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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Beschluss verkündet am 21.11.1994
Aktenzeichen: T-368/94 R
Rechtsgebiete: EWG/EAG BeamtStat


Vorschriften:

EWG/EAG BeamtStat Art. 91
EWG/EAG BeamtStat Art. 9
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Der Richter der einstweiligen Anordnung hat bei der Beurteilung der Dringlichkeit des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zu prüfen, ob die Durchführung der angefochtenen Handlung vor dem Erlaß einer Entscheidung zur Hauptsache dem Antragsteller irreversible Schäden zufügen kann, die auch dann nicht wiedergutgemacht werden könnten, wenn die betreffende Handlung später vom Gericht aufgehoben würde. Die beantragten Anordnungen dürfen trotz ihres vorläufigen Charakters nicht ausser Verhältnis zum Interesse des Antragsgegners daran stehen, daß die Handlung ungeachtet der Klage, deren Gegenstand sie ist, durchgeführt wird.

Einem Antrag auf einstweilige Anordnung, der darauf gerichtet ist, die Wahlen der Vertreter der Beamten in der Personalvertretung auszusetzen oder zu verschieben, ist stattzugeben, wenn klar ersichtlich ist, daß eine Reihe von Entscheidungen des Wahlausschusses, deren Rechtmässigkeit bestritten wird, in ihrer praktischen Auswirkung den Antragsteller daran hindern, sich zur Wahl zu stellen, und ihm so einen schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden zufügen könnten.

Aufgrund der Abwägung der sich gegenüberstehenden Interessen ist die mit der Möglichkeit der Einreichung neuer Bewerbungen verbundene Wiedereröffnung des Wahlverfahrens der einfachen Aussetzung dieses Verfahrens vorzuziehen. Eine Aussetzung hätte nämlich zur Folge, daß die Personalvertretung, deren Amtszeit abgelaufen ist, bis zum Abschluß des Verfahrens in der Hauptsache im Amt bliebe, wodurch den Beamten das Recht, neue Vertreter zu wählen, genommen und eine Quelle von Schwierigkeiten für eine ordnungsgemässe Tätigkeit der Vertretungsorgane der Beamten geschaffen würde, da die Natur der Befugnisse einer unter derartigen Umständen im Amt verbleibenden Vertretung umstritten ist.


BESCHLUSS DES PRAESIDENTEN DES GERICHTS ERSTER INSTANZ VOM 21. NOVEMBER 1994. - PIERRE BLANCHARD GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - VORLAEUFIGER RECHTSSCHUTZ - EINSTWEILIGE ANORDNUNGEN - BEAMTENSTATUT - PERSONALVERTRETUNG - WAHLEN - AUSSETZUNG DES WAHLVERFAHREN. - RECHTSSACHE T-368/94 R.

Entscheidungsgründe:

Sachverhalt und Verfahren

1 Der Antragsteller hat mit Klageschrift, die am 11. November 1994 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, gemäß Artikel 91 Absatz 1 des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften (im folgenden: Statut) Klage auf Aufhebung mehrerer Entscheidungen erhoben, die der Wahlausschuß und der Vorsitzende dieses Ausschusses im Rahmen des Verfahrens für die Wahlen zur örtlichen Sektion Brüssel der Personalvertretung der Kommission am 3. und am 8. November 1994 erlassen hat und durch die zwei von derselben Gewerkschaft, der Union syndicale, eingereichte Listen von der Teilnahme an diesen Wahlen ausgeschlossen worden sind.

2 Mit besonderem Schriftsatz, der am selben Tag bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat der Antragsteller gemäß Artikel 91 Absatz 4 des Statuts ausserdem beantragt, die Wahlen zur örtlichen Sektion Brüssel der Personalvertretung, die am 22., 23. und 24. November 1994 stattfinden sollen, zu verschieben oder auszusetzen.

