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Gericht: Finanzgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 12.11.2007
Aktenzeichen: 6 K 328/07
Rechtsgebiete: EStG, AO


Vorschriften:

EStG § 62 Abs. 1 Nr. 1
EStG § 63 Abs. 1 S. 1
EStG § 63 Abs. 1 S. 3
AO § 8
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Baden-Württemberg

6 K 328/07

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger auch während des Auslandsstudiums seiner Tochter ein Anspruch auf Kindergeld zusteht.

Die Tochter des Klägers, A.B., ist am 27. Januar 1984 geboren. Sie hat sowohl die kroatische als auch die italienische Staatsangehörigkeit.

Mit Bescheid vom 1. August 2006 lehnte die beklagte Familienkasse - Beklagte - den Antrag des Klägers vom 11. Mai 2006 auf Gewährung von Kindergeld für seine Tochter mit der Begründung ab, dass seit Inkrafttreten des deutsch-kroatischen Abkommens über soziale Sicherheit am 1. Dezember 1998 für Kinder in Kroatien kein Kindergeldanspruch mehr bestünde.

Hiergegen legte der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 10. August 2006 Einspruch ein. Zur Begründung legte er eine Diplomurkunde und eine Studienbescheinigung in kroatischer Sprache sowie eine Anmeldebestätigung der Stadt X vor. Inhalt der Diplomurkunde ist, dass die Tochter des Klägers am 21. September 2005 das Studium Vorschulerziehung an der Pädagogischen Hochschule in Y erfolgreich abgeschlossen hat und damit berechtigt ist, den Fachtitel Erzieherin für Vorschulkinder zu tragen. Aus der Studienbescheinigung ergibt sich, dass die Tochter des Klägers am 1. Oktober 2005 ein Studium an der Fakultät für Seefahrt in Y aufgenommen hat. Laut Kindergeldantrag wird sie das Studium voraussichtlich 2008 beenden. Nach der Anmeldebestätigung der Stadt X ist die Tochter des Klägers seit 11. Mai 2006 in X gemeldet; zuvor hatte sie ihre Wohnung in Kroatien.

Mit Einspruchsentscheidung vom 3. Mai 2007 wurde der Einspruch zurückgewiesen mit dem Hinweis, dass ein Kindergeldanspruch nach § 63 Abs. 1 Satz 3 Einkommensteuergesetz - EStG - ausscheide, da die Tochter des Klägers weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem sonstigen Staat, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung finde, habe. Die bloße Absicht, einen Wohnsitz begründen oder aufrechterhalten zu wollen bzw. die Anmeldung bei der Einwohnermeldestelle entfalte unmittelbar keine steuerliche Wirkung. Der Steuerpflichtige müsse die Wohnung inne haben, d.h. tatsächlich über sie verfügen können und sie als Bleibe nicht nur vorübergehend nutzen. Ein nur gelegentliches Verweilen während unregelmäßig aufeinander folgender kurzer Zeiträume zu Erholungszwecken reiche nicht aus. Außer dem Innehaben einer Wohnung sei der Wohnsitzbegriff an Umstände geknüpft, die darauf schließen ließen, dass die Wohnung durch den Inhaber beibehalten und als solche genutzt werden solle. Im vorliegenden Falle lebe die Tochter des Klägers in Kroatien. Sie habe damit ihren Wohnsitz außerhalb Deutschlands, der Europäischen Union und des Europäischen Wirtschaftsraums. Auch ein gewöhnlicher Inlandsaufenthalt liege nicht vor. Ein solcher sei bei fortdauerndem Schwerpunktaufenthalt im Ausland mit lediglich kurzfristigen Aufenthalten im Inland, wie z.B. bei Geschäfts- und Dienstreisen, Schulungen oder Besuchen der Eltern, nicht gegeben.

