Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 06.06.2006
Aktenzeichen: 9 V 14/06
Rechtsgebiete: ErbStG, EGV


Vorschriften:

ErbStG § 16 Abs. 1
ErbStG § 17 Abs. 1
EGV Art. 43
EGV Art. 56
EGV Art. 58 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Baden-Württemberg

9 V 14/06

Tatbestand:

I. Streitig ist, ob der beschränkt erbschaftsteuerpflichtigen Antragstellerin (Ast) die Freibeträge nach §§ 16 Abs. 1 und 17 Abs. 1 Erbschaftsteuergesetz (ErbStG) zustehen.

Die Ast ist die Alleinerbin ihres am 6. März 2003 verstorbenen Ehemannes. Beide Ehegatten lebten als deutsche Staatsangehörige in Monaco und hatten innerhalb der letzten fünf Jahre vor dem Erbfall weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland. Einziger Nachlassgegenstand im Inland ist ein Grundstück mit einem Grundbesitzwert von 246.000 EUR. Mit am 21. Dezember 2005 zuletzt geändertem Bescheid hat der Antragsgegner (Ag) Erbschaftsteuer in Höhe von 25.806 EUR festgesetzt. Mit der Begründung, es liege lediglich beschränkte Erbschaftsteuerpflicht vor, hat er ihr sowohl den Freibetrag nach § 16 Abs. 1 ErbStG als auch den Versorgungsfreibetrag nach § 17 Abs. 1 ErbStG versagt.

Der Einspruch der Ast blieb ebenso erfolglos wie ihr beim Ag gestellter Antrag auf Aussetzung der Vollziehung. Am 3. März 2006 hat die Ast beim Finanzgericht Baden-Württemberg unter der Aktenzeichen 9 K 148/06 Klage erhoben, mit der sie die Gewährung der Freibeträge nach § 16 Abs. 1 und § 17 Abs. 1 ErbStG und die Aufhebung der ergangenen Erbschaftsteuerbescheide verlangt.

Ebenfalls am 3. März 2006 ist beim Finanzgericht Baden-Württemberg der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Erbschaftsteuerbescheides vom 21. Dezember 2005 eingegangen. Die Ast ist der Auffassung, die Versagung der Freibeträge nach § 16 Abs. 1 ErbStG und 17 Abs. 1 ErbStG stelle nicht nur eine Verweigerung der europarechtlich garantierten Grundrechte auf Freizügigkeit, Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit und damit eine Verletzung europäischen Rechts dar, sondern verstoße auch gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Art 3 Grundgesetz (GG).

Die Ast beantragt,

die Vollziehung des Erbschaftsteuerbescheides vom 21. Dezember 2005 auszusetzen und bereits entstandene Säumniszuschläge aufzuheben.

Der Ag beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Er sieht sich durch den Wortlaut des § 16 Abs. 1 ErbStG gebunden, der nur in den Fällen des § 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG, der unbeschränkten persönlichen Steuerpflicht, einen Freibetrag für Ehegatten in Höhe von 307.000 EUR vorsieht. Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 ErbStG werde dem überlebenden Ehegatten nur dann ein Versorgungsfreibetrag gewährt, wenn dieser Anspruch auf einen Freibetrag nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG habe. Dies sei bei beschränkter Steuerpflicht nicht der Fall. Dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 21. September 2005 II R 56/03 sei zu entnehmen, dass auch dieser in der Versagung der Freibeträge gemäß § 16 Abs. 1 und § 17 Abs. 1 ErbStG für beschränkt Steuerpflichtige grundsätzlich keinen Verstoß gegen europarechtliche Grundsätze erblicke.

