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Gericht: Finanzgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 09.06.2008
Aktenzeichen: 6 K 406/04
Rechtsgebiete: EStG, StVergAbG, FGO


Vorschriften:

EStG § 10d
EStG § 15 Abs. 4 S. 6
EStG § 15 Abs. 4 S. 7
EStG § 20 Abs. 1 Nr. 4
StVergAbG
FGO § 68
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Baden-Württemberg

6 K 406/04

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob der Ausschluss des Ausgleichs von Verlusten aus stillen Beteiligungen an Kapitalbeteiligungen gemäß § 15 Abs. 4 Satz 6, § 20 Abs. 1 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.d.F. des Gesetzes zum Abbau von Steuervergünstigungen und Ausnahmeregelungen (StVergAbG) vom 16. Mai 2003, Bundessteuerblatt (BStBl) I 2003, 321, verfassungsgemäß ist.

Die Klägerin wurde mit notariellem Vertrag vom 21. Mai 1991 errichtet. Das Stammkapital betrug im Jahr 2002 EUR 51.129,19 (DM 100.000) und wurde von Frau X i. H. von EUR 29.654,93 (DM 58.000) und ihrem Ehemann Herrn Dr. AX i. H. von EUR 21.474,26 (DM 42.000) gehalten. Gegenstand des Unternehmens ist laut Gesellschaftsvertrag insbesondere

die planerische Vorbereitung und Entwicklung technischer und wissenschaftlicher Problemlösungen sowie deren Produktion, Verkauf und Vertrieb;

die Organisation interdisziplinärer Zusammenarbeit zur Lösung von Problemstellungen im sogenannten Hightech-Bereich;

die Verwertung von Erfindungen und Entwicklungen im Auftrag von oder in Zusammenarbeit mit Erfindern oder Entwicklern;

die Vorbereitung und Entwicklung von Maßnahmen zur Verfahrens- und Ablaufoptimierung im technisch-wissenschaftlichen Bereich sowie die fachliche und/oder organisatorische Beratung im Umgang mit neuen Technologien und deren Umfeld.

Das Geschäftsjahr endet zum 30. Juni. Alleinvertretungsberechtigte Geschäftsführerin ist Frau X.

Mit notariellem Vertrag vom 21. Februar 2002 zwischen Frau X für die X-GmbH und Herr O.T., A, wurde eine Aktiengesellschaft unter der Firma M-AG mit Sitz in Y - nachfolgend AG - gegründet. Das Grundkapital von EUR 50.000 übernahm Herr T. (5.000 x EUR 5) und die Firma X-GmbH (5000 x EUR 5) je zur Hälfte. Der Zweck war der internationale Handel sowie die Verkaufsvermittlung von wissenschaftlichen Produkten und Geräten und Instrumenten, vorwiegend aus dem Bereich der Lebenswissenschaften.

Daneben wurde mit Vertrag vom 21. Februar 2002 zwischen der AG i. G. und der Firma X-GmbH eine stille Gesellschaft vereinbart. Danach beteiligte sich die Firma X-GmbH mit einer Einlage i. H. von EUR 300.000 als stille Gesellschafterin an der AG. Die Einlage wurde auf Anforderung in Teilbeträgen eingezahlt. Die Stille war berechtigt, am Gewinn mit 30%, höchstens 50% der Einlage teilzunehmen. Am Verlust nahm die Stille in voller Höhe teil, jedoch beschränkt auf die zu leistende Einlage.

Nach dem Jahresabschluss der AG auf 30. Juni 2002 (Rumpfwirtschaftsjahr vom 28. Februar bis 30. Juni 2002) schloss die Gesellschaft mit einem Jahresfehlbetrag von EUR 14.511 ab. Dabei wurden die Einzahlungen der stillen Gesellschafterin als Verbindlichkeit mit den bis dahin eingeforderten EUR 95.000 zunächst passiviert und dann gewinnerhöhend aufgelöst. Im Wesentlichen stammte der Aufwand der AG aus Gehältern und sozialen Aufwendungen, aus Raum- und Werbekosten sowie aus Rechts- und Beratungskosten. Der Vorstand hat allerdings 2002 noch keine Bezüge im Rahmen seines Dienstvertrags erhalten.

Die Klägerin hat in ihrer Bilanz zum 30. Juni 2002 den Anteil an der AG i. H. von EUR 12.500 sowie den Anteil als stille Gesellschafterin i. H. der geleisteten Einzahlung von EUR 95.000 aktiviert und mit dem Verlustanteil i. H. von EUR 95.000 verrechnet.

