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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 13.07.1995
Aktenzeichen: C-341/93
Rechtsgebiete: Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen in der Fassung des Übereinkommens vom 9. Oktober 1978 über den Beitritt des Königreichs


Vorschriften:

Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen in der Fassung des Übereinkommens vom 9. Oktober 1978 über den Beitritt des Königreichs Art. 6 Nr. 3
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Zweck des Artikels 6 Nr. 3 des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen in der Fassung des Übereinkommens vom 9. Oktober 1978 über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland und in der Fassung des Übereinkommens vom 25. Oktober 1982 über den Beitritt der Republik Griechenland ist es, die Voraussetzungen aufzuführen, unter denen ein Gericht für die Entscheidung über eine Klage auf gesonderte Verurteilung zuständig ist. Daher gilt er nur für eine Klage des Beklagten auf gesonderte Verurteilung. Er gilt nicht für den Fall, daß ein Beklagter eine Forderung gegenüber dem Kläger als blosses Verteidigungsmittel geltend macht. Die Verteidigungsmittel, die geltend gemacht werden können, und die Voraussetzungen, unter denen dies geschehen kann, bestimmen sich nach nationalem Recht.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 13. JULI 1995. - DANVAERN PRODUCTION A/S GEGEN SCHUHFABRIKEN OTTERBECK GMBH & CO. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: VESTRE LANDSRET - DAENEMARK. - BRUESSELER UEBEREINKOMMEN - BESONDERE ZUSTAENDIGKEITEN - ARTIKEL 6 NR. 3 - BEGRIFF DER WIDERKLAGE - AUFRECHNUNG. - RECHTSSACHE C-341/93.

Entscheidungsgründe:

1 Das Vestre Landsret (Dänemark) hat mit Entscheidung vom 30. Juni 1993, eingetragen in das Register der Kanzlei des Gerichtshofes am 5. Juli 1993, gemäß dem Protokoll vom 3. Juni 1971 betreffend die Auslegung des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen durch den Gerichtshof (ABl. 1972, L 299, S. 32) in der Fassung des Übereinkommens vom 9. Oktober 1978 über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland (ABl. L 304, S. 1 und ° geänderter Text ° S. 77) und in der Fassung des Übereinkommens vom 25. Oktober 1982 über den Beitritt der Republik Griechenland (ABl. L 388, S. 1 und ° geänderter Text ° ABl. 1983, C 97, S. 1) (im folgenden: das Übereinkommen) zwei Fragen nach der Auslegung der Artikel 6 Nr. 3 und 22 des Übereinkommens zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Schuhfabriken Otterbeck GmbH & Co., Klägerin des Ausgangsverfahrens, mit Sitz in Deutschland, und der Danvärn Production A/S, Beklagte des Ausgangsverfahrens, mit Sitz in Dänemark.

3 Aufgrund eines am 10. August 1979 geschlossenen Handelsvertretervertrags wurde die Beklagte zum Handelsvertreter der Klägerin für den Alleinverkauf des Sicherheitsschuhprogramms der Klägerin in Dänemark bestellt.

4 Mit Schreiben vom 22. März 1990 kündigte die Klägerin den Handelsvertretervertrag mit sofortiger Wirkung und führte zur Begründung an, daß sich die Beklagte durch die Entlassung eines bestimmten Angestellten einen schweren Vertrauensbruch habe zuschulden kommen lassen.

5 Am 11. September 1990 erhob die Klägerin beim Byret Brönderslev Klage gegen die Beklagte auf Zahlung von 223 173,39 DKR zuzueglich Zinsen für im Januar und Februar 1990 gelieferte Sicherheitsschuhe.

6 Im Verfahren vor dem Byret erkannte die Beklagte an, daß sie den geforderten Betrag schulde, beantragte jedoch Klageabweisung und gesonderte Verurteilung der Klägerin zur Zahlung von 737 018,34 DKR mit der Begründung, ihr stuenden selbst Forderungen gegen die Klägerin zu, von denen eine auf Schadensersatz wegen rechtsmißbräuchlicher Kündigung des Handelsvertretervertrags gerichtet sei.

7 Mit Urteil vom 26. März 1991 wies das Byret die Forderungen der Beklagten sowohl insoweit, als eine gesonderte Verurteilung, als auch insoweit, als eine Aufrechnung erklärt wurde, mit der Begründung zurück, daß zwischen den Forderungen der Klägerin und denjenigen der Beklagten nicht der in Artikel 6 Nr. 3 des Übereinkommens verlangte Zusammenhang vorliege; diese Bestimmung lautet:

"Eine Person... kann auch verklagt werden:

...

3. wenn es sich um eine Widerklage handelt, die auf denselben Vertrag oder Sachverhalt wie die Klage selbst gestützt wird, vor dem Gericht, bei dem die Klage selbst anhängig ist."

8 Die Beklagte legte gegen dieses Urteil Rechtsmittel zum Vestre Landsret ein. Im Verfahren vor diesem Gericht nahm sie ihren Antrag auf gesonderte Verurteilung zurück und machte nur noch die Aufrechnung gegen einen Betrag von 223 173,39 DKR nebst Zinsen, der dem ursprünglichen Klageantrag der Klägerin entsprach, geltend.

9 Das Vestre Landsret ist der Ansicht, daß der Rechtsstreit eine Frage nach der Auslegung des Übereinkommens aufwerfe.

10 Es hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1) Umfasst Artikel 6 Nr. 3 Gegenforderungen, die zur Aufrechnung gestellt werden?

