Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 27.05.2009
Aktenzeichen: 1 K 105/06
Rechtsgebiete: InsO, AO


Vorschriften:

InsO § 21 Abs. 2
InsO § 22 Abs. 1
InsO § 38
InsO § 55 Abs. 1
InsO § 55 Abs. 2
InsO § 174
AO § 34 Abs. 1
AO § 34 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Der Umsatzsteuerbescheid 2004 vom 8. November 2006 und die Einspruchsentscheidung vom 22. März 2006 werden aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Umsatzsteuer auf im Zeitraum der vorläufigen Insolvenzverwaltung erbrachte Leistungen zu sonstigen Masseverbindlichkeiten gehört.

Der Kläger war mit Beschluss des Amtsgerichts Q vom 29. September 2004 zum vorläufigen Insolvenzverwalter der Firma Y Software ... AG (im folgenden: Schuldnerin) bestellt worden, die ihre Umsätze nach vereinbarten Entgelten versteuerte. In dem Beschluss heißt es u.a.:

Verfügungen der Schuldnerin über Gegenstände ihres Vermögens sind nur noch mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO).

Der Schuldnerin wird verboten, über ihre Bankkonten und über ihre Außenstände ganz oder teilweise zu verfügen. Hinsichtlich der Bankkonten und der Außenstände der Schuldnerin geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den vorläufigen Insolvenzverwalter über.

Der vorläufige Insolvenzverwalter ist nicht der allgemeine Vertreter der Schuldnerin. Er hat die Aufgabe, durch Überwachung der Schuldnerin deren Vermögen zu sichern und zu erhalten.

Den Schuldnern der Schuldnerin (Drittschuldnern) wird verboten, an die Schuldnerin zu zahlen. Der vorläufige Insolvenzverwalter wird ermächtigt, Bankguthaben und sonstige Forderungen des Schuldners einzuziehen sowie eingehende Gelder entgegen zu nehmen.

Gegenstand des Unternehmens der Schuldnerin war das Konzeptionieren, Gestalten und Programmieren von SAP-Anwendungen. Hierzu setzte sie eigene Arbeitnehmer sowie externe Dienstleister ein. Der Geschäftsbetrieb wurde mit Zustimmung des Insolvenzverwalters zunächst fortgeführt. Damit die Ausführung vor Insolvenzantragstellung erteilter Aufträge durch die Schuldnerin sichergestellt werden konnte, beantragte der Kläger beim Insolvenzgericht ihm die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis zum Abschluss von Verträgen mit Warenlieferanten und Dienstleistern zu übertragen. Das Insolvenzgericht folgte dem Antrag mit Beschluss vom 12. Oktober 2004, in dem es u.a. heißt (Bl. 52 f. d.A.):

Dem vorläufigen Insolvenzverwalter ... wird die alleinige rechtliche Verfügungsbefugnis über folgende Teilbereiche des Vermögens der Schuldnerin übertragen:

a)

der Schuldnerin wird der Abschluss von Verträgen mit Warenlieferanten und Dienstleistern untersagt. Insoweit geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den vorläufigen Insolvenzverwalter über.

Das Insolvenzverfahren über das Vermögen der AG wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Q vom 1. Dezember 2004 eröffnet.

Nach den Feststellungen einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung der Schuldnerin wurden durch den (vorläufigen) Insolvenzverwalter aufgrund der ihm übertragenen Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis unter Einsatz von Fremdfirmen mehrere Verträge erfüllt, die für Oktober 2004 zu Umsätzen von netto xxx.xxx EUR und für November 2004 von xxx.xxx EUR führten. Diesen Ausgangsumsätzen ordnete der Prüfer Vorsteuern i. H. v. x.xxx,xx EUR (Oktober 2004) und x.xxx.xx EUR (November 2004) zu. Das beklagte Finanzamt (FA) folgte den Prüfungsfeststellungen in gegenüber dem Kläger als Insolvenzverwalter der Schuldnerin ergangenen USt-Vorauszahlungsbescheiden für Oktober und November 2004. Die Vorauszahlungsbescheide wurden durch den Umsatzsteuerjahresbescheid 2004 vom 8. November 2006 ersetzt (Bl. 106 f. d.A.).

