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Gericht: Finanzgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 07.11.2007
Aktenzeichen: 2 K 299/04
Rechtsgebiete: EStG, SGB V


Vorschriften:

EStG § 3 Nr. 62 EStG
EStG § 10 Abs. 1 Nr. 2a
EStG § 10 Abs. 3 Nr. 2 S. 2a
SGB V § 5 Abs. 1 Nr. 1
SGB V § 5 Abs. 1 Nr. 11
SGB V § 5 Abs. 8
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Baden-Württemberg

2 K 299/04

Tatbestand:

Streitig ist die Kürzung des Vorwegabzugs von Vorsorgeaufwendungen nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 a Einkommensteuergesetz (EStG) in der für die Streitjahre geltenden Fassung.

Die im Jahr 1929 geborene Klägerin ist Dipl.-Psychologin. In der Zeit vom 1. Juli 1995 bis 31. August 2001 war sie beim X versicherungspflichtig beschäftigt. Außerdem erzielte sie in den Streitjahren als Leiterin der Y GmbH in O Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Zu diesen Einkünften gehörten vom Landesamt bezahlte Versorgungsbezüge aus einem früheren Dienstverhältnis. Zudem bezog die Klägerin eine Witwen- sowie eine Altersrente.

Das Y führte für die Klägerin Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung sowie zur Renten- und Arbeitslosenversicherung ab. Der Anteil der Klägerin am Gesamtsozialversicherungsbeitrag betrug ausweislich der Lohnsteuerbescheinigungen des Y im Jahr 2000 4.106 EUR, im Jahr 2001 3.834 EUR. Hierbei handelte es sich um Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung.

Das beklagte Finanzamt (FA) ließ bei den Veranlagungen der Klägerin zur Einkommensteuer 2000 und 2001 antragsgemäß Vorsorgeaufwendungen zum Abzug als Sonderausgaben zu. Den Vorwegabzug i.H.v. 6.000 DM kürzte es jeweils um 16 v.H. der Einnahmen der Klägerin aus ihrer Tätigkeit beim Y (vgl. Einkommensteuerbescheid 2000 vom 7. Mai 2002 sowie Einkommensteuerbescheid 2001 vom 3. Juni 2003).

Gegen die Einkommensteuerbescheide 2000 und 2001 legte die Klägerin am 14. Mai 2002 sowie am 16. Juni 2003 Einsprüche mit der Begründung ein, eine Kürzung des Vorwegabzugs sei nicht gerechtfertigt, da ihr auf Grund der Beitragsleistungen des Arbeitgebers kein Anspruch auf Versicherungsleistungen entstanden sei. Das FA wies die Einsprüche durch einheitliche Entscheidung vom 20. Februar 2004 als unbegründet zurück. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Kürzung des Vorwegabzugs seien gegeben, da der Arbeitgeber für die Klägerin Zukunftssicherungsleistungen i.S.v. § 3 Nr. 62 EStG erbracht habe. Denn die Klägerin habe durch die Beitragsleistungen des Arbeitgebers zumindest dem Grunde nach einen Anspruch aus der gesetzlichen Krankenversicherung erworben.

Mit der am 17. März 2004 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Zur Begründung lässt sie im Wesentlichen folgendes vortragen: Der Vorwegabzug sei nicht zu kürzen, da der Arbeitgeber keine Leistungen für die Zukunftssicherung erbracht habe. Durch die Beiträge habe sie keinen Rentenanspruch erworben. Auch die Arbeitslosenversicherungsbeiträge hätten keine Vorsorge begründet, da sie auf Grund ihres Alters von über 65 Jahren keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld mehr habe erwerben können. Krankenversicherungsschutz habe bereits aus der seit dem Jahr 1972 bezahlten Witwenrente bestanden. Die vom Arbeitgeber entrichteten Krankenversicherungsbeiträge seien nur angefallen, weil sie auf Grund der Witwenrente gesetzlich versichert gewesen sei. Sie habe auch keinerlei Ansprüche auf Beihilfe. Vielmehr setze die gesetzliche Krankenversicherung eine Beihilfeberechtigung aus. Sie sei nicht wegen der Beihilfeansprüche versicherungsfrei. Die Krankenkasse sei demnach zur vollen Krankenversicherungsleistung allein auf Grund der Witwenrente verpflichtet gewesen, ohne dass Beihilfepflicht bestanden habe. Der Krankenversicherungsschutz habe bereits in vollem Umfang bestanden und habe sich nicht erhöht. Auch die Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherungsleistungen seien nicht neu entstanden und hätten sich ebenfalls nicht erhöht. Da sie folglich aus den vom Arbeitgeber gezahlten Pflichtbeiträgen keinen Leistungsanspruch erworben habe, seien vom Arbeitgeber keine Leistungen "für die Zukunftssicherung" erbracht worden. Auch nach der neuen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zu den geringfügig beschäftigten Altersrentnern, die auf den vorliegenden Fall anzuwenden sei, sei der Vorwegabzug nicht zu kürzen.