2) Ist die Wendung "auf denselben Vertrag oder Sachverhalt wie die Klage selbst gestützt" in Artikel 6 Nr. 3 enger zu verstehen als die Wendung "stehen im Sinne dieses Artikels im Zusammenhang" in Artikel 22 Absatz 3 des Übereinkommens?

Zur ersten Frage

11 Mit seiner ersten Frage begehrt das vorlegende Gericht vom Gerichtshof Auskunft über die Anwendbarkeit von Artikel 6 Nr. 3 des Übereinkommens auf einen Sachverhalt, bei dem ein Beklagter, der vor einem zuständigen Gericht verklagt worden ist, der Klage mit einer Forderung entgegentritt, deren er sich gegenüber dem Kläger berühmt.

12 Die nationalen Rechtsordnungen der Vertragsstaaten unterscheiden gemeinhin zwei Situationen. In der ersten beruft sich der Beklagte auf das Bestehen einer Forderung gegenüber dem Kläger, die dessen Forderung ganz oder teilweise zum Erlöschen bringen würde, als Verteidigungsmittel. In der zweiten begehrt der Beklagte mit einer gesonderten Klage in demselben Verfahren die Verurteilung des Klägers auf Begleichung einer ihm gegenüber bestehenden Schuld. Im letztgenannten Fall kann mit der gesonderten Klage ein höherer als der vom Kläger geforderte Betrag verlangt und selbst dann weiterverlangt werden, wenn die Klage des Klägers abgewiesen wird.

13 In prozessualer Hinsicht ist die Verteidigung Bestandteil des vom Kläger in Gang gesetzten Verfahrens und erfordert daher nicht, daß dieser im Sinne von Artikel 6 Nr. 3 des Übereinkommens vor dem mit dem Verfahren befassten Gericht "verklagt" wird. Die Verteidigungsmittel, die geltend gemacht werden können, und die Voraussetzungen, unter denen dies geschehen kann, bestimmen sich nach den Vorschriften des nationalen Rechts.

14 Artikel 6 Nr. 3 des Übereinkommens ist nicht dazu bestimmt, diesen Fall zu regeln.

15 Dagegen setzt eine Klage des Beklagten auf gesonderte Verurteilung des Klägers die Zuständigkeit des vom Kläger angerufenen Gerichts für die Entscheidung über eine solche Klage voraus.

16 Zweck des Artikels 6 Nr. 3 des Übereinkommens ist es gerade, die Voraussetzungen aufzuführen, unter denen ein Gericht für die Entscheidung über eine Klage auf gesonderte Verurteilung zuständig ist.

17 Zwar wird in der dänischen Fassung des Artikels 6 Nr. 3 des Übereinkommens das Wort "modfordringer", ein allgemeiner Ausdruck, der die beiden oben in Randnummer 12 beschriebenen Fälle umfassen kann, verwendet; die Rechtsterminologie anderer Vertragsstaaten erkennt jedoch ausdrücklich den Unterschied zwischen diesen beiden Fällen an. So unterscheidet das französische Recht zwischen "demande reconventionnelle" und "moyens de défense au fond", das englische Recht zwischen "counter-claim" und "set-off as a defence", das deutsche Recht zwischen "Widerklage" und "Prozessaufrechnung" und das italienische Recht zwischen "domanda riconvenzionale" und "eccezione di compensazione". Die einschlägigen Sprachfassungen von Artikel 6 Nr. 3 des Übereinkommens geben aber ausdrücklich die Begriffe "demande reconventionnelle", "counter-claim", "Widerklage" und "domanda riconvenzionale" wieder.

18 Daher ist auf die erste Frage des vorlegenden Gerichts zu antworten, daß Artikel 6 Nr. 3 des Übereinkommens nur für eine Klage des Beklagten auf gesonderte Verurteilung gilt. Er gilt nicht für den Fall, daß ein Beklagter eine Forderung gegenüber dem Kläger als blosses Verteidigungsmittel geltend macht. Die Verteidigungsmittel, die geltend gemacht werden können, und die Voraussetzungen, unter denen dies geschehen kann, bestimmen sich nach nationalem Recht.

Zur zweiten Frage

19 Im Vorlagebeschluß wird ausgeführt, daß sich die zweite Frage nur dann stelle, wenn Artikel 6 Nr. 3 des Übereinkommens auf den Fall Anwendung finde, daß ein Beklagter eine Forderung, deren er sich gegenüber dem Kläger berühme, als Verteidigungsmittel geltend mache. Angesichts der Antwort auf die erste Frage braucht daher die zweite Frage nicht beantwortet zu werden.

Kostenentscheidung:

Kosten

20 Die Auslagen der deutschen Regierung und der Regierung des Vereinigten Königreichs sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

auf die ihm vom Vestre Landsret mit Beschluß vom 30. Juni 1993 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

Artikel 6 Nr. 3 des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen in der Fassung des Übereinkommens vom 9. Oktober 1978 über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland und in der Fassung des Übereinkommens vom 25. Oktober 1982 über den Beitritt der Republik Griechenland gilt nur für eine Klage des Beklagten auf gesonderte Verurteilung. Er gilt nicht für den Fall, daß ein Beklagter eine Forderung gegenüber dem Kläger als blosses Verteidigungsmittel geltend macht. Die Verteidigungsmittel, die geltend gemacht werden können, und die Voraussetzungen, unter denen dies geschehen kann, bestimmen sich nach nationalem Recht.

Ende der Entscheidung

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