3 Die Kommission hat zu dem vorliegenden Antrag auf einstweilige Anordnung am 17. November 1994 Stellung genommen.

4 Die Parteien haben am 18. November 1994 mündlich verhandelt.

5 Vor der Prüfung der Begründetheit des vorliegenden Antrags auf einstweilige Anordnung ist die Vorgeschichte des Rechtsstreits, wie sie sich aus den eingereichten Schriftsätzen und den Erklärungen der Parteien in der mündlichen Verhandlung ergibt, wiederzugeben.

6 Nach Artikel 9 des Statuts ist bei jedem Organ eine Personalvertretung zu bilden. Das Verfahren für die Wahl dieser Personalvertretung wird nach Artikel 1 Absatz 2 des Anhangs II zum Statut durch die Vollversammlung der Beamten des jeweiligen Organs festgelegt.

7 Aufgrund der ihr durch diesen Artikel eingeräumten Befugnis erließ die Vollversammlung der Beamten der Kommission, deren Dienstort Brüssel ist, am 15. September 1992 eine Wahlordnung, die ohne Änderungen von einer neuen Vollversammlung am 20. September 1994 für die für den 22., 23. und 24. November 1994 angesetzten Wahlen der örtlichen Sektion Brüssel der Personalvertretung der Kommission übernommen wurde.

8 Nach Artikel 2 der Wahlordnung wird ein Wahlausschuß geschaffen, der u. a. die eingereichten Bewerbungen zu prüfen und diejenigen auszuschließen hat, die nicht den in dieser Wahlordnung vorgesehenen Voraussetzungen entsprechen (Artikel 7). Nach Artikel 6 der Wahlordnung sind die Bewerbungen in Form von Listen einzureichen, die jeweils höchstens 27 Bewerber und 27 Ersatzleute umfassen.

9 Am 18. Oktober 1994 reichte die Union syndicale, eine Gewerkschaft europäischer Beamter, im Sinne von Artikel 24 a des Statuts bei dem Wahlausschuß zwei Listen mit 27 Bewerberpaaren mit dem Briefkopf der Union syndicale ein. Bei einer dieser Listen mit der Überschrift "Union syndicale" war L. Schubert, der Vizepräsident der Union syndicale, Listenführer; bei der anderen als "Research/Union syndicale" bezeichneten Liste war P. Blanchard, der Präsident der Union syndicale, Listenführer. Diese Liste bestand z. T. aus wissenschaftlichen oder technischen Beamten und Bediensteten der Gemeinschaften im Sinne der Artikel 92 bis 101 des Statuts.

10 Wie aus einem Protokoll vom 20. Oktober 1994 hervorgeht, nahm der Wahlausschuß bei seiner Sitzung vom 19. Oktober die sieben bei ihm eingereichten Listen einschließlich der beiden Listen der Union syndicale an.

11 Am 20. und am 24. Oktober legten zwei auf konkurrierenden Listen stehende Bewerber beim Wahlausschuß Beschwerde gegen die Annahme der beiden Listen der Union syndicale ein.

12 Am 3. November 1994 teilte der Vorsitzende des Wahlausschusses dem politischen Sekretär der Union syndicale mit, daß der Ausschuß der Auffassung sei, daß diese Beschwerden zulässig seien, da sie aufgrund eines Gutachtens des Juristischen Dienstes der Kommission der Meinung sei, daß die Einreichung von zwei Listen durch ein und dieselbe Gewerkschaft oder ein und denselben Berufsverband gegen die Wahlordnung verstosse, und daß er die Union syndicale folglich dazu auffordere, eine einzige Liste einzureichen.

13 Am 7. November 1994 erklärte sich die Union syndicale bereit, ihre Liste "Research/Union syndicale" zurückzuziehen und sie unter einer neuen Bezeichnung einzureichen, vorausgesetzt, daß der Wahlausschuß die endgültige Annahme beider Listen garantiere.