Für die Zwecke der Vorauszahlungen für 2003 gab die Klägerin an, im Folgejahr EUR 195.500 als stille Gesellschafterin geleistet zu haben und diesen Betrag wegen der Verluste der AG abschreiben zu müssen. Daraus ergebe sich ein eigener Jahresfehlbetrag i. H. von EUR 20.000, der zur Festsetzung von Vorauszahlungen für die Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer i. H. von EUR 0 führen müsse.

Im Jahre 2004 hat die Klägerin ihren Anteil an der AG veräußert und auf ihre Rechte als stille Gesellschafterin verzichtet.

Mit Bescheiden vom 9. März 2004 setzte das beklagte Finanzamt (FA) die Vorauszahlungen zur Körperschaftsteuer für 2003 i. H. von EUR 44.265 zzgl. Solidaritätszuschlag fest. Dabei legte das FA ein zu versteuerndes Einkommen i. H. von EUR 172.773 zugrunde, weil es die Verluste aus der stillen Beteiligung dem Gewinn hinzurechnete. Nach § 20 Abs. 1 Nr. 4 und § 15 Abs. 4 Satz 6 EStG in der Fassung des StVerAbG seien Verluste der Klägerin aus einer stillen Beteiligung nur noch mit künftigen Gewinnen aus dieser Beteiligung verrechenbar, selbst wenn die Verluste das eingezahlte Kapital nicht überstiegen. Mit Bescheid vom 15. April 2004 wurde für Vorauszahlungszwecke der Gewerbesteuermessbetrag für 2003 auf EUR 9.020 festgesetzt.

Mit Schreiben vom 5. April und 23. April 2004 wurde gegen die Vorauszahlungsbescheide Einspruch eingelegt und gleichzeitig Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt.

Da das FA die beantragte Aussetzung der Vollziehung ablehnte, rief die Klägerin das Finanzgericht Baden-Württemberg an - Aktenzeichen 6 V 32/04. Im Beschluss vom 20. Oktober 2004 wurde die beantragte Aussetzung der Vollziehung in voller Höhe gegen Sicherheitsleistung gewährt und die Beschwerde zum Bundesfinanzhof (BFH) zugelassen.

In der Beschwerdeentscheidung des BFH vom 3. Februar 2005 I B 208/04, BStBl II 2005, 351, entschied das Gericht, dass ernstlich zweifelhaft sei, ob der Ausschluss des Ausgleichs von Verlusten aus stillen Beteiligungen an Kapitalgesellschaften gemäß § 15 Abs. 4 Satz 6, § 20 Abs. 1 Nr. 4 EStG i. d.F. des StVergAbG insoweit mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar sei, als er sich ohne Einschränkung auch auf Verluste bezieht, die auf vor dem Jahr 2003 begründeten Verpflichtungen beruhen. Kernproblem dieser Entscheidung war die Frage der sog. "echten Rückwirkung" und der sog. "unechten Rückwirkung". Die Anordnung der Leistung einer Sicherheit wurde aufgehoben.

Mit Einspruchsentscheidung vom 3. November 2004, auf die wegen der weiteren Einzelheiten zwecks Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird, wurden die Einsprüche als unbegründet zurückgewiesen.

Mit Schriftsatz vom 15. November 2004 wurde Klage erhoben.

Zwischenzeitlich sind am 12. Januar 2005 der Körperschaftsteuerbescheid für 2003 sowie am 2. März 2005 der Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag 2003 ergangen.

Die Klägerin trägt im Wesentlichen vor, dass im Streitfall bei der durch das StVergAbG vom 16. Mai 2003 ab dem Veranlagungszeitraum 2003 eingeführten Regelung der Einschränkung des Verlustausgleichs eine unechte Rückwirkung vorliege, die vom GG nicht gedeckt sei. Im Streitfall werde das Vertrauen der Klägerin auf das geltende Recht durch die Einführung der Verlustverrechnung zunichte gemacht. Hierbei handle es sich um einen existenzbedrohenden steuerlichen Eingriff, der durch das Gemeinwohlinteresse des Gesetzgebers nicht gedeckt sei.

Die Klägerin beantragt,

den Körperschaftsteuerbescheid für 2003 vom 12. Januar 2005 sowie den Gewerbesteuermessbescheid für 2003 vom 3. Februar 2005 dahingehend abzuändern, dass die Verluste aus der typisch stillen Beteiligung der Klägerin an der M-AG bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens berücksichtigt werden,

hilfsweise für den Fall des ganz oder teilweisen Unterliegens

Zulassung der Revision

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise für den Fall des ganz oder teilweisen Unterliegens

Zulassung der Revision.

