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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 17.04.2007
Aktenzeichen: C-470/03
Rechtsgebiete: EG, Richtlinie 98/37/EG


Vorschriften:

EG Art. 234
Richtlinie 98/37/EG
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

17. April 2007

"Richtlinie 98/37/EG - Maßnahmen gleicher Wirkung - Maschinen, deren Übereinstimmung mit der Richtlinie 98/37/EG vermutet wird - Öffentlich geäußerte Kritik eines staatlichen Beamten"

Parteien:

In der Rechtssache C-470/03

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Tampereen käräjäoikeus (Finnland) mit Entscheidung vom 7. November 2003, beim Gerichtshof eingegangen am 11. November 2003, in dem Verfahren

A.G.M.-COS.MET Srl

gegen

Suomen valtio,

Tarmo Lehtinen

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten P. Jann, C. W. A. Timmermans, A. Rosas, K. Lenaerts, des Richters J. N. Cunha Rodrigues, der Richterin R. Silva de Lapuerta und der Richter J. Makarczyk (Berichterstatter), G. Arestis, A. Borg Barthet und M. Ilesic,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 19. April 2005,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

- der A.G.M.-COS.MET Srl, vertreten durch P. Kyllönen, asianajaja,

- von T. Lehtinen, vertreten durch S. Kemppinen und K. Harenko, asianajajat,

- der finnischen Regierung, vertreten durch T. Pynnä als Bevollmächtigte,

- der niederländischen Regierung, vertreten durch H. G. Sevenster und N. A. J. Bel als Bevollmächtigte,

- der schwedischen Regierung, vertreten durch A. Kruse als Bevollmächtigten,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch M. van Beek und P. Aalto als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 17. November 2005

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 98/37/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 1998 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für Maschinen (ABl. L 207, S. 1, im Folgenden: Richtlinie) und die Voraussetzungen für die Haftung eines Mitgliedstaats und seiner Beamten im Fall einer Verletzung des Gemeinschaftsrechts.

2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der A.G.M.-COS.MET Srl (im Folgenden: AGM), einer Gesellschaft italienischen Rechts, und dem Suomen valtio (dem finnischen Staat) und Herrn Lehtinen, einem Beamten des Sosiaali- ja terveysministeriö (im Folgenden: Sozial- und Gesundheitsministerium) wegen Ersatzes des Schadens, den AGM aufgrund von Verstößen gegen die Richtlinie erlitten zu haben behauptet.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

3 Die Richtlinie legt die grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen bei Konzipierung und Bau von Maschinen und Sicherheitsbauteilen sowie die Voraussetzungen zur Feststellung der Übereinstimmung, der Konformitätserklärung und der Kennzeichnung von Maschinen fest.

4 Art. 2 der Richtlinie bestimmt:

"(1) Die Mitgliedstaaten treffen alle erforderlichen Maßnahmen, damit die Maschinen oder Sicherheitsbauteile im Sinne dieser Richtlinie nur in Verkehr gebracht und in Betrieb genommen werden dürfen, wenn sie die Sicherheit und die Gesundheit von Personen und gegebenenfalls von Haustieren oder Gütern bei angemessener Installierung und Wartung und bestimmungsgemäßem Betrieb nicht gefährden.

(2) Diese Richtlinie berührt nicht die Befugnis der Mitgliedstaaten, unter Einhaltung der Vertragsbestimmungen Anforderungen festzulegen, die sie zum Schutz der Personen und insbesondere der Arbeitnehmer bei der Verwendung der betreffenden Maschinen oder Sicherheitsbauteile für erforderlich halten, sofern dies keine Änderungen dieser Maschinen oder dieser Sicherheitsbauteile in Bezug auf die Bestimmungen dieser Richtlinie zur Folge hat.

..."

5 Art. 3 der Richtlinie lautet:

"Die Maschinen und Sicherheitsbauteile im Sinne dieser Richtlinie müssen die in Anhang I aufgeführten grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen erfüllen."

6 Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie sieht Folgendes vor:

"Die Mitgliedstaaten dürfen das Inverkehrbringen und die Inbetriebnahme von Maschinen und Sicherheitsbauteilen, die den Bestimmungen dieser Richtlinie entsprechen, in ihrem Gebiet nicht verbieten, beschränken oder behindern."

7 Art. 5 Abs. 1 und 2 der Richtlinie bestimmt:

"(1) Die Mitgliedstaaten gehen

- bei Maschinen, die mit der CE-Kennzeichnung versehen sind und denen die EG-Konformitätserklärung gemäß Anhang II Buchstabe A beigefügt ist,

- bei Sicherheitsbauteilen, denen die EG-Konformitätserklärung gemäß Anhang II Buchstabe C beigefügt ist, von der Übereinstimmung mit allen Vorschriften dieser Richtlinie, einschließlich der Vorschriften über die Bewertung der Konformität gemäß Kapitel II, aus.

Sofern keine harmonisierten Normen vorliegen, treffen die Mitgliedstaaten die ihres Erachtens erforderlichen Maßnahmen, damit den Betroffenen die bestehenden nationalen Normen und technischen Spezifikationen zur Kenntnis gebracht werden, die für die sachgerechte Umsetzung der grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen nach Anhang I als wichtig oder hilfreich erachtet werden.

(2) Entspricht eine nationale Norm in Umsetzung einer harmonisierten Norm, deren Fundstelle im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht worden ist, einer oder mehreren grundlegenden Sicherheitsanforderungen, wird bei nach dieser Norm hergestellten Maschinen oder Sicherheitsbauteilen davon ausgegangen, dass sie den betreffenden grundlegenden Anforderungen genügen.

..."

8 Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie lautet:

"(1) Stellt ein Mitgliedstaat fest, dass

- Maschinen, die mit CE-Kennzeichnung versehen sind,

oder

- Sicherheitsbauteile, denen die EG-Konformitätserklärung beigefügt ist,

und die bestimmungsgemäß verwendet werden, die Sicherheit von Personen und gegebenenfalls von Haustieren oder Gütern zu gefährden drohen, so trifft er alle zweckdienlichen Maßnahmen, um die Maschinen oder Sicherheitsbauteile aus dem Verkehr zu ziehen, das Inverkehrbringen und die Inbetriebnahme zu verbieten oder den freien Verkehr für diese Maschinen oder Sicherheitsbauteile einzuschränken.

Der Mitgliedstaat unterrichtet die Kommission unverzüglich von einer solchen Maßnahme, begründet seine Entscheidung und gibt insbesondere an, ob die Abweichung von den Anforderungen auf

a) die Nichterfüllung der in Artikel 3 genannten grundlegenden Anforderungen,

b) die mangelhafte Anwendung der in Artikel 5 Absatz 2 genannten Normen,

c) einen Mangel der in Artikel 5 Absatz 2 genannten Normen selbst zurückzuführen ist."

9 Nach Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie muss der Hersteller vor dem Inverkehrbringen einer Maschine das passende Verfahren zur Feststellung ihrer Übereinstimmung durchführen. Aus Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 1 erster Gedankenstrich der Richtlinie ergibt sich, dass die Übereinstimmung einer Maschine mit den Vorschriften der Richtlinie grundsätzlich durch die EG-Konformitätserklärung und die CE-Kennzeichnung bestätigt wird.

10 Aus dem 21. Erwägungsgrund und aus Art. 8 Abs. 2 Buchst. b und c der Richtlinie geht jedoch hervor, dass für bestimmte Maschinen, die ein größeres Gefahrenpotenzial darstellen und in Anhang IV der Richtlinie erschöpfend aufgezählt sind, eine strengere Prüfung der Übereinstimmung vorgesehen ist.

11 Hebebühnen für Fahrzeuge werden in Anhang IV Abschnitt A Nr. 15 erwähnt.

12 Nach dem 17. Erwägungsgrund der Richtlinie und insbesondere ihrem Anhang I ("Grundlegende Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen bei Konzipierung und Bau von Maschinen und Sicherheitsbauteilen") legt diese "nur allgemein gültige wesentliche Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen fest, die durch eine Reihe von detaillierten Anforderungen für bestimmte Maschinengattungen ergänzt werden".