Am 4. Juni 2006 erhob der Prozessbevollmächtigte des Klägers hiergegen Klage. Zur Begründung wurde angeführt, dass das zu berücksichtigende Kind beim Kläger wohnhaft sei. Die Wohnung des Klägers stehe seiner Tochter jederzeit als Bleibe zur Verfügung und könne als solche auch von ihr genutzt werden.

Mit Schreiben vom 1. August 2007 forderte der Berichterstatter den Kläger auf, die Aufenthaltsdauer der Tochter des Klägers in der Bundesrepublik Deutschland im Einzelnen nachzuweisen. Hierauf stellte der Kläger mit Schreiben vom 25. September 2007 unter Beweis, dass sich seine Tochter in 2006 an insgesamt 92 Tagen, hiervon an 61 Tagen seit der Antragstellung, und in 2007 an insgesamt 84 Tagen in seiner Wohnung aufhielt.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger ab dem 1. Mai 2006 Kindergeld für das Kind A. zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie nimmt Bezug auf die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung. Ergänzend führt sie an, dass von einem Wohnsitz nur dann ausgegangen werden könne, wenn das Kind die gesamten vorlesungsfreien Zeiten beim Kläger verbracht habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der von den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die bei der Beklagten beigezogene Kindergeldakte und die Niederschrift über den Erörterungstermin vom 27. September 2007 Bezug genommen. Im Rahmen des Erörterungstermins haben die Beteiligten auf mündliche Verhandlung verzichtet.

Entscheidungsgründe:

Mit Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat gemäß § 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung - FGO - ohne mündliche Verhandlung.

Die Klage ist unbegründet.

Der Kindergeld-Bescheid vom 1. August 2006 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 3. Mai 2007 verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

1. Nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG in Verbindung mit § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 3 EStG besteht ein Kindergeldanspruch nur für diejenigen Kinder, die im Inland, in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Staat, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet, einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt innehaben.

a) Der Wohnsitzbegriff im Sinne von § 8 Abgabenordnung - AO - setzt neben zum dauerhaften Wohnen geeigneten Räumlichkeiten das Innehaben der Wohnung dergestalt voraus, dass der Betreffende tatsächlich über sie verfügen kann und sie als Bleibe entweder ständig benutzt oder sie doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit - wenn auch in größeren Zeitabständen - aufsucht. Ein nur gelegentliches Verweilen während unregelmäßig aufeinander folgender kurzer Zeiträume zu Erholungszwecken oder ein Aufenthalt, der nur Besuchscharakter hat, wie das bei Aufenthalten von jeweils zwei bis drei Wochen pro Jahr der Fall ist, reicht nicht aus (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 23. November 2000 VI R 107/99, Bundessteuerblatt - BStBl - II 2001, 294 m.w.N.). Neben dem objektiven Umstand, dass die Wohnung ihrem Inhaber jederzeit als Bleibe zur Verfügung stehen muss, ist subjektiv erforderlich, dass dieselbe auch zu entsprechender Nutzung bestimmt ist. In dieser zur objektiven Eignung hinzutretenden subjektiven Bestimmung liegt der Unterschied zwischen dem bloßen Aufenthaltnehmen in einer Wohnung und dem Wohnsitz (BFH-Urteile vom 26. Februar 1986 II R 200/82, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH - BFH/NV - 1987, 301 undvom 23. November 2000 VI R 107/99, a.a.O.).

