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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 25.11.2008
Aktenzeichen: 4 K 4500/08
Rechtsgebiete: AO


Vorschriften:

AO § 152 Abs. 1
AO § 164 Abs. 2
AO § 165 Abs. 1
AO § 172
AO § 173 Abs. 1
AO § 363 Abs. 1
AO § 363 Abs. 2
AO § 367 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tatbestand:

Da der Kläger (Kl) und seine Ehefrau für die Streitjahre 2001 bis 2003 zunächst keine Einkommensteuer (ESt)-Erklärungen abgaben, schätzte der Beklagte (Bekl) in den jeweils unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen ESt-Bescheiden für 2001 vom 22. Juli 2004, für 2002 vom 15. Februar 2005 und für 2003 vom 04. Januar 2006, die -wie alle in diesem Urteil genannten Steuerbescheide und Einspruchsentscheidungen - dem Vertreter und jetzigen Prozessbevollmächtigten des Kl bekanntgegeben wurden, die Besteuerungsgrundlagen. Während er in den ESt-Bescheiden 2001 und 2002 für den Kl jeweils Einkünfte aus Gewerbebetrieb ansetzte, nahm er im ESt-Bescheid 2003 Einkünfte des Kl aus selbständiger Arbeit an.

Mit Bescheiden jeweils vom 06. März 2007 hob der Bekl die Nachprüfungsvorbehalte in den vorstehend genannten ESt-Bescheiden für die Jahre 2001 bis 2003 nach § 164 Abs. 3 Abgabenordnung (AO) auf. Gegen die genannten Bescheide über die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung legte der Vertreter des Kl und seiner Ehefrau Einsprüche ein. Zu deren Begründung trug er u.a. vor, die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung sei nicht zulässig, da durch sie die beabsichtigte Abgabe der Steuererklärungen und zugleich eine zutreffende Besteuerung durchkreuzt würden. Der Bekl wies die Einsprüche mit Entscheidung vom 08. Juni 2007, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, als unbegründet zurück.

Nachdem der Kl und seine Ehefrau am 26. Oktober 2007 ESt-Erklärungen für die Streitjahre 2001 bis 2003 beim Bekl eingereicht hatten, in denen sie die Frage nach dem vom Kl ausgeübten Beruf mit "Techniker" beantwortet und für den Kl jeweils Einkünfte aus selbständiger Arbeit (aus einem Ingenieurbüro) erklärt hatten, erließ der Bekl am 14. November 2007 auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO gestützte ESt-Änderungsbescheide für die genannten Jahre, in denen er die ESt entsprechend den Angaben in den eingereichten Steuererklärungen festsetze. Dabei nahm er für den Kl jeweils Einkünfte aus selbständiger Arbeit an. Die Festsetzung der ESt erfolgte in den genannten ESt-Änderungsbescheiden jeweils "gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO vorläufig" hinsichtlich der beschränkten Abziehbarkeit von Vorsorgeaufwendungen (§ 10 Abs. 3 EStG) der Nichtberücksichtigung pauschaler Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben in Höhe der steuerfreien Aufwandsentschädigung nach § 12 des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Deutschen Bundestages der Nichtabziehbarkeit von Beiträgen zu Rentenversicherungen als vorweggenommene Werbungskosten bei den Einkünften im Sinne des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a EStG.

Die Festsetzung der ESt für die Jahre 2002 und 2003 erfolgte außerdem vorläufig hinsichtlich der Anwendung des § 32 Abs. 7 EStG (Haushaltsfreibetrag)

In den vorstehend genannten Bescheiden wurde - wie in allen anderen in diesem Urteil erwähnten vorläufigen Bescheiden - jeweils ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Vorläufigkeitserklärung nur die Frage erfasse, ob die angeführten gesetzlichen Vorschriften mit höherrangigem Recht vereinbar seien.

Gegen die ESt-Änderungsbescheide vom 14. November 2007 erhob der Vertreter des Kl mit Schreiben jeweils vom 08. Dezember 2007 "vorsorglich und zur Rechtswahrung den zulässigen Rechtsbehelf" (Einspruch). Er trug jeweils vor, der Rechtsbehelf richte sich gegen sämtliche für seine Mandanten nachteiligen Abweichungen von der abgegebenen Steuererklärung und werde "auch im Hinblick auf sämtliche weiteren Verfahren vor dem Bundesfinanzhof (BFH)" erhoben, die auch für seine Mandanten aktuell seien oder sein könnten. Die nicht unterdurchschnittlich schwierigen Verhältnisse seiner Mandanten zusammen mit einem Steuerrecht, das einen sehr hohen Schwierigkeitsgrad aufweise, ließen befürchten, dass nicht alle Steuersparmöglichkeiten erkannt worden seien. Insoweit erhebe er "vorsorglich Einspruch gegen die bisherige Untätigkeit des Finanzamts, in diesem Fall im Hinblick auf § 89 AO, aber auch §§ 85, 88/2 AO". Der Rechtsbehelf beziehe sich "zugleich auch auf alle offenen Verfahren beim BFH, so auch zur Zinsbesteuerung, den Kinderfreibeträgen und dem Kindergeld". Die "Lebenserfahrung zurückliegender Jahre" habe gezeigt, dass auch die Rechtsprechung erhebliche Veränderungen im Steuerrecht bewirkt habe. Insbesondere sei die Rechtsprechung "nicht zu allen Fragenkreisen beständig" gewesen. Finanzgerichte hätten dieselben Sachverhalte zuweilen unterschiedlich beurteilt. Es müsse davon ausgegangen werden, dass dieser Trend anhalte. Damit seine Mandanten von der zukünftigen Rechtsprechung profitieren könnten, erhebe er den Rechtsbehelf ebenfalls, nicht zuletzt aber auch, um seiner persönlichen, durch die Rechtsprechung gefestigten "Pflicht zur Besterfüllung" nachzukommen.

Im Einzelnen verlangte der Vertreter der Kl

die Berücksichtigung der den Abgeordneten des Deutschen Bundestages zugebilligten Kostenpauschale

die Berücksichtigung sämtlicher von seinen Mandanten aufgewandten Krankenversicherungsbeiträge

die Berücksichtigung der Aufwendungen seiner Mandanten zur Altersversorgung als vorweggenommene Werbungskosten statt als Sonderausgaben

Ferner machte er geltend,

dass der Grundfreibetrag angesichts der laufenden Teuerung zwischenzeitlich zu gering geworden sei

dass kein rechtlicher Grund dafür bestehe, "den Vorwegabzug Sonderausgaben um den Zuschuss des Arbeitgebers zu den vorweggenommenen Werbungskosten (Rente) zu kürzen".

Er beantragte jeweils, das Verfahren auszusetzen bzw. ruhen zu lassen, bis in sämtlichen für seine Mandanten relevanten Verfahren vor dem BFH rechtskräftig entschieden sei.

Außerdem trug der Prozessbevollmächtigte des Kl jeweils vor, der Bekl habe eine geänderte Veranlagung durchgeführt, obwohl dies gar nicht mehr zulässig gewesen sei, da der Bekl mit der Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung "auf eventuelle Mehrsteuern ausdrücklich verzichtet" habe.

Für das Streitjahr 2004 gaben der Kl und seine Ehefrau zunächst ebenfalls keine Steuererklärung ab. Der Bekl kündigte deshalb nach Androhung und Festsetzung eines Zwangsgeldes mit Schreiben vom 19. Dezember 2006 den Erlass eines Schätzungsbescheides für das genannte Streitjahr an. Der Vertreter des Kl reichte daraufhin mit Schreiben vom 16. Januar 2007 u.a. folgende Unterlagen beim Bekl ein:

eine "kurzfristige Erfolgsrechnung Dezember 2004" (Bl. 5 der ESt-Akten für 2004), in der ein vorläufiges Ergebnis von 63.590,58 EUR ausgewiesen war,

die "Summen und Salden (pro Monat) Dezember 2004" (Bl. 11 ff. der ESt-Akten für 2004), in denen u.a. Beiträge zur Krankenversicherung in Höhe von 12.480 EUR, zur Lebensversicherung in Höhe von 14.732 EUR und zur Unfallversicherung in Höhe von 1.359 EUR ausgewiesen waren.

Im ursprünglichen - unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen - ESt-Bescheid für 2004 vom 06. März 2007 schätzte der Bekl die Besteuerungsgrundlagen. Gleichzeitig setzte er einen Verspätungszuschlag zur ESt in Höhe von 870 EUR fest.

Gegen den ESt-Bescheid 2004 vom 06. März 2007 legte der Vertreter des Kl mit Schreiben vom 05. April 2007 Einspruch ein und wandte sich gegen die vom Bekl vorgenommene Schätzung der Versicherungsbeiträge des Kl und seiner Ehefrau. Der Bekl erließ daraufhin am 03. Mai 2007 einen ändernden ESt-Bescheid für das Jahr 2004, in dem er die Versicherungsbeiträge entsprechend dem Antrag des Kl berücksichtigte. Gleichzeitig setzte er den Verspätungszuschlag zur ESt 2004 auf 830 EUR herab.

Gegen den ESt-Änderungsbescheid vom 03. Mai 2007 legte der Vertreter des Kl mit Schreiben vom 16. Mai 2007 erneut Einspruch ein und beantragte unter Hinweis auf ein Schreiben des Amtsleiters des Bekl vom 27. August 2004 (Bl. 10 f. der Finanzgerichts(FG)-Akten), auf das wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, "die Unwirksamkeit des heute angefochtenen Bescheids schriftlich anzuerkennen". Außerdem beantragte er, das Verfahren auszusetzen bzw. ruhen zu lassen, bis in sämtlichen für seine Mandanten relevanten Verfahren vor dem BFH rechtskräftig entschieden sei.