13 Die Festlegung von ausführlicheren Voraussetzungen erfolgt durch harmonisierte Normen. Dazu wird im 17. Erwägungsgrund ausgeführt:

"... Um den Herstellern den Nachweis über die Übereinstimmung mit diesen grundlegenden Anforderungen zu erleichtern und um die Übereinstimmung überprüfen zu können, sind harmonisierte Normen auf europäischer Ebene über die Verhütung von Gefahren, die durch die Entwicklung und den Bau von Maschinen entstehen könnten, wünschenswert. Diese auf europäischer Ebene harmonisierten Normen werden von privatrechtlichen Institutionen entwickelt und müssen unverbindliche Bestimmungen bleiben. Zu diesem Zweck sind der Europäische Normungsausschuss (CEN) und der Europäische Normungsausschuss für Elektrotechnik (CENELEC) als zuständige Gremien anerkannt, um die harmonisierten Normen im Einklang mit den am 13. November 1984 unterzeichneten allgemeinen Leitsätzen für die Zusammenarbeit zwischen der Kommission und diesen beiden Institutionen zu erlassen. Im Sinne dieser Richtlinie ist eine harmonisierte Norm eine von einer oder beiden Institutionen im Auftrag der Kommission entsprechend der Richtlinie 83/189/EWG ... sowie im Einklang mit den oben genannten allgemeinen Leitlinien erarbeitete technische Spezifikation (europäische Norm oder Harmonisierungsdokument)."

14 Die Bezugsdaten für harmonisierte Normen werden im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht.

15 Für Fahrzeug-Hebebühnen besteht eine harmonisierte Norm auf europäischer Ebene. Es handelt sich um die Norm EN 1493:1998, deren Bezugsdaten zum ersten Mal im Jahr 1999 veröffentlicht wurden (ABl. C 165, S. 4).

16 Nach ihrem Wortlaut ist Gegenstand dieser Europäischen Norm "die Festlegung von Bestimmungen, um Personen gegen das Unfallrisiko beim Betrieb von Fahrzeug-Hebebühnen zu schützen".

17 Ihr Anwendungsbereich ist folgendermaßen festgelegt:

"Diese Norm gilt für stationäre, fahrbare oder ortsveränderliche Fahrzeug-Hebebühnen, die bestimmungsgemäß nicht für das Heben von Personen, sondern zum vollständigen Anheben von Fahrzeugen vorgesehen sind, um die angehobenen Fahrzeuge zu untersuchen und an oder unter ihnen zu arbeiten.

Fahrzeug-Hebebühnen können aus einer oder mehreren Hubeinheiten bestehen."

Nationales Recht

18 Der Erlass Nr. 1314/1994 des Staatsrats über die Sicherheit von Maschinen (Koneiden turvallisuutta koskeva päätos) setzte die Richtlinie in finnisches Recht um.

19 Die finnische Norm SFS-EN 1493, die der Europäischen Norm EN 1493:1998 entspricht, wurde am 8. März 1999 festgelegt.

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

20 AGM ist ein Unternehmen, das Fahrzeug-Hebebühnen herstellt und vertreibt.

21 Am 11. Mai 2000 ging beim Sozial- und Gesundheitsministerium eine Anzeige des Työsuojelupiiri (für den Arbeitsschutz zuständige Kreisbehörde) von Vaasa in einer Marktkontrollsache (markkinavalvonta-asia) ein. Dieser Anzeige zufolge waren bei dem von AGM hergestellten Hebebühnenmodell G 35 T/E bestimmte Mängel festgestellt worden, insbesondere eine Verformung der vorderen Tragarme und eine zu schwache Tragarmverriegelung.

22 Aufgrund der Anzeige wandte sich das Sozial- und Gesundheitsministerium mit Schreiben vom 18. Mai 2000 an den Importeur dieser Maschinen für Finnland, das Unternehmen Pörhön Tuontiliike (im Folgenden: Importeur), und erklärte, dass Zweifel daran bestünden, dass die von AGM hergestellten Hebebühnen des Typs G 35 T/E dem Arbeitsschutzgesetz 299/1958 (Työturvallisuuslaki) oder dem Erlass Nr. 1314/1994 des Staatsrats über die Sicherheit von Maschinen entsprächen.

23 Im Rahmen des vom Sozial- und Gesundheitsministerium damit eingeleiteten Verfahrens wies Herr Lehtinen in einem von ihm verfassten Bericht vom 29. November 2000 insbesondere darauf hin, dass der Importeur am 27. November 2000 einen Test der Verriegelungseinrichtung durchgeführt habe, um zu garantieren, dass die Konstruktion der betreffenden Hebebühnen der Norm SFS-EN 1493 entspreche. Diesem Bericht zufolge hat der Test einen Mangel dieses Systems erkennen lassen. Nach Ansicht von Herrn Lehtinen verlangt die Norm SFS-EN 1493, dass die Konstruktion die höchstzulässige Belastung auch unter ungünstigsten Belastungsverhältnissen und unabhängig davon, von welcher Seite das Fahrzeug auf die Bühne gefahren werde, aushalte. Im Ergebnis wurde das Sozial- und Gesundheitsministerium in dem Bericht aufgefordert, möglichst schnell einen Beschluss über eine Beschränkung oder möglicherweise ein Verbot des Verkaufs und des Betriebs der schon auf dem Markt befindlichen Hebebühnen zu erlassen.

24 In einer Mitteilung vom 18. Dezember 2000 legte Herr Lehtinen seine Bemerkungen noch einmal dar, führte jedoch aus, dass die von AGM konzipierte neue Verriegelungseinrichtung besser sei und dass sich deren Haltekraft bei einem Test in Finnland am 12. Dezember 2000 als ausreichend erwiesen habe.

25 Bei einer Anhörung am 20. Dezember 2000, bei der Vertreter des Importeurs sowie Herr Ministerialrat Kanerva und Herr Lehtinen als Sachverständiger für das Sozial- und Gesundheitsministerium anwesend waren, wurde anerkannt, dass die Verriegelungseinrichtung in der neu konzipierten Form regelungskonform sei. In der abschließenden Stellungnahme der Verwaltung wurde jedoch eine Konformitätsprüfung durch eine hierfür benannte Stelle verlangt, mit der nach Angaben von AGM begonnen worden sei. Bei dieser Gelegenheit wurde auch beschlossen, die Entscheidung, die das Sozial- und Gesundheitsministerium treffen würde, nicht zu veröffentlichen, da der Importeur die Betreiber zu gegebener Zeit informieren würde.

26 Am 20. Dezember 2000 legte Herr Kanerva die Sache Herrn Hurmalainen, dem Abteilungsleiter der Arbeitsschutzabteilung des Sozial- und Gesundheitsministeriums, zur Entscheidung vor. Herr Kanerva schlug vor, die Vermarktung und den Vertrieb der betroffenen Hebebühnen mit einigen Einschränkungen zu untersagen. Herr Hurmalainen nahm den Entscheidungsvorschlag jedoch nicht an und sandte die Sache zur weiteren Prüfung zurück, da er meinte, für eine Entscheidung nicht über genügend Beweismaterial zu verfügen.

27 Am 17. Januar 2001 wurden Herr Lehtinen, mit Genehmigung seines unmittelbaren Vorgesetzten, und ein Vertreter des Importeurs für die Nachrichtensendung um 20.30 Uhr des staatlichen Fernsehsenders TV 1 interviewt. Bei dieser Gelegenheit nahm der Nachrichtensprecher darauf Bezug, dass die betroffenen Hebebühnen nach Ansicht der finnischen Arbeitsschutzbehörden den anzuwendenden europäischen Normen nicht entsprächen, obwohl sie in Italien zugelassen worden seien. Der Sprecher wies auch darauf hin, dass denselben Behörden zufolge das Gerät, selbst wenn das Fahrzeug unter den ungünstigsten Bedingungen auf die Bühne gefahren werde, die Belastung aushalten müsse. Der Vertreter des Importeurs räumte ein, dass die Verriegelungseinrichtung eine Schwachstelle sei, bestritt aber, dass die Hebebühne irgendein anderes Problem aufweise, und erklärte, dass die Tragarme jeder Belastung standhielten, sofern das Fahrzeug in der richtigen Richtung auf die Bühne gefahren werde. Herr Lehtinen erklärte, dass von diesen Hebebühnen eine unmittelbare Gefahr ausgehen könne, da unter der angehobenen Last gearbeitet werde. Außerdem habe die von AGM für die Konformitätsprüfung in Anspruch genommene Stelle die geltenden Vorschriften falsch ausgelegt.

