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Gericht: Finanzgericht Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 09.01.2009
Aktenzeichen: 1 V 4533/08
Rechtsgebiete: Sechste Richtlinie 77/388/EWG, UStG


Vorschriften:

Sechste Richtlinie 77/388/EWG Art. 13 Teil A Abs. 1p
UStG § 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tatbestand:

I.

Zwischen den Parteien ist streitig, ob Beförderungsleistungen unter die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 17b Umsatzsteuergesetz (UStG) fallen.

Die Antragstellerin ist eine GmbH und betreibt einen Behinderten- und Rollstuhlfahrdienst. Die Tätigkeit gliedert sich in zwei große Teilbereiche. Zum einen werden körperlich, geistig oder seelisch behinderte Personen im Auftrag der Stadt zu Behindertenwerkstätten befördert. Bei diesen sogenannten HWK-Touren werden sowohl Rollstuhlfahrer als auch Personen, die nicht auf die Benutzung eines Rollstuhls oder eines speziellen Sitzes angewiesen sind, befördert. Das Entgelt für diese Touren wird als umsatzsteuerpflichtig behandelt und unstreitig mit dem ermäßigten Steuersatz gemäß § 12 Abs. 2 Nr.10 UStG versteuert.

Zum anderen befördert die Antragstellerin ausschließlich Rollstuhlfahrer, teilweise mit deren Begleitpersonen, zu Stellen der Heil- oder Krankenbehandlung, zu Ärzten, Krankengymnasten, Dialyseeinrichtungen, Rehazentren und Krankenhäusern. Vertragspartner sind insoweit Krankenkassen, Landratsämter, Berufsgenossenschaften, die Stadt oder die Rollstuhlfahrer selbst. Teilweise werden die Rollstuhlfahrer auch im Auftrag von Altenheimen, Altenwohnheimen und Pflegeheimen zu Veranstaltungen und Ausflügen transportiert.

Zur Durchführung der Beförderungsleistungen benutzt die Antragstellerin Fahrzeuge der Marke Mercedes- Benz Sprinter. Es handelt sich um neunsitzige Fahrzeuge. Die Sitzplätze neben dem Fahrer und die zweite dreisitzige Rückbank werden jeweils im Fahrzeug belassen. Die hintere dreisitzige Rückbank wird ausgebaut. Dort sind Rollstuhlrückhaltesysteme installiert und eine Auffahrrampe kann angebracht werden, so dass die Rollstuhlfahrer nicht umgesetzt werden müssen. Ausweislich der Fahrzeugscheine sind die Fahrzeuge zur Beförderung von Rollstuhlfahrern zugelassen. Eine Anerkennung als Krankenkraftwagen erfolgte indes nicht. Das Entgelt für diese Beförderungsleistungen wurde von der Antragstellerin als nach § 4 Nr.17b UStG steuerfrei erklärt und vom Antragsgegner als steuerpflichtig behandelt.

Die Antragstellerin beantragt, die Vollziehung des Umsatzsteuerbescheids 2005 vom 28. Juli 2008 in Höhe von EUR xx.xxx,xx und Zinsen in Höhe von EUR x.xxx und die Vollziehung des Umsatzsteuerbescheids 2006 vom 9. September 2008 in Höhe von EUR xx.xxx,xx sowie Zinsen in Höhe von EUR xxx auszusetzen.

Die Antragstellerin trägt vor, nach Art.13 der 6.EG-Richtlinie 77/388/EWG sei die von ordnungsgemäß anerkannten Einrichtungen durchgeführte Beförderung von kranken und verletzten Personen in dafür besonders eingerichteten Fahrzeugen von der Umsatzsteuer zu befreien. Nach § 4 Nr.17b UStG sei die Beförderung von kranken und verletzten Personen mit Fahrzeugen, die hierfür besonders eingerichtet sind, umsatzsteuerfrei. Diese Voraussetzungen lägen im vorliegenden Fall vor. Auch wenn nur die dritte Sitzbank jeweils ausgebaut werde und Rollstuhlrückhaltesysteme installiert und die Auffahrrampe angebracht werde, sei dies eine Umbaumaßnahme, die ausreichend sei, um das Fahrzeug als "besonders eingerichtet" zu beurteilen.

Der Antragsgegner beantragt,

dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung abzulehnen.

Nach der Rechtsprechung müsse ein Fahrzeug nach der gesamten Bauart und Ausstattung speziell für die Beförderung der Rollstuhlfahrer bestimmt sein, um § 4 Nr.17b UStG anwenden zu können. Der Ausbau lediglich einer von drei Sitzbänken, also nur der hinteren Dreisitzrückbank sei lediglich ein Teilumbau und sei nicht ausreichend für die Steuerbefreiung. Darin unterscheide sich der Fall von dem vom BFH im Urteil vom 12. August 2004 (V R 45/03, Bundessteuerblatt -BStBl- II 2005, 314) entschiedenen Fall. Ergänzend weist der Antragsgegner darauf hin, dass sich aus der eingereichten Steuererklärung für 2006 eine Nachzahlung in Höhe von EUR x.xxx,xx und Zinsen in Höhe von EUR xx ergeben habe. Dieser Betrag werde durch die Streitfrage nicht berührt. In Höhe dieses Betrags sei daher der Aussetzungsantrag in jedem Fall abzulehnen.

Wegen der Einzelheiten wird auf die Schriftsätze verwiesen.

Entscheidungsgründe:

II.

Die Umsatzsteuerbescheide werden in der genannten Höhe vorläufig von der Vollziehung ausgesetzt. Es bestehen ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Bescheide.