Nachdem der Kl und seine Ehefrau am 01. Juni 2007 die ESt-Erklärung für das Jahr 2004 eingereicht hatten, erließ der Bekl am 28. Juni 2007 einen ändernden ESt-Bescheid für das genannte Jahr. Zugleich setzte er den Verspätungszuschlag zur ESt 2004 auf 640 EUR herab. Mit Schreiben vom 27. Juli 2007, auf das wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, legte der Vertreter des Kl auch gegen den letztgenannten Bescheid Einspruch ein und beantragte, auch dessen Unwirksamkeit schriftlich anzuerkennen.

Für das Streitjahr 2005 setzte der Bekl die ESt im ursprünglichen - unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen - ESt-Bescheid vom 28. Juni 2007 entsprechend der vom Kl und seiner Ehefrau am 01. Juni 2007 eingereichten Steuererklärung fest. Gegen den genannten Bescheid legte der Vertreter des Kl mit Schreiben vom 27. Juli 2007 Einspruch ein und beantragte unter Hinweis auf das bereits erwähnte Schreiben des Amtsleiters des Bekl vom 27. August 2004, "die Unwirksamkeit des heute angefochtenen Bescheids schriftlich anzuerkennen". Außerdem beantragte er wiederum, das Verfahren auszusetzen bzw. ruhen zu lassen, bis in sämtlichen für seine Mandanten relevanten Verfahren vor dem BFH rechtskräftig entschieden sei.

Am 23. Juni 2007 erließ der Bekl einen ändernden ESt-Bescheid für das Jahr 2005, in dem er die Feststellungen in einem am 05. Juli 2007 gegen die Ehefrau des Kl ergangenen Feststellungsbescheid berücksichtigte. Mit Schreiben vom 20. August 2007 legte der Vertreter des Kl auch gegen den ESt- Bescheid vom 05 Juli 2007 Einspruch ein und beantragte, auch dessen Unwirksamkeit schriftlich anzuerkennen. Gleichzeitig beantragte er wiederum, das Verfahren auszusetzen bzw. ruhen zu lassen, bis in sämtlichen für seine Mandanten relevanten Verfahren vor dem BFH rechtskräftig entschieden sei.

In den Jahren 2007 und 2008 wurde beim Kl eine Betriebsprüfung durchgeführt, die u.a. die ESt für die Jahre 2003 bis 2005 zum Gegenstand hatte. Die Prüferin gelangte im Bericht über diese Prüfung vom 04. März 2008 zu der Auffassung, dass es sich bei den vom Kl im Prüfungszeitraum erzielten Einkünften nicht um solche aus selbständiger Arbeit, sondern um solche aus Gewerbetrieb gehandelt habe. Der Bekl schloss sich dieser Auffassung an und erließ am 25. April 2008 ändernde ESt-Bescheide für die Jahre 2003 bis 2005, in denen er für den Kl jeweils Einkünfte aus Gewerbebetrieb ansetzte und bei der Berechnung der ESt einen Ermäßigungsbetrag für Einkünfte aus Gewerbebetrieb gemäß § 35 Einkommensteuergesetz (EStG) berücksichtigte. Gleichzeitig setzte er den Verspätungszuschlag zur ESt 2004 auf 600 EUR herab.

Die Steuerfestsetzung erfolgte in den ESt-Änderungsbescheiden vom 25. April 2008 jeweils "gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO vorläufig" - und zwar im ESt-Änderungsbescheid 2003 hinsichtlich der beschränkten Abziehbarkeit von Vorsorgeaufwendungen (§ 10 Abs. 3 EStG) der Anwendung des § 32 Abs. 7 EStG (Haushaltsfreibetrag) der Nichtberücksichtigung pauschaler Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben in Höhe der steuerfreien Aufwandsentschädigung nach § 12 des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Deutschen Bundestages der Nichtabziehbarkeit von Beiträgen zu Rentenversicherungen als vorweggenommene Werbungskosten bei den Einkünften im Sinne des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a EStG, im ESt-Änderungsbescheid 2004 hinsichtlich der beschränkten Abziehbarkeit von Vorsorgeaufwendungen (§ 10 Abs. 3 EStG) der Nichtberücksichtigung pauschaler Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben in Höhe der steuerfreien Aufwandsentschädigung nach § 12 des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Deutschen Bundestages der Anwendung des § 24b EStG (Entlastung für Alleinerziehende) der Nichtabziehbarkeit von Beiträgen zu Rentenversicherungen als vorweggenommene Werbungskosten bei den Einkünften im Sinne des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a EStG und im ESt-Änderungsbescheid 2005 hinsichtlich der beschränkten Abziehbarkeit von Vorsorgeaufwendungen (§ 10 Abs. 3, 4, 4a EStG) der Nichtberücksichtigung pauschaler Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben in Höhe der steuerfreien Aufwandsentschädigung nach § 12 des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Deutschen Bundestages der Anwendung des § 24b EStG (Entlastung für Alleinerziehende)

Gegen die ESt-Änderungsbescheide 2003 bis 2005 jeweils vom 25. April 2008 legte der Vertreter des Kl mit Schreiben jeweils vom 17. Mai 2008 Einsprüche ein und beantragte unter Hinweis auf das bereits mehrfach erwähnte Schreiben des Amtsleiters des Bekl vom 27. August 2004, die Unwirksamkeit der angefochtenen Bescheide schriftlich anzuerkennen. Außerdem beantragte er erneut, die Einspruchsverfahren auszusetzen bzw. ruhen zu lassen, bis in sämtlichen für seine Mandanten relevanten Verfahren vor dem BFH rechtskräftig entschieden sei.

Bereits mit Schreiben vom 05. April 2007 hatte der Vertreter des Kl auch gegen die im Bescheid vom 06. März 2007 erfolgte Festsetzung eines Verspätungszuschlags zur ESt 2004 in Höhe von 870 EUR Einspruch eingelegt und die Zurücknahme des Verspätungszuschlags auf 0 EUR verlangt. Zur Begründung trug er vor, der Verspätungszuschlag sei nicht entsprechend der tatsächlichen Leistungsfähigkeit seiner Mandanten festgesetzt worden, sondern nach Kriterien, welche nicht nachvollzogen werden könnten. Die Festsetzung könne zudem einen Eingriff in den Wettbewerb darstellen, soweit eventuelle Vorteile durch die Verzinsung bereits abgeschöpft seien. Im Übrigen unterstelle der Bekl konkludent ein Verschulden, obwohl er dies nach der im Grundgesetz (GG) garantierten Unschuldsvermutung gar nicht dürfe. Der Einzige, der hier etwas verschuldet habe, sei das beklagte Finanzamt, welches nachhaltig Amtspflichten verletzte und damit laufend seine Kanzlei massiv behindere. Hinzu komme, dass § 152 AO insoweit verfassungswidrig sei, als es sich um eine "Kann- Vorschrift" handle und damit die Gleichbehandlung aller Bürger nicht mehr gewährleistet sei. Es sei ihm bekannt, dass "im Rahmen der befürchteten bundesdeutschen Vetterleswirtschaft" ein Teil der Steuerzahler keine Verspätungszuschläge auferlegt bekomme. So würden ihm - dem Vertreter des Kl - Unterlagen vorliegen, nach welchen Mandanten des Steuerberaters X, des Sohnes eines Sachgebietsleiters beim beklagten Finanzamt, selbst bei langer Verspätung keine Verspätungszuschläge auferlegt bekämen. Sofern der BFH meine, diese Mängel könnten noch in der Einspruchsentscheidung geheilt werden, habe er nicht nur zugunsten des Fiskus Partei ergriffen, sondern auch den außergerichtlichen Rechtsweg der Steuerzahler verneint und damit "die verfassungsrechtlichen Vorgaben zum ordentlichen Rechtsweg verletzt".

Nachdem der Bekl mit Schreiben vom 18. April 2007 (Bl. 33 ff. der Rechtsbehelfsakten betreffend das Kalenderjahr 2004), auf das wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, zum Einspruch des Kl Stellung genommen und die Festsetzung des Verspätungszuschlags erstmals näher begründet hatte, warf der Vertreter des Kl dem Bekl mit Schreiben vom 16. Mai 2007 und 25. Juli 2007 eine Verletzung seiner Amtspflichten aus den §§ 85, 88 Abs. 2, 91, 121 und 152 Abs. 1 Satz 2 AO vor. Auf die beiden genannten Schreiben des Klägervertreters wird wegen der Einzelheiten ebenfalls Bezug genommen.

Der Bekl wies die Einsprüche des Kl wegen ESt 2001 bis 2003 mit Entscheidungen vom 26. August 2008 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er jeweils aus, die Steuerfestsetzung habe im Hinblick auf die nachgereichte Steuererklärung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert werden können. Im Übrigen ziele der Einspruch offensichtlich nur darauf ab, die angefochtene ESt-Festsetzung nicht bestandskräftig werden zu lassen. Der BFH (Urteil vom 31. Mai 2006 X R 9/05, Bundessteuerblatt -BStBl- II 2006, 858) und das FG Baden Württemberg (Urteil vom 27. Mai 2008 4 K 340/06, Entscheidungen der Finanzgerichte -EFG- 2008, 1352) gingen in ständiger Rechtsprechung von der Wirksamkeit der maschinellen Vorläufigkeitsvermerke aus. Diese seien weder unbestimmt noch nichtig. Im Übrigen diene die Regelung des § 363 Abs. 2 Satz 2 AO nicht dem vom Bevollmächtigten des Kl angestrebten Zweck, den Steuerfall möglichst lange offen zu lassen (Urteile des BFH vom 06. Oktober 1995 III R 52/90, BStBl II 1996, 20, und vom 26. September 2006 X R 39/05, BStBl II 2007, 222, 227 unter 6.).