28 Am 29. Januar 2001 übersandte die Teknisen Kaupan Liitto (Vereinigung des technischen Fachhandels) dem Sozial- und Gesundheitsministerium und dem Peruspalveluministeri (Ministerium für Gesundheit und soziale Dienste) ein Schreiben, in dem die schweren Mängel angeführt wurden, die an den Geräten von AGM festgestellt worden seien. Vor dem vorlegenden Gericht hat Herr Lehtinen eingeräumt, im Rahmen der vorliegenden Angelegenheit einmal an einer Sitzung dieser Vereinigung auf deren Bitte hin teilgenommen zu haben.

29 Am 8. Februar 2001 sandte Herr Hurmalainen ein Fax an Herrn Kuikko, Vertreter des Teollisuuden ja Työnantajien Keskusliitto (Industrie- und Arbeitgeberverband), in dem er sich gegen das von den Herren Kanerva und Lehtinen vorgeschlagene Verkaufsverbot aussprach, weil er es nicht für angebracht halte, durch sein Eingreifen das Funktionieren des Binnenmarkts in Gefahr zu bringen, da sich in Finnland ein einziger Vorfall ereignet habe, dessen Ursache im Übrigen nicht sicher sei.

30 Am 16. Februar 2001 entzog Herr Hurmalainen Herrn Lehtinen die Behandlung der Fälle, in denen es um die Fahrzeug-Hebebühnen von AGM ging, mit der Begründung, dass der Betroffene in einem laufenden Verfahren öffentlich eine Ansicht vertreten habe, die von der offiziellen Position des Sozial- und Gesundheitsministeriums abweiche, und damit gegen die Anweisungen und die Informationspolitik des Ministeriums verstoßen habe. In einem späteren Bericht der Arbeitsschutzabteilung des Sozial- und Gesundheitsministeriums vom 20. März 2001 wurde Herrn Lehtinen vorgeworfen, dass er durch die Zusammenarbeit mit der Konkurrenz von AGM gegen den Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung verstoßen und zum Nachteil von AGM gehandelt habe.

31 Am 17. Februar 2001 erschien in der Regionalzeitung Aamulehti ein Artikel mit der Überschrift "Ein Sachverständiger warnt vor mangelhaften Fahrzeug-Hebebühnen". Der Vorlageentscheidung zufolge war dieser Artikel aufgrund eines Interviews mit Herrn Lehtinen verfasst worden und wies ausdrücklich darauf hin, dass es sich bei den fraglichen Geräten um die von AGM hergestellten Hebebühnen handele. Es wurde auch erwähnt, dass "Herr Hurmalainen, der Leiter der Abteilung Arbeitsschutz im Ministerium die Äußerungen Herrn Lehtinens als Äußerungen einer Privatperson ansieht".

32 Mit Schreiben vom 22. Februar 2001 wandte sich der Metalliväen Liitto ry (Metallarbeiterverband) an seine Fachabteilungen der Bereiche Fahrzeugreparatur und mechanische Reparaturen sowie an die Sicherheitsbeauftragten in den Unternehmen und wies darauf hin, dass die Modelle G 28, G 32 und G 35 der von AGM hergestellten Fahrzeug-Hebebühnen Probleme bereiteten und dass "die fragliche Hebebühne sich ohne Zweifel als gefährlich erwiesen hat". Der Verband fügte seinem Schreiben einen Bericht von Herrn Lehtinen vom 12. Februar 2001 bei.

33 Am 13. Juni 2001 erschien in der Regionalzeitung Etelä-Saimaa ein Artikel mit der Überschrift "Der Metallarbeiterverband verlangt ein Verbot der gefährlichen Fahrzeug-Hebebühnen" und mit dem Untertitel "Jeden Tag sind 150 Mechaniker gefährdet". Nach diesem Artikel hat der mit der Bearbeitung des Falls betraute leitende Ingenieur, der auf diese Art von Geräten spezialisiert sei, Beschränkungen beim Betrieb der italienischen AGM-Hebebühnen und ein Verbot neuer Geräte vorgeschlagen. In dem Artikel wurde auch darauf hingewiesen, dass Herr Hurmalainen, der Leiter der Abteilung für Arbeitsschutz im Sozial- und Gesundheitsministerium, in seiner Entscheidung die Ansicht vertreten habe, dass er nicht über genügend Beweise verfüge und die Sache sich noch im Stadium der Prüfung befinde.

34 Die Abteilung für Arbeitsschutz im Sozial- und Gesundheitsministerium erließ am 14. Juni 2001 eine Entscheidung, in der sie insbesondere Folgendes feststellte: "In dieser Sache hat sich nichts ergeben, was das Ministerium veranlassen könnte, gegenüber dem Hersteller oder Importeur der [von AGM hergestellten] Fahrzeugbühnen Marktkontrollmaßnahmen zu ergreifen. Dessen ungeachtet behält sich das Ministerium das Recht vor, solche Maßnahmen zu erlassen, wenn die Sache gegebenenfalls aufgrund zusätzlicher Information oder aus einem anderen Grund erneut geprüft wird." Das Sozial- und Gesundheitsministerium rechtfertigte seine Entscheidung mit folgendem Hinweis: "Soweit es um neue Geräte geht, hat der Hersteller die festgestellten Mängel beseitigt, und der Importeur bemüht sich, für die bereits in Betrieb befindlichen das Gleiche zu tun."

35 Am 1. Oktober 2001 erteilte das Sozial- und Gesundheitsministerium Herrn Lehtinen gemäß dem Gesetz über die Staatsbeamten (Valtion virkamieslaki) einen schriftlichen Verweis mit der Begründung, dass er seine Pflichten als Beamter verletzt habe, indem er, obwohl ihm am 16. Februar 2001 der AGM-Hebebühnen-Fall entzogen worden sei, in einer Informationssendung und in einem Memorandum an die örtliche Stelle für Arbeitsschutz weiterhin eine irreführende Darstellung des Standpunkts des Ministeriums verbreitet und gegen dessen Informationspolitik verstoßen habe. Mit Entscheidung vom 6. März 2002 wies der Virkamieslautakunta (Beschwerdeausschuss für Beamte) die Beschwerde von Herrn Lehtinen, der die Nichtigerklärung dieses Verweises beantragt hatte, zurück. Dagegen war der Beschwerdeausschuss in derselben Entscheidung nicht der Ansicht, dass das Verhalten von Herrn Lehtinen bei dem Interview im Fernsehen am 17. Januar 2001 unangemessen gewesen sei und einen schriftlichen Verweis gerechtfertigt hätte. Am 10. September 2003 bestätigte das Korkein hallinto-oikeus (das oberste Verwaltungsgericht) diese Entscheidung.

36 Parallel zu seinem Disziplinarverfahren wandte sich Herr Lehtinen an den Julkisen sanan neuvosto (Medienrat) mit der Bitte um eine Stellungnahme zu der Frage, ob das Sozial- und Gesundheitsministerium mit dem ihm erteilten Verweis seine Befugnisse überschritten und damit gegen das Recht der Beamten auf freie Meinungsäußerung verstoßen habe. In seiner Stellungnahme vom 20. März 2002 hielt dieses Gremium es für wünschenswert, den Beamten zu erlauben, öffentlich bei Diskussionen in den Medien Stellung zu beziehen, da ihre Teilnahme an öffentlichen Diskussionen, die ihren Bereich beträfen, dazu beitragen könne, wichtige Informationen von Allgemeininteresse zu verbreiten. Nach Ansicht des Gremiums geht es in dem Fall von Herrn Lehtinen um die Sache der Arbeitssicherheit, und in diesem Kontext sei eine öffentliche Diskussion durchaus wünschenswert und wichtig; ein Beamter wie der Betroffene dürfe daran teilnehmen.