Die Klägerin beantragt,

die Einkommensteuerbescheide 2000 und 2001 vom 7. Mai 2002 sowie vom 3. Juni 2003 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20. Februar 2004 zu ändern und den Vorwegabzug gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 EStG i.H.v. jährlich 6.000 DM nicht zu kürzen.

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es hält an seiner in der Einspruchsentscheidung vertretenen Rechtsauffassung fest, dass der Vorwegabzug zu kürzen ist, weil der Klägerin durch Beitragsleistungen des Arbeitgebers zumindest dem Grunde nach ein Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung entstanden sei und somit Leistungen für die Zukunftssicherung erbracht worden seien. Nach der generalisierenden Regelung des § 10 Abs.3 Nr. 2 Satz 2 a EStG komme es nicht darauf an, dass bereits Ansprüche auf Grund des Bezugs einer Witwen- und Altersrente bestanden hätten. Unstreitig habe der Arbeitgeber der Klägerin nach § 3 Nr. 62 EStG Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung geleistet. Hierdurch habe die Klägerin gegenwärtige und künftige Ansprüche auf Leistungen aus der gesetzlichen Krankenversicherung erworben. Dabei sei von einem einheitlichen Leistungsanspruch aus dem Gesamtbeitrag auszugehen. Dem stünden die Urteile des BFH zu geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen nicht entgegen. Diese Fälle seien mit dem vorliegenden nicht vergleichbar. Bei geringfügiger Beschäftigung leiste nur der Arbeitgeber, nicht aber der Arbeitnehmer, dem kein eigener Leistungsanspruch entstehe, einen Beitrag. Dass die Kürzung des Vorwegabzugs rechtmäßig sei, ergebe sich aus dem Gesetzeszweck, nach welchem der Vorwegabzug bezwecke, denjenigen steuerlich höher zu entlasten, der Versicherungsansprüche vollständig aus versteuertem Einkommen erwerben müsse, gegenüber demjenigen, der hierfür ganz oder teilweise steuerliche Zuschüsse oder andere steuerfreie Leistungen erhalte. Die Ansprüche der Klägerin auf Beihilfe ruhten nicht wie diese meine, sondern würden auf Ansprüche gegen andere Versorgungsträger angerechnet. Vorliegend kämen solche Ansprüche allein deshalb nicht zum Tragen, weil die Klägerin zusätzlich freiwillig eine Zusatzversicherung abgeschlossen habe. Dies ändere jedoch nichts daran, dass der Beihilfeanspruch dem Grunde nach bestehe.

Die Klägerin hat ein ihr Versicherungsverhältnis betreffendes Schreiben der Krankenkasse vom 29. Dezember 2003 vorgelegt, in welchem ihr die Krankenversicherung mitteilt, dass bei Personen, die auf Grund einer Beschäftigung versicherungspflichtig sind, neben dem Arbeitsentgelt aus der versicherungspflichtigen Beschäftigung auch der Zahlbetrag der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung und der Zahlbetrag der Versorgungsbezüge zu den beitragspflichtigen Einnahmen zählt (§ 226 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 4 Sozialgesetzbuch - SGB - V). § 230 SGB V lege die Rangfolge der Einnahmearten fest. Hiernach würden bei der Beitragsbemessung Versorgungsbezüge insoweit herangezogen, als sie zusammen mit dem Arbeitsentgelt aus dem die Versicherungspflicht begründenden Beschäftigungsverhältnis die Beitragsbemessungsgrenze in der Krankenversicherung/Pflegeversicherung nicht überstiegen. Der Zahlbetrag der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung werde separat bis zur Beitragsbemessungsgrenze berücksichtigt.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, sie ist jedoch nicht begründet.

Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig. Zu Recht hat das FA die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung als Leistungen für die Zukunftssicherung der Klägerin beurteilt, die zur Kürzung des Vorwegabzugs führen. Werden vom Arbeitgeber für den Steuerpflichtigen Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung abgeführt und besteht auf Grund dieser Beiträge Anspruch auf Versicherungsleistungen, so ist der Vorwegabzug nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 a EStG zu kürzen.

Als Sonderausgaben sind nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 a EStG zu berücksichtigen u.a. Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung. Für den Abzug dieser sogenannten Vorsorgeaufwendungen (§ 10 Abs. 2 Satz 1 EStG) sind durch § 10 Abs. 3 EStG im Falle der Einzelveranlagung je Kalenderjahr folgende Höchstbeträge vorgegeben: Ein Grundhöchstbetrag i.H.v. 2.610 DM, ein Vorwegabzug i.H.v. 6.000 DM und ein sogenannter hälftiger Höchstbetrag gemäß § 10 Abs. 3 Nr. 4 EStG bis zu 1.305 DM. Der Vorwegabzug ist nach § 10 Abs.3 Nr. 2 Satz 2 a EStG um 16 v.H. der Summe der Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit i.S.d. § 19 EStG - ohne Versorgungsbezüge i.S.d. § 19 Abs. 2 EStG - zu kürzen, wenn für die Zukunftssicherung des Steuerpflichtigen Leistungen i.S.d. § 3 Nr. 62 EStG erbracht werden. Die Voraussetzungen für die Kürzung des Vorwegabzugs - wie vom FA vorgenommen - liegen im Streitfall dem Grunde und der Höhe nach vor.

Das Y GmbH hat als Arbeitgeber der Klägerin für deren Zukunftssicherung Leistungen i.S.d. § 3 Nr. 62 EStG erbracht.

Zukunftssicherungsleistungen sind Ausgaben, die der Arbeitgeber leistet, um einen Arbeitnehmer für den Fall der Krankheit, des Unfalls, der Invalidität, des Alters oder des Todes abzusichern, soweit der Arbeitnehmer die Ansprüche selbst gegen den Versicherer geltend machen kann (§ 2 Abs. 2 Nr. 3 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung; Urteile des BFH vom 16. Oktober 2000 XI R 75/2000, BStBl II 2003, 288;vom 16. April 1999 VI R 66/97, BStBl II 2000, 408).

Es handelt sich vorliegend um Leistungen "für" die Zukunftssicherung i.S.d. § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 a EStG, da die Klägerin durch die Beiträge ihres Arbeitgebers Ansprüche auf Leistungen aus der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung erlangte. Auf Grund ihrer Beschäftigung als Angestellte hat der Arbeitgeber die Klägerin als versicherungspflichtig angesehen und für diese Beiträge an die Krankenkasse als gesetzliche Krankenversicherung abgeführt. Auf Grund dieser Beitragszahlungen hatte die Klägerin in den Streitjahren Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 11 SGB V). Die Pflegeversicherungsleistungen folgen denjenigen der Krankenversicherung.