Auch die vom Bevollmächtigten geltend gemachte Möglichkeit, den Rechtsschutz für den Fall zu verlieren, dass das der Vorläufigkeit zugrunde liegende Verfahren aus anderen, insbesondere formalen Gründen beendet werde, sei nicht gegeben. Es sei dem Steuerpflichtigen oder seinem Steuerberater zumutbar, nach Beseitigung der Ungewissheit einen Antrag auf Änderung des Bescheids zu stellen, um seine Bestandskraft zu verhindern (Beschluss des BFH vom 10. November 1993 X B 83/93, BStBl II 1994, 119). Eine weitere verfassungsrechtliche Klärung in eigener Sache könne er gegebenenfalls später durch Rechtsbehelfe gegen die vom Finanzamt nach § 165 Abs. 2 Satz 2 AO zu treffende Entscheidung herbeiführen, wenn ihm nach dem Ausgang des Musterverfahrens die Streitfrage nicht ausreichend beantwortet erscheine. Ein Ruhen des Verfahrens i.S. von § 363 Abs. 2 AO sowie eine Verfahrensaussetzung kämen bei dieser Sachlage nicht in Betracht. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidungen des Bekl vom 26. August 2008 Bezug genommen.

Mit Entscheidung vom 27. August 2008 wies der Bekl auch die Einsprüche des Kl wegen ESt 2004 und Verspätungszuschlag zur ESt 2004 als unbegründet zurück. Ein Ruhen des Verfahrens und eine Verfahrensaussetzung lehnte der Bekl auch in dieser Entscheidung ab. Zur Begründung führte er wiederum aus, der Einspruch ziele offensichtlich nur darauf ab, die ESt-Festsetzung nicht bestandskräftig werden zu lassen. Dem Vorbringen, dass der Rechtsbehelf im Hinblick auf offene Verfahren vor dem BFH oder dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) erhoben werde, habe das Finanzamt bereits dadurch Rechnung getragen, dass der angefochtene Bescheid insoweit gemäß § 165 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 AO vorläufig ergangen sei, als Verfahren anhängig seien, welche im Streitfall von Bedeutung seien. Ein weitergehendes Rechtsschutzbedürfnis werde mit dem Einspruch nicht in ausreichendem Maße dargelegt. Nach dem Beschluss des BFH vom 06. Juli 1999 IV B 14/99 (BFH/NV 1999, 1587) komme kein Ruhen des Verfahrens in Betracht, um den Steuerfall wegen möglicher zukünftiger anderweitiger verfassungsrechtlicher Beurteilungen offen zu halten. Es sei einem Steuerberater auch zuzumuten, aus der Beilage zum BStBl die Verfahren herauszufiltern, die für seinen jeweiligen Mandanten relevant seien. Ein pauschaler Antrag auf Vorläufigkeit bzw. Ruhen des Verfahrens bezüglich aller in der Beilage zum BStBl aufgeführten, möglicherweise relevanten Verfahren komme einer fehlenden Begründung gleich. Die explizit angeführten Verfahren brächten das Einspruchsverfahren nicht nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO zum Ruhen, denn diese seien entweder bereits erledigt oder nicht einschlägig. Wegen der Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidung des Bekl vom 27. August 2008 Bezug genommen.

Zum Einspruch des Kl gegen den Verspätungszuschlag zur ESt 2004 führte der Bekl. in der Einspruchsentscheidung vom 27. August 2008 u.a. Folgendes aus:

"Der aus der Fristüberschreitung gezogene wirtschaftliche Vorteil wird durch die Verzinsung der Steuernachforderung nach § 233a AO abgeschöpft. Es wurde bzw. wird darauf verzichtet, den aus der Verspätung gegebenenfalls tatsächlich entstandenen Zinsvorteil im Einzelnen zu ermitteln und bei der Festsetzung des Verspätungszuschlags erhöhend zu berücksichtigen. Der Verspätungszuschlag versteht sich als reiner Druckzuschlag, um den gesetzlichen Zweck, die rechtzeitige Abgabe der Erklärungen, zu erreichen."

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die genannte Einspruchsentscheidung Bezug genommen.

Ebenfalls am 27. August 2008 erließ der Bekl eine Teil-Einspruchsentscheidung zur ESt 2005, in der er den Einspruch des Kl als unbegründet zurückwies, den Streitpunkt "Nichtberücksichtigung von Beiträgen zu Rentenversicherungen als vorweggenommene Werbungskosten bei den Einkünften im Sinne des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a EStG (beim BFH anhängiges Revisionsverfahren X R 9/07)" jedoch ausdrücklich von der Entscheidung ausnahm. Den Erlass einer Teil-Einspruchsentscheidung begründete der Bekl wie folgt:

Da ein Teil des Einspruchs entscheidungsreif sei, sei es sachdienlich, eine Teil-Einspruchsentscheidung nach § 367 Abs. 2a AO zu erlassen. Hierdurch werde dem beiderseitigen Bedürfnis nach Rechtsfrieden und -sicherheit Rechnung getragen. Über den im Tenor von der Entscheidung ausgenommenen Teil des Einspruchs könne derzeit nicht entschieden werden, weil insoweit die Voraussetzungen für eine Verfahrensruhe nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO erfüllt seien und nach einer Entscheidung des Gerichts eine einvernehmliche Erledigung des Rechtsstreits erwartet werden könne.

Ein Ruhen des Verfahrens auch in Bezug auf den von § 363 Abs. 2 Satz 2 AO nicht erfassten Teil des Einspruchs und eine Verfahrensaussetzung lehnte der Bekl im Wesentlichen mit derselben Begründung ab wie in den Einspruchsentscheidungen wegen ESt 2001 bis 2003. Soweit danach über den Einspruch zu entscheiden war, sah der Bekl diesen wiederum als unbegründet an. Wegen der Einzelheiten wird insoweit auf die Einspruchsentscheidung vom 27. August 2008 Bezug genommen.

Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 25. September 2008 erhob der Kl die vorliegende Klage. Er gab an, die Klage richte sich gegen die ESt-Bescheide 2001, 2002 und 2003 jeweils vom 14. November 2007, die ESt-Bescheide 2004 und 2005 sowie die Festsetzung eines Verspätungszuschlags zur ESt 2004. Im Termin zur mündlichen Verhandlung stellte er folgende - im Wesentlichen bereits in der Klageschrift angekündigten - Anträge:

" alle angefochtenen Verwaltungsakte zur Beseitigung der von ihnen ausgehenden Rechtsscheinwirkung ersatzlos aufzuheben,

hilfsweise

die angefochtenen ESt-Bescheide 2001 bis 2003 und den angefochtenen Verspätungszuschlag ersatzlos aufzuheben,

die Einspruchsentscheidungen wegen ESt 2004 und 2005, als zweitrangiger Hilfsantrag zudem auch hinsichtlich der ESt-Bescheide 2001 bis 2003, aufzuheben und wegen der angefochtenen ESt-Bescheide zu bestimmen, dass das beklagte Finanzamt wegen der eingelegten Rechtsbehelfe gemäß § 363 Abs. 2 Satz 2 AO i.V.m. der Entscheidung des Niedersächsischen Finanzgerichts 7 K 249/07, BFH III 39/08 insoweit das Ruhen der Rechtsbehelfsverfahren anzuordnen hatte, also zum derzeitigen Zeitpunkt nicht durch Einspruchsentscheidung entscheiden durfte,

die Hinzuziehung eines Steuerberaters im Vorverfahren für notwendig zu erklären und sämtliche Kosten und Auslagen des Verfahrens dem beklagten Finanzamt aufzuerlegen,

hilfsweise

die Revision gegen ein klagabweisendes Urteil zuzulassen."

Zur Begründung der Klage trug der Prozessbevollmächtigte des Kl unter Hinweis auf das an ihn gerichtete Schreiben des Amtsleiters des beklagten Finanzamts vom 27. August 2004 (Bl. 10 f. der FG-Akten) in Bezug auf alle angefochtenen Verwaltungsakte Folgendes vor:

Mit rechtswirksamem Verwaltungsakt vom 27. August 2004 habe der Amtsleiter des beklagten Finanzamts explizit alle Mitarbeiter seines Amtes für befangen erklärt (§ 83 AO). Dieser Verwaltungsakt sei auf einen detaillierten und rechtlich begründeten Antrag des Klägervertreters hin erfolgt. Der genannte Verwaltungsakt sei rechtswirksam, er sei vom Amtsleiter persönlich verfügt worden und dieser habe unzweifelhaft diese Entscheidung "unter Einsatz aller körperlichen und geistigen Kräfte" getroffen. Zur Anwendung des § 83 AO reiche bereits "die Befürchtung des Betroffenen" aus. Und "diese Befürchtungen" bestünden auf Seiten des Kl gegen die in seinem Fall tätig gewesenen Mitarbeiter des beklagten Finanzamts. Es werde geltend gemacht, dass alle angefochtenen Verwaltungsakte ein "Nullum" seien, weil - trotz der Verfügung vom 27. August 2004 - Mitarbeiter des beklagten Finanzamts mitgewirkt hätten. Als Folge des bestandskräftigen und rechtswirksamen Verwaltungsakts vom 27. August 2004, mit welchem der Amtsleiter alle Mitarbeiter des beklagten Finanzamts für befangen erklärt habe, hätte keiner dieser Verwaltungsakte von Mitarbeitern des beklagten Finanzamts bearbeitet und bekanntgegeben werden dürfen.