14 Am 8. November 1994 teilte der Vorsitzende des Wahlausschusses dem politischen Sekretär der Union syndicale schriftlich mit, daß die Bedingungen, die die Union syndicale für die Änderung der Bezeichnung einer ihrer Listen gestellt habe, vom Ausschuß nicht angenommen worden seien und daß die Liste "Research/Union syndicale" folglich ausgeschlossen worden sei.

15 Am 8. November 1994 sprach der Antragsteller beim Wahlausschuß vor und beantragte die Zulassung der Liste "Research/Union syndicale" unter einer Bezeichnung, die keine Bezugnahme auf diese Gewerkschaft enthielt, was der Vorsitzende des Ausschusses ablehnte.

16 Gegen all diese Entscheidungen hat der Antragsteller, der die Liste "Research/Union syndicale" anführt, nach Einlegung einer Beschwerde bei der Kommission Klage im Hauptsacheverfahren erhoben.

Entscheidungsgründe

17 Gemäß den Artikeln 185 und 186 EG-Vertrag in Verbindung mit Artikel 4 des Beschlusses 88/591/EGKS, EWG, Euratom des Rates vom 24. Oktober 1988 zur Errichtung eines Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften (ABl. L 319, S. 1) in der Fassung des Beschlusses 93/350/Euratom, EGKS, EWG des Rates vom 8. Juni 1993 (ABl. L 144, S. 21) kann das Gericht, wenn es dies den Umständen nach für nötig hält, die Durchführung der angefochtenen Handlung aussetzen oder die erforderlichen einstweiligen Anordnungen treffen.

18 Nach Artikel 104 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts müssen Anträge auf einstweilige Anordnungen im Sinne der Artikel 185 und 186 des Vertrages die Umstände anführen, aus denen sich die Dringlichkeit ergibt; ferner ist die Notwendigkeit der beantragten Anordnung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht glaubhaft zu machen. Die beantragten Maßnahmen müssen eine einstweilige Regelung in dem Sinne darstellen, daß sie der Entscheidung in der Hauptsache nicht vorgreifen (siehe zuletzt Beschluß des Präsidenten des Gerichts vom 10. Mai 1994 in der Rechtssache T-88/94 R, Société commerciale des potasses et de l' azote u. a./Kommission, Slg. 1994, II-263).

Vorbringen der Parteien

19 Zum Nachweis der Begründetheit der Klage in der Hauptsache macht der Antragsteller fünf Klagegründe geltend. Er trägt erstens vor, die angefochtenen Entscheidungen seien unter Verstoß gegen die Artikel 7 und 18 der Wahlordnung erlassen worden, die dem Wahlausschuß nur die Befugnis einräumten, die eingereichten Bewerbungen zu prüfen und diejenigen auszuschließen, die den Voraussetzungen der Wahlordnung nicht entsprächen, sowie die Befugnis, über Einsprüche zu entscheiden, die während des Wahlvorgangs erhoben würden. Sobald die Bewerbungen angenommen seien, habe der Wahlausschuß dagegen keine Befugnis, seine eigenen Entscheidungen abzuändern.

20 Zweitens macht der Antragsteller geltend, keine Vorschrift des Statuts verbiete einer Gewerkschaft oder einem Berufsverband, bei ein und derselben Wahl mehrere Listen vorzulegen. Das Gutachten des Juristischen Dienstes der Kommission, aufgrund dessen der Wahlausschuß seine Entscheidungen getroffen habe, zeige nicht auf, unter welchem Gesichtspunkt der Umstand, daß mehrere Listen vorgelegt würden und damit zugelassen werde, daß ein und dieselbe Gewerkschaft oder ein und derselbe Berufsverband mehr als 27 Bewerberpaare aufstellen könne, im Widerspruch zum Geist des Wahlsystems stehe. Der Antragsteller räumt ein, daß die Aufstellung mehrerer Listen sich auf die Verteilung der Sitze auswirken könne, ist aber der Auffassung, daß es sich dabei um eine Auswirkung handele, die mit der Logik des Systems untrennbar verbunden sei. Im übrigen sei es unstreitig, daß die Beamten und sonstigen Bediensteten, die nicht Mitglied einer Gewerkschaft oder eines Berufsverbandes seien, so viele Listen aufstellen könnten, wie sie wollten, was ebenfalls die Sitzverteilung verändern könne, ohne daß dies gegen die Logik des Systems verstosse.