37 Auf der Grundlage dieses Sachverhalts reichte AGM beim Tampereen käräjäoikeus (Zivilgericht erster Instanz von Tampere) eine Klage ein und beantragte, den finnischen Staat und Herrn Lehtinen gesamtschuldnerisch zum Ersatz des Schadens zu verurteilen, den sie insbesondere durch Umsatzeinbußen in Finnland und anderswo in Europa erlitten habe.

38 Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts stellt sich die Frage, ob im Licht der Rechtsprechung des Gerichtshofs, insbesondere des Urteils vom 11. Juli 1974, Dassonville (8/74, Slg. 1974, 837), der Handel in der Europäischen Gemeinschaft unter den Bedingungen des Art. 28 EG möglicherweise behindert worden sei, als Herr Lehtinen, Beamter der zuständigen Behörde, öffentlich die Meinung vertreten hat, dass bestimmte von AGM hergestellte Fahrzeug-Hebebühnen nicht den Normen entsprächen, was möglicherweise den Rückgang des Absatzes der Erzeugnisse dieser Gesellschaft auf dem finnischen Markt zur Folge hatte. Da sich die mögliche Behinderung des innergemeinschaftlichen Handels nicht aus einer Entscheidung der zuständigen Behörde auf der Grundlage nationaler Vorschriften ergibt, sondern aus den Handlungen eines Beamten dieser Behörde vor deren Entscheidung in der betroffenen Sache, stellt sich das vorlegende Gericht die Frage, ob es das aus der Rechtssache Dassonville hergeleitete Kriterium erlaubt, die Handlungen eines Beamten als Maßnahme mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen anzusehen, wenn die Wirkung in der Praxis die gleiche ist, als wenn die zuständige Behörde eine ähnliche Entscheidung nach nationalem Recht getroffen hätte.

39 Im Übrigen möchte das vorlegende Gericht, dass der Gerichtshof darüber entscheidet, ob eine Hebebühne wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende den grundlegenden Sicherheitsanforderungen der Richtlinie entspricht, wenn sie weder dafür entworfen noch dafür gebaut wurde, eine Last unter den ungünstigsten Belastungsverhältnissen zu tragen.

40 Das Tampereen käräjäoikeus hat unter diesen Umständen beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Handelt es sich um Maßnahmen mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen im Sinne von Art. 28 EG oder um eine Maßnahme, die nach Art. 10 Abs. 2 EG zu unterlassen ist, wenn ein Beamter, der als Sachverständiger einer staatlichen Stelle für Arbeitsschutz angehört, aber keine Entscheidungsbefugnis hat, in einem laufenden Marktkontrollverfahren vor der Entscheidung der Sache in der Hauptnachrichtensendung eines staatlichen Fernsehsenders auftritt und sich sowohl in Tageszeitungen, die in hoher Auflage erscheinen, als auch gegenüber Organisationen des Handels und des Arbeitsmarkts in der Weise äußert, dass seine unmittelbar von ihm gemachten oder von anderen wiedergegebenen Feststellungen über die Gefährlichkeit für Leib und sogar Leben, die von Maschinen ausgeht, die von einem bestimmten Unternehmen hergestellt und vermarktet werden und Gegenstand des Marktkontrollverfahrens sind, diesen Maschinen negative Publizität verleihen und ihrer Vermarktung schaden?

2. Ist die Richtlinie dahin auszulegen, dass Fahrzeug-Hebebühnen mit den in der Richtlinie aufgestellten grundlegenden Sicherheitsanforderungen nicht vereinbar sind, wenn das Gerät nicht entsprechend der Norm SFS-EN 1493 gebaut ist, weil bei der Konzeption der Konstruktion weder berücksichtigt worden ist, dass das Fahrzeug auf den Tragarmen in beiden Auffahrrichtungen ruhen kann, noch beachtet worden ist, dass bei den Berechnungen der Tragfähigkeit jedes einzelnen Tragarms von den ungünstigsten Belastungsverhältnissen auszugehen ist?

3. a) Sind, wenn die erste Frage zu bejahen ist, die Handlungen eines Beamten wie die in der ersten Frage beschriebenen auch angesichts des anerkennenswerten Ziels des Schutzes der Gesundheit und des Lebens von Menschen unverhältnismäßig und verstoßen damit gegen den EG-Vertrag, und zwar auch bei Bejahung der zweiten Frage, wenn man die Art der Handlungen und insbesondere den Umstand berücksichtigt, dass die Unterrichtung über die möglichen Gefahren und deren Verhinderung auch mit anderen Mitteln als den in der ersten Frage genannten möglich wäre und die betreffenden Handlungen vor Erlass einer Entscheidung des hierzu befugten Beamten in der Marktkontrollsache erfolgten und der Vermarktung eines bestimmten Produkts deshalb schaden konnten, weil sie gerade gegen dieses Produkt gerichtet waren?

b) Ist, wenn das in der Frage 3a aufgeworfene Problem der Verhältnismäßigkeit vom nationalen Gericht zu entscheiden ist, das Hauptgewicht auf die mögliche Unvereinbarkeit mit den europäischen oder mit den nationalen Sicherheitsanforderungen oder auf die Umstände der öffentlichen Bekanntmachung dieser Unvereinbarkeit zu legen?

4. Können die in der ersten Frage beschriebenen Handlungen eines Beamten unter den in der Frage 3a genannten Umständen durch das in Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention gewährleistete Recht auf freie Meinungsäußerung gerechtfertigt sein, obwohl sie gegen die Art. 28 EG und 30 EG oder gegen Art. 10 EG verstoßen?

5. a) Ist, wenn die in der ersten Frage beschriebenen Handlungen eines Beamten gegen die Art. 28 EG und 30 EG oder gegen Art. 10 EG verstoßen, dieser Verstoß so offenkundig und schwerwiegend, dass der Staat, sofern die anderen Haftungsvoraussetzungen erfüllt sind, nach EG-Recht den Schaden ersetzen muss, den diese Handlungen für die Vermarktung der Maschinen verursacht haben?

b) Ist ein Verstoß wie vorstehend unter a beschrieben auch in dem Fall offenkundig und schwerwiegend, wenn der Behörde oder dem Beamten, die zur Entscheidung befugt sind, kein Fehler oder keine Fahrlässigkeit vorgeworfen werden kann und sie bei keiner Gelegenheit die fraglichen Handlungen gebilligt oder dazu beigetragen haben, dass diese konkret Wirkungen entfalten?

c) Kann Art. 10 EG, insbesondere dessen Abs. 2, Rechte für Einzelne unter den in der ersten Frage beschriebenen Umständen begründen?

d) Kann neben dem Staat unter den gleichen Voraussetzungen auch ein Beamter für seine in der ersten Frage beschriebenen Handlungen nach EG-Recht haftbar gemacht werden, wenn diese gegen das Gemeinschaftsrecht verstoßen?

e) Ist es in der Praxis unmöglich oder unverhältnismäßig schwierig, Schadensersatz nach EG-Recht zu erlangen, wenn nach den nationalen Vorschriften Ersatz für andere wirtschaftliche Schäden als Personen- und Sachschäden nur erlangt werden kann, wenn der Schaden durch eine vom Gesetz mit Strafe belegte Handlung oder in Ausübung hoheitlicher Gewalt verursacht worden ist oder ansonsten für eine Verurteilung zum Schadensersatz besonders schwerwiegende Gründe vorliegen müssen?