Zu den Hilfsanträgen trug der Prozessbevollmächtigte des Kl Folgendes vor:

I. Zur ESt 2001 bis 2003:

"Aus verschiedenen Gründen" sei der Kl mit der Ausarbeitung und Abgabe seiner Steuererklärungen für die Jahre 2001 ff. in Verzug gewesen. Das beklagte Finanzamt habe die Steuern deshalb zunächst (zulässigerweise) geschätzt, jedoch seine Schätzungen am 06. März 2007 "unter Verletzung verschiedener Grundrechte" und in Kenntnis des Umstandes, dass die entsprechenden Erklärungen noch nicht vorgelegen hätten, für endgültig erklärt. Gegen diese Endgültigkeitserklärungen seien explizit Einsprüche erhoben worden, welche das Finanzamt ebenso explizit mittels Einspruchsentscheidung vom 08. Juni 2007 als unbegründet zurückgewiesen habe. Erst danach hätten die ESt-Erklärungen für die Jahre 2001 bis 2003 abgegeben werden können, aus denen sich höhere Steuern als vom beklagten Finanzamt geschätzt ergeben hätten. Mit diesen Entscheidungen habe das beklagte Finanzamt selbst die Bestandskraft der ESt-Schätzungen 2001 bis 2003 herbeigeführt - und zwar in dem Bewusstsein, dass es durchaus möglich sei, dass der Kl höhere Einkünfte habe. Durch die bewusst erfolgte Endgültigkeitserklärung der geschätzten ESt habe das beklagte Finanzamt sein Recht auf Änderung der ESt-Bescheide 2001 bis 2003 verwirkt, zumal es offensichtlich das Recht des Kl auf eine zutreffende Besteuerung bewusst habe durchkreuzen wollen, was "gegenseitige Rechtswirkung" habe. Die ändernden Bescheide vom 14. November 2007 hätten nicht ergehen dürfen, weil die vorangegangenen Bescheide bestandskräftig gewesen und sogar durch eine Einspruchsentscheidung bestätigt worden seien. Der Kl habe zudem einer geänderten Steuerfestsetzung nicht zugestimmt. Das Finanzamt hätte problemlos den zunächst bestimmten Vorbehalt der Nachprüfung aufrechterhalten können. Es habe dennoch - wohl wissend, dass eine höhere Steuer durchaus möglich sein könne - die ursprüngliche Steuerfestsetzung für endgültig erklärt. Es müsse "aus dieser seiner Entscheidung auch die rechtlichen Folgen tragen".

Die Abgabe der Steuererklärungen 2001 ff. stelle keine "neue" Tatsache dar, da die vorangegangenen Schätzungen nicht auf Tatsachen beruht hätten, es also an "alten" Tatsachen fehle. "Mangels ursprünglicher Tatsachen" könnten die Inhalte der später abgegebenen Steuererklärungen keine "neuen" Tatschen sein, sondern nur " erstmalige Tatsachen". Das beklagte Finanzamt habe ganz bewusst seine Schätzung zementieren wollen. Es habe "wissentlich in Kauf genommen, dass die Angelegenheit auch zum Schaden des Kl endgültig erklärt wird". Es habe ganz bewusst eine zutreffende Steuerfestsetzung im Sinne des § 85 AO i.V.m. Art. 3 GG "ausklammern" wollen, indem es "ganz bewusst den ursprünglichen Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben" und seinen daraufhin erhobenen Einspruch "ganz bewusst zurückgewiesen" habe. Im Rahmen der "Waffengleichheit" müsse sich das Finanzamt "an dieses sein bewusstes Tun binden lassen". Es stelle keine "Waffengleichheit" dar, wenn das Finanzamt § 173 AO so auslege, dass es eine Steuer selbst dann nachholen könne, wenn es auf mögliche Steuereinnahmen bereits in der Weise verzichtet habe, dass es seine Schätzung "als endgültig bestandskräftig erklärt" habe, weil es vermutlich sogar gehofft habe, "den Steuerzahler mittels § 173 Abs. 1 Satz 2 AO insoweit schädigen zu können, dass er sich - entgegen Art. 3 GG und § 85 AO - gegen eine überhöhte Schätzung nicht mehr zur Wehr setzen kann". Eben wegen dieses Fehlens einer "Waffengleichheit" sei § 173 AO insoweit verfassungswidrig, als er in Schätzungsfällen wie dem vorliegenden mit Art. 3 GG i.V.m. § 85 AO "frontal kollidiere". § 173 AO sei somit "in Schätzungsfällen wie bei dem Kl ausnahmsweise nicht anwendbar". Er sei - mit Vorbehalten - allenfalls in solchen Fällen anwendbar, in denen die ursprüngliche Steuerfestsetzung auf abgegebenen Steuererklärungen beruhe, welche nachträglich ergänzt würden. Schätze das Finanzamt - wie im Falle des Kl - die Besteuerungsgrundlagen und erkläre diese Schätzung z.B. in Gestalt der Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung für bestandskräftig - vermutlich nur in der Hoffnung, "dem Kl eine niedrigere Steuerfestsetzung nach Abgabe der Steuererklärungen damit zu durchkreuzen" - sei es ermessensfehlerhaft und willkürlich, diese selbst herbeigeführte Bestandskraft dann nicht mehr zu respektieren, wenn sich eine höhere Steuerfestsetzung abzeichne. Die Finanzverwaltung übe insoweit "unzulässige Selbstjustiz", als sie "Dinge, die möglicherweise strafrechtlich relevant sein können, der Justiz entzieht und mittels einer gemäß Art. 3 GG i.V.m. § 85 AO keinesfalls zulässigen Steuerfestsetzung im Übermaß bestraft (Willkür ?)".

Auffällig sei, dass das beklagte Finanzamt hinsichtlich der Umsatzsteuer 2001 bis 2003 den Vorbehalt der Nachprüfung nicht aufgehoben, sondern diesen Vorbehalt - amtspflichtgemäß - durchgehend aufrecht erhalten habe. Man sehe daran, dass dies durchaus möglich gewesen sei.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung trug der Prozessbevollmächtigte des Kl ergänzend Folgendes vor:

§ 85 AO erlaube eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen nur unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Das Finanzamt sei nicht berechtigt, diesen aufzuheben, solange keine Steuererklärung vorliege. Denn solange eine solche nicht vorliege, kollidiere die Aufhebung des Nachprüfungsvorbehalts mit dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung, der nicht durchbrochen werden dürfe. Aus § 88 Abs. 2 AO ergebe sich zudem eine Fürsorgepflicht des Finanzamts, die es ihm verbiete, die Möglichkeit zu vereiteln, eine ausstehende Steuererklärung noch beizubringen. Das Finanzamt dürfe keine Steuer erheben, die der Steuerpflichtige nicht tatsächlich schulde. Es entstünden im Übrigen für den Fiskus keine Nachteile, wenn der Vorbehalt der Nachprüfung aufrechterhalten bleibe. Werde der Vorbehalt dennoch aufgehoben, entfalle die Änderungsmöglichkeit, da das Finanzamt damit "freiwillig" auf die Festsetzung einer höheren Steuer verzichte. Es stelle ein grobes Verschulden des Finanzamts dar, wenn es den Vorbehalt aufhebe. Aufgrund des "Anspruchs auf Waffengleichheit" sei es danach zu einer Änderung der Steuerfestsetzung nicht mehr befugt.

II. Zum Ansatz von Einkünften aus Gewerbebetrieb:

Die Klage richte sich hinsichtlich der ESt-Bescheide 2001 bis 2005 dagegen, dass die freiberuflichen Einkünfte des Kl als "gewerbliche" Einkünfte eingestuft worden seien. Der Kl habe vor vielen Jahren mit entsprechendem Zeitaufwand vor dem FG dargelegt, dass seine Einkünfte solche aus freiberuflicher Ingenieurtätigkeit seien und damit keine gewerblichen Einkünfte. Trotzdem behaupte das beklagte Finanzamt nunmehr wieder gewerbliche Einkünfte, wobei es die Gegenargumente nicht gelten lasse.

III.

Unter der Überschrift "Nichtigkeiten der Vorläufigkeiten der ESt-Bescheide" trug der Prozessbevollmächtigte des Kl schließlich noch Folgendes vor:

Die Klage richte sich hinsichtlich der ESt-Bescheide 2001 bis 2005 auch dagegen, dass das beklagte Finanzamt - entgegen dem ausdrücklich gestellten Antrag - die Rechtsbehelfsverfahren nicht im Hinblick auf die beanstandeten Punkte, derentwegen die angefochtenen Bescheide vorläufig gestellt worden seien, gemäß § 363 Abs. 2 Satz 2 AO habe ruhen lassen. Erledige sich eines der Musterverfahren, auf welches sich die Vorläufigkeit beziehe, könne der Kl sein Recht verlieren, "diese Frage selbst durch alle Instanzen zu klagen". Deshalb habe das Nieder sächsische FG mit Urteil vom 12. Dezember 2007 7 K 249/07 (EFG 2008, 1082) erkannt, dass die Vorläufigkeit der Bescheide nicht hinreichend bestimmt, die Vorläufigkeitsvermerke also unwirksam seien und das Finanzamt auf Antrag das Ruhen der Rechtsbehelfsverfahren gemäß § 363 Abs. 2 Satz 2 AO anzuordnen habe. Die ausführliche Urteilsbegründung des Niedersächsischen FG mache er "zur Ergänzung seiner Klagebegründung".