21 Drittens beruft der Antragsteller sich auf einen Verstoß gegen den Grundsatz der Freiheit und der Demokratie insoweit, als das Verbot der Aufstellung von zwei Listen durch eine Gewerkschaft oder einen Berufsverband die Freiheit der Beamten beschränke, ihre Vertreter zu bestellen, und eine Diskriminierung im Verhältnis zu den nicht organisierten Beamten schaffe, die mehrere Listen aufstellen könnten.

22 Viertens macht der Antragsteller geltend, die angefochtenen Entscheidungen seien unter Verstoß gegen den Grundsatz erlassen worden, daß das Personal seine Meinung müsse äussern können. Die Erhöhung der Zahl der Bewerber stehe insoweit in Einklang mit diesem Gebot, daß sie die Äusserung aller innerhalb des Personals vorhandenen Meinungen zulasse. Ausserdem sei die Aufstellung der Liste "Research/Union syndicale" dadurch gerechtfertigt, daß es in den Dienststellen der Kommission wissenschaftliche und technische Beamte gebe, die spezifische Probleme und Bedürfnisse hätten. Aus Artikel 1 Absatz 4 des Anhangs II zum Statut und aus der von der Kommission am 27. April 1988 erlassenen Regelung über die Zusammensetzung und die Tätigkeit der Personalvertretung gehe aber der allgemeine Grundsatz hervor, daß alle Interessengruppen innerhalb des Personals in der Personalvertretung vertreten sein müssten. Die Aufstellung einer aus wissenschaftlichen und technischen Beamten bestehenden Liste sei ein Mittel, um diesen Grundsatz praktisch umzusetzen.

23 Fünftens beruft der Antragsteller sich auf eine Verletzung der gewerkschaftlichen Freiheit und des Grundsatzes der Wählbarkeit aller Beamten, da das für alle Gewerkschaften und Berufsverbände geltende Verbot, mehr als eine Liste aufzustellen, diejenigen Gewerkschafts- oder Berufsverbandsmitglieder, die bei der Wahl potentielle Bewerber seien, ° über das 27. Bewerberpaar hinaus ° dazu zwinge, entweder aus der Gewerkschaft oder dem Berufsverband auszuscheiden und sich auf einer unabhängigen Liste zur Wahl zu stellen oder auf ihre Bewerbung zu verzichten. Die dritte angefochtene Entscheidung, durch die die Vorlage der Liste "Research/Union syndicale" unter einer anderen Bezeichnung abgelehnt worden sei, sei sowohl unter Verstoß gegen den Grundsatz der Wählbarkeit aller Beamten als auch gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes erlassen worden, da die Änderung der Bezeichnung auf die früheren Entscheidungen des Wahlausschusses gefolgt sei, in denen Einwände dagegen erhoben worden seien, daß in beiden Listen die Bezeichnung "Union syndicale" verwendet werde.

24 Was den Nachweis der Dringlichkeit der beantragten Anordnungen und die Gefahr eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens angeht, beruft sich der Antragsteller darauf, daß die Wahlen für den 22., 23. und 24. November 1994 vorgesehen seien und daß die angefochtenen Entscheidungen verhinderten, daß er ebenso wie die anderen Bewerber auf derselben Liste gewählt werden könnte. Darüber hinaus bestehe ohne die vom Gericht zu erlassenden einstweiligen Anordnungen die Gefahr, daß die Wahlen am Ende des Verfahrens in der Hauptsache für nichtig erklärt würden, was zu schweren Störungen innerhalb des betroffenen Organs führen könne. Dagegen füge der Erlaß der beantragten Anordnungen der Kommission keinen Schaden zu, da die bisherige Personalvertretung bis zu den neuen Wahlen im Amt bleibe.

