Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 19.04.2007
Aktenzeichen: C-63/06
Rechtsgebiete: EG, Richtlinie 92/83/EWG


Vorschriften:

EG Art. 234
Richtlinie 92/83/EWG Art. 27 Abs. 1 Buchst. f
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Achte Kammer)

19. April 2007

"Richtlinie 92/83/EWG - Harmonisierung der Struktur der Verbrauchsteuern auf Alkohol und alkoholische Getränke - Art. 27 Abs. 1 Buchst. f - Alkohol, der in Schokoladeerzeugnissen enthalten ist - Befreiung von der harmonisierten Verbrauchsteuer"

Parteien:

In der Rechtssache C-63/06

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Vyriausiasis administracinis teismas (Litauen) mit Entscheidung vom 20. Dezember 2005, beim Gerichtshof eingegangen am 3. Februar 2006, in dem Verfahren

UAB Profisa

gegen

Muitines departamentas prie Lietuvos Respublikos finansu ministerijos

erlässt

DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Juhász sowie der Richterin R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin) und des Richters J. Malenovský,

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: R. Grass,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

- der UAB Profisa, vertreten durch T. Blazys, advokatas,

- der litauischen Regierung, vertreten durch D. Kriauciunas als Bevollmächtigten,

- der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Fernandes und Â. Seiça Neves als Bevollmächtigte,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch W. Mölls und A. Steiblyte als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 27 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 92/83/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 zur Harmonisierung der Struktur der Verbrauchsteuern auf Alkohol und alkoholische Getränke (ABl. L 316, S. 21).

2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits der UAB Profisa (im Folgenden: Profisa) gegen das Muitines departamentas prie Lietuvos Respublikos finansu ministerijos (litauische Zollverwaltung), bei dem es darum geht, ob Alkohol, der in Schokoladeerzeugnissen enthalten ist, der harmonisierten Verbrauchsteuer auf Alkohol unterliegt.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

3 Art. 27 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 92/83 bestimmt:

"Die Mitgliedstaaten befreien die von dieser Richtlinie erfassten Erzeugnisse von der harmonisierten Verbrauchsteuer nach Maßgabe von Bedingungen, die sie zur Sicherstellung einer korrekten und einfachen Anwendung solcher Steuerbefreiungen sowie zur Vermeidung von Steuerflucht, Steuerhinterziehung oder Missbrauch festlegen, sofern die betreffenden Erzeugnisse unmittelbar oder als Bestandteile von Halbfertigerzeugnissen für die Herstellung von Lebensmitteln, gefüllt oder in anderer Form, verwendet werden, sofern jeweils der Alkoholgehalt 8,5 Liter reinen Alkohols je 100 kg des Erzeugnisses bei Pralinen und 5 Liter reinen Alkohols je 100 kg des Erzeugnisses bei anderen Erzeugnissen nicht überschreitet."

Nationales Recht

4 Nach Art. 25 Abs. 1 Nr. 5 des Verbrauchsteuergesetzes (akcizu istatymas) der Republik Litauen vom 30. Oktober 2001 ('in., 2001, Nr. 98-3482) in der durch das Gesetz vom 29. Januar 2004 ('in., 2004, Nr. 26-802) geänderten Fassung (im Folgenden: Verbrauchsteuergesetz) sind Ethylalkohol und alkoholische Getränke, die zur Herstellung von Schokoladeerzeugnissen bestimmt sind, von der Verbrauchsteuer befreit, sofern nicht mehr als 8,5 l reiner Ethylalkohol je 100 kg (netto) Schokoladeerzeugnisse verwendet wird.

Das Ausgangsverfahren und die Vorlagefrage

5 Profisa führt Schokoladeerzeugnisse, die Ethylalkohol enthalten, nach Litauen ein.

6 Das Muitines departamentas prie Lietuvos Respublikos finansu ministerijos lehnte es mit Bescheiden vom 4. Januar und vom 14. März 2005 ab, die von Profisa eingeführten Waren von der Verbrauchsteuer zu befreien; zur Begründung machte es geltend, dass zwar Art. 25 Abs. 1 Nr. 5 des Verbrauchsteuergesetzes Ethylalkohol, der zur Herstellung von Schokoladeerzeugnissen bestimmt sei, befreie, doch gelte diese Bestimmung nicht für fertige Ethylalkohol enthaltende Schokoladeerzeugnisse wie diejenigen, um die es im Ausgangsverfahren gehe.

7 Profisa erhob beim Vilniaus Apygardos administracinis teismas Klage auf Aufhebung dieser Bescheide; das Gericht wies diese Klage mit Urteil vom 9. Mai 2005 ab.

8 Profisa legte gegen dieses Urteil Rechtsmittel beim vorlegenden Gericht ein.

9 Das vorlegende Gericht führt aus, da Art. 25 Abs. 1 Nr. 5 des Verbrauchsteuergesetzes der Umsetzung von Art. 27 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 92/83 in das litauische Recht diene, sei eine Auslegung der letztgenannten Bestimmung für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits erforderlich.

10 Nach den Ausführungen dieses Gerichts weicht die litauische Fassung von Art. 27 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 92/83 von anderen Sprachfassungen dieses Artikels ab.