IV. Zum Verspätungszuschlag zur ESt 2004:

Die Festsetzung des Verspätungszuschlags sei unter Verletzung der §§ 91, 121, 152 Abs. 1 Satz 2 AO erfolgt. Die Verletzung dieser Vorschriften könne nach Auffassung der Klägerseite eine Straftat im Sinne der §§ 339, 357, 12 Strafgesetzbuch sein. Immerhin sei die Verletzung gesetzlicher Vorschriften im Zusammenhang mit einer Entscheidung mit Haftstrafe nicht unter einem Jahr bedroht. Falls eine von ihm - dem Prozessbevollmächtigten - befürchtete "Günstlingswirtschaft" dies anders sehe, ändere dies an der tatsächlichen Rechtslage nichts. Die "Tageszeitung von heute" berichte, dass Deutschland in Sachen Korruption nur einen Mittelplatz belege, so dass Befürchtungen nicht von der Hand zu weisen seien, dass "unzulässige Unregelmäßigkeiten" die Ursache dafür sein könnten, dass - angeblich - sogar die vorsätzliche Verletzung gesetzlicher Vorschriften (so z.B. sogar die vorsätzliche Festsetzung überhöhter Steuern) straffrei sein solle. Es könne im Rechtsstaat nicht sein, dass einzelne Steuerzahler zu "Freiwild für die Willkür einzelner Mitarbeiter der Finanzverwaltung ohne jeglichen wirksamen Rechtsschutz" würden.

Es könne nach seiner Befürchtung demgegenüber jedoch "heftige Korruption" sein, falls Strafbehörden und Finanzgerichte zugunsten der "Kollegen" bei den Finanzämtern die Verletzung wichtiger gesetzlicher Bürgerrechte wie z.B. §§ 88/2, 91, 121, 152 Abs. 1 Satz 2 AO auf die leichte Schulter nähmen, vielleicht sogar als "Versehen" abtäten, welches überall vorkommen könne. Die häufigen Verletzungen gesetzlicher Bürgerrechte, auf welche das Finanzamt auch noch laufend (erfolglos) hingewiesen werde, seien seines Erachtens kein Versehen, sondern "zumindest billigende Inkaufnahme". Vermutlich seien solche Vorgänge sogar "schlimmer einzustufen".

Die Festsetzung des Verspätungszuschlags leide zudem an "erheblichen formalen Mängeln". So habe das beklagte Finanzamt "die umfangreiche, aber klare und eindeutige Rechtsprechung des BFH nicht (hinreichend) beachtet und berücksichtigt". Deshalb werde beantragt, den angefochtenen Verspätungszuschlag "im Rahmen der Nachprüfung des Ermessens ersatzlos aufzuheben". Jedenfalls könnten Steuerfestsetzungen oder die Festsetzung von Verspätungszuschlägen, die unter Verletzung gesetzlicher Vorschriften - und nach seiner Befürchtung "im Rahmen einer heftigen Straftat" - erfolgt seien, keinen Bestand haben. Dies sei "ein eiserner Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit, der Menschenwürde und der Menschenrechte" und lasse sich sinngemäß auch aus § 125 AO ableiten.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung trug der Prozessbevollmächtigte des Kl ergän-zend Folgendes vor:

Der Leiter des beklagten Finanzamts habe im Sommer 2008 als Zeuge gegenüber Herrn Y am Amtsgericht P sinngemäß erklärt, es ginge darum, "Herrn A als Steuerberater auszuschalten". Er - der Prozessbevollmächtigte des Kl - müsse davon ausgehen, dass dies der Grund für die Festsetzung von Verspätungszuschlägen gegen seine Mandanten sei.

Bei der Entscheidung über den Einspruch gegen einen Verspätungszuschlag dürfe sich der Bearbeiter keine eigenen Gedanken machen. Vielmehr seien die ursprünglichen Gedanken desjenigen darzustellen, der den Verspätungszuschlag festgesetzt habe. Was dieser sich bei der Festsetzung gedacht habe, müsse zu Papier gebracht werden.

Der Steuerpflichtige müsse seine (Gegen-)Argumente hierzu bereits im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren vortragen können.

Außerdem trug der Klägervertreter unter Hinweis auf die Urteile des BFH vom 08. Dezember 1988 V R 169/83 (BStBl II 1989, 231) und vom 15. März 2007 VI R 29/05 (BFH/NV 2007, 1076) vor, das beklagte Finanzamt hätte die gegen den Kl festgesetzten (Nachzahlungs-)Zinsen berücksichtigen und im Rahmen seiner Ermessensbegründung darstellen müssen, in welcher Weise dies geschehen sei.

Der Bekl beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist er vollinhaltlich auf die Ausführungen in seinen Einspruchsentscheidungen vom 26. und 27. August 2008. Ergänzend trägt er Folgendes vor:

Die Vorschrift des § 173 AO sei nicht - wie der Klägervertreter meine - wegen fehlender Waffengleichheit verfassungswidrig. Das beklagte Finanzamt habe die durchgeführten Änderungen zu Recht vorgenommen. Es dürfte wohl unstreitig sein, dass (mit mehreren Jahren Verspätung) nachgereichte Steuererklärungen neue Tatsachen seien.

Wegen der Umqualifizierung der Einkünfte des Kl in solche aus Gewerbebetrieb werde auf die Feststellungen der Außenprüfung verwiesen. Der Kl erbringe in der Regel keine ausschließliche Ingenieurtätigkeit. Er konstruiere und baue .... Für den Bau dieser ... sei ein erheblicher Zukauf von Material nötig. Der Kl schulde somit keine Ingenieurtätigkeit, sondern produziere ein Wirtschaftsgut. Die frühere Einschätzung des Finanzamts, festgehalten in einem Aktenvermerk der Rechtsbehelfsstelle vom 27. September 1994, habe die damalige Tätigkeit betroffen. Weshalb der Klägervertreter meine, eine rechtliche Beurteilung aus dem Jahre 1994 auch auf Sachverhalte der Jahre 2001 bis 2005 anwenden zu können, sei nicht nachvollziehbar. Im übrigen könne das Finanzamt eine Beschwer durch die Zuordnung der Einkünfte des Kl zu den gewerblichen statt zu den freiberuflichen mangels Auswirkung auf die jeweils festzusetzende ESt nicht feststellen.

Der BFH und das Finanzgericht Baden-Württemberg gingen in ständiger Rechtsprechung von der Wirksamkeit der maschinellen Vorläufigkeitsvermerke aus. Diese seien weder unbestimmt noch nichtig. Im übrigen diene die Regelung des § 363 Abs. 2 Satz 2 AO nicht dem vom Klägervertreter angestrebten Zweck, den Steuerfall möglichst lange offen zu lassen (Urteile des BFH vom 06. Oktober 1995 III R 52/90, BStBl II 1996, 20 und vom 26. September 2006 X R 39/05, BStBl II 2007, 222, unter II. 6.).

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist nicht begründet.

I. Die mit der Klage angefochtenen Bescheide und die hierzu ergangenen Einspruchsentscheidungen sind nicht im Hinblick auf das Schreiben des Amtsleiters des Bekl vom 27. August 2004 nichtig oder rechtswidrig.

Bei dem genannten Schreiben handelt es sich entgegen der Auffassung des Kl bzw. seines Prozessbevollmächtigten nicht um einen Verwaltungsakt, da es offensichtlich nicht ernst gemeint war und dies auch für den Klägervertreter als Empfänger ohne Weiteres erkennbar war. Denn in dem Schreiben sind weder konkrete Bedienstete des beklagten Finanzamts benannt, noch wird darin eine Aussage darüber getroffen, in welchen konkreten Verfahren diese künftig von der Mitwirkung ausgeschlossen sein sollen.

II. Die angefochtenen Bescheide und die hierzu ergangenen Einspruchsentscheidungen sind auch nicht aus anderen Gründen nichtig oder rechtswidrig und verletzen den Kl deshalb auch nicht in seien Rechten.

1.) ESt-Bescheide 2001 bis 2005

a) Dem Erlass der ESt-Änderungsbescheide für die Jahre 2001 bis 2003 vom 14. November 2007 stand nicht entgegen, dass der Bekl die hinsichtlich der Steuerfestsetzungen für die genannten Jahre ursprünglich angebrachten Nachprüfungsvorbehalte mit Bescheiden vom 06. März 2007 aufgehoben hatte. Denn deren Aufhebung hatte lediglich zur Folge, dass der Bekl die Steuerfestsetzungen nicht mehr nach § 164 Abs. 2 Satz 1 AO, sondern nur noch unter den Voraussetzungen der §§ 172 ff. AO ändern konnte. Ein Verzicht auf eine Änderung der Steuerfestsetzungen nach den letztgenannten Bestimmungen ist darin nicht zu erkennen.

Ohne Bedeutung ist auch, dass der Bekl die vom Kl gegen die Bescheide vom 06. März 2007 über die Aufhebung der Nachprüfungsvorbehalte erhobenen Einsprüche mit Entscheidung vom 08. Juni 2007 zurückgewiesen hatte. Denn in § 172 Abs. 1 Satz 2 AO ist ausdrücklich bestimmt, dass die Änderungsvorschriften der §§ 172 ff. AO auch dann gelten, wenn ein Steuerbescheid durch Einspruchsentscheidung bestätigt (oder geändert) worden ist.

Das beklagte Finanzamt hat durch die Aufhebung der Nachprüfungsvorbehalte das Recht zum Erlass von Änderungsbescheiden nach den §§ 172 ff. AO auch unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt verwirkt. Denn entgegen der Auffassung des Kl und seines Prozessbevollmächtigten war das beklagte Finanzamt weder verpflichtet, die Schätzungsbescheide unter dem Vorbehalt der Nachprüfung zu erlassen, noch war es verpflichtet, die Nachprüfungsvorbehalte bis zum Vorliegen der Steuererklärungen bzw. bis zum Erlass entsprechender Änderungsbescheide aufrecht zu erhalten.