Hiergegen richtet sich die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage. Der Kläger macht geltend, die gegen ihn gerichtete Steuerfestsetzung sei nicht durch §§ 55 Abs. 2, 22 Abs. 1 der Insolvenzordnung (InsO) gedeckt, weil ihr keine Masseverbindlichkeiten sondern Insolvenzforderungen zugrunde lägen. Im Zeitraum der vorläufigen Insolvenzverwaltung steuerlich begründete Umsatzsteuerverbindlichkeiten würden nur dann gemäß § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO als Masseverbindlichkeiten gelten, wenn sie von einem vorläufigen Insolvenzverwalter begründet worden seien, auf den die Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners übergegangen sei. Im vorliegenden Fall sei der Kläger durch den Bestellungsbeschluss als sog. schwacher Insolvenzverwalter installiert worden und habe auch durch die nachträglich erteilte Einzelermächtigung nicht die Stellung eines sog. starken Insolvenzverwalters erhalten. Die insolvenzgerichtliche Ermächtigung des Klägers, "Bankguthaben und sonstige Forderungen des Schuldners einzuziehen sowie eingehende Gelder entgegen zu nehmen", begründe ebenfalls keine Masseverbindlichkeit, weil sie ausschließlich Sicherungszwecken gedient habe. Die Steuerfestsetzung beruhe daher auf einer unzulässigen erweiternden Auslegung des § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO auf den - gesetzlich nicht vorgesehenen - sog. halbstarken Insolvenzverwalter, die von Wortlaut und Zweck der Norm nicht gedeckt sei. Eine geplante Erweiterung des § 55 Abs. 2 InsO, dass künftig sämtliche von einem vorläufigen Insolvenzverwalter begründete Verbindlichkeiten als Masseverbindlichkeiten gelten, sei nicht Gesetz geworden.

Aber selbst bei einer erweiternden Auslegung des § 55 Abs. 2 InsO sei im vorliegenden Fall keine Masseverbindlichkeit gegeben, weil die der Umsatzsteuerfestsetzung zugrunde liegenden Aufträge nicht durch den Kläger als vorläufigen Insolvenzverwalter nach § 103 InsO, sondern durch die Schuldnerin erfüllt worden seien. Im übrigen seien die Umsatzsteuerforderungen insolvenzrechtlich bereits begründet gewesen, bevor der Kläger zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt worden sei, da sie auf bereits erteilten Aufträgen beruhten. Des weiteren ergebe sich aus der Vereinnahmung der Umsatzsteuer durch den Unternehmer kein Treuhandverhältnis, das dem Fiskus eine besondere Rechtstellung i.S.d. § 47 InsO verschaffe. Das Finanzamt teile das Schicksal eines jeden anderen Gläubigers, der auf seinen Kosten für bereits erbrachte Vorleistungen sitzen bleibe, die zugunsten der Quote anderer Gläubiger verwertet werden. Beim Finanzamt komme hinzu, dass es insoweit von der Bezahlung der externen Dienstleister profitiere, als diese die erhaltene Umsatzsteuer wiederum an den Fiskus abführten.

Der Kläger beantragt,

den Umsatzsteuerbescheid 2004 vom 8. November 2006 und die Einspruchsentscheidung vom 22. März 2006 aufzuheben, hilfsweise die Revision zuzulassen und die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise

die Revision zuzulassen.

Es verweist zur Begründung auf seine Einspruchsentscheidung und führt vertiefend aus, das FA habe die streitigen Steuerbeträge gemäß § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO als Masseverbindlichkeiten zu Recht gegenüber dem Kläger geltend gemacht, statt sie als Insolvenzforderungen zur Tabelle anzumelden. Zwar gelte die Norm in erster Linie nur für den sog. starken vorläufigen Insolvenzverwalter, auf den die Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners übergegangen sei (§ 22 Abs. 1 InsO). Masseverbindlichkeiten könnten im Eröffnungsverfahren auch durch inhaltlich bestimmte gerichtliche Einzelanordnungen begründet werden. Hierin liege die Besonderheit des vorliegenden Falles. Das Insolvenzgericht habe der Schuldnerin zwar kein allgemeines Verfügungsgebot auferlegt. Hinsichtlich der Bankkonten und Außenstände der Schuldnerin habe es aber die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den vorläufigen Insolvenzverwalter übergeleitet und ihm durch Einzelanordnung die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis für den Abschluss von Verträgen mit Warenlieferanten und Dienstleistern übertragen, in deren Folge die streitgegenständlichen Umsätze erbracht wurden. Damit sei der Kläger jedenfalls nicht (mehr) nur ein "schwacher" vorläufiger Insolvenzverwalter gewesen. Durch die im Streitfall konkret erfolgte Ausgestaltung der Befugnisse des Klägers sei die Sachlage - jedenfalls partiell, nämlich hinsichtlich der streitgegenständlichen Umsätze - vergleichbar mit derjenigen bei Bestellung eines allgemein verfügungsberechtigten vorläufigen Insolvenzverwalters.

