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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 23.07.2007
Aktenzeichen: 6 K 431/06
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 33 Abs. 1
Zur Berücksichtigung von Fahrtkosten zum im Altenheim lebenden Elternteil als außergewöhnliche Belastungen.
Finanzgericht Baden-Württemberg

6 K 431/06

Tatbestand:

Streitig ist die Berücksichtigung von Fahrtkosten zur im Altenheim lebenden Mutter des Klägers als außergewöhnliche Belastungen.

Der Kläger wurde im Beschluss des Amtsgerichts - Vormundschaftsgericht - X vom 7. Juli 1999 (Az. 8 XVII 2522) für seine Mutter, Frau A.B., geboren am 15. Dezember 1916, zum Betreuer mit dem Wirkungskreis Wohnungs-, Heim- und Vermögensangelegenheiten bestellt, da diese aufgrund internistischer Erkrankungen nicht in der Lage war, die als Wirkungskreis der Betreuung bestimmten Angelegenheiten des Lebens selbständig zu besorgen (Bl. 6 der Rechtsbehelfsakten). Der Aufgabenkreis des Betreuers wurde in der Bestellung des Amtsgerichts ... vom 24. Mai 2004 (Az. 11 XVII 254/99) konkretisiert und um die Gesundheitssorge ergänzt (Bl. 8 der Rechtsbehelfsakten). Die Betreute lebte im Streitjahr 2005 in einem Altenheim in ..., welches 500 km vom Wohnort der Kläger entfernt war.

In der Einkommensteuererklärung 2005 vom 16. Juni 2006 machten die zur Einkommensteuer zusammen veranlagten Kläger Aufwendungen für acht von insgesamt zehn durchgeführten Fahrten zur Betreuten (8 * 500 km * 0,60 EUR/km = 2.400 EUR) sowie weitere 499 EUR für damit verbundene sonstige Kosten (z.B. Übernachtung) als außergewöhnliche Belastung geltend (Bl. 5 der ESt-Akten 2005). Nach dem Vortrag des Klägers im Klageverfahren belaufen sich die Kosten für die Verwendung öffentlicher Verkehrsmittel/Taxi für die Strecke von 430 Entfernungskilometern auf 200 EUR (Hin- und Rückfahrt, Bl. 41, 44 d.A.).

Der Beklagte berücksichtigte diese Aufwendungen im Einkommensteuerbescheid 2005 vom 26. Juli 2006 nicht, da sie nicht außergewöhnlich seien. Die zumutbare Belastung der Kläger gemäß § 33 Abs. 3 Satz 1 Einkommensteuergesetz (EStG) war bereits durch anderweitige Aufwendungen überschritten.

Dagegen legten die Kläger mit Schreiben vom 30. Juli 2006, eingegangen beim Beklagten am 31. Juli 2006, Einspruch ein. Neben den als außergewöhnliche Belastung geltend gemachten acht Fahrten, die der Kläger in Ausübung seiner Tätigkeit als gerichtlich bestellter Betreuer seiner Mutter durchgeführt habe, seien im Streitjahr zwei Besuchsfahrten erfolgt.

Der Einspruch wurde in der Einspruchsentscheidung vom 26. September 2006 als unbegründet zurückgewiesen. Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 23. Mai 1990 III R 63/85, Bundessteuerblatt (BStBl) II 1990, 894 würden Aufwendungen für Besuchsfahrten zu nahen Angehörigen regelmäßig nicht als außergewöhnliche Belastungen anerkannt werden. Gegen den Charakter als Besuchsfahrten spreche auch nicht die Bestellung des Klägers zum Betreuer. Derartige, den innerfamiliären Hilfeleistungen zuzurechnenden Tätigkeiten seien nicht außergewöhnlich. Im Übrigen habe der BFH es nicht als außergewöhnlich angesehen, dass die Kinder alle zwei Wochen ihre über 80 Jahre alten Eltern in einem 400 km entfernten "Heim für altersgerechtes Wohnen" besuchten, um die Eltern zu baden und zu waschen, deren Wäsche zu reinigen, größere Einkäufe zu tätigen, die Wohnung zu versorgen und den Schriftverkehr zu erledigen(Urteil vom 22. Oktober 1996 III R 265/94, BStBl II 1997, 558).

Hiergegen richtet sich die Klage vom 23. Oktober 2006. Nach der Entscheidung des BFH vom 6. April 1990 III R 60/88, BStBl II 1990, 958 seien Aufwendungen für Fahrten zur krankheitsbedingten Betreuung der pflegebedürftigen Mutter insoweit als außergewöhnlich anzuerkennen, als sie die Aufwendungen für Besuchsfahrten überschreiten, die der Steuerpflichtige auch ohne die Erkrankung seiner Mutter üblicherweise ausgeführt hätte. In Anbetracht des Alters des Klägers (geb. 1944), der Entfernung und des zeitlichen Aufwandes von einfach vier bis fünf Stunden, sowie der Tatsache, dass der Kläger zum Betreuer seiner Mutter bestellt worden sei, könnten zehn Fahrten nicht als üblich angesehen werden; der Kläger habe vielmehr lediglich zwei schlichte Besuchsfahrten durchgeführt. Acht Fahrten hätten der Regelung von Rechtsverhältnissen mit dem Alten/Pflegeheim sowie der Kranken/Rentenversicherung gedient. Neue Kleidung etc. müsse vom Kläger übergeben werden. Diese müsse von der Klägerin regelmäßig noch geändert werden.