Der Bekl hat die Steuerfestsetzungen für die Jahre 2001 bis 2003 zu Recht nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert.

Entgegen der Auffassung des Kl bzw. seines Prozessbevollmächtigten fehlte es nicht an "neuen Tatsachen" im Sinne dieser Vorschrift.

Tatsache im Sinne des § 173 AO 1977 ist, was Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestandes sein kann, also Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften materieller oder immaterieller Art. Keine Tatsachen im Sinne dieser Vorschrift sind Schlussfolgerungen aller Art, insbesondere juristische Subsumtionen. Zu den Schlussfolgerungen gehört auch eine Schätzung aufgrund von tatsächlichen Schätzungsgrundlagen.

Besonderheiten ergeben sich, wenn die Steuerfestsetzung auf der Schätzung von Besteuerungsgrundlagen beruhte, insbesondere wenn ein Gewinn geschätzt worden war. Da der Besteuerung hier kein bestimmter Tatsachenstoff zugrunde lag, lässt sich nicht sagen, dass ein neu bekanntgewordener Vorgang zu den bisher berücksichtigten Besteuerungsgrundlagen hinzutrete und das steuerliche Ergebnis in bestimmter Weise verändere. Vielmehr kann erst nach Kenntnis aller den Veranlagungszeitraum berührenden Vorgänge und ihrer steuerlichen Auswirkungen gesagt werden, ob die bisher festgesetzte Steuer zu erhöhen oder zu ermäßigen ist (Urteil des BFH vom 28. März 1985 IV R 159/82, BStBl II 1986, 120). Sind die Einkünfte aus einer bestimmten Einkunftsart geschätzt worden, ist als nachträglich bekannt gewordene Tatsache die tatsächliche Höhe dieser Einkünfte anzusehen (Urteil des BFH vom 24. April 1991 XI R 28/89, BStBl II 1991, 606; Beschluss des BFH vom 05. November 2007 XI B 42/07, BFH/NV 2008, 190). Denn die Finanzbehörde ist in diesem Fall bei der Veranlagung nicht von bestimmten, die Einkünfte erhöhenden oder mindernden Sachverhalten ausgegangen; es lässt sich deshalb nicht sagen, dass ein nachträglich bekannt gewordener Vorgang zu den bisher berücksichtigten Besteuerungsgrundlagen hinzugetreten sei und das Besteuerungsergebnis erhöht oder vermindert habe. Da für die Finanzbehörde das Schätzungsergebnis maßgeblich war, ist vielmehr entscheidend, wie sich dieses Ergebnis nunmehr ändert; dabei ist unerheblich, welche Vorstellungen die Behörde hinsichtlich einzelner Schätzungsgrundlagen gehabt hat (Urteil des BFH vom 24. April 1991 XI R 28/89, a.a.O.).

Hieraus folgt für den Streitfall, in dem das beklagte FA bei der Schätzung der Besteuerungsgrundlagen für die Jahre 2001 bis 2003 von zu niedrigen Gewinnen des Kl ausgegangen ist, dass die Höhe des vom Kl (im jeweiligen Streitjahr) tatsächlich erzielten Gewinns jeweils eine einheitliche, dem FA nachträglich bekannt gewordene ("neue") Tatsache bildet. Dem steht nicht entgegen, dass es vor Einreichung der Steuererklärungen für die genannten Streitjahre an "alten" oder "ursprünglichen" Tatsachen gefehlt hat. Denn die (vorher nicht bekannte) Höhe des von einem Steuerpflichtigen tatsächlich erzielten Gewinns ist gerade auch dann "neu" i.S. des § 173 AO, wenn diesbezüglich zunächst keine Erkenntnisse vorlagen.

An der Verfassungsmäßigkeit des § 173 AO bestehen keine Zweifel. Die Vorschrift verstößt insbesondere auch nicht gegen Art. 3 GG, da nicht ersichtlich ist, dass ihre Anwendung eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung verschiedener Steuerpflichtiger oder verschiedener Gruppen von Steuerpflichtigen zur Folge hätte.

b) Soweit der Bekl die Einkünfte des Kl teilweise - nämlich in den ESt-Bescheiden für die Jahre 2003 bis 2005 jeweils vom 25. April 2008 (nicht hingegen in den zuletzt ergangenen ESt-Bescheiden für die Jahre 2001 und 2002 jeweils vom 14. November 2007, in denen der Bekl entsprechend den Angaben des Kl in den für die genannten Jahre eingereichten Steuererklärungen Einkünfte aus selbständiger Arbeit angenommen hat) - als solche aus Gewerbebetrieb qualifiziert hat, ist der Kl dadurch nicht beschwert. Da der Bekl in den genannten Bescheiden bei der Ermittlung der festzusetzenden ESt jeweils einen Steuerermäßigungsbetrag für Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§ 35 EStG) in Abzug gebracht hat, führte die Annahme gewerblicher Einkünfte sogar zu einer niedrigeren Steuer, als sie bei Annahme von Einkünften aus selbständiger Arbeit festzusetzen gewesen wäre.

c) Auch eine "isolierte" Aufhebung der Einspruchsentscheidungen, wie sie der Kl hilfsweise beantragt hat, kommt im Streitfall nicht in Betracht, da der Bekl entgegen der Auffassung des Kl und seines Prozessbevollmächtigten nicht verpflichtet war, die Einspruchsverfahren gemäß § 363 AO auszusetzen oder ruhen zu lassen.

aa) Die Finanzbehörde kann die Entscheidung nach § 363 Abs. 1 AO bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung des Gerichts oder der Verwaltungsbehörde aussetzen, wenn die Entscheidung im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einem Gericht oder einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist. Dabei muss es sich um konkrete Rechtsbeziehungen des privaten oder öffentlichen Rechts zwischen verschiedenen Rechtspersonen handeln. Reine Rechts- und Auslegungsfragen, die z.B. in einem Musterprozess anhängig sind, gehören nicht dazu, sondern können nach § 363 Abs. 2 AO nur zum Ruhen des Verfahrens führen (Klein/Brockmeyer AO § 363 Rz. 4 mit weiteren Nachweisen). Zwar hat der BFH nicht nur ein Recht, sondern sogar eine Pflicht zur Aussetzung des Verfahrens angenommen, wenn vor dem Bundesverfassungsgericht ein nicht als aussichtslos erscheinendes Musterverfahren gegen eine im Streitfall anzuwendende Norm anhängig ist, den Finanzgerichten zahlreiche Parallelverfahren (Massenverfahren) vorliegen, der Rechtsbehelfsführer kein besonderes berechtigtes Interesse an einer Entscheidung des Finanzgerichts über die Verfassungsmäßigkeit der umstrittenen gesetzlichen Regelung hat und zu erwarten ist, dass sich die Entscheidung des BVerfG über die im Streitfall anzuwendende Norm auf das Besteuerungsverfahren auswirken wird. Auch in diesem Fall kann das Finanzamt jedoch die Aussetzung des Rechtsbehelfsverfahrens wegen des Musterverfahrens vor dem BVerfG dadurch vermeiden, dass es die angegriffenen Bescheide hinsichtlich der streitigen Gültigkeit der Norm für vorläufig erklärt (Klein/Brockmeyer AO § 363 Rz. 7). Da dies im Streitfall geschehen ist, war der Bekl nicht verpflichtet, die Entscheidungen über die Einsprüche des Kl auszusetzen.

bb) Nach § 363 Abs. 2 Satz 1 AO kann die Finanzbehörde das Verfahren mit Zustimmung des Einspruchsführers ruhen lassen, wenn dies aus wichtigen Gründen zweckmäßig erscheint. Ist wegen der Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm oder wegen einer Rechtsfrage ein Verfahren bei dem Europäischen Gerichtshof (EuGH), dem BVerfG oder einem obersten Bundesgericht anhängig und wird der Einspruch hierauf gestützt, ruht das Einspruchsverfahren insoweit; dies gilt nicht, soweit nach § 165 Abs. Satz 2 Nr. 3 AO die Steuer vorläufig festgesetzt wurde.

Danach bestand für den Bekl im Streitfall keine Veranlassung, die Verfahren ruhen zu lassen. Denn soweit die Verfahren, auf die der Kl bzw. sein Vertreter die Einsprüche gestützt hatte, im Zeitpunkt der jeweiligen Einspruchsentscheidung nicht bereits abgeschlossen waren, hat der Bekl die Steuer im Hinblick auf diese Verfahren nach § 165 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 AO vorläufig festgesetzt.

cc) Eine Verpflichtung, die Einspruchsverfahren auszusetzen oder ruhen zu lassen, ergab sich für den Bekl auch nicht daraus, dass die in den angefochtenen ESt-Bescheiden enthaltenen Vorläufigkeitsvermerke wegen nicht hinreichender Bestimmtheit/Verständlichkeit nichtig/unwirksam wären, wie der Kl und sein Prozessbevollmächtigter dies unter Hinweis auf das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 12. Dezember 2007 7 K 249/07 (a.a.O.) annehmen. Die Vorläufigkeitsvermerke in den streitgegenständlichen Bescheiden entsprechen zwar sowohl inhaltlich als auch dem Wortlaut nach denjenigen, über deren Wirksamkeit das Niedersächsische Finanzgericht in dem genannten Urteil zu befinden hatte. Der Senat teilt die vom Niedersächsischen Finanzgericht in diesem Urteil vertretene Rechtsauffassung, dass diese Vorläufigkeitsvermerke "nicht hinreichend bestimmt, nicht hinreichend verständlich und nicht hinreichend umfassend formuliert" und deshalb unwirksam seien, jedoch nicht.