6. a) Ist es, wenn wegen Verletzung der Vorschriften über den freien Warenverkehr oder wegen Fahrlässigkeit aufgrund der nationalen Vorschriften eine Verurteilung zum Schadensersatz geboten ist, nach EG-Recht erforderlich, dass diese Verurteilung zum Schadensersatz eine wirksame und abschreckende Sanktion darstellt? Ist es mit den haftungsrechtlichen Vorschriften der Gemeinschaft unvereinbar, wenn ein Beamter, der sich einer Zuwiderhandlung oder Fahrlässigkeit schuldig gemacht hat, nach nationalem Recht nur in einem angemessenen Verhältnis, aber nicht unbedingt für den vollen Schaden oder sogar überhaupt nicht haftet, sofern ihm nur leichte Fahrlässigkeit vorgeworfen werden kann? Ist es ebenfalls mit diesen Vorschriften des EG-Rechts unvereinbar, wenn der Beamte und der Staat, der für dessen Fehler oder Fahrlässigkeit haftet, nur dann zum Ersatz eines anderen wirtschaftlichen Schadens als eines Personen- oder Sachschadens verpflichtet werden können, wenn der Schaden durch eine vom Gesetz mit Strafe belegte Handlung oder in Ausübung hoheitlicher Gewalt verursacht worden ist oder ansonsten für eine Verurteilung zum Schadensersatz besonders schwerwiegende Gründe vorliegen müssen?

b) Wenn die vorstehend unter a beschriebenen Beschränkungen der Haftung mit dem EG-Recht unvereinbar sind, muss dann bei der Urteilsfindung die Beschränkung der Haftung aufgrund des nationalen Rechts auf den betreffenden Beamten außer Acht gelassen werden, auch wenn er dadurch strenger und weiter haftet, als nach nationalem Recht vorgesehen ist?

Zur Zulässigkeit

Erklärungen vor dem Gerichtshof

41 Herr Lehtinen hält die Zulässigkeit des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens für zweifelhaft, da die vom Tampereen käräjäoikeus gestellten Fragen nicht erheblich seien.

42 Herr Lehtinen trägt vor, dass sich das Verfahren erster Instanz vor dem vorlegenden Gericht erst in einem Vor- oder Frühstadium befinde. Der Gegenstand der Meinungsverschiedenheit sei nicht genau definiert und der Sachverhalt noch nicht festgestellt. Daher sei es in diesem Stadium des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens nicht möglich, die für die Klärung des Rechtsstreits erheblichen Fragen zu bestimmen.

Antwort des Gerichtshofs

43 Nach ständiger Rechtsprechung ist das in Art. 234 EG vorgesehene Verfahren ein Instrument der Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten, mit dem der Gerichtshof diesen die Hinweise zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts gibt, die sie zur Entscheidung der bei ihnen anhängigen Rechtsstreitigkeiten benötigen (vgl. u. a. Urteile vom 12. Juni 2003, Schmidberger, C-112/00, Slg. 2003, I-5659, Randnr. 30, und vom 20. Januar 2005, Salgado Alonso, C-306/03, Slg. 2005, I-705, Randnr. 40).

44 Im Rahmen dieser Zusammenarbeit ist es Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts, das allein den diesem zugrunde liegenden Sachverhalt unmittelbar kennt und in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende Entscheidung fällt, im Hinblick auf den Einzelfall sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der Fragen, die es dem Gerichtshof vorlegt, zu beurteilen. Betreffen daher die vorgelegten Fragen die Auslegung des Gemeinschaftsrechts, so ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, darüber zu befinden (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile vom 15. Dezember 1995, Bosman, C-415/93, Slg. 1995, I-4921, Randnr. 59, vom 13. März 2001, PreussenElektra, C-379/98, Slg. 2001, I-2099, Randnr. 38, vom 10. Dezember 2002, Der Weduwe, C-153/00, Slg. 2002, I-11319, Randnr. 31, vom 21. Januar 2003, Bacardi-Martini und Cellier des Dauphins, C-318/00, Slg. 2003, I-905, Randnr. 41, sowie Schmidberger, Randnr. 31).

45 Zudem geht aus Art. 234 Abs. 2 EG klar hervor, dass es Sache des nationalen Gerichts ist, darüber zu entscheiden, in welchem Verfahrensstadium es ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof richten soll (Urteil vom 10. März 1981, Irish Creamery Milk Suppliers Association u. a., 36/80 und 71/80, Slg. 1981, 735, Randnr. 5, vom 30. März 2000, JämO, C-236/98, Slg. 2000, I-2189, Randnr. 30, und Schmidberger, Randnr. 39).

46 Das vorlegende Gericht hat in seinem Vorabentscheidungsersuchen den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen des Ausgangsrechtsstreits und die Gründe für sein Ersuchen um Auslegung der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen, die es wegen seiner Zweifel bezüglich ihrer Anwendung angesichts der Umstände des Ausgangsverfahrens angeführt hat, detailliert dargelegt.

47 Aus dem Sachverhalt, wie er vom vorlegenden Gericht beschrieben wird, ist daher nicht ersichtlich, dass die Fragen in einem Stadium vorgelegt worden sind, in dem der Gerichtshof ihre Erheblichkeit für die Klärung des Ausgangsverfahrens nicht beurteilen könnte.

48 Folglich ist das Vorabentscheidungsersuchen zulässig.

Zu den Vorlagefragen

Zum freien Warenverkehr (Fragen 1, 3 und 4)

49 Mit seinen Vorlagefragen 1, 3 und 4 möchte das vorlegende Gericht erstens wissen, ob das Verhalten von Herrn Lehtinen, das durch seine verschiedenen öffentlichen Erklärungen gekennzeichnet ist, unter den Umständen des Ausgangsverfahrens dem finnischen Staat zurechenbar ist, zweitens, ob dieses Verhalten eine Beschränkung des freien Warenverkehrs im Sinne von Art. 28 EG darstellt, und drittens, inwieweit ein solches Verhalten mit der Freiheit der Meinungsäußerung oder der Gewährleistung der Sicherheit und dem Gesundheitsschutz gerechtfertigt werden kann.

50 Zunächst ist daran zu erinnern, dass eine nationale Maßnahme in einem Bereich, der auf Gemeinschaftsebene abschließend harmonisiert wurde, anhand der Bestimmungen dieser Harmonisierungsmaßnahme und nicht der des Primärrechts zu beurteilen ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 12. Oktober 1993, Vanacker und Lesage, C-37/92, Slg. 1993, I-4947, Randnr. 9, vom 13. Dezember 2001, DaimlerChrysler, C-324/99, Slg. 2001, I-9897, Randnr. 32, vom 11. Dezember 2003, Deutscher Apothekerverband, C-322/01, Slg. 2003, I-14887, Randnr. 64, und vom 14. Dezember 2004, Radlberger Getränkegesellschaft und S. Spitz, C-309/02, Slg. 2004, I-11763, Randnr. 53).

51 Es ist daher festzustellen, ob die Harmonisierung durch die Richtlinie eine Prüfung der Vereinbarkeit des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Verhaltens mit Art. 28 EG ausschließt.

52 Die Richtlinie zielt gemäß ihres zweiten, sechsten, siebten und neunten Erwägungsgrundes darauf ab, den freien Verkehr mit Maschinen im Binnenmarkt zu gewährleisten und den zwingenden und grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen für diese Maschinen zu genügen, indem die innerstaatlichen Systeme des Konformitätsnachweises durch ein harmonisiertes System ersetzt werden. Zu diesem Zweck zählt die Richtlinie insbesondere in ihrem Art. 3 und ihrem Anhang I die grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen auf, die die in den Mitgliedstaaten hergestellten Maschinen und Sicherheitsbauteile erfüllen müssen. Nach Art. 4 der Richtlinie dürfen die Mitgliedstaaten das Inverkehrbringen von Maschinen, die diesen grundlegenden Anforderungen genügen, nicht beschränken; nur falls später Gefahren auftreten, treffen die Mitgliedstaaten unter den Voraussetzungen des Art. 7 die zweckdienlichen Maßnahmen.

53 Daher ist unter Berücksichtigung der Art der Richtlinie, ihrer Ziele und des Inhalts ihrer Art. 3, 4 und 7 davon auszugehen, dass sie außer den Vorschriften über die grundlegenden Sicherheitsanforderungen für Maschinen und über den Nachweis, dass die Maschinen diesen Anforderungen entsprechen, auch die Vorschriften auf Gemeinschaftsebene abschließend harmonisiert, die die möglichen Verhaltensweisen der Mitgliedstaaten in Bezug auf Maschinen betreffen, deren Übereinstimmung mit diesen Anforderungen vermutet wird.

