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Gericht: Finanzgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 10.12.2007
Aktenzeichen: 6 K 446/06
Rechtsgebiete: AO, EStG, BGB


Vorschriften:

AO § 172 Abs. 1 Nr. 2a
EStG § 6 Abs. 1 Nr. 3 S. 2
BGB § 488 Abs. 3 S. 2
BGB § 488 Abs. 3 S. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Baden-Württemberg

6 K 446/06

Tatbestand:

Streitig ist die Ablehnung des Antrags auf schlichte Änderung der Körperschaftsteuerbescheide für 1999, 2000, 2001 und 2003 nach § 172 Abs. 1 Nr. 2a der Abgabenordnung -AO-; hinsichtlich des Körperschaftsteuerbescheides für 2002 ist aus anderen Gründen eine Abtrennung zur gesonderten Verhandlung und Entscheidung erfolgt (vgl. den Trennungsbeschluss vom 25. Oktober 2007 6 K 2048/07).

Mit Vertrag vom 29. Dezember 1998 erwarb Herr X 100% der Anteile an der ... GmbH (im Folgenden Klägerin). Die Klägerin diente der Aufnahme einer Beteiligung an der "Y GmbH". Diese Beteiligung wurde vom Gesellschafter-Geschäftsführer A. X mittels eines der Klägerin noch in 1998 gewährten zinslosen Darlehens finanziert; für dieses Darlehen bestand bis zum 29. Juni 2005 kein schriftlicher Darlehensvertrag. Aufgrund des am 29. Juni 2005 geschlossenen Vertrages wird das Darlehen ab dem 1. Januar 2004 mit 1% verzinst; wegen der weiteren Einzelheiten des Darlehensvertrages wird auf die in der Rechtsbehelfsakte des FA befindliche Kopie Bezug genommen (Bl. 10 f.).

In der Bilanz der Klägerin zum 31. Dezember 1998 wurde dieses Darlehen mit seinem Rückzahlungsbetrag in Höhe von 15.817.437,51 DM passiviert. Eine Verzinsung erfolgte nicht.

Seit Ende März 2003 ist Herr X nur noch zu 81,34% beteiligt; die restlichen Anteile sind auf seine Kinder übertragen worden.

Im Rahmen der bei der Klägerin angeordneten Betriebsprüfung für die Jahre 1999 bis 2003, beanstandete der Außenprüfer die Unverzinslichkeit des Gesellschafterdarlehens im Hinblick auf § 6 Abs. 1 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes -EStG- in der in den Streitjahren gültigen Fassung; er beabsichtigte, die Notwendigkeit der Abzinsung der Darlehensverbindlichkeit in den Bericht über die Betriebsprüfung aufzunehmen; hierbei bezog er sich auf das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen -BMFSchreiben- vom 26. Mai 2005, Bundessteuerblatt -BStBl- I 2005, 699.

Mit Schreiben vom 14. Dezember 2005 wandte sich die Klägerin an die Oberfinanzdirektion -OFD-......., mit der Bitte im vorliegenden Fall von einer Abzinsung wegen der drohenden Gefahr der Insolvenz der Klägerin abzusehen. Nach einer verwaltungsinternen Besprechung nahm die OFD mit Schreiben vom 26. Januar 2006 wie folgt Stellung: Da im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte für eine bestimmte Laufzeit des Darlehens gegeben seien, sei das Darlehen mit dem im BMF-Schreiben vorgegebenen Faktor von 0,503 abzuzinsen. Dies entspreche einer Darlehenslaufzeit von 12 Jahren und 10 Monaten. Das FA habe vorgeschlagen, im Rahmen einer tatsächlichen Verständigung als Darlehenslaufzeit die Zeit der Unverzinslichkeit des Darlehens anzusetzen. Dies führe zu einer Laufzeit von sieben Jahren; für ein weiteres Entgegenkommen sehe die OFD keine Möglichkeit. Sofern jedoch im Rahmen einer tatsächlichen Verständigung eine Einigung erzielt werden könne, werde dies von der OFD begrüßt.

Am 15. März 2006 fand die Schlussbesprechung statt. Nach nochmaliger Diskussion der Abzinsungsproblematik "einigten" sich die anwesenden Personen - Gesellschafter-Geschäftsführer, steuerliche Berater der Klägerin sowie der Außenprüfer und der Sachgebietsleiter Außenprüfung - auf eine Abzinsung mit einer Darlehenslaufzeit von 7 Jahren.

Die Veranlagung wertete den ihr am 20. März 2006 zugegangenen Bericht über die Betriebsprüfung vom 17. März 2006 entsprechend den Feststellungen der Betriebsprüfung und der Vereinbarung in der Schlussbesprechung aus. Die entsprechend geänderten Steuerbescheide ergingen unter dem Datum 5. April 2006.

Die festgesetzte Körperschaftsteuer, der Solidaritätszuschlag, sowie die Zinsen zur Körperschaftsteuer wurden am 9. Mai 2006 von der Klägerin entrichtet.

Mit Schreiben vom 21. April 2006 stellten die steuerlichen Berater der Klägerin beim FA verschiedene Anträge. Zum einen beantragten sie, die Körperschaftsteuerbescheide für die Veranlagungszeiträume 1999 bis 2003 gemäß § 172 Abs. 1 Nr. 2a AO dahingehend abzuändern, dass die Feststellungen der Betriebsprüfung in Tz. 14 und 15 (das unverzinsliche Darlehen betreffend) nicht angewandt werden. Ferner beantragten sie, den Körperschaftsteuerbescheid für den Veranlagungszeitraum 2002 bezüglich der verweigerten Steuerfolgen aus der Vorabausschüttung für vorläufig zu erklären. Hilfsweise stellten sie einen Erlassantrag gemäß § 227 der Abgabenordnung -AO- sowie einen Antrag gemäß § 163 AO; förmliche Einsprüche gegen die Körperschaftsteuerbescheide für die Veranlagungszeiträume 1999 bis 2003 wurden nicht eingelegt.

Mit Schreiben vom 27. April 2006 lehnte das FA die Änderungsanträge, den Erlassantrag und den Antrag auf abweichende Steuerfestsetzung gemäß § 163 AO ab.

Daraufhin wurde mit Schreiben vom 4. Mai 2006 gegen sämtliche ablehnende