Das Niedersächsische Finanzgericht hat in seinem Urteil vom 12. Dezember 2007 zur Begründung der von ihm vertretenen Rechtsauffassung ausgeführt, dass die Vorläufigkeitsvermerke in der vorliegenden Form zu unbestimmt seien, zeige schon der zwischen den Beteiligten bestehende Dissens darüber, ob diese nur bereits anhängige Gerichtsverfahren oder auch zukünftige beträfen. Allein der zwischen den Beteiligten eines Verfahrens bestehende Dissens hinsichtlich der anzunehmenden Reichweite eines Vorläufigkeitsvermerks vermag dessen Unwirksamkeit jedoch nicht zu begründen. Diesbezügliche Zweifel würden die Unwirksamkeit des Vorläufigkeitsvermerks nur dann zur Folge haben, wenn diese Zweifel auch im Wege der Auslegung nicht auszuräumen wären. Dies trifft jedoch hinsichtlich der Reichweite der im Streitfall zu beurteilenden Vorläufigkeitsvermerke nicht zu. Deren Auslegung führt zu dem Ergebnis, dass sie sich nur auf solche Verfahren beziehen, die bereits im Zeitpunkt der Festsetzung der Steuer bei dem EuGH, dem BVerfG, dem BFH oder einem anderen obersten Bundesgericht anhängig waren.

Der BFH hat mit Urteil vom 31. Mai 2006 X R 9/05 (a.a.O) entschieden, dass sich im Falle der vorläufigen Festsetzung der Steuer "im Hinblick auf anhängige Verfassungsbeschwerden bzw. andere gerichtliche Verfahren" der Vorläufigkeitsvermerk nur auf solche Verfahren bezieht, die bereits im Zeitpunkt der Festsetzung bei dem EuGH, dem BVerfG, dem BFH oder einem anderen obersten Bundesgericht anhängig sind. Anders als in dem vom BFH entschiedenen Fall enthalten die Vorläufigkeitsvermerke im Streitfall allerdings keinen ausdrücklichen Verweis auf (bereits) " anhängige Verfassungsbeschwerden bzw. andere gerichtliche Verfahren". Dennoch führt die Auslegung der im Streitfall zu beurteilenden Vorläufigkeitsvermerke bezüglich deren anzunehmender Reichenweite zum selben Ergebnis wie bei dem Vorläufigkeitsvermerk, über dessen Reichweite der BFH in dem vorstehend genannten Urteil zu befinden hatte. Denn wenn die Kennzeichnung des Bescheids als teilweise vorläufig - wie im Streitfall - unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Rechtsgrundlage des § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO erfolgt, so wird damit auch zum Ausdruck gebracht, dass die Rechtsfolge der Vorläufigkeit nur eintreten soll, soweit die dort enthaltenen tatbestandlichen Voraussetzungen dies zulassen. § 165 Abs. 1 Satz 2 AO sieht die vorläufige Festsetzung einer Steuer aber nur für den Fall vor, dass die Vereinbarkeit eines Steuergesetzes mit höherrangigem Recht Gegenstand eines Verfahrens bei dem EuGH, dem BVerfG, dem BFH oder bei einem anderen obersten Bundesgericht ist. Die Vereinbarkeit eines Steuergesetzes mit höherrangigem Recht ist aber im Zeitpunkt der Festsetzung der Steuer, wie das Niedersächsische Finanzgericht selbst in seinem Urteil zutreffend ausgeführt hat, nur dann Gegenstand eines Verfahrens bei den genannten Gerichten, wenn ein solches Verfahren zu diesem Zeitpunkt bereits anhängig ist.

dd) Auch der Einwand des Kl, er könne im Falle der Erledigung eines Musterverfahrens, auf das sich die Vorläufigkeit beziehe, sein Recht verlieren, die Frage, die den Gegenstand dieses Musterverfahrens bilde, "selbst durch alle Instanzen zu klagen", greift nicht durch. Denn er kann die Klärung der Streitfragen in den von ihm angesprochenen Musterverfahren abwarten, ohne dadurch unzumutbare Rechtsnachteile zu erleiden (Beschluss des BFH vom 10. November 1993 X B 83/93, BStBl II 1994, 119). Eine weitere verfassungsrechtliche Klärung in eigener Sache kann er gegebenenfalls später durch Rechtsbehelfe gegen die vom beklagten Finanzamt nach § 165 Abs.2 Satz 2 AO zu treffende Entscheidung herbeiführen, wenn ihm nach dem Ausgang des Musterverfahrens die Streitfrage nicht ausreichend beantwortet erscheint (Beschluss des BFH vom 22. März 1996 III B 173/95, BStBl 1996, 506).

d) Nach Auffassung des Senats bestehen keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der im Streitfall zur Anwendung gekommenen Bestimmungen des EStG. Der Kl und sein Prozessbevollmächtigter haben im Übrigen auch nicht vorgetragen, weshalb diese - oder auch nur einzelne von ihnen - ihrer Auffassung nach verfassungswidrig sein sollen.

2.) Verspätungszuschlag zur ESt 2004

a) Die Festsetzung des Verspätungszuschlags ist entgegen der Auffassung des Kl nicht unter Verletzung der §§ 88 Abs. 2, 91, 121, 152 Abs. 1 AO oder anderer verfahrensrechtlicher Bestimmungen erfolgt.

Nach § 88 Abs. 2 AO hat die Finanzbehörde alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch die für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen. Die genannte Vorschrift ist von den Finanzbehörden zweifellos auch bei der Entscheidung darüber zu berücksichtigen, ob und ggf. in welcher Höhe ein Verspätungszuschlag festgesetzt werden soll. Der Kl hat jedoch keine Umstände vorgetragen, die fälschlicherweise nicht zu seinen Gunsten berücksichtigt worden wären. Solche Umstände sind auch nicht erkennbar. Ein Verstoß des Bekl gegen § 88 Abs. 2 AO lässt sich somit nicht feststellen.

Nach 91 AO soll einem Beteiligten vor Erlass eines Verwaltungsakts, der in seine Rechte eingreift, Gelegenheit gegeben werden, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Und nach § 121 AO ist ein schriftlicher Verwaltungsakt mit einer Begründung zu versehen, soweit dies zu seinem Verständnis erforderlich ist. Beide Vorschriften wurden vor bzw. bei der ursprünglichen Festsetzung des Verspätungszuschlags nicht beachtet. Dies ist jedoch nach § 126 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AO unbeachtlich, da der Bekl die erforderliche Begründung nachträglich gegeben und die erforderliche Anhörung des Kl nachgeholt hat. Bereits in seinem Schreiben vom 18. April 2007 - also nicht erst in der Einspruchsentscheidung - hat der Bekl die Festsetzung des Verspätungszuschlags sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach ausführlich begründet und dem Vertreter des Kl gleichzeitig Gelegenheit zur Stellungnahme und ergänzenden Begründung des Einspruchs gegeben. Von dieser Gelegenheit hat der Vertreter der Kl in seinen Schreiben vom 16. Mai 2007 und 25. Juli 2007 auch Gebrauch gemacht.

Wollte man mit dem Vertreter des Kl die Ausführungen des Bekl in seinem Schreiben vom 18. April 2007 im Hinblick darauf, dass darin die Verzinsung des Steueranspruchs nach § 233a AO keine Erwähnung - und damit möglicherweise auch keine Berücksichtigung - gefunden hat, als für eine Heilung des ursprünglichen Begründungsmangels nicht ausreichend qualifizieren, so wäre dieser Mangel doch spätestens mit der Einspruchsentscheidung als geheilt anzusehen, da der Bekl darin - zugunsten des Kl - unterstellt hat, dass der aus der Fristüberschreitung gezogene wirtschaftliche Vorteil bereits durch die Verzinsung der Steuernachforderung nach § 233a AO abgeschöpft wurde, und deshalb auf die den Verspätungszuschlag erhöhende Berücksichtigung eines (möglicherweise entstandenen) Zinsvorteils ausdrücklich verzichtet hat.

Der Vertreter des Kl geht zu Unrecht davon aus, dass das Ermessen bereits bei der ursprünglichen Festsetzung des Verspätungszuschlags (im Bescheid vom 06. März 2007) "zutreffend im Sinne einer richtigen Begründung" hätte ausgeübt werden müssen.

Gemäß § 367 Abs. 2 Satz 1 AO hat die Finanzbehörde, die über den Einspruch entscheidet, die Sache in vollem Umfang erneut zu prüfen. Die (Einspruchs-)Behörde kann deshalb die Begründung ihrer Ermessensentscheidung (spätestens) noch in der Einspruchsentscheidung darlegen - und zwar unabhängig davon, ob sie zunächst (nur) eine unzureichende oder gar keine Begründung gegeben hat, oder ob sie bei Erlass des angefochtenen Verwaltungsakts zunächst (nur) fehlerhafte Ermessenserwägungen oder gar keine Ermessenserwägungen angestellt hat. Entscheidend ist, dass die in der behördlichen Ermessensentscheidung - d.h. spätestens in der Einspruchsentscheidung - mitgeteilten Ermessenserwägungen und deren Ergebnis den gesetzlichen Anforderungen genügen, deren Einhaltung entsprechend § 102 Finanzgerichtsordnung (FGO) zu prüfen das Gericht befugt und verpflichtet ist (vgl. z.B. den Beschluss des BFH vom 27. März 2002 XI B 49/00, BFH/NV 2002, 1013).