54 Folglich ist jede nationale Maßnahme, die in den Anwendungsbereich der genannten Artikel dieser Richtlinie fällt, anhand der Bestimmungen der Richtlinie und nicht derjenigen des Vertrags, insbesondere des Art. 28 EG, zu beurteilen.

Zum Vorliegen einer dem Staat zurechenbaren Behinderung (Frage 1)

55 In Anbetracht der Randnrn. 52 ff. des vorliegenden Urteils ist die erste Frage des vorlegenden Gerichts dahin gehend umzuformulieren, dass es sich fragt, ob es möglich ist, die von Herrn Lehtinen öffentlich geäußerten Ansichten als Behinderungen des freien Warenverkehrs im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie zu werten, die dem finnischen Staat zurechenbar sind.

56 Ob Äußerungen eines Beamten dem Staat zurechenbar sind, hängt insbesondere davon ab, wie die Empfänger die Äußerungen auffassen konnten.

57 Um Äußerungen eines Beamten dem Staat zurechnen zu können, kommt es entscheidend darauf an, ob die Empfänger der Äußerungen den Umständen nach annehmen dürfen, dass der Beamte die Äußerungen mit Amtsautorität macht.

58 Hierbei hat das vorlegende Gericht insbesondere zu würdigen, ob

- der Beamte im Allgemeinen für den betroffenen Bereich zuständig ist,

- der Beamte seine schriftlichen Äußerungen unter Verwendung des offiziellen Briefkopfs der zuständigen Stelle abgibt,

- der Beamte Fernsehinterviews in den Räumen seiner Dienststelle gibt,

- der Beamte nicht auf den privaten Charakter seiner Äußerungen und deren Abweichung von der offiziellen Position der zuständigen Stelle hinweist und

- die zuständigen staatlichen Stellen nicht so schnell wie möglich die notwendigen Schritte unternehmen, um bei den Empfängern der Äußerungen des Beamten den Eindruck zu zerstreuen, dass es sich um offizielle staatliche Verlautbarungen handelt.

59 Es bleibt zu prüfen, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Äußerungen, falls sie dem finnischen Staat zurechenbar sind, gegen Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie verstoßen.

60 Jede Maßnahme, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell zu behindern, stellt eine Behinderung dar (vgl. in diesem Sinne Urteile Dassonville, Randnr. 5, und vom 9. Februar 1999, Van der Laan, C-383/97, Slg. 1999, I-731, Randnr. 18). Dieser Grundsatz gilt auch für die Auslegung von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie.

61 Wie sich aus dem Wortlaut des Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie ergibt, greift das darin enthaltene Verbot nur, wenn die betroffene Maschine den Bestimmungen dieser Richtlinie entspricht. Den von AGM hergestellten Hebebühnen kommt im vorliegenden Fall die Konformitätsvermutung gemäß Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie zugute, da ihre Übereinstimmung mit der Richtlinie bestätigt wurde und sie mit der CE-Konformitätskennzeichnung nach Art. 10 versehen wurden.

62 Diese Konformitätsvermutung bedeutet jedoch nicht, dass die Mitgliedstaaten nicht eingreifen können, wenn Gefahren auftreten. Nach Art. 7 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie ist ein Mitgliedstaat im Gegenteil gehalten, alle zweckdienlichen Maßnahmen zu treffen, um eine Maschine aus dem Verkehr zu ziehen, wenn er feststellt, dass sie trotz bestimmungsgemäßer Verwendung die Sicherheit von Personen oder Gütern zu gefährden droht. In einem solchen Fall hat der Mitgliedstaat nach Art. 7 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie die Kommission unverzüglich von einer solchen Maßnahme zu unterrichten und seine Entscheidung zu begründen.

63 Der Vorlageentscheidung zufolge haben die zuständigen Behörden aber weder das Vorliegen einer Gefahr festgestellt noch Maßnahmen ergriffen, um die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Hebebühnen aus dem Verkehr zu ziehen, und erst recht nicht die Kommission von solchen Maßnahmen unterrichtet.

64 Da diesen Hebebühnen die Konformitätsvermutung zugutekam, musste der Staat also das in Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie enthaltene Verbot von Beschränkungen des freien Verkehrs dieser Hebebühnen beachten.

65 Die fraglichen Äußerungen, mit denen die Hebebühnen in verschiedenen Medien und in weitverbreiteten Berichten als gegen die Norm EN 1493:1998 verstoßend und gefährlich dargestellt worden sind, sind geeignet, zumindest mittelbar und potenziell das Inverkehrbringen dieser Maschinen zu behindern.

66 Angesichts der vorstehenden Ausführungen ist auf die erste Frage zu antworten, dass die Äußerungen eines Beamten dem Staat zurechenbar sind, wenn aufgrund ihrer Form und der Umstände bei den Empfängern der Äußerungen der Eindruck entsteht, dass es sich um offizielle staatliche Verlautbarungen und nicht um die private Meinung des Beamten handelt. Um Äußerungen eines Beamten dem Staat zurechnen zu können, kommt es entscheidend darauf an, ob die Empfänger dieser Äußerungen den Umständen nach annehmen dürfen, dass der Beamte diese Äußerungen mit Amtsautorität macht. Sofern die Äußerungen eines Beamten, die eine Maschine, deren Übereinstimmung mit der Richtlinie bestätigt wurde, als gegen die für sie geltende harmonisierte Norm verstoßend und gefährlich darstellen, dem Staat zurechenbar sind, verletzen sie Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie.

Zu den Rechtfertigungen (Fragen 3 und 4)

67 Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob das Verhalten von Herrn Lehtinen, wenn es dem finnischen Staat zuzurechnen ist, mit dem Gesundheitsschutz oder mit der Meinungsäußerungsfreiheit gerechtfertigt werden kann.

- Zur Rechtfertigung mit dem Gesundheitsschutz

68 Die Richtlinie regelt den Schutz der Gesundheit in detaillierter Weise, soweit durch den Betrieb von Maschinen, die als richtlinienkonform gelten, eine Gefährdung der Gesundheit drohen könnte. Daher kann ein Mitgliedstaat, der eine solche Gefährdung feststellt, nach Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie alle zweckdienlichen Maßnahmen treffen, um die betroffenen Maschinen aus dem Verkehr zu ziehen, ihr Inverkehrbringen und ihre Inbetriebnahme zu verbieten oder den freien Verkehr für diese Maschinen einzuschränken. Außer diesen Maßnahmen gestattet die Richtlinie keine anderen zusätzlichen Beschränkungen im Zusammenhang mit dem Gesundheitsschutz.

69 Wie in Randnr. 63 des vorliegenden Urteils bereits erwähnt, haben die zuständigen finnischen Behörden keinerlei Maßnahmen nach Art. 7 der Richtlinie ergriffen.

70 Da die für den freien Warenverkehr relevanten Vorschriften über die Sicherheitsanforderungen für das Inverkehrbringen von Maschinen auf Gemeinschaftsebene abschließend harmonisiert sind, kann sich ein Mitgliedstaat außerhalb des durch Art. 7 der Richtlinie geschaffenen Rahmens nicht auf den Gesundheitsschutz als Rechtfertigung berufen.

71 Das Verhalten von Herrn Lehtinen, sofern es dem finnischen Staat zurechenbar ist, kann daher nicht mit dem Gesundheitsschutz gerechtfertigt werden.

- Zur Rechtfertigung mit der Meinungsäußerungsfreiheit

72 Nach Art. 10 Abs. 1 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten wird die Meinungsäußerungsfreiheit allen Personen garantiert, die der Gerichtsbarkeit der Mitgliedstaaten unterliegen. Diese Freiheit stellt eine wesentliche Grundlage jeder demokratischen Gesellschaft dar. Die Mitgliedstaaten können sich jedoch nicht auf die Meinungsäußerungsfreiheit ihrer Beamten berufen, um eine Behinderung zu rechtfertigen und sich dadurch ihrer gemeinschaftsrechtlichen Verantwortung zu entziehen.