25 Die Kommission trägt zum ersten Klagegrund des Antragstellers vor, der Wahlausschuß habe nach Artikel 18 der Wahlordnung die Pflicht, die Rechtmässigkeit des Ablaufs des Wahlverfahrens zu gewährleisten. Nachdem beim Wahlausschuß zwei Beschwerden von auf anderen Listen eingetragenen Bewerbern eingelegt worden seien, habe dieser die Befugnis gehabt, den Akt, durch die die beiden Listen "Union syndicale" angenommen worden seien, zurückzunehmen, da es sich um einen rechtswidrigen Akt gehandelt habe.

26 Was den zweiten Klagegrund angeht, stellt die Kommission fest, der Antragsteller sei der erste, der einräume, daß die Aufstellung zusätzlicher Listen sich auf die Sitzverteilung auswirken könne. Im vorliegenden Fall beruhe diese Auswirkung entgegen dem Vorbringen des Antragstellers nicht auf der Funktionsweise des Wahlsystems, sondern auf der Aufstellung mehrerer Listen je politischer Gruppierung. Diese Aufstellung mehrerer Listen verstosse gegen die in der Wahlordnung niedergelegte Begrenzung auf 27 Bewerber und 27 Ersatzleute je Liste oder Gruppierung, die sich zur Wahl stelle; diese Begrenzung sei durch die Notwendigkeit gerechtfertigt, die Chancengleichheit der Bewerber zu gewährleisten.

27 Zum dritten Klagegrund des Antragstellers trägt die Kommission vor, die Begrenzung der Zahl der je Gewerkschaft vorgelegten Listen schränke in keiner Weise das Freiheitsrecht der Beamten auf Bestellung ihrer Vertreter ein.

28 Was den vierten Klagegrund angeht, macht die Kommission geltend, die geltenden Bestimmungen böten allen Beamtenlaufbahnen und -sonderlaufbahnen die Garantie für eine ordnungsgemässe Vertretung bei den Wahlen der Personalvertretung. Im übrigen seien weniger als die Hälfte der Bewerber auf der Liste "Research/Union syndicale" wissenschaftliche oder technische Beamte.

29 Auf den fünften Klagegrund des Antragstellers entgegnet die Kommission, die Begrenzung der Zahl der Listen verstosse weder gegen die gewerkschaftliche Freiheit noch gegen den Grundsatz, daß alle Beamten wählbar seien. Die Ablehnung der Annahme der Liste unter einer anderen Bezeichnung durch den Vorsitzenden des Wahlausschusses sei durch die Notwendigkeit gerechtfertigt gewesen, dem Versuch einer verschleierten Übertretung des Verbots der Aufstellung mehrerer Listen entgegenzutreten. Durch diese Entscheidung habe nicht gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes verstossen werden können, da der Antragsteller sich auf keine genauen Zusicherungen seitens der Verwaltung habe berufen können. Auf jeden Fall könne es bei einem rechtswidrigen Zustand, wie er im vorliegenden Fall bestanden habe, keinen Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes geben.

30 Schließlich bestreitet die Kommission, daß dem Antragsteller ein schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden drohe, und macht geltend, der Erlaß der beantragten Anordnungen sei den Interessen des Personals abträglich, da die derzeitige Personalvertretung bis zum Abschluß des Verfahrens in der Hauptsache mit auf die Erledigung der laufenden Geschäfte beschränkten Befugnissen im Amt bliebe.

