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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 03.11.2006
Aktenzeichen: 12 K 115/06
Rechtsgebiete: AO 1977, FGO, EGV


Vorschriften:

AO 1977 § 5
AO 1977 § 123
FGO § 102 S. 1
EGV Art. 12
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Baden-Württemberg

12 K 115/06

Tenor:

1. Die Kläger tragen gemäß § 135 Abs. 1 FGO die Kosten des Verfahrens.

2. Der Streitwert ist im Streitfall mit 5.000 Euro anzunehmen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Beklagte die Kläger gemäß § 123 der Abgabenordnung (AO 1977) auffordern durfte, einen inländischen Empfangsbevollmächtigten zu bestellen.

Der Beklagte geht davon aus, dass die Kläger in den Veranlagungszeiträumen 1993 bis 1998 Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt hätten. Diese Einkünfte stellte er auch mit seinen Bescheiden vom 4. Oktober 2004 gesondert und einheitlich fest. Die Bescheide vom 4. Oktober 2004 übersandte der Beklagte an die Anschrift des Steuerberaters S in X. Dieser gab die Bescheide vom 4. Oktober 2004 dem Beklagten jedoch wieder zurück. Mit seinem Schreiben vom 6. Oktober 2004 bemerkte der Steuerberater hierzu, er besitze keine Zustellungsvollmacht der Kläger.

Mit Schreiben vom 22. Oktober 2004 legten die Kläger dennoch Einspruch gegen die Bescheide vom 4. Oktober 2004 ein. Mit Schreiben vom 14. Dezember 2005 teilten die Bevollmächtigten dem Beklagten mit, sie hätten eine Zustellungsvollmacht, die jedoch darauf beschränkt sei, die Entscheidung über den Einspruch gegen die Bescheide vom 4. Oktober 2004 entgegenzunehmen. Der Einspruch war zum Teil erfolgreich. Über die Klage gegen die Bescheide vom 4. Oktober 2004, die bei dem Senat unter dem Aktenzeichen 12 K 245/06 anhängig ist, hat der Senat noch nicht entschieden. Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Bescheide vom 4. Oktober 2004 und die Einspruchsentscheidung vom 31. Mai 2006 sowie das Schreiben vom 14. Dezember 2005 nebst Anlage.

Der Beklagte hatte die streitigen Einkünfte allerdings bereits mit Bescheiden über die Einkommensteuer für die Veranlagungszeiträume 1993 bis 1997 berücksichtigt. Die Klage gegen diese Bescheide ist bei dem Senat unter dem Aktenzeichen 12 K 426/02 anhängig. Das Verfahren in der Finanzstreitsache 12 K 426/02 hat das Gericht im Hinblick auf das Verfahren gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ausgesetzt, das wegen der gesonderten und einheitlichen Feststellung des Gewinns noch durchzuführen sei.

Mit Schreiben vom 17. November 2005 hatte der Beklagte die Kläger ferner aufgefordert, einen inländischen Empfangsbevollmächtigten zu bestellen. Hierzu hatte der Beklagte u.a. Bezug genommen auf das Verfahren über Einsprüche gegen den Bescheid vom 4. Oktober 2004. Der Beklagte wies den Einspruch als unbegründet zurück. Hierzu führte er u.a. aus, im Streitfall sei absehbar, dass den Klägern auch künftig Steuerbescheide oder sonstige Schreiben zuzusenden seien. Wegen der Einzelheiten wird wiederum Bezug genommen auf den Bescheid vom 17. November 2005 und auf die Einspruchsentscheidung vom 3. Februar 2006.

Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage. Unter Bezugnahme auf das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 10. Februar 1994, C-398/92 (Neue juristische Wochenschrift [NJW] 1994, 1271) halten die Kläger die Vorschriften des § 123 AO 1977 für eine Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit.

Die Kläger beantragen,

den Bescheid vom 17. November 2005 und die Einspruchsentscheidung vom 3. Februar 2006 ersatzlos aufzuheben,

hilfsweise

dem EuGH die Frage vorzulegen, ob § 123 AO 1977, soweit Frankreich als Ausland angesehen wird, gegen Europäisches Recht, insbesondere das daraus abzuleitende Diskriminierungsverbot, verstößt.

Der Beklagte beantragt im Wesentlichen unter Bezugnahme auf die Einspruchsentscheidung,

die Klage abzuweisen.

Mit ihrem Schriftsatz vom 3. März 2006 hatten die Kläger ferner angekündigt, sie würden in der mündliche Verhandlung auch beantragen, das Gericht möge festzustellen, dass ein an sie gerichtetes Schreiben nicht als einen Monat nach der Aufgabe zur Post und ein elektronisch übermitteltes Dokument nicht am dritten Tag nach der Absendung als zugegangen gelte, solange nicht der Beklagte den Zugang dieser Schreiben nachgewiesen habe (Feststellungsantrag). Der Senat hat das Verfahren über den Feststellungsantrag abgetrennt. Zugleich hat er mit seinem Beschluss vom 30. Juni 2006 in beiden Verfahren den Rechtsstreit auf den Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.