Schließlich müsse der Kläger als Betreuer in Ausübung des Aufgabenkreises Gesundheitssorge die ordnungsgemäße Durchführung der Pflegeleistungen sowie der medizinischen Leistungen in Abständen zwischen sechs bis acht Wochen überwachen. Insoweit bestehe eine rechtliche Pflicht gegenüber dem Vormundschaftsgericht.

Frau A.B. sei aufgrund ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse nicht in der Lage, die Aufwendungen des Klägers zu erstatten. Einer Rente von ca. 1.100 EUR stünden Pflegekosten für das Altenheim von ca. 2.300 EUR gegenüber. Hätte der Kläger den Ersatz seiner Aufwendungen beim Vormundschaftsgericht beantragt, so hätte dies die Staatskasse stärker belastet als der Ansatz der Kosten in der Steuererklärung.

Die Kläger beantragen,

den Einkommensteuerbescheid vom 26. Juli 2006 in Form der Einspruchsentscheidung vom 26. September 2006 abzuändern und weitere außergewöhnliche Belastungen in Höhe von 2.898,70 EUR zu berücksichtigen,

hilfsweise

die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Alle Beteiligten haben das Einverständnis zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erteilt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze, die sich in der finanzgerichtlichen Akte befinden, die vom Finanzamt vorgelegten Steuerakten sowie die Niederschrift über den Erörterungstermin vom 19. April 2007 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist nicht begründet.

1.

Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes (außergewöhnliche Belastung), wird gemäß § 33 Abs.1 EStG die Einkommensteuer dadurch ermäßigt, dass der Teil der Aufwendungen, der die dem Steuerpflichtigen zumutbare Belastung übersteigt, vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen wird.

2.

a) Aufwendungen sind dann nicht zwangsläufig erwachsen, wenn sie durch die zumutbare Inanspruchnahme anderweitiger Ersatzmöglichkeiten hätten abgewendet werden können (Beschluss des BFH vom 15. November 1999 III B 76/99, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH (BFH/NV) 2000, 697, m.w.N.; BFH-Urteil vom 2. Dezember 2004 III R 27/02, BFH/NV 2005, 1248).

Deshalb sind Aufwendungen nicht zwangsläufig, wenn sie durch die Inanspruchnahme anderweitiger Ersatzmöglichkeiten abgewendet werden können, sofern deren Ausschöpfung nicht ausnahmsweise unzumutbar ist (BFH-Urteil vom 20. September 1991 III R 91/89, BStBl II 1992, 137; Arndt, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 33 Rdnr. C 31). Die Zwangsläufigkeit hinsichtlich der geltend gemachten Aufwendungen ist dann zu verneinen, wenn der Steuerpflichtige auf eine ihm zuzumutende Durchsetzung von Ersatzansprüchen verzichtet hat (BFH-Beschluss vom 18. Januar 1999 III B 88/98, [...]). Der Steuerpflichtige kann daher ihm entstandene Kosten nur dann als außergewöhnliche Belastungen steuermindernd geltend machen, statt eine anderweitige Ersatzmöglichkeit zu verfolgen, wenn es sich um eine Ersatzmöglichkeit von geringer wirtschaftlicher Auswirkung handelt (vgl. BFH-Urteil vom 7. März 1975 VI R 98/72, BStBl II 1975, 629) oder wenn er andere anerkennenswerte Gründe hat, sie nicht auszuschöpfen, z.B. weil er seinem Arbeitgeber eine bestimmte Krankheit nicht mitteilen möchte (BFH-Urteil vom 20. September 1991 III R 91/89, BStBl II 1992, 137). Von dem Steuerpflichtigen wird erwartet, dass er seine Ansprüche in nachhaltiger und überprüfbarer Weise geltend macht (BFH-Urteil vom 18. Juni 1997 III R 84/96, BStBl II 1997, 805).

b) Im Streitfall hat es der Kläger unterlassen, einen Aufwendungsersatzanspruch gemäß § 1908 i Abs. 1 i.V.m. § 1835 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) geltend zu machen. Der Kläger hatte als Betreuer u.a. Ansprüche auf Fahrtkostenersatz in Höhe von 0,30 EUR pro gefahrenem Kilometer (§§ 1, 5 Abs. 2 Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz -JVEG-)) gegen die Staatskasse inne, § 1835 Abs. 4 BGB.