Die Klägerin kann hiergegen nicht mit Erfolg einwenden, ihr hätten in den Streitjahren bereits aus der gesetzlichen Krankenversicherung der Rentner Leistungsansprüche zugestanden, welche sich durch die Beitragsleistung des Arbeitgebers nicht erhöht hätten. Es trifft zwar zu, dass die Klägerin nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V als Rentnerin gesetzlich in der Krankenversicherung der Rentner versichert und damit aus dieser Versicherung anspruchsberechtigt war. Der Klägerin ist auch darin beizupflichten, dass sich durch die Beitragsleistung des Arbeitgebers der Anspruch aus der gesetzlichen Krankenversicherung gegenüber demjenigen aus der Krankenversicherung der Rentner nicht erhöht hat. Dies ist jedoch für die Kürzung des Vorwegabzugs nicht entscheidend. Denn in Fällen, in denen der Rentner - wie hier - eine versicherungspflichtige Beschäftigung i.S.d. § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V ausübt, ist diese nach den Konkurrenzregelungen des § 5 Abs. 8 SGB V vorrangig. Nach dieser Vorschrift ist nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V in der Krankenversicherung der Rentner nicht versicherungspflichtig, wer nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V gegen Arbeitsentgelt beschäftigt ist. Die Versicherungspflicht bei abhängiger Beschäftigung schließt demnach die Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Rentner aus (Vorrangverhältnis; vgl. Peters in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 5 SGB V Randnummern 201 und 204).

Durch die Aufnahme einer Beschäftigung beim Y war die Klägerin mithin vorrangig nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V bei der gesetzlichen Krankenversicherung versichert. Diese gesetzliche Regelung ist unabdingbar. Die Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung geht - wie ausgeführt - der Mitgliedschaft in der Krankenversicherung der Rentner vor bzw. schließt diese aus. Auf Grund der Beitragsleistungen des Arbeitgebers hatte die Klägerin Leistungsansprüche erworben, die sie gegen die gesetzliche Krankenversicherung geltend machen konnte. Dies allein ist für die hier vorzunehmende Kürzung des Vorwegabzugs maßgeblich. Ob die Klägerin bei einer anderen Sachverhaltsgestaltung (alleiniger Rentenbezug) einen gleichwertigen Versicherungsschutz durch niedrigere Beitragsleistungen erlangt hätte, ist hingegen unerheblich. Denn die Besteuerung knüpft an tatsächlich verwirklichte und nicht an hypothetische Sachverhalte an.

Es kann gemäß § 41 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) auch offen bleiben, ob für die Klägerin wegen ihrer früheren Tätigkeit im öffentlichen Dienst Versicherungsfreiheit nach § 6 Abs. 1 SGB V in Betracht gekommen wäre. Denn der Arbeitgeber sowie die gesetzliche Krankenversicherung gingen übereinstimmend von einer Versicherungspflicht aus. Sonach ist der Versicherungsschutz und damit das wirtschaftliche Ergebnis auf Grund der Beitragsleistungen eingetreten.

Aus dem Beschäftigungsverhältnis beim Y bezog die Klägerin in den Jahren 2000 und 2001 Arbeitslohn i.H.v. 55.478 DM sowie 51.803 DM. Diese Einnahmen bilden die Bemessungsgrundlage für die Kürzung des Vorwegabzugs, weil der Arbeitgeber im Zusammenhang mit diesen Einnahmen Zukunftssicherungsleistungen i.S.d. § 3 Nr. 62 EStG erbracht hat. Bezieht ein Steuerpflichtiger aus mehreren Beschäftigungsverhältnissen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, so ist für jedes Beschäftigungsverhältnis gesondert zu prüfen, ob eine Kürzung des Vorwegabzugs erfüllt ist. Trifft das für ein Beschäftigungsverhältnis zu, sind sämtliche Einnahmen aus diesem Beschäftigungsverhältnis in die Bemessungsgrundlage für die Kürzung des Vorwegabzugs einzubeziehen, ohne dass es auf die Höhe der erbrachten Zukunftssicherungsleistung ankommt (Urteil des BFH vom 26. Februar 2004 XI R 59/03, Sammlung nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH - BFH/NV - 2005, 18).

Die Kürzung des Vorwegabzugs um 16 v.H. der Einnahmen aus dem Beschäftigungsverhältnis beim Y führt in den Streitjahren zu einem verbleibenden Vorwegabzug i.H.v. jeweils 0 DM. Dies ist - soweit ersichtlich - zwischen den Beteiligten auch nicht streitig. Die Klage ist demnach - wie erkannt -abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).



Ende der Entscheidung

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