73 Daher ist auf die Fragen 3 und 4 zu antworten, dass unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens eine Verletzung von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie durch das Verhalten eines Beamten, sofern es dem Mitgliedstaat, dem er angehört, zurechenbar ist, weder mit dem Gesundheitsschutz noch mit der Meinungsäußerungsfreiheit der Beamten gerechtfertigt werden kann.

Zur Konformität der im Ausgangsverfahren streitigen Hebebühnen mit der Richtlinie 98/37 (Frage 2)

74 Aus der Untersuchung in den Randnrn. 60 bis 65 des vorliegenden Urteils ergibt sich, dass die zweite Frage keine Antwort erfordert.

Zur Haftung des finnischen Staats und seiner Beamten (Fragen 5 und 6)

75 Mit den Fragen 5 und 6 ersucht das vorlegende Gericht um Auskunft darüber, ob im Fall eines Verstoßes gegen die Art. 28 EG und 30 EG oder Art. 10 EG die Voraussetzungen für eine gemeinschaftsrechtlich begründete Haftung des finnischen Staats gegeben sind, ob das Gemeinschaftsrecht auch die Haftung des Beamten, dessen Verhalten in Rede steht, zulässt oder verlangt und inwieweit die Voraussetzungen solcher Haftungsansprüche eventuell eine gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung des finnischen Rechts erfordern.

76 Angesichts der Ausführungen in den Randnrn. 50 bis 53 des vorliegenden Urteils sind die Fragen des vorlegenden Gerichts allerdings im Hinblick auf eine eventuelle Verletzung von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie zu beantworten.

Zu den Voraussetzungen für die Haftung des finnischen Staats (Frage 5 Buchst. a bis c)

77 Mit seiner fünften Frage Buchst. a bis c möchte das vorlegende Gericht wissen, ob unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens die Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht hinreichend qualifiziert sind, so dass sie die außervertragliche Haftung des finnischen Staats auslösen können, und ob einzelne Marktteilnehmer Rechte gegenüber den Mitgliedstaaten einfordern können.

78 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs hat ein Mitgliedstaat Schäden, die dem Einzelnen entstanden sind, unter drei Voraussetzungen zu ersetzen: Die Rechtsnorm, gegen die verstoßen worden ist, bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen; der Verstoß ist hinreichend qualifiziert; und zwischen dem Verstoß gegen die dem Staat obliegende Verpflichtung und dem den geschädigten Personen entstandenen Schaden besteht ein unmittelbarer Kausalzusammenhang. Die Beurteilung dieser Voraussetzungen hängt von der jeweiligen Fallgestaltung ab (Urteile vom 5. März 1996, Brasserie du pêcheur und Factortame, C-46/93 und C-48/93, Slg. 1996, I-1029, Randnr. 51, vom 2. April 1998, Norbrook Laboratories, C-127/95, Slg. 1998, I-1531, Randnr. 107, und vom 4. Juli 2000, Haim, C-424/97, Slg. 2000, I-5123, Randnr. 36).

79 Hinsichtlich der ersten Voraussetzung genügt es, festzustellen, dass Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie einzelnen Marktteilnehmern Rechte verleihen soll, die sie gegenüber den Mitgliedstaaten einfordern können.

80 In Bezug auf die zweite Voraussetzung ist entscheidendes Kriterium für die Feststellung eines hinreichend qualifizierten Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht, dass ein Mitgliedstaat die Grenzen, die seinem Ermessen gesetzt sind, offenkundig und erheblich überschritten hat (vgl. Urteil Brasserie du pêcheur und Factortame, Randnr. 55).

81 Dazu ist daran zu erinnern, dass der Gerichtshof bereits entschieden hat, dass die bloße Verletzung des Gemeinschaftsrechts durch einen Mitgliedstaat, der zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung nur über einen erheblich verringerten oder gar auf null reduzierten Gestaltungsspielraum verfügte, ausreichen kann, um einen hinreichend qualifizierten Verstoß anzunehmen (vgl. Urteil Norbrook Laboratories, Randnr. 109 und die zitierte Rechtsprechung).

82 Die Verpflichtungen in Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie räumen den Mitgliedstaaten keinen Gestaltungsspielraum ein. Nur Art. 7 der Richtlinie berücksichtigt nämlich das Auftreten späterer Zweifel, ob eine Maschine, deren Übereinstimmung mit den Anforderungen der Richtlinie vermutet wurde, diesen entspricht, und sieht angemessene Maßnahmen vor, ihnen zu begegnen. Folglich ist ein Verstoß gegen Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie durch Äußerungen wie den im Ausgangsverfahren streitigen, wenn sie dem Mitgliedstaat zugerechnet werden können, als hinreichend qualifiziert anzusehen.

83 Was die dritte Voraussetzung angeht, so ist es Sache der nationalen Gerichte, festzustellen, ob ein unmittelbarer Kausalzusammenhang zwischen dem Verstoß gegen die dem Staat obliegende Verpflichtung und dem der Klägerin des Ausgangsverfahrens entstandenen Schaden besteht (vgl. in diesem Sinne Urteile Brasserie du pêcheur und Factortame, Randnr. 65, und vom 23. Mai 1996, Hedley Lomas, C-5/94, Slg. 1996, I-2553, Randnr. 30).

84 Im vorliegenden Fall haben die im Ausgangsverfahren streitigen Äußerungen offensichtlich - allerdings vorbehaltlich einer Überprüfung durch das vorlegende Gericht - zu einem Rückgang der Umsätze von AGM von 2000 bis 2002 sowie zu einem Rückgang ihrer Gewinnspanne in den Jahren 2001 und 2002 geführt. Überdies sind die Auswirkungen dieser Äußerungen auf den Markt zuvor vom Sozial- und Gesundheitsministerium selbst erkannt worden.

85 Die drei vorgenannten Voraussetzungen sind erforderlich und ausreichend, um für den Einzelnen einen Entschädigungsanspruch zu begründen, ohne dass es deswegen ausgeschlossen wäre, dass die Haftung des Staats auf der Grundlage des nationalen Rechts unter weniger einschränkenden Voraussetzungen ausgelöst werden kann (vgl. Urteil Brasserie du pêcheur und Factortame, Randnr. 66).

86 Vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen ist zu antworten, dass Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er unter den vorliegenden Umständen im Fall von Maschinen, die richtlinienkonform sind oder deren Konformität vermutet wird, Einzelnen Rechte verleiht und den Mitgliedstaaten keinen Gestaltungsspielraum einräumt. Die Nichtbeachtung dieser Bestimmung durch Äußerungen eines Beamten eines Mitgliedstaats stellt, sofern sie diesem Staat zurechenbar sind, einen hinreichend qualifizierten Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht dar, um die Haftung dieses Staats auszulösen.

Zu den Beschränkungen der Haftung, die sich aus den nationalen Rechtsvorschriften über die Haftung des finnischen Staats ergeben (Frage 5 Buchst. e und Frage 6 Buchst. a zum Teil)

87 Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob das nationale Recht besondere zusätzliche Voraussetzungen für die Staatshaftung aufstellen kann oder ob Beschränkungen der Haftung, wie sie im finnischen Recht vorgesehen sind, als Bestimmungen zu sehen sind, die den Ersatz eines Schadens, der durch eine Verletzung von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie durch einen Mitgliedstaat entstanden ist, praktisch äußerst erschweren oder gar unmöglich machen.

88 Zunächst ist hervorzuheben, dass die im Gemeinschaftsrecht begründete Haftung eines Mitgliedstaats nicht der Abschreckung oder als Sanktion dient, sondern auf den Ersatz der Schäden gerichtet ist, die Einzelnen durch Verstöße der Mitgliedstaaten gegen Gemeinschaftsrecht entstehen.