Nach § 69 Abs.3 i.V.m. Abs.2 Finanzgerichtsordnung (FGO) ist ein Verwaltungsakt auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte darstellt. Bei dem ersten Aussetzungsgrund - ernstliche Zweifel - handelt es sich um ein Wahrscheinlichkeitsurteil im Rahmen einer sogenannten summarischen Prüfung: Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sind zu bejahen, wenn bei der summarischen Prüfung dieses Bescheids anhand des aktenkundigen Sachverhalts neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung des BFH, z.B. Beschluss vom 12. November 1992 XI B 69/92, BStBl II 1993, 263 m.w.N.; vom 21. Februar 2001 X S 10/00, BFH/NV 2001, 780).

Nach § 4 Nr.17b UStG sind steuerfrei die Umsätze für die Beförderung von kranken oder verletzten Personen mit Fahrzeugen, die hierfür besonders eingerichtet sind. Die Steuerbefreiung beruht auf Art.13 Teil A Abs.1 Buchst.p der 6. Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG. Die Bestimmung lautet: "Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien die Mitgliedsstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer... die von ordnungsgemäß anerkannten Einrichtungen durchgeführten Beförderungen von kranken und verletzten Personen in dafür besonders eingerichteten Fahrzeugen."

Der Transport von Personen, die körperlich oder geistig behindert sind und auf die Benutzung eines Rollstuhls angewiesen sind, fällt unter die Steuerbefreiung des § 4 Nr.17b UStG. Eine körperliche oder geistige Behinderung, insbesondere beispielsweise eine Querschnittslähmung, die dazu führt, dass sich der Betroffene lediglich mit Hilfe eines Rollstuhls fortbewegen kann, stellt einen regelwidrigen Zustand im Sinne dieser Definition dar (BFH-Urteil vom 12. August 2004 V R 45/03, BStBl II 2005, 314). Dass es um den Transport solcher Personen geht, ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.

Die Auffassung des Antragsgegners, wonach das Fahrzeug "nach der gesamten Bauart und Ausstattung für den Transport kranker Personen speziell ausgestattet sein muss", ist dem Wortlaut des Gesetzes nicht zu entnehmen. Zwar hat das OLG Sachsen-Anhalt mit Urteil vom 29. Juni 2007 (10 U 7/07, [...]) entschieden, dass die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 17b UStG nicht eingreift, wenn neben der Einrichtung des Fahrzeugs zum Transport von Rollstuhlfahrern die Möglichkeit verblieben ist, andere Personen auf üblichen Sitzplätzen zu transportieren. Das Fahrzeug habe nicht den Charakter eines Krankenfahrzeugs. Das Hessische Finanzgericht hat mit Urteilen vom 15. Oktober 2002 (6 K 5527/99, EFG 2003, 194) und vom 17. Juni 2003 (6 K 428/02, EFG 2004, 303) entschieden, dass der Teilumbau eines Transporters zur Beförderung von Rollstuhlfahrern nicht ausreicht, um ein Serienfahrzeug als i.S.d. § 4 Nr. 17b UStG "besonders eingerichtet" zu qualifizieren. Das zuletzt genannte Urteil ist jedoch vom BFH mit Urteil vom 12. August 2004 (V R 45/03, BStBl II 2005,314) aufgehoben worden. Danach reicht die Bodenverankerung für Rollstühle, die Auffahrrampe und ausfahrbare Trittstufen als spezielle Einrichtung für den Transport kranker Menschen als "spezielle Einrichtung" aus, auch wenn - wie im Streitfall - weitere Sitzbänke im Fahrzeug verblieben sind und das Fahrzeug zum Zwecke einer anderweitigen Verwendung jederzeit mit geringem Aufwand umgerüstet werden kann.

Nach den vorliegenden Akten hat sich der Antragsgegner darüber informiert, dass in dem vom FG Hessen entschiedenen Fall ein identischer Teilumbau stattgefunden hatte, d.h. die vordere und mittlere Sitzbank sind im Fahrzeug verblieben.

Dagegen hat das BMF mit Schreiben vom 22. März 2005 (BStBl I 2005, 710), die OFD Koblenz mit Schreiben vom 2. August 2005 (UR 2005, 702) und das LfSt Bayern mit Schreiben vom 12. April 2006 den Schluss gezogen, dass der Umbau eines Kombifahrzeugs durch Auffahrrampe und Befestigungsschienen im hinteren Wagenteil für Rollstuhlfahrer nicht ausreicht für eine Einrichtung "nach der gesamten Bauart und Ausstattung".

Es ist daher im Rahmen einer summarischen Prüfung nach wie vor rechtlich zweifelhaft, ob der Ausbau der hinteren von drei Sitzbänken, eine Auffahrrampe und Befestigungsschienen für Rollstühle ausreicht, um das Fahrzeug als "eingerichtet" für den Transport von Kranken und Behinderten zu qualifizieren.

Der Senat sieht unter den gegebenen Umständen unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache von einer Sicherheitsleistung ab. Es sind keine konkreten Anhaltspunkte vorhanden oder vom Antragsgegner vorgetragen und glaubhaft gemacht, dass die Durchsetzung des Steueranspruchs im Falle des Unterliegens des Steuerpflichtigen im Hauptsacheverfahren gefährdet wäre. Regelmäßig ist in diesen Fällen von einer Sicherheitsleistung abzusehen (BFH-Beschluss vom 3. Februar 2005 IB 208/04, BFH/NV 2005, 625).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 Satz 3 Finanzgerichtsordnung, wonach die Kosten einem Beteiligten ganz auferlegt werden können, wenn der andere zu einem geringen Teil unterlegen ist. Die Antragstellerin ist nur zu einem geringen Teil (unter 4 v.H.) ohne Erfolg geblieben.

Die Beschwerde war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 128 Abs. 3 i.V.m. § 115 Abs. 2 FGO nicht gegeben sind.



Ende der Entscheidung

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