b) Kinder, die sich lediglich zum Zwecke einer zeitlich begrenzten Schul- oder Berufsausbildung im Ausland aufhalten, behalten zwar in der Regel ihren Wohnsitz im Inland bei. Begibt sich das Kind aber zum Zwecke einer Schul- oder Berufsausbildung ins Ausland und hält es sich dort länger auf, reicht nach der Rechtsprechung die Absicht, nach Abschluss der Ausbildung wieder nach Deutschland zurückzukehren, allein nicht aus, um den Fortbestand des bisherigen Wohnsitzes anzunehmen. Der Inlandswohnsitz besteht in derartigen Fällen nur fort, wenn das betroffene Kind entweder seinen alleinigen Lebensmittelpunkt weiterhin im Inland hat oder aber es zwar keinen einheitlichen Lebensmittelpunkt mehr hat, aber nunmehr über zwei Schwerpunkte der Lebensverhältnisse (zwei Wohnsitze) verfügt (vgl. Beschluss des Finanzgerichts - FG - München vom 15. Mai 2007 9 K 331/07, [...], m.w.N.). Bei Aufnahme eines mehrjährigen Studiums im Ausland hat das Kind seinen Wohnsitz in der Wohnung der Eltern im Inland nur dann, wenn es sich in dieser Wohnung in ausbildungsfreien Zeiten aufhält. Kurzzeitige Besuche und sonstige kurzfristige Aufenthalte zu Urlaubs-, Berufs- oder familiären Zwecken, die nicht einem Aufenthalt mit Wohncharakter gleichkommen und daher nicht "zwischenzeitliches Wohnen" in der bisherigen Wohnung bedeuten, reichen nicht dazu aus, um die Aufrechterhaltung des Inlandswohnsitzes anzunehmen (BFH-Urteil vom 23. November 2000 VI R 107/99, a.a.O.). Hiervon kann grundsätzlich nur dann ausgegangen werden, wenn sich das Kind im Jahr fünf Monate im Inland in der Wohnung der Eltern aufhält (BFH-Beschluss vom 21. Oktober 2005 III B 99/05, BFH/NV 2006, 300; BFH-Urteil vom 23. November 2000 VI R 107/99, a.a.O.).

c) Nach diesen Rechtsprechungsgrundsätzen steht zur Überzeugung des Senats fest, dass für die Tochter des Klägers im Streitzeitraum mangels Vorliegens eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts in den berücksichtigungsfähigen Ländern, zu denen Kroatien nicht gehört, kein Anspruch auf Kindergeld besteht.

Die Tochter hält sich mindestens seit 2005 vorwiegend in Kroatien auf. Ihr derzeitiges Studium in Kroatien wird sie erst in 2008/2009 beenden. In 2006 hat sie sich - nach dem als wahr unterstellten Vortrag des Klägers - lediglich an 92 Tagen in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten; in 2007 bislang gar nur an 84 Tagen. Hinzu kommt, dass es sich im Wesentlichen um Kurzaufenthalte von bis zu zwei Wochen Dauer handelte. Die einzige Ausnahme bilden jeweils die Sommerferien, an denen sich die Tochter des Klägers für 34 bzw. 38 Tage im Inland aufhielt. Insgesamt ergibt sich daraus, dass die Aufenthalte der Tochter des Klägers im Inland nicht als zwischenzeitliches Wohnen anzusehen sind, sondern den üblichen Charakter von Besuchs- und Urlaubsaufenthalten haben. Anhaltspunkte für eine derart starke Anbindung an das Elternhaus, den Freundes- oder Bekanntenkreis, welche es vorliegend gegebenenfalls rechtfertigen könnten, abweichend von der hierzu ergangenen Rechtsprechung einen kürzen Aufenthalt als fünf Monate im Jahr für die Anerkennung eines Wohnsitzes genügen zu lassen, ergeben sich weder aus den Akten noch dem klägerischen Vortrag.

2. Dagegen, dass die Kindergeldberechtigung nach § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG vom Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes abhängt, bestehen nach der hierzu ergangenen Rechtsprechung (vgl. BFH-Urteil vom 23. November 2000 VI R 165/99, BStBl II 2001, 279 und BFH-Beschluss vom 27. Februar 2006 III B 170/05, BFH/NV 2006, 1090), welcher sich der Senat anschließt, weder verfassungsrechtliche, noch europarechtliche oder völkerrechtliche Bedenken.

3. Die Kostenregelung ergibt sich aus § 135 FGO.



Ende der Entscheidung

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