Die festgesetzten Umsatzsteuern seien auch deshalb Masseverbindlichkeiten, weil der Kläger bereits im Bestellungsbeschluss ermächtigt worden war, eingehende Gelder entgegenzunehmen. Die Vereinnahmung der Umsatzentgelte sei daher Ausfluss der Verwaltung der Insolvenzmasse i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Jedenfalls mit der Erweiterung der Befugnisse des Klägers als vorläufiger Insolvenzverwalter im Beschluss vom 12. Oktober 2004, die vom Insolvenzgericht zur erforderlichen Massesicherung angeordnet worden sei, habe der Kläger die Befugnis zur Erbringung der streitgegenständlichen Ausgangsumsätze und nicht nur zur Beauftragung der hierfür notwendigen Eingangsumsätze erhalten. Eine Trennung der erweiterten Befugnis des Klägers zwischen Ein- und Ausgangsumsätzen würde zu sinnwidrigen, mit der Systematik des Umsatzsteuerrechts unvereinbaren Ergebnissen führen. Der vorläufige Insolvenzverwalter könne nicht hinsichtlich der Vorsteuer Unternehmer sein, während die Ausgangsumsätze gegenüber dem Schuldner festzusetzen wären. Der Kläger sei daher vom Zeitpunkt seiner Bestellung zum vorläufigen Insolvenzverwalter an vollumfänglich als Unternehmer zu qualifizieren, gegenüber dem die Umsatzsteuer aus den vereinnahmten Entgelten festzusetzen sei. Ansonsten würde das FA für die streitige Umsatzsteuer allenfalls eine Quote bekommen, während der Masse die volle Umsatzsteuer zugute käme, obwohl es sich dabei um keinen Vermögenswert der Schuldnerin handeln würde, sondern diese die Umsatzsteuer lediglich treuhänderisch für den Fiskus vereinnahme.

Unter Hinweis auf ein zur Ist-Versteuerung ergangenes Urteil des Bundesfinanzhofs vom 29. Januar 2009 (V R 64/07, DStR 2009, 851) führt das FA weiter aus, für die Abgrenzung zwischen Insolvenzforderung und Masseverbindlichkeit komme es auch bei der Soll-Versteuerung auf die Vereinnahmung des Entgelts an, da erst zu diesem Zeitpunkt der Steuertatbestand vollständig verwirklicht worden sei. Die Maßgeblichkeit der Entgeltvereinnahmung beruhe darauf, dass der Unternehmer bzw. der Insolvenzverwalter als Steuereinnehmer für Rechnung des Staates tätig sei und öffentliche Gelder im Interesse der Staatskasse vereinnahme. Nach Bestellung des Klägers zum endgültigen Insolvenzverwalter durch Beschluss vom 1. Dezember 2004 habe er 58.581,42 EUR vereinnahmt (Bl. 35 d. Umsatzsteuerhandakten).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die vorgelegten Behördenakten verwiesen (je ein Band Rechtsbehelfs-, Umsatzsteuerhand-, Umsatzsteuersonder- und Vertragsakten).

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Umsatzsteuerbescheid 2004 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Das FA war nicht berechtigt, gegenüber dem Kläger Umsatzsteuern auf während der vorläufigen Insolvenzverwaltung erbrachte Leistungen der Schuldnerin festzusetzen, da es sich dabei um Insolvenzforderungen und nicht um Masseverbindlichkeiten handelte.

1. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens können Insolvenzgläubiger ihre Insolvenzforderungen i.S. von § 38 InsO und damit ihre zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen den Schuldner "begründeten" Vermögensansprüche nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgen (§ 87 InsO). Ansprüche aus einem Steuerschuldverhältnis, die gemäß § 174 InsO als Insolvenzforderung zur Eintragung in die Tabelle anzumelden sind, dürfen deshalb nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens von den Finanzämtern nicht mehr durch Steuerbescheid festgesetzt, sondern nur erforderlichenfalls durch Verwaltungsakt festgestellt werden (§ 251 Abs. 3 AO). Diese Einschränkungen gelten jedoch nicht für Masseverbindlichkeiten nach § 55 InsO, die durch Steuerbescheid gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend zu machen sind und die der Insolvenzverwalter nach § 34 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 AO aus der Insolvenzmasse zu bezahlen hat (Urteil des Bundesfinanzhofs vom 29. August 2007 IX R 4/07, BFHE 218, 435, BFH/NV 2007, 2429).

Ob es sich bei einem Steueranspruch um eine Insolvenzforderung oder um eine Masseverbindlichkeit handelt, bestimmt sich nach dem Zeitpunkt, zu dem der den Umsatzsteueranspruch begründende Tatbestand vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen ist (vgl. allgemein BFH-Urteile vom 13. November 1986 V R 59/79, BFHE 148, 346, BStBl II 1987, 226; vom 9. April 1987 V R 23/80, BFHE 149, 323, BStBl II 1987, 527, und vom 21. Dezember 1988 V R 29/86, BFHE 155, 475, BStBl II 1989, 434). Unerheblich ist demgegenüber der Zeitpunkt der Steuerentstehung (vgl. BFH-Urteile in BFHE 148, 346, BStBl II 1987, 226, und in BFHE 155, 475, BStBl II 1989, 434; vgl. auch BFH-Urteil vom 29. März 1984 IV R 271/83, BFHE 141, 2, BStBl II 1984, 602; BFH-Beschlüsse vom 30. April 2007 VII B 252/06, BFHE 217, 212, BFH/NV 2007, 1395; vom 1. April 2008 X B 201/07, BFH/NV 2008, 925, jeweils m.w.N.). Welche Anforderungen im Einzelnen an die somit erforderliche vollständige Tatbestandsverwirklichung im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung zu stellen sind, richtet sich nach den jeweiligen Vorschriften des Steuerrechts, nicht nach dem Insolvenzrecht (vgl. BFH-Urteil vom 29. August 2007 IX R 4/07, BFHE 218, 435, BFH/NV 2007, 2429). Kommt es zur vollständigen Tatbestandsverwirklichung bereits vor Verfahrenseröffnung, handelt es sich um eine Insolvenzforderung. Wird der steuerliche Tatbestand erst nach Verfahrenseröffnung vollständig verwirklicht, liegt unter den Voraussetzungen des § 55 InsO eine Masseverbindlichkeit vor. Als Masseverbindlichkeiten gelten auch Verbindlichkeiten, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter begründet worden sind, auf den die Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners übergegangen ist (§ 55 Abs. 2 Satz 1 InsO).

2. Die angefochtene Umsatzsteuerfestsetzung betrifft eine vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandene Steuerforderung und damit eine Insolvenzforderung, die nicht gegenüber dem Kläger festgesetzt werden durfte. Der streitige Steueranspruch ist keine Masseverbindlichkeit nach § 55 InsO.

a) Nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UStG entsteht die Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen bei der Berechnung nach vereinbarten Entgelten ("Sollbesteuerung") mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem die Leistungen ausgeführt worden sind. Für die bei der Abgrenzung zwischen Insolvenzforderungen und Masseverbindlichkeiten maßgebliche vollständige Tatbestandsverwirklichung kommt es mithin auf die Ausführung der Leistung und nicht die Vereinnahmung des Entgelts an. Nach den unstreitigen Feststellungen der Umsatzsteuer-Sonderprüfung liegen der Steuerfestsetzung gegenüber dem Kläger Ausgangsleistungen zugrunde, die im Oktober und November 2004 ausgeführt wurden. Der den Umsatzsteueranspruch begründende Tatbestand war damit im Oktober und November 2004 vollständig verwirklicht, bevor am 1. Dezember 2004 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Auch für die in der Steuerfestsetzung berücksichtigten Vorsteuern aus den hierfür bezogenen Eingangsleistungen war der Entstehungsgrund mit dem Bezug der Leistungen erfüllt. Aufgrund der vollständigen steuerlichen Tatbestandsverwirklichung vor Verfahrenseröffnung lag eine Insolvenzforderung vor, die das FA nicht durch Bescheid gegenüber dem Kläger festsetzen durfte. Die festgesetzte Umsatzsteuerforderung gilt auch nicht nach § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO als Masseverbindlichkeit.