Richterliche Würdigung

31 Nach ständiger Rechtsprechung hat der Richter der einstweiligen Anordnung zu beurteilen, ob der Erlaß der beantragten Anordnungen dringlich ist, und dabei zu prüfen, ob die Durchführung der streitigen Akte, bevor eine Entscheidung in der Hauptsache ergeht, geeignet ist, dem Antragsteller irreversible Schäden zuzufügen, die auch dann nicht wiedergutgemacht werden könnten, wenn die angefochtene Entscheidung vom Gericht aufgehoben würde. Die beantragten Anordnungen dürfen auf jeden Fall trotz ihres vorläufigen Charakters nicht ausser Verhältnis zum Interesse der Antragsgegnerin daran stehen, daß diese Akte durchgeführt werden, auch wenn sie Gegenstand einer Klage sind (vgl. Beschluß des Präsidenten des Gerichts vom 11. März 1994 in der Rechtssache T-589/93 R, Ryan-Sheridan/Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, Slg. ÖD 1994, II-257).

32 In diesem Zusammenhang lässt sich nicht leugnen, daß die Dringlichkeit der beantragten Anordnungen in Anbetracht der Tatsache, daß die Wahlen zur örtlichen Sektion Brüssel der Personalvertretung am 22., 23. und 24. November stattfinden sollen, sicher ist.

33 Aufgrund der Angaben, über die das erkennende Gericht verfügt, und ohne daß darüber entschieden werden müsste, ob das Vorbringen des Antragstellers, das die Einreichung mehrerer Listen durch ein und dieselbe Gewerkschaft oder ein und denselben Berufsverband angeblich rechtfertigt, begründet ist, lässt sich nicht leugnen, daß einige der angefochtenen Entscheidungen in ihrer praktischen Auswirkung den Antragsteller daran hindern, sich auf einer Liste zur Wahl zu stellen, deren Bezeichnung nicht diejenige einer Gewerkschaft oder eines Berufsverbandes war.

34 Die Parteien sind zu diesem Punkt in der mündlichen Verhandlung vom 18. November 1994 befragt worden und sind sich darüber einig gewesen, daß die Beamten und sonstigen Bediensteten nach der Wahlordnung ausserhalb des Rahmens von Gewerkschaften und Berufsverbänden Listen für die Wahlen zur Personalvertretung aufstellen können.

35 Die angefochtenen Entscheidungen könnten daher prima facie eine Verletzung des Rechts darstellen, sich bei den Wahlen zur Personalvertretung zu bewerben, das den Beamten durch Artikel 1 Absatz 1 des Anhangs II zum Statut und den Bediensteten, die bestimmte Voraussetzungen erfuellen, durch Artikel 7 der Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften zuerkannt wird. Aufgrund der Natur dieses Rechts kann seine Verletzung für die Inhaber dieses Rechts einen schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden darstellen. Es ist daher zu vermeiden, daß ein solcher Schaden eintreten kann, wobei die Beamten, die sich an den Wahlen beteiligen möchten, gleichzustellen sind.

36 In diesem Zusammenhang und in Anbetracht der Art des streitigen Verfahrens könnte die einfache Anordnung der Aussetzung des Verfahrens für die Beteiligten nicht in geeigneter Weise Abhilfe schaffen. Würde das erkennende Gericht sich nämlich darauf beschränken, die Aussetzung des laufenden Wahlverfahrens anzuordnen, wie der Antragsteller beantragt, so bliebe die gegenwärtige Personalvertretung bis zum Abschluß des Verfahrens in der Hauptsache im Amt, was den Beamten und sonstigen Bediensteten während der gesamten Dauer dieses Verfahrens die Möglichkeit nehmen würde, sich im Wege der Wahl zur Neubesetzung der Personalvertretung zu äussern, deren Amtszeit in der Zwischenzeit abgelaufen wäre. Da die Parteien nicht darüber einig sind, welcher Art die Befugnisse der Personalvertretung in einem solchen Fall sind, würde eine solche Aussetzung ausserdem eine Quelle von Schwierigkeiten für eine ordnungsgemässe Tätigkeit der Vertretungsorgane der Beamten darstellen. Aufgrund der Abwägung der sich gegenüberstehenden Interessen ist daher die Aussetzung des Wahlverfahrens verbunden mit einer Verschiebung der Wahlen anzuordnen und die Möglichkeit zu eröffnen, neue Bewerbungen einzureichen, die auch der Antragsteller selbst für sich in Anspruch nehmen kann.