Im Wesentlichen wird vorgetragen, dass das Gesetz parlamentarisch ordnungsgemäß zustande gekommen sei und demnach grundsätzlich von der Verfassungsmäßigkeit auszugehen sei. Im Streitfall liege eine zulässige "unechte" Rückwirkung (tatbestandliche Rückanknüpfung) vor, die verfassungsrechtlich zulässig sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze, die sich in der finanzgerichtlichen Akte befinden, die vom FA vorgelegte Steuerakte sowie die Niederschrift über den Erörterungstermin vom 13. Februar 2008 Bezug genommen.

Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung vor dem Senat verzichtet.

Entscheidungsgründe:

1. Die Klage ist nicht begründet.

2. Die Klage war ursprünglich gegen den Einkommensteuer-Vorauszahlungsbescheid gerichtet. Wird dieser Bescheid während eines laufenden Klageverfahrens durch den Einkommensteuerbescheid ersetzt, tritt dieser nach § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) an die Stelle des ursprünglich angefochtenen Bescheids (vgl. BFH Urteil vom 8. November 1993 IX R 42/92, Sammlung amtlich veröffentlichter Entscheidungen des BFH -BFHE- 174, 313). Dies gilt auch für die Gewerbesteuer (vgl. BFH Urteil vom 18. Juli 1990 I R 98/87, BStBl II 1990, 1073), sodass Streitgegenstand der Körperschaftsteuer- sowie der Gewerbesteuermessbescheid sind.

3. Der Senat teilt nicht die Auffassung der Klägerin, dass im Streitfall eine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung vorliegen würde.

Die von der Klägerin vorgebrachten Aspekte der Verfassungswidrigkeit der Regelung werden nicht in Abrede gestellt. Diese rechtfertigen aus der Sicht des Senats auch die - vom erkennenden Senat - gewährte Aussetzung der Vollziehung, die vom BFH bestätigt wurde.

Wie der BFH in dem o. a. Beschluss vom 3. Februar 2005 I B 208/04 ausgeführt hat, setzt die Aussetzung der Vollziehung nicht voraus, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe überwiegen. Sei die Rechtslage nicht eindeutig, so sei im summarischen Verfahren nicht abschließend zu entscheiden, sondern im Regelfall die Vollziehung auszusetzen.

Im vorliegenden Falle ist - was die Klägerin übersieht, wenn sie von einem existenzbedrohenden steuerlichen Eingriff spricht - die Verlustverrechnung nicht völlig durch das StVergAbG abgeschafft, sondern nur eingeschränkt worden; denn in § 15 Abs. 4 Satz 6 und 7 EStG ist bestimmt, dass die Verluste zwar nicht mit Einkünften aus Gewerbebetrieb noch aus anderen Einkunftsarten ausgeglichen werden dürfen; aber die Verluste mindern jedoch nach Maßgabe des § 10d EStG die Gewinne, die der stille Gesellschafter in dem unmittelbar vorangegangenen Wirtschaftsjahr oder in den folgenden Wirtschaftsjahren aus derselben stillen Gesellschaft bezieht. Damit ist grundsätzlich sichergestellt, dass Verluste sich beim stillen Gesellschafter auswirken können. Hierbei geht der Senat davon aus, dass die Beteiligung auf ihre gesamte Laufzeit grundsätzlich einen positiven Überschuss abwerfen muss, da andererseits die Einkunftserzielungsabsicht nicht dargetan ist.

Die Änderung des EStG durch das StVergAbG bedeutet, dass das Vertrauen des Steuerpflichtigen in den Bestand einer für ihn günstigeren steuerlichen Regelung - Verlustsofortverrechnung mit Gewinnen aus Gewerbebetrieb oder aus anderen Einkunftsarten - erschüttert wurde. Derartige Regelungen wie in § 15 Abs. 4 Satz 7 EStG finden sich aber an verschiedenen Stellen des EStG - Bsp.: § 2a Abs. 1, § 15a EStG - und sind auch wiederholt vom Bundesverfassungsgericht als verfassungsgemäß beurteilt worden. Der Senat sieht das als eine dem Gesetzgeber von Verfassungs wegen zugestandene Gestaltungsfreiheit, wie und auf welche Weise Verluste verrechnet werden können. Auch die Einführung des § 2a EStG im Jahre 1982 ohne jegliche Übergangsregelung für bestehende ausländische Einkunftsquellen hat der verfassungsrechtlichen Überprüfung standgehalten (vgl. Beschlüsse des BVerfG vom 27. März 1998 2 BvR 1986/93, und vom 17. April 1998 2 BvR 374/91).

Demgemäß war die Klage abzuweisen.

4. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 135 FGO.

5. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 115 Abs. 2 FGO zugelassen.



Ende der Entscheidung

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