b) Nach § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO gelten Verbindlichkeiten nach der Eröffnung des Verfahrens als Masseverbindlichkeiten, wenn sie von einem vorläufigen Insolvenzverwalter begründet worden sind, auf den die Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners übergegangen ist. Der Wortlaut der Norm betrifft ausschließlich Rechtshandlungen eines "starken" vorläufigen Insolvenzverwalters, auf den nach § 22 Abs. 1 InsO die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis übergegangen ist. Der Normzweck bestätigt diese Auslegung. Der Gesetzgeber der Insolvenzordnung hat in § 22 Abs. 1 nur die Rechtsstellung des vorläufigen Insolvenzverwalters mit begleitendem allgemeinen Verfügungsverbot näher geregelt. Daran knüpft die Regelung des § 55 Abs. 2 InsO die Schutzbedürftigkeit des Vertragspartners eines solchen vorläufigen Insolvenzverwalters an. Wird hingegen kein allgemeines Verfügungsverbot erlassen, so bleibt die Ausgestaltung der vorläufigen Insolvenzverwaltung nach § 22 Abs. 2 InsO der Bestimmung des Insolvenzgerichts in jedem Einzelfall überlassen. Allenfalls an solchen Einzelanordnungen kann sich ein Vertrauen der Geschäftspartner ausrichten. Eine allgemeine Erstreckung auf den vorläufigen Insolvenzverwalter mit begleitendem Zustimmungsvorbehalt ist mit § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO unvereinbar. Gegen eine erweiternde Auslegung und Anwendung des § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO spricht zudem die unterschiedliche Rechtsstellung, die zwischen einem vorläufigen Insolvenzverwalter mit begleitendem Verfügungsverbot und einem solchen mit gleichzeitig erlassenem Zustimmungsvorbehalt besteht. Nur aufgrund des Erlasses eines allgemeinen Verfügungsverbots kann der vorläufige Insolvenzverwalter gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO umfassend für den Schuldner handeln. Dagegen bewirkt der Zustimmungsvorbehalt (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO) nur, dass der vorläufige Insolvenzverwalter wirksame rechtsgeschäftliche Verfügungen des Schuldners zu verhindern vermag (vgl. BFH-Urteil vom 1. April 2004 V R 24/03, BFHE 204, 520, BStBl II 2004, 905).

Das Insolvenzgericht hat den Kläger nicht als vorläufiger Insolvenzverwalter mit begleitendem allgemeinen Verfügungsverbot nach § 22 Abs. 1 InsO bestellt, sondern ihn nur mit einem Zustimmungsvorbehalt nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO ausgestattet. Der Kläger war damit kein "starker" vorläufiger Insolvenzverwalter, der nach § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO Masseverbindlichkeiten begründen konnte. Auf Verbindlichkeiten, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter mit begleitendem Zustimmungsvorbehalt begründet wurden, kann die Vorschrift nicht schon deswegen analog angewendet werden, weil die Insolvenzgerichte derzeit sehr viel häufiger in solcher Weise vorläufige Insolvenzverwalter bestellen als ein allgemeines Verfügungsverbot zu erlassen. Darin allein liegt keine Umgehung des § 55 Abs. 2 InsO. Denn der vorläufige Insolvenzverwalter mit begleitendem Verfügungsverbot soll nicht etwa kraft Gesetzes der Regelfall jeder vorläufigen Insolvenzverwaltung sein (BGH-Urteil vom 18. Juli 2002 IX ZR 195/01, BGHZ 151, 353).

c) Eine entsprechende Anwendung des § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO ist hier auch nicht deswegen geboten, weil das Insolvenzgericht den Kläger neben dem Zustimmungsvorbehalt zum Forderungseinzug und zum Abschluss von Verträgen mit Warenlieferanten und Dienstleistern ermächtigt hat. Es ist bereits fraglich, ob und unter welchen Voraussetzungen § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO bei einem vorläufigen Insolvenzverwalter mit begleitendem Zustimmungsvorbehalt aufgrund insolvenzgerichtlicher Einzelanordnungen analog angewendet werden kann (vgl. BGH-Urteil vom 18. Juli 2002 IX ZR 195/01, BGHZ 151, 353). Die Frage kann hier offen bleiben, weil selbst unter der Annahme einer grundsätzlichen Anwendbarkeit des § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO auf Einzelermächtigungen die Befugnisse des Klägers nicht ausreichten, um die nach Auffassung des FA gegebenen Masseverbindlichkeiten zu begründen.