Dadurch wären die von den Klägern geltend gemachten Fahrtkosten gedeckt gewesen. Die Ansprüche hätten binnen 15 Monaten nach ihrer Entstehung gerichtlich geltend machen müssen, § 1835 Abs. 1 Satz 3 BGB. Da dies nicht einmal versucht wurde, sind die Aufwendungen nicht zwangsläufig entstanden.

Der Argumentation der Kläger, es sei hier wie dort die Staatskasse tangiert, ist bereits wegen der Betroffenheit unterschiedlicher Landeshaushalte nicht zu folgen.

3.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist eine Belastung nur dann außergewöhnlich, wenn die Aufwendungen nicht nur ihrer Höhe, sondern auch ihrer Art und dem Grunde nach außerhalb des Üblichen liegen. Die typischen Aufwendungen der Lebensführung sind aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ungeachtet ihrer Höhe im Einzelfall ausgeschlossen. Die Aufwendungen für Besuche zwischen nahen Angehörigen sind deshalb regelmäßig ebenso wenig als außergewöhnlich, sondern typisierend als durch allgemeine Freibeträge und etwaige andere steuerliche Ermäßigungen abgegolten anzusehen wie Aufwendungen für sonstige Formen der Kontaktpflege etwa durch Telefongespräche. Das gilt auch, wenn der besuchte Angehörige erkrankt oder pflegebedürftig ist und Fahrten in kürzeren zeitlichen Abständen oder über größere Entfernungen durchgeführt werden. Denn es ist üblich und jedenfalls nicht im vorgenannten Sinn außergewöhnlich, wenn ein erkrankter oder pflegebedürftiger Angehöriger häufiger und auch über größere Entfernungen besucht wird als ein gesunder (BFH-Urteil vom 2. Dezember 2004 III R 27/02, BFH/NV 2005, 1248).

b) Eine Ausnahme lässt die Rechtsprechung des BFH zu, wenn Besuchsfahrten ausschließlich zum Zwecke der Heilung oder Linderung einer Krankheit oder eines Leidens unternommen werden oder den Zweck verfolgen, die Krankheit oder ein Leiden erträglicher zu machen, so dass die Kosten zu den unmittelbaren Krankheitskosten rechnen (vgl. BFH-Urteil vom 2.März 1984 VI R 158/80, BStBl II 1984, 484). Danach sind Aufwendungen, die ausschließlich zum Zwecke der Heilung oder Linderung einer Krankheit oder eines Leidens getätigt werden, oder die den Zweck verfolgen, die Krankheit oder ein Leiden - in der Person des Kranken - erträglich zu machen, als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen. Dazu bedarf es allerdings des Nachweises, dass nach ärztlichem Urteil gerade die konkreten, von dem Angehörigen vorgenommenen Besuche medizinisch indiziert sind und zur Heilung oder Linderung einer bestimmten Krankheit entscheidend beitragen können (BFH-Urteil vom 24. Mai 1991 III R 28/89, BFH/NV 1992, 96).

c) Ferner können die Aufwendungen für Besuchsfahrten dann eine außergewöhnliche Belastung darstellen, wenn ein Steuerpflichtiger sie auf sich nimmt, um einen nahen Angehörigen, der im eigenen Haushalt lebt, mit Rücksicht auf dessen Erkrankung oder Pflegebedürftigkeit betreuen und versorgen zu können, soweit die Aufwendungen jene für Besuchsfahrten überschreiten, die der Steuerpflichtige auch ohne die Erkrankung üblicherweise ausgeführt hätte (BFH-Urteil vom 22. Oktober 1996 III R 265/94, BStBl II 1997, 558, m.w.N.). Die Kosten für die üblichen Besuchsfahrten erfüllen hingegen die Voraussetzungen des § 33 EStG nicht. Aufwendungen für solche Fahrten dienen ebenso der Pflege der familiären Beziehungen wie der Austausch von Briefen oder das Führen von Telefongesprächen. Daran ändert nichts der Umstand, dass der besuchte Angehörige erkrankt ist und Fahrten in kürzeren zeitlichen Abständen auch über größere Entfernungen durchgeführt werden. Diese Beurteilung beruht entscheidend auf der Erwägung, dass es üblich ist, einen alleinstehenden und erkrankten Angehörigen häufiger und auch über größere Entfernungen zu besuchen als einen gesunden (BFH-Urteil vom 24. Mai 1991 III R 28/89, BFH/NV 1992, 96).

d) Auch die Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall führt zur Versagung der begehrten Vergünstigung. Dass die unter b) genannten Voraussetzungen erfüllt sind haben die Kläger weder vorgetragen noch nachgewiesen. Nach der Überzeugung des Senats stellen aber auch zehn Fahrten im Jahr zur pflegebedürftigen, im Streitjahr das 89. Lebensjahr vollendenden Mutter des Klägers keine außergewöhnliche Belastungen dar, sondern entsprechen unter nahen Angehörigen der Üblichkeit.

4.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO nicht erfüllt sind.



Ende der Entscheidung

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