüfen, ob diese auf den Sachverhalt des Rechtsstreits anwendbar ist, der zur Klage der Kommission geführt hat.

54 Insoweit steht fest, dass mit dem Straßenbauvorhaben S18 im Jahr 1992 begonnen wurde. Das Verfahren wurde nach einer Unterbrechung am 8. März 1994 wieder aufgenommen, als das genannte Vorhaben auf der Grundlage des Bundesstraßengesetzes 1971 förmlich aufgelegt und einem Prüfungsverfahren unterzogen wurde.

55 Außerdem geht aus dem Akt hervor, dass im selben Jahr, also vor dem Beitritt der Republik Österreich zur Europäischen Union am 1. Januar 1995, das globale Bundesfachgutachten veröffentlicht wurde.

56 Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes ergibt sich, dass der Grundsatz, nach dem Vorhaben, bei denen mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist, einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden müssen, dann nicht gilt, wenn das Datum der förmlichen Stellung des Antrags auf Genehmigung eines Vorhabens vor dem Datum liegt, an dem die Frist für die Umsetzung einer Richtlinie abläuft (vgl. zur Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten [ABl. L 175, S. 40] Urteile vom 11. August 1995 in der Rechtssache C-431/92, Kommission/Deutschland, Slg. 1995, I-2189, Randnrn. 29 und 32, sowie vom 18. Juni 1998 in der Rechtssache C-81/96, Gedeputeerde Staten van Noord-Holland, Slg. 1998, I-3923, Randnr. 23).

57 Nur dieses formale Kriterium entspricht nämlich nach Auffassung des Gerichtshofes dem Grundsatz der Rechtssicherheit und ist geeignet, die praktische Wirksamkeit einer Richtlinie zu erhalten. Der Grund hierfür ist, dass eine Richtlinie wie die Habitatrichtlinie überwiegend Projekte größeren Umfangs betrifft, deren Durchführung sehr häufig viel Zeit erfordert. Es wäre nicht angebracht, dass Verfahren, die bereits auf nationaler Ebene komplex sind und die vor Ablauf der Frist für die Umsetzung dieser Richtlinie förmlich eingeleitet wurden, durch die spezifischen Anforderungen der Richtlinie noch zusätzlich belastet und verzögert und bereits entstandene Rechtspositionen beeinträchtigt werden (vgl. entsprechend Urteil Gedeputeerde Staten van Noord-Holland, Randnrn. 23 und 24).

58 Die Richtlinie 85/337 und die Habitatrichtlinie betreffen aber beide die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten. In beiden Fällen liegt das Prüfungsverfahren vor der endgültigen Entscheidung über das Vorhaben. Die Ergebnisse dieser Prüfung sind bei der Entscheidung über das Vorhaben zu berücksichtigen, das nach Maßgabe dieser Ergebnisse geändert werden kann. Die einzelnen Abschnitte der Prüfung eines Vorhabens sind so miteinander verbunden, dass sie einen komplexen Vorgang bilden. Der Umstand, dass sich bestimmte Vorschriften inhaltlich unterscheiden, kann diese Beurteilung nicht in Frage stellen. Daraus folgt, dass für die Würdigung der Rüge der Zeitpunkt maßgeblich ist, an dem das Vorhaben förmlich aufgelegt worden ist, also der oben in Randnummer 54 genannte Zeitpunkt.

59 Sodann ist darauf hinzuweisen, dass nach den Bestimmungen der jeweiligen Beitrittsakte die aus dem Gemeinschaftsrecht folgenden Rechte und Pflichten für die neuen Mitgliedstaaten von Ausnahmen abgesehen mit dem Beitritt gelten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Januar 2002 in der Rechtssache C-179/00, Weidacher, Slg. 2002, I-501, Randnr. 18).

60 Aus der Beitrittsakte ergibt sich, dass die Verpflichtungen aus der Vogel- und der Habitatrichtlinie für die Republik Österreich seit dem 1. Januar 1995 gelten und dass weder eine Ausnahme gemacht noch dem Mitgliedstaat eine Übergangszeit eingeräumt wurde.

61 Es ist also festzustellen, dass das Verfahren zur Genehmigung des Straßenbauvorhabens S18 vor dem Beitritt der Republik Österreich zur Europäischen Union förmlich eingeleitet worden ist.

62 Daraus folgt, dass gemäß der oben in Randnummer 56 zitierten Rechtsprechung die Verpflichtungen aus der Habitatrichtlinie im vorliegenden Fall für die Republik Österreich nicht galten und das Straßenbauvorhaben S18 nicht den Vorgaben dieser Richtlinie unterlag.

63 Nach alledem ist die zweite Rüge der Kommission nicht begründet.

64 Folglich ist festzustellen, dass die Republik Österreich gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 4 Absätze 1 und 2 der Vogelrichtlinie verstoßen hat, indem sie mit den Gebieten Soren und Gleggen-Köblern Teilgebiete, die nach wissenschaftlichen Kriterien zusammen mit dem BSG Lauteracher Ried zu den zahlen- und flächenmäßig geeignetsten Gebieten nach den genannten Bestimmungen dieser Richtlinie zählen, nicht in dieses BSG aufgenommen hat.

Kostenentscheidung:

Kosten

65 Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Gemäß Artikel 69 § 3 Absatz 1 der Verfahrensordnung kann der Gerichtshof jedoch die Kosten teilen oder beschließen, dass jede Partei ihre eigenen Kosten trägt, wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt oder wenn ein außergewöhnlicher Grund gegeben ist. Da die Kommission und die Republik Österreich mit ihrem Vorbringen jeweils zum Teil unterlegen sind, ist zu entscheiden, dass sie jeweils ihre eigenen Kosten tragen.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Republik Österreich hat gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 4 Absätze 1 und 2 der Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 2. April 1979 über die Erhaltung der wild lebenden Vogelarten in der durch die Richtlinie 97/49/EG der Kommission vom 29. Juli 1997 geänderten Fassung verstoßen, indem sie mit den Gebieten Soren und Gleggen-Köblern Teilgebiete, die nach wissenschaftlichen Kriterien zusammen mit dem besonderen Schutzgebiet des nationalen Landschaftsschutzgebiets Lauteracher Ried zu den zahlen- und flächenmäßig geeignetsten Gebieten nach den genannten Bestimmungen dieser Richtlinie zählen, nicht in dieses BSG aufgenommen hat.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften und die Republik Österreich tragen jeweils ihre eigenen Kosten.



Ende der Entscheidung

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