Geht man davon aus, dass nach § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO Masseverbindlichkeiten nicht nur durch eine gerichtliche Anordnung gemäß § 22 Abs. 1 InsO sondern auch durch eine Einzelermächtigung begründet werden können, muss die gerichtliche Anordnung inhaltlich zum Schutz der Verfahrensbeteiligten sowie aus Gründen der Rechtsklarheit so bestimmt sein, dass sie die damit begründbaren Masseverbindlichkeiten eindeutig bezeichnet. Eine über die jeweilige Einzelermächtigung hinausgehende entsprechende Anwendung des § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO ist nicht zulässig. Danach war die dem Kläger erteilte Einzelermächtigung zum Forderungseinzug und zum Abschluss von Verträgen mit Warenlieferanten und Dienstleistern zwar hinreichend bestimmt. Sie erstreckte sich aber nicht auf die in der angefochtenen Steuerfestsetzung erfassten Umsätze.

Das Insolvenzgericht darf über einen allgemeinen Zustimmungsvorbehalt (§ 22 Abs. 2 Nr. 2 InsO) hinaus den vorläufigen Insolvenzverwalter wirksam dazu ermächtigten, seinerseits über bestimmte Gegenstände des Schuldnervermögens zu verfügen. Insbesondere erscheint die im vorliegenden Fall erlassene Anordnung rechtlich unbedenklich, dass der Kläger befugt sein sollte, Forderungen der Schuldnerin für diese einzuziehen; denn um seine Verwaltungsaufgaben überhaupt erfüllen zu können, bedurfte der Kläger der finanziellen Mittel, die üblicherweise in den Geschäftsbetrieb der Schuldnerin flossen. Ferner kann das Insolvenzgericht den vorläufigen Insolvenzverwalter auch ohne begleitendes allgemeines Verfügungsverbot dazu ermächtigen, einzelne, im voraus genau festgelegte Verpflichtungen zu Lasten der späteren Insolvenzmasse einzugehen, soweit dies für eine erfolgreiche Verwaltung nötig ist.

In diesem Sinne hat das Insolvenzgericht der Schuldnerin den Abschluss von Verträgen mit Warenlieferanten und Dienstleistern untersagt und die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis insoweit auf den vorläufigen Insolvenzverwalter übergeleitet. Mit dieser Einzelanordnung war für die zur abschließenden Vertragserfüllung der Schuldnerin notwendigen Dienstleister ein Vertrauenstatbestand geschaffen, der ihnen auch in der Zeit der vorläufigen Insolvenzverwaltung die Bezahlung ihrer Rechnungen durch die Masse gewährleistete. Auf diesen sachlich und persönlich begrenzten Vertrauensschutz kann sich das FA aber nicht zur Begründung seiner Umsatzsteuerforderung berufen. Der geltend gemachte Steueranspruch beruhte auf Ausgangsleistungen der Schuldnerin, die diese erst nach abschließender Erfüllung ihrer Aufträge in Rechnung stellen konnte. Für die der Besteuerung zugrunde liegenden Ausgangsleistungen war der Kläger aber nicht speziell ermächtigt worden. Die Vertragserfüllung geschah zwar mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters; sie war aber nicht Ausdruck einer übergegangen Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis, wie es für § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO auch im Rahmen seiner entsprechenden Anwendung erforderlich wäre. Das ergibt sich auch daraus, dass die festgesetzte Umsatzsteuer auf Leistungen beruht, welche die Schuldnerin zur Erfüllung bereits erteilter Aufträge vor Insolvenzeröffnung ausführte. Die Steuerforderung wurde daher nicht vom Kläger als vorläufigem Insolvenzverwalter begründet, was ebenfalls für eine entsprechende Anwendung des § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO notwendig wäre.