37 Die Parteien sind in der mündlichen Verhandlung vom 18. November 1994 danach gefragt worden, welche praktischen Folgerungen sich daraus ergäben, daß der Richter im Verfahren der einstweiligen Anordnungen derartige Anordnungen erlasse, und sind sich darüber einig gewesen, daß es in einem Fall wie dem vorliegenden notwendig ist, das Wahlverfahren auszusetzen und die Frist für die Vorlage von Bewerbungen für die Wahlen zur Personalvertretung nach von dem Richter im Verfahren der einstweiligen Anordnung festzulegenden Modalitäten wieder zu eröffnen.

38 Nach alledem sind die Einzelheiten der Wiedereröffnung des Wahlverfahrens unter Berücksichtigung der Bestimmungen der geltenden Wahlordnung wie folgt festzulegen. Gemäß Artikel 7 der Wahlordnung können die vom Wahlausschuß bereits angenommenen Listen von den Bewerbern nicht mehr zurückgezogen werden. Der Wahlausschuß eröffnet unverzueglich eine neue Frist von sechs Werktagen zur Einreichung von neuen Bewerberlisten. Ihre Bezeichnung darf weder mit derjenigen der vom Wahlausschuß bereits angenommenen Listen noch mit derjenigen der Gewerkschaften oder Berufsverbände, die sie eingereicht haben, verwechselbar sein. Der Wahlausschuß wird gegebenenfalls hinsichtlich der neuen Listen die Befugnisse ausüben, die ihm durch die Wahlordnung und insbesondere durch Artikel 7 der Wahlordnung zugewiesen sind. Er setzt den neuen Termin für die Wahl fest; dieser Termin soll der frühestmögliche nach dem Ablauf der Frist für die Einreichung von neuen Bewerberlisten sein.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER PRÄSIDENT DES GERICHTS

beschlossen:

1) Das Verfahren für die Wahlen zur örtlichen Sektion Brüssel der Personalvertretung der Kommission wird ausgesetzt.

2) Gemäß Artikel 7 der Wahlordnung können die vom Wahlausschuß bereits angenommenen Listen von den Bewerbern nicht mehr zurückgezogen werden.

3) Der Wahlausschuß eröffnet unverzueglich eine neue Frist von sechs Werktagen zur Einreichung von neuen Bewerberlisten. Ihre Bezeichnung darf weder mit derjenigen der vom Wahlausschuß bereits angenommenen Listen noch mit derjenigen der Gewerkschaften oder Berufsverbände der europäischen Beamten, die sie eingereicht haben, verwechselbar sein.

4) Der Antragsteller kann sich auf die Regelungen unter 3) unter den gleichen Voraussetzungen wie jeder andere Bewerber berufen.

5) Der Wahlausschuß wird gegebenenfalls hinsichtlich der neuen Listen die Befugnisse ausüben, die ihm durch die Wahlordnung und insbesondere durch Artikel 7 der Wahlordnung zugewiesen sind.

6) Die Wahlen werden zu dem vom Wahlausschuß festgelegten Zeitpunkt so bald wie möglich nach Ablauf der unter 3) vorgesehenen Frist stattfinden.

7) Im übrigen bleiben alle Bestimmungen der Wahlordnung anwendbar.

8) Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

Luxemburg, den 21. November 1994

Ende der Entscheidung

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