Entscheidungsgründe:

II. 1. Gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 i. V. mit Abs. 2 Satz 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) soll die Aussetzung der Vollziehung nur dann erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

a) An der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Erbschaftsteuerfestsetzung in Gestalt des zuletzt geänderten Erbschaftsteuerbescheides vom 21. Dezember 2005 bestehen keine Zweifel.

aa) Nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG tritt die Steuerpflicht für den gesamten Vermögensanfall ein, wenn bei Erwerben von Todes wegen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG) der Erblasser zur Zeit seines Todes oder der Erwerber zur Zeit der Entstehung der Steuer ein Inländer ist. Ist dies nicht der Fall, beschränkt sich gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG die Steuerpflicht auf den Vermögensanfall, der in Inlandsvermögen im Sinne des § 121 Bewertungsgesetz (BewG) besteht. Dazu gehört gemäß § 121 Nr. 2 BewG auch das inländische Grundvermögen. Gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG bleibt nur in den Fällen der unbeschränkten persönlichen Steuerpflicht (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG) der Erwerb der Ehegatten in Höhe von 307.000 EUR steuerfrei; nach § 16 Abs. 2 ErbStG tritt bei beschränkter Erbschaftsteuerpflicht (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG) an die Stelle des Freibetrages nach § 16 Abs. 1 ErbStG ein Freibetrag von 1.100 EUR. Gemäß § 17 Abs. 1 ErbStG wird neben dem Freibetrag nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG dem überlebenden Ehegatten ein besonderer Versorgungsfreibetrag gewährt.

Indem der Ag der Ast lediglich den Freibetrag gemäß § 16 Abs. 2 ErbStG in Höhe von 1.100 EUR gewährt und ihr den Versorgungsfreibetrag gemäß § 17 Abs. 1 ErbStG versagt hat, entspricht seine Rechtsanwendung dem Wortlaut der vorgenannten Vorschriften.

bb) Mit dem Bundesfinanzhof in seinem Urteil vom 21. September 2005 II R 56/03 (Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs -BFHE-- 210, 522, Bundessteuerblatt -BStBl-- II 2005, 875) ist der erkennende Senat der Auffassung, dass die Regelung des § 16 Abs. 2 ErbStG, die im Falle beschränkter Erbschaftsteuerpflicht einen geringeren Freibetrag als bei unbeschränkter Steuerpflicht vorsieht, nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verstößt. Er macht sich die dort ausgeführten Gründe zu eigen und nimmt auf sie in vollem Umfang Bezug.

cc) Nach seiner im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes vorzunehmenden summarischen Prüfung ist der erkennende Senat der Ansicht, dass im Streitfall beim derzeitigen Verfahrensstand der Vorrang europäischen Rechts der Anwendung des § 16 Abs. 2 ErbStG und der damit verbundenen Versagung des Versorgungsfreibetrages nach § 17 Abs. 1 ErbStG nicht entgegensteht.

Nach Art 56 Abs. 1 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) vom 25. März 1957 (BGBl. II 1957, 766) in der im Streitzeitraum anzuwendenden Fassung des Vertrags von Nizza zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte vom 26. Februar 2001 (ABl. Nummer C 80 2001, S. 1) sind alle diskriminierenden Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern verboten. Monaco gehört zu den dritten Ländern im Sinne dieser Vorschrift. Erbschaften fallen unter den gemeinschaftsrechtlichen Begriff des Kapitalverkehrs im Sinne des Art. 56 EGV (BFH-Urteil vom 21. September 2005 II R 56/03).