Hinzu kommt, dass das Entgelt für die besteuerten Ausgangsumsätze nicht allein mit den während des vorläufigen Insolvenzverfahrens von Oktober bis November 2004 beauftragten Dienstleistern erwirtschaftet wurde. Auf die externen Dienstleister entfielen Vorsteuern i.H.v. xx.xxx,xx EUR, denen das FA Ausgangsumsätze von xxx.xxx EUR zugeordnet hat. Angesichts des signifikanten Gefälles zwischen Ein- und Ausgangsumsätzen im Zeitraum Oktober und November 2004 und der Art des schuldnerischen Unternehmens müssen auch vor dem Eröffnungsverfahren erbrachte Leistungen in die festgesetzte Umsatzsteuer eingeflossen sein. Auf Grundlage der Rechtsauffassung des FA dürften aber nur die Ausgangsumsätze gegenüber dem vorläufigen Insolvenzverwalter festgesetzt werden, bei denen eindeutig feststeht, dass sie ausschließlich auf Eingangsumsätzen beruhen, für die dem Kläger eine Einzelermächtigung zustand. Eine solche Trennung ist im Einzelfall praktisch kaum möglich und von Rechts wegen auch nicht geboten. Soweit man § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO auf hinreichend bestimmte Einzelermächtigungen erweitert, bleibt die Norm in ihrer konkreten Anwendung auf den mit der jeweiligen Einzelermächtigung geschaffenen Vertrauenstatbestand begrenzt. Adressat der hier vorliegenden Einzelermächtigung war nicht das FA, sondern die beauftragten Dienstleister. Hierdurch entstehen keine mit der Systematik des Umsatzsteuerrechts unvereinbaren Ergebnisse. Es dient vielmehr der Rechtsklarheit, wenn aufgrund einer engen Auslegung des § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO grundsätzlich der Schuldner bis zur Verfahrenseröffnung der Unternehmer bleibt, die bis zur Verfahrenseröffnung begründete Umsatzsteuer als Insolvenzforderungen behandelt werden und erst nach Verfahrenseröffnung die Umsatzsteuer gegenüber dem Insolvenzverwalter festgesetzt wird. Dass das Finanzamt auf seine umsatzsteuerlichen Insolvenzforderungen nur die Quote erhält, ist der gesetzliche Regelfall und nicht Folge des § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO, der eine Insolvenzforderung nur unter bestimmten Voraussetzungen im Wege einer Fiktion in eine Masseverbindlichkeiten umqualifizieren kann.

Die Ermächtigung des Klägers, Forderungen des Schuldners einzuziehen und der Übergang der Verfügungsbefugnis über die Außenstände der Schuldnerin führt im Rahmen der vorliegenden Sollbesteuerung ebenfalls nicht zu Masseverbindlichkeiten. Soweit der Kläger vor und nach Insolvenzeröffnung Entgelt für umsatzsteuerpflichtige Leistungen vereinnahmt hat, ist die Entgeltvereinnahmung für die Abgrenzung von Insolvenzforderung und Masseverbindlichkeit bei der Sollversteuerung unerheblich. Maßgeblich ist allein die Leistungserbringung, die zur Verwirklichung des Steuertatbestandes führte. Waren die streitigen Leistungen bereits vor Verfahrenseröffnung erbracht und damit der Steueranspruch begründet, liegt eine Insolvenzforderung vor, die durch die spätere Entgeltvereinnahmung nicht zur Masseverbindlichkeit wird. Anders liegt der Fall bei der hier nicht gegebenen Istbesteuerung, wo eine nach Verfahrenseröffnung erfolgende Entgeltsvereinnahmung für vor Verfahrenseröffnung erbrachte Leistungen eine Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO begründet (BFH-Urteil vom 29. Januar 2009 V R 64/07, DStR 2009, 851).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

Die Klägerseite beantragte, die Zuziehung des Bevollmächtigten zum Vorverfahren für notwendig zu erklären. Dem Verfahren lag ein Sachverhalt zugrunde, der in rechtlicher Hinsicht nicht von vornherein als einfach zu beurteilen war. Die Klägerseite durfte sich daher eines Rechtskundigen bedienen, um eine erfolgversprechende Rechtsverfolgung zu erreichen. Der Senat hält hiernach die Zuziehung des Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig (§ 139 Abs. 3 Satz 3 FGO).

Die Zulassung der Revision beruht auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO.

Ende der Entscheidung

Zurück