Der Einzelrichter hat die Klage über den Feststellungsantrag, welche unter dem neuen Aktenzeichen 12 K 234/06 fortgeführt wurde, mit einem weiteren Urteil vom 3. November 2006 abgewiesen.

Entscheidungsgründe:

1. Die Klage ist unbegründet. Nach § 123 Satz 1 AO 1977 hat ein Beteiligter ohne Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt, Sitz oder Geschäftsleitung im Inland der Finanzbehörde auf Verlangen innerhalb einer angemessenen Frist einen Empfangsbevollmächtigten im Inland zu benennen. Die Finanzbehörde ist allerdings ermächtigt, über ein solches Verlangen nach ihrem Ermessen zu entscheiden. Dabei hat sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten (§ 5 AO 1977). Insoweit prüft das Gericht jedoch nur, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (§ 102 Satz 1 FGO).

Danach kann das Gericht den angefochtenen Verwaltungsakt nicht als rechtswidrig beanstanden:

a) Zunächst gehen die Beteiligten im Streitfall übereinstimmend davon aus, dass die Kläger ihren Wohnsitz nicht mehr im Geltungsbereich der AO 1977 haben, sondern im Frankreich.

b) Ferner vermag das Gericht nicht zu erkennen, dass der Beklagte sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt haben könnte.

Vielmehr durfte der Beklagte durchaus berücksichtigen, dass etwa in dem nachfolgenden Erhebungsverfahren den Klägern noch zahlreiche weitere Bescheide oder sonstige Schreiben zuzusenden sind. Angesichts der Vielzahl der noch offenen Verfahren wegen Einkommensteuer ist auch für die Kläger erkennbar (§ 121 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977) insbesondere nicht auszuschließen, dass im Erhebungsverfahren etwa noch Bescheide über die Vollstreckung in deren bewegliches oder unbewegliches Vermögen ergehen werden.

Auch die Kläger rechnen damit, dass ihnen noch zahlreiche weitere Bescheide oder sonstige Schreiben zugesandt werden könnten. Letzteres entnimmt das Gericht dem Feststellungsantrag, den die Kläger mit ihrem Schriftsatz vom 3. März 2006 angekündigt hatten.

a) Das Gericht hält eine Vorabentscheidung des EuGH über die Frage, ob die Vorschriften des § 123 AO 1977 als eine Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit anzusehen sind und deshalb gegen Art. 12 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) verstößt, für nicht erforderlich.

Der EuGH hat mit seinem Urteil vom 10. Februar 1994, C-398/92 ([NJW19 94, 1271) zwar ausgeführt, Art. 7 in Verbindung mit Art. 220 EGV a.F. und dem Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Amtsblatt der Europäischen Union 1972 Nr. 1 299, S. 32) stehe einer nationalen Zivilprozessvorschrift entgegen, die bei einem Urteil, das im Inland vollstreckt werden müsste, den Arrest nur zulässt, wenn ohne dessen Verhängung die Vollstreckung wahrscheinlich vereitelt oder wesentlich erschwert werden würde, während sie bei einem Urteil, das in einem anderen Mitgliedstaat vollstreckt werden müsste, den Arrest schon allein deshalb zulässt, weil die Vollstreckung im Ausland stattfinden müsste. Die von einer derartigen Vorschrift vorgenommene Unterscheidung sei nämlich nicht durch objektive Umstände gerechtfertigt, da alle Mitgliedstaaten Vertragsparteien des genannten Übereinkommens seien. Auch seien die Voraussetzungen für die Vollstreckung der Entscheidungen sowie die mit den Schwierigkeiten, die sie verursacht, verbundenen Risiken daher in allen Mitgliedstaaten die gleichen.

Damit ist der von § 123 AO 1977 geregelte Sachverhalt jedoch nicht vergleichbar. Diese Vorschrift will lediglich der Erschwernisse ausgleichen, die eine Zustellung im Ausland - wie die Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) in § 9 in der jetzt geltenden Fassung bzw. in § 14 VwZG in der früher geltenden Fassung zeigen - mit sich bringen würde, nicht aber eine Zustellung ermöglichen, die Förmlichkeiten vermeidet, die bei einer Zustellung im Inland zu beachten wären.

Dementsprechend ist auch nicht nachvollziehbar, weshalb die Vorschriften des § 123 AO 1977 gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 21 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern vom 21. Juli 1959 (Bundesgesetzblatt [BGBl] II 1961, 398) verstoßen soll.

Der Streitwert ist im Streitfall mit 5.000 Euro anzunehmen.

In Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist der Streitwert gemäß § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) grundsätzlich nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend (§ 52 Abs. 3 GKG). Bietet der Sach- und Streitstand jedoch - wie im Streitfall - für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5.000 Euro anzunehmen (§ 52 Abs. 2 GKG).

Ende der Entscheidung

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