89 Es ist ständige Rechtsprechung, dass der Mitgliedstaat bei Vorliegen der Voraussetzungen des gemeinschaftsrechtlich begründeten Schadensersatzanspruchs den verursachten Schaden im Rahmen des nationalen Haftungsrechts zu beheben hat. Auch dürfen die im Schadensersatzrecht der einzelnen Mitgliedstaaten festgelegten materiellen und formellen Voraussetzungen in einem solchen Kontext nicht ungünstiger sein als bei ähnlichen Klagen, die nur nationales Recht betreffen, und sie dürfen nicht so ausgestaltet sein, dass sie eine Entschädigung praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 19. November 1991, Francovich u. a., C-6/90 und C-9/90, Slg. 1991, I-5357, Randnrn. 42 und 43, sowie Norbrook Laboratories, Randnr. 111).

90 Das Gemeinschaftsrecht verlangt demnach eine effektive Entschädigung und duldet keine zusätzlichen Voraussetzungen aus mitgliedstaatlichem Recht, die ein Erlangen von Schadensersatz oder von bestimmten Schadensersatzarten übermäßig erschweren.

91 Die Ausführungen des vorlegenden Gerichts deuten darauf hin, dass die auf das Ausgangsverfahren anzuwendenden Haftungsvorschriften des finnischen Rechts einen Ersatzanspruch für andere Schäden als Personen- oder Sachschäden von der Voraussetzung abhängig machen, dass der Schaden durch eine vom Gesetz mit Strafe belegte Handlung oder in Ausübung hoheitlicher Gewalt verursacht worden ist oder für eine Verurteilung zum Schadensersatz besonders schwerwiegende Gründe vorliegen. Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts fällt das Verhalten von Herrn Lehtinen unter keinen der genannten Fälle, was den Ersatz des von AGM erlittenen Schadens erschwert.

92 In diesem Fall entsteht ein Entschädigungsanspruch, wenn nachgewiesen ist, dass die verletzte Rechtsvorschrift bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen, und zwischen dem geltend gemachten hinreichend qualifizierten Verstoß und dem dem Betroffenen entstandenen Schaden ein unmittelbarer Kausalzusammenhang besteht, da diese drei Voraussetzungen erforderlich und ausreichend sind, um einen Entschädigungsanspruch des Einzelnen zu begründen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Juni 2006, Traghetti del Mediterraneo, C-173/03, Slg. 2006, I-5177, Randnrn. 44 und 45 und die zitierte Rechtsprechung).

93 Unter den vorliegenden Umständen kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine hinreichend qualifizierte Verletzung des Gemeinschaftsrechts, die geeignet ist, die Haftung des finnischen Staats auszulösen, auf ein diesem Staat zurechenbares Verhalten zurückzuführen ist, das nicht unter einen der im betreffenden nationalen Recht abschließend geregelten Tatbestände fällt.

94 Überdies muss der von den Mitgliedstaaten zu leistende Ersatz der Schäden, die sie dem Einzelnen durch Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht verursacht haben, dem erlittenen Schaden angemessen sein. Soweit es auf diesem Gebiet keine Gemeinschaftsvorschriften gibt, sind in der nationalen Rechtsordnung jedes Mitgliedstaats die Kriterien festzulegen, anhand deren der Umfang der Entschädigung bestimmt werden kann, wobei diese Kriterien nicht ungünstiger sein dürfen als bei entsprechenden, auf nationales Recht gestützten Ansprüchen; auch dürfen sie keinesfalls so ausgestaltet sein, dass die Entschädigung praktisch unmöglich oder übermäßig erschwert ist. Eine nationale Regelung, die den ersatzfähigen Schaden generell auf die Schäden beschränken würde, die an bestimmten, besonders geschützten individuellen Rechtsgütern entstehen, wobei der entgangene Gewinn des Einzelnen ausgeschlossen wäre, ist mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar (vgl. in diesem Sinne Urteil Brasserie du pêcheur und Factortame, Randnr. 90).

95 Bei einem Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht ist der vollständige Ausschluss des entgangenen Gewinns vom ersatzfähigen Schaden nicht zulässig. Insbesondere bei Rechtsstreitigkeiten wirtschaftlicher oder kommerzieller Natur ist nämlich ein solcher vollständiger Ausschluss des entgangenen Gewinns geeignet, den Ersatz des Schadens tatsächlich unmöglich zu machen (vgl. Urteil Brasserie du pêcheur und Factortame, Randnr. 87).

96 Daher ist zu antworten, dass es gemeinschaftsrechtlich nicht zu beanstanden ist, dass im nationalen Recht eines Mitgliedstaats besondere Voraussetzungen für den Ersatz von anderen Schäden als Personen- und Sachschäden vorgesehen werden, sofern sie so ausgestaltet sind, dass sie eine Entschädigung für den Schaden, der durch eine Verletzung des Gemeinschaftsrechts entstanden ist, nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren.

Zu der persönlichen Haftung von Beamten (Frage 5 Buchst. d und Frage 6 Buchst. a zum Teil sowie Buchst. b)

97 Das vorlegende Gericht fragt, ob es das Gemeinschaftsrecht zulässt oder gar verlangt, die persönliche Haftung eines Beamten vorzusehen, der einen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht begangen hat, und gegebenenfalls, ob diese Haftung besonderen Beschränkungen unterliegen darf.

98 Gemeinschaftsrechtlich ist es nicht zu beanstanden, wenn die Haftung eines anderen Rechtssubjekts als eines Mitgliedstaats für die Schäden, die einem Einzelnen durch von diesem Rechtssubjekt unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht getroffene Maßnahmen entstanden sind, neben derjenigen des Mitgliedstaats selbst gegeben ist (vgl. in diesem Sinne Urteil Haim, Randnr. 32).

99 In Anbetracht des Vorstehenden ist zu antworten, dass im Fall eines Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht dieses der Möglichkeit der Haftung eines Beamten neben derjenigen des Mitgliedstaats nicht entgegensteht, sie aber nicht verlangt.

Kostenentscheidung:

Kosten

100 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

1. Die Äußerungen eines Beamten sind dem Staat zurechenbar, wenn aufgrund ihrer Form und der Umstände bei den Empfängern der Äußerungen der Eindruck entsteht, dass es sich um offizielle staatliche Verlautbarungen und nicht um die private Meinung des Beamten handelt. Um Äußerungen eines Beamten dem Staat zurechnen zu können, kommt es entscheidend darauf an, ob die Empfänger dieser Äußerungen den Umständen nach annehmen dürfen, dass der Beamte diese Äußerungen mit Amtsautorität macht. Sofern die Äußerungen eines Beamten, die eine Maschine, deren Übereinstimmung mit der Richtlinie bestätigt wurde, als gegen die für sie geltende harmonisierte Norm verstoßend und gefährlich darstellen, dem Staat zurechenbar sind, verletzen sie Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 98/37/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 1998 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für Maschinen.

2. Unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens kann eine Verletzung von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 98/37 durch das Verhalten eines Beamten, sofern es dem Mitgliedstaat, dem er angehört, zurechenbar ist, weder mit dem Gesundheitsschutz noch mit der Meinungsäußerungsfreiheit der Beamten gerechtfertigt werden.

3. Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 98/37 ist dahin auszulegen, dass er unter den vorliegenden Umständen im Fall von Maschinen, die richtlinienkonform sind oder deren Konformität vermutet wird, Einzelnen Rechte verleiht und den Mitgliedstaaten keinen Gestaltungsspielraum einräumt. Die Nichtbeachtung dieser Bestimmung durch Äußerungen eines Beamten eines Mitgliedstaats stellt, sofern sie diesem Staat zurechenbar sind, einen hinreichend qualifizierten Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht dar, um die Haftung dieses Staats auszulösen.

4. Es ist gemeinschaftsrechtlich nicht zu beanstanden, dass im nationalen Recht eines Mitgliedstaats besondere Voraussetzungen für den Ersatz von anderen Schäden als Personen- und Sachschäden vorgesehen werden, sofern sie so ausgestaltet sind, dass sie eine Entschädigung für den Schaden, der durch eine Verletzung des Gemeinschaftsrechts entstanden ist, nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren.

5. Im Fall eines Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht steht dieses der Möglichkeit der Haftung eines Beamten neben derjenigen des Mitgliedstaats nicht entgegen, verlangt sie aber nicht.

Ende der Entscheidung

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