11 In diesem Zusammenhang hat das Vyriausiasis administracinis teismas das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist im Hinblick auf die Unterschiede zwischen den verschiedenen Sprachfassungen der Richtlinie 92/83 Art. 27 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie so auszulegen, dass er die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, in das Zollgebiet der Europäischen Gemeinschaften eingeführten Ethylalkohol, der in Schokoladeerzeugnissen enthalten ist, die für den unmittelbaren Verbrauch bestimmt sind, von der Verbrauchsteuer zu befreien, sofern der Alkoholgehalt 8,5 l je 100 kg der Schokoladeerzeugnisse nicht überschreitet?

Zur Vorlagefrage

12 Alle Beteiligten, die schriftliche Erklärungen eingereicht haben, schlagen vor, die Vorlagefrage zu bejahen.

13 Nach ständiger Rechtsprechung verbietet es die Notwendigkeit einer einheitlichen Anwendung und damit Auslegung des Gemeinschaftsrechts, im Fall von Zweifeln eine Bestimmung in einer ihrer Fassungen isoliert zu betrachten, und gebietet es vielmehr, sie unter Berücksichtigung ihrer Fassungen in den anderen Amtssprachen auszulegen und anzuwenden (Urteile vom 12. November 1969, Stauder, 29/69, Slg. 1969, 419, Randnr. 3, vom 7. Juli 1988, Moksel, 55/87, Slg. 1988, 3845, Randnr. 15, und vom 2. April 1998, EMU Tabac u. a., C-296/95, Slg. 1998, I-1605, Randnr. 36).

14 Weichen die verschiedenen Sprachfassungen eines Gemeinschaftstextes voneinander ab, so muss die fragliche Vorschrift nach dem Zusammenhang und dem Zweck der Regelung ausgelegt werden, zu der sie gehört (Urteile vom 27. Oktober 1977, Bouchereau, 30/77, Slg. 1977, 1999, Randnr. 14, vom 7. Dezember 2000, Italien/Kommission, C-482/98, Slg. 2000, I-10861, Randnr. 49, und vom 1. April 2004, Borgmann, C-1/02, Slg. 2004, I-3219, Randnr. 25).

15 Ein Vergleich der verschiedenen Sprachfassungen von Art. 27 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 92/83 ergibt, dass mit Ausnahme der litauischen Fassung alle Sprachfassungen dieses Artikels vorsehen, dass die Mitgliedstaaten nach Maßgabe von Bedingungen, die sie festlegen, die von dieser Richtlinie erfassten Erzeugnisse, zu denen Ethylalkohol gehört, von der harmonisierten Verbrauchsteuer befreien, wenn diese unmittelbar für die Herstellung von Lebensmitteln verwendet werden und jeweils ihr Alkoholgehalt 8,5 l reinen Alkohols je 100 kg bei Pralinen und 5 l reinen Alkohols je 100 kg bei anderen Erzeugnissen nicht überschreitet.

16 Der Ort, an dem der Ethylalkohol für die Herstellung verwendet wird, ist in dieser Hinsicht unbeachtlich.

17 Im Übrigen wird mit den in der Richtlinie 92/83 vorgesehenen Steuerbefreiungen u. a. das Ziel verfolgt, die Auswirkungen der Verbrauchsteuern auf Alkohol als bei der Herstellung anderer Handels- oder Industrieerzeugnisse verwendetes Zwischenerzeugnis zu neutralisieren (Urteil Italien/Kommission, Randnr. 4).

18 Ferner ist bei den von Art. 27 Abs. 1 der Richtlinie 92/83 erfassten Erzeugnissen die Steuerbefreiung die Regel und ihre Versagung die Ausnahme. Die den Mitgliedstaaten durch diese Bestimmung eingeräumte Befugnis, die Bedingungen "zur Sicherstellung einer korrekten und einfachen Anwendung solcher Steuerbefreiungen sowie zur Vermeidung von Steuerflucht, Steuerhinterziehung oder Missbrauch" festzulegen, kann nicht die Unbedingtheit der in dieser Bestimmung vorgesehenen Befreiungsverpflichtung in Frage stellen (Urteil Italien/Kommission, Randnr. 50).

19 Daher ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 27 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 92/83 so auszulegen ist, dass er die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, in das Zollgebiet der Europäischen Union eingeführten Ethylalkohol, der in Schokoladeerzeugnissen enthalten ist, die für den unmittelbaren Verbrauch bestimmt sind, von der harmonisierten Verbrauchsteuer zu befreien, sofern der Alkoholgehalt dieser Erzeugnisse 8,5 l je 100 kg des Erzeugnisses nicht überschreitet.

Kostenentscheidung:

Kosten

20 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit. Die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Achte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 27 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 92/83/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 zur Harmonisierung der Struktur der Verbrauchsteuern auf Alkohol und alkoholische Getränke ist so auszulegen, dass er die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, in das Zollgebiet der Europäischen Union eingeführten Ethylalkohol, der in Schokoladeerzeugnissen enthalten ist, die für den unmittelbaren Verbrauch bestimmt sind, von der harmonisierten Verbrauchsteuer zu befreien, sofern der Alkoholgehalt dieser Erzeugnisse 8,5 l je 100 kg des Erzeugnisses nicht überschreitet.

Ende der Entscheidung

Zurück