Gemäß Art 58 Abs. 1 EGV berührt Art 56 EGV nicht das Recht der Mitgliedstaaten, die einschlägigen Vorschriften ihres Steuerrechts anzuwenden, die Steuerpflichtige mit unterschiedlichem Wohnort oder Kapitalanlageort unterschiedlich behandeln. Gemäß Art 58 Abs. 3 EGV darf dieses Verfahren allerdings weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des freien Kapitalverkehrs sein. Dient eine nationale steuergesetzliche Regelung der Berücksichtigung persönlicher Verhältnisse, erkennt der EuGH an, dass sich Gebietsansässige und Gebietsfremde insoweit grundsätzlich nicht in einer vergleichbaren Situation befinden (grundlegend EuGH-Urteil vom 14. Februar 1995 C-279/93, Slg. 1995, I-225 RandNr. 30-35 - Schumacker). Im Allgemeinen verfügt nur der Wohnsitzstaat über alle erforderlichen Informationen für die Beurteilung der Gesamtsteuerkraft unter Berücksichtigung der persönlichen Lage. Damit scheidet in derartigen Fällen mangels Vergleichbarkeit der Situationen von Gebietsansässigen und Gebietsfremden bereits die Annahme einer in den Anwendungsbereich der Grundfreiheiten fallenden Diskriminierung aus, ohne dass es noch einer Prüfung etwaiger Rechtfertigungsgründe bedürfte (BFH-Urteil vom 21. September 2005 II R 56/03).

Dies gilt allerdings nicht, wenn nahezu die gesamten Einkünfte bzw. Vermögenswerte dem Staat der beschränkten Steuerpflicht zugeordnet sind und der Wohnsitzstaat die persönlichen Verhältnisse daher nicht angemessen berücksichtigen kann (EuGH-Urteile in Slg. 1995, I-225 RandNr. 36-38 - Schumacker; vom 11. August 1995 C-80/94, Slg. 1995, I-2493 RandNr. 18-22 - Wielockx, und vom 12. Dezember 2002 C-385/00, Slg. 2002, I-11819 RandNr. 89 - de Groot). Zwischen der Situation eines solchen Gebietsfremden und der eines Gebietsansässigen besteht kein objektiver Unterschied; die persönliche Lage eines solchen Steuerpflichtigen würde weder im Wohnsitzstaat noch im Tätigkeits- bzw. Belegenheitsstaat berücksichtigt. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat der EuGH eine einkommensteuerrechtliche Regelung gebilligt, die die Gewährung personenbezogener Steuervergünstigungen an beschränkt Steuerpflichtige davon abhängig macht, dass diese mindestens 90% ihres Welteinkommens im Tätigkeitsstaat erzielen oder ihre außerhalb des Tätigkeitsstaats erzielten Einkünfte einen absoluten Betrag in Höhe des Grundfreibetrags nicht übersteigen (EuGH-Urteil vom 14. September 1999 C-391/97, Slg. 1999, I-5451 RandNr. 32 - Gschwind). Gleiches gilt für die persönlichen Freibeträge bei der Vermögensteuer (EuGH-Urteil vom 5. Juli 2005 C-376/03, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2005, 1219 RandNr. 30 - D.).

Wie der Bundesfinanzhof in seinem Urteil vom 21. September 2005 II R 56/03 ist auch der erkennende Senat der Auffassung, dass vieles dafür spricht, diese Grundsätze auch auf solche erbschaftsteuerrechtlichen Regelungen zu übertragen, die --wie § 16 ErbStG (vgl. oben 2.a)-- nicht der Ermittlung des Steuerobjekts, sondern der Berücksichtigung persönlicher Verhältnisse dienen (so die ganz überwiegende Auffassung in der Literatur; vgl. Dautzenberg, Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht --EWS-- 1998, 86, 91; Tumpel, Steuern und Wirtschaft International --SWI-- 2000, 27, 33; Schaumburg, Recht der internationalen Wirtschaft --RIW-- 2001, 161, 166; Busch, Internationales Steuerrecht --IStR-- 2002, 448, 451; Wachter, DStR 2004, 540, 542; Schnitger, Finanz-Rundschau --FR-- 2004, 185, 193; Jochum, Zeitschrift für die Steuer- und Erbschaftspraxis --ZErb-- 2004, 253, 259; Hahn, Deutsche Steuer-Zeitung --DStZ-- 2005, 469, 472 Fn. 224; Kaass, Europäische Grundfreiheiten und deutsche Erbschaftsteuer, 2000, S. 133 ff.; Troll/ Gebel/Jülicher, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, Einf. Rn. 52, § 16 Rn. 21, Stand März 2005; unentschieden hingegen Höninger, Die Information über Steuer und Wirtschaft --Inf-- 2004, 335, 339; Wachter, IStR 2004, 361, 365; a.A. Müller-Etienne, Die Europarechtswidrigkeit des Erbschaftsteuerrechts, 2003, S. 180 ff.).