Die Ermessensentscheidung der Verwaltung ist im Einspruchsverfahren nach § 367 Abs. 2 Satz 1 AO nicht lediglich auf Ermessensfehler zu überprüfen. Vielmehr ist unter Berücksichtigung des Vorbringens des Einspruchsführers ggf. eine neue Ermessensentscheidung zu treffen. Dabei können die Gründe neu gewichtet oder andere Gründe herangezogen werden. Die Ermessensbegründung kann verdichtet und richtig gestellt werden. Maßgebend ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung (Beschluss des BFH vom 19. November 2007 VIII B 30/07, BFH/NV 2008, 335). Der Rechtsauffassung des Klägervertreters, dass sich die (Einspruchs-)Behörde bei Erstellung der Einspruchsentscheidung keine eigenen Gedanken machen dürfe, sondern lediglich die Gedanken desjenigen Bediensteten darzustellen habe, der den Verspätungszuschlag ursprünglich festgesetzt habe, kann deshalb nicht gefolgt werden.

b) Es lässt sich auch nicht feststellen, dass der Bekl (bei der Ermessensausübung) "die umfangreiche, aber klare und eindeutige Rechtsprechung des BFH nicht (hinreichend) beachtet und berücksichtigt" hätte, wie der Klägervertreter dies - allerdings ohne Substantiierung - vorgetragen hat.

Der Verspätungszuschlag dient dazu, den rechtzeitigen Eingang der Steuererklärungen und damit auch die rechtzeitige Festsetzung und Entrichtung der Steuer sicherzustellen. Er hat insoweit zugleich repressiven und präventiven Charakter (Begründung zum Entwurf einer Abgabenordnung, BTDrucks VI/1982, S. 129 zu § 97). Voraussetzung für die Festsetzung eines Verspätungszuschlags ist, dass der Steuerpflichtige seiner Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung nicht oder nicht fristgerecht nachgekommen ist (§ 152 Abs. 1 Satz 1 AO) und seine oder die von ihm zu vertretende Versäumnis eines gesetzlichen Vertreters oder Erfüllungsgehilfen nicht entschuldbar erscheint (§ 152 Abs. 1 Sätze 2, 3 AO). Vom Steuerpflichtigen sind zur Vermeidung eines Verspätungszuschlags die nicht aus den Akten ersichtlichen Gründe darzulegen, aus denen sich ergibt, dass das Versäumnis entschuldbar erscheint (Urteile des BFH vom 18 August 1988 V R 19/83, BStBl II 1988, 929, und vom 19. Juni 2001 X R 83/98, BStBl II 2001, 618). Sind diese Voraussetzungen erfüllt, entscheidet die Finanzbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen, ob ein Verspätungszuschlag festgesetzt wird (§ 152 Abs. 1 AO; sog. Entschließungsermessen) und in welcher Höhe dies geschehen soll (§ 152 Abs. 2 AO). Die Finanzbehörde muss ihr Ermessen dem Zweck des § 152 Abs. 1 und 2 AO entsprechend ausüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einhalten (§ 5 AO). Das FG prüft die Festsetzung eines Verspätungszuschlags nur daraufhin, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist (§ 102 FGO).

Nach diesen Maßstäben ist die angefochtene Festsetzung eines Verspätungszuschlags zur ESt 2004 nicht zu beanstanden.

Der Kl und seine Ehefrau haben ihre ESt-Erklärung für das Jahr 2004 (unstreitig) verspätet eingereicht. Die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 152 Abs. 1 Satz 1 AO für die Festsetzung eines Verspätungszuschlags sind also gegeben. Da außerdem Gründe, welche die Versäumnis entschuldbar erscheinen lassen, weder vom Kl vorgetragen wurden noch anderweitig ersichtlich sind, kommt die Möglichkeit, nach § 152 Abs. 1 Satz 2 AO von der Festsetzung eines Verspätungszuschlags abzusehen, nicht in Betracht. Hinzu kommt, dass - wie in der Einspruchsentscheidung zutreffend ausgeführt - die ESt-Erklärungen für die Jahre 2000 bis 2003 ebenfalls verspätet eingereicht worden waren.

Das FA hat das ihm zustehende Ermessen bei der Festsetzung des Verspätungszuschlags nicht fehlerhaft ausgeübt. Es hat erkennbar den Kl und seine Ehefrau dazu anhalten wollen, in Zukunft ihre ESt-Erklärungen rechtzeitig abzugeben. Diese Erwägung ist durch den in § 152 Abs. 2 Satz 2 AO zum Ausdruck kommenden Gesetzeszweck gedeckt. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Verspätungszuschlag im Streitfall festgesetzt worden wäre, um den Klägervertreter "als Steuerberater auszuschalten", wie der Klägervertreter dies vermutet. Der vorliegende Streitfall ist angesichts der Vielzahl und Dauer der dem Kl anzulastenden Fristüberschreitungen denkbar ungeeignet, ein Benachteiligung des Klägervertreters bzw. seiner Mandanten gegenüber anderen Steuerberatern bzw. deren Mandanten nachzuweisen. Der Klägervertreter hat zwar im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren vorgetragen, ihm lägen Unterlagen vor, aus denen sich ergebe, dass Mandanten eines Steuerberaters X, bei dem es sich seinen Angaben zufolge um den Sohn eines Sachgebietsleiters des beklagten Finanzamts handeln soll, selbst bei langer Verspätung keine Verspätungszuschläge auferlegt bekämen. Der Klägervertreter hat derartige Unterlagen jedoch weder im gerichtlichen noch im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren vorgelegt, so dass sich eine Ungleichbehandlung des Klägervertreters und/oder seiner Mandanten auch anhand der vom Klägervertreter angesprochenen Unterlagen nicht feststellen lässt. Der Bekl hat in Bezug auf den vom Klägervertreter erhobenen Vorwurf der Ungleichbehandlung in seiner Einspruchsentscheidung zutreffend ausgeführt, dass die Entscheidung darüber, ob ein Verspätungszuschlag festzusetzen sei, eine Einzelfallentscheidung sei, die anhand der konkreten Umstände des jeweiligen Falles zu treffen sei.

Auch die Entscheidung des Bekl über die Höhe des im Streitfall festgesetzten Verspätungszuschlags ist ermessensfehlerfrei.

Die Entscheidung über die Höhe des Verspätungszuschlags ist zwingend absolut (höchstens 25.000 EUR) und relativ (10 v.H. der festgesetzten Steuer) begrenzt (§ 152 Abs.2 Satz 1 AO 1977). Im übrigen entscheidet die Finanzbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der in § 152 Abs.2 Satz 2 AO ausdrücklich bezeichneten Gesichtspunkte. So muss sie neben dem Zweck des Verspätungszuschlags, den Steuerpflichtigen zur rechtzeitigen Abgabe der Steuererklärung anzuhalten, die Dauer der Fristüberschreitung, die Höhe des sich aus der Steuerfestsetzung ergebenden Zahlungsanspruchs, die aus der verspäteten Abgabe der Steuererklärung gezogenen Vorteile sowie das Verschulden und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen berücksichtigen (§ 152 Abs.2 Satz 2 AO). Die Finanzbehörde muss sämtliche in § 152 Abs.2 Satz 2 AO erwähnten Beurteilungsmerkmale beachten und das Für und Wider gegeneinander abwägen. Dabei kann nach den Umständen des Einzelfalles ein Merkmal stärker als ein anderes hervortreten.

Aus der Begründung eines schriftlichen Verwaltungsakts (§ 121 Abs.1 AO) über die Festsetzung des Verspätungszuschlags muss der Steuerpflichtige erkennen können, welche Erwägungen die Finanzbehörde bei der Ausübung ihres Ermessens angestellt hat. Die Finanzbehörde muss dazu regelmäßig auf die von ihr angestellten Erwägungen hinweisen. Andernfalls ist der aufgrund einer Ermessensentscheidung erlassene Verwaltungsakt im Regelfall rechtsfehlerhaft. Es ist ausreichend, aber auch notwendig, dass die Begründung die zum Verständnis der Entscheidung maßgebenden Erwägungen enthält.

Die vom Bekl getroffene Entscheidung ist nach diesen Maßstäben nicht zu beanstanden. Der Bekl hat in seiner Einspruchsentscheidung sämtliche in § 152 Abs.2 Satz 2 AO erwähnten Beurteilungsmerkmale berücksichtigt. Er hat dabei zu Recht besonders hervorgehoben, dass der Kl und seine Ehefrau auch schon die ESt-Erklärungen für die Jahre 2000 bis 2003 erheblich verspätet eingereicht hatten.

Irgendwelche Fehler bei der Ausübung des Ermessens durch den Bekl vermag der Senat nicht festzustellen. Es liegen insbesondere auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Bekl bei seiner Ermessensausübung von einer unzutreffenden Tatsachengrundlage ausgegangen wäre. Der Kl und sein Vertreter haben denn auch keine konkreten Einwendungen gegen die vom Bekl angestellten Ermessenserwägungen erhoben. Der Klägervertreter hat zwar im Termin zur mündlichen Verhandlung auf die Urteile des BFH vom 08. Dezember 1988 V R 169/83 (BStBl II 1989, 231) und vom 15. März 2007 VI R 29/05 (BFH/NV 2007, 1076) hingewiesen, mit denen Verspätungszuschläge aufgrund von Ermessensfehlern des jeweiligen Finanzamts aufgehoben worden waren. Es lässt sich jedoch nicht feststellen, dass dem beklagten Finanzamt vergleichbare Ermessensfehler unterlaufen wären. Es hat weder die Festsetzung des Verspätungszuschlags mit Erwägungen begründet, die dem Zweck der Ermächtigung in § 152 Abs. 2 Satz 2 AO nicht gerecht würden, noch hat es einzelne der dort genannten Kriterien nicht oder nicht angemessen berücksichtigt.

Die Klage war deshalb mit der Kostenfolge des § 135 Abs. 1 FGO abzuweisen.

Die Revision war wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Streitsache ( § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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