Im gegenwärtigen Verfahrensstadium braucht der Senat diese Frage indes nicht abschließend zu entscheiden. Die Ast hat bisher keine Angaben über den Umfang und den Wert des gesamten Nachlasses gemacht, so dass der Anteil des Inlandsvermögens nicht errechnet werden kann. Angesichts des Umstandes, dass der Erblasser und die Ast seit Jahren in Monaco wohnen und die Miete für ein Appartement dort 15.000 bis 20.000 EUR pro Quadratmeter kostet (Mönninger, Hongkong des Mittelmeeres, Die Zeit 7. Juli 2005 Nr. 28), geht der Senat aber derzeit davon aus, dass der Wert des Inlandsvermögens den Anteil von 90% des vom Ehemann der Ast hinterlassenen Vermögens selbst dann nicht erreicht, wenn es mit seinem Verkehrswert und nicht mit dem niedrigeren Grundbesitzwert in die Berechnung eingestellt wird. Die hohen Lebenshaltungskosten Monacos setzen das Vorhandensein anderweitiger hoher Einkünfte und eines nicht unerheblichen weiteren Vermögens voraus.

Soweit die Ast einen Anspruch auf Ansatz der Freibeträge gemäß § 16 Abs. 1 und § 17 Abs. 1 ErbStG in Art 43 EGV begründet sieht, ist diese Auffassung fehlerhaft. Nach Art 43 Abs. 1 Satz 1 EGV sind die Beschränkungen der freien Niederlassung von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen verboten. Ungeachtet des Umstandes, dass die Ast nicht vorgetragen hat, inwieweit sie oder ihr verstorbener Ehemann durch die Nichtgewährung von erbschaftsteuerrechtlichen Freibeträgen in der Aufnahme und Ausübung selbstständiger Erwerbstätigkeiten sowie der Gründung und Leitung von Unternehmen beschränkt worden sind, kann sich die Ast schon deshalb nicht auf Art 43 EGV berufen, weil Monaco kein Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft ist.

Gemäß Art 18 EGV hat jeder Unionsbürger das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten. Da Monaco nicht zum Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten gehört, kann sich die Ast unbeschadet weiterer Hinderungsgründe nicht auf diese Vorschrift berufen.

b) Gründe dafür, dass die Vollziehung des angefochtenen Erbschaftsteuerbescheides für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte, sind weder vorgetragen noch erkennbar.

2. Obwohl die Ast das BFH-Urteil vom 21. September 2005 II R 56/03 kannte und sie daher wusste, dass es für den Erfolg ihrer Klage und ihres Antrags auf Aussetzung der Vollziehung auf die Höhe des Anteils des Inlandsvermögens am gesamten Nachlass ankomme, hat sie bislang keine Angaben zu weiterem Vermögen gemacht. Im Hauptsacheverfahren wird sie dies nachholen müssen. Pauschale und unsubstantiierte Angaben werden dabei nicht genügen. Da es sich um einen Auslandssachverhalt handelt, trifft sie eine --europarechtlich unbedenkliche (vgl. EuGH-Urteil vom 28. Januar 1992 C-204/90, Slg. 1992, I-249 RandNr. 20 - Bachmann; Schlussanträge des Generalanwalts in der Rechtssache Kommission ./. Frankreich, Slg. 2004, I-2229 RandNr. 28)-- gesteigerte Mitwirkungspflicht (§ 90 Abs. 2 der Abgabenordnung --AO 1977--, § 76 Abs. 1 Satz 4 FGO).

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

Ende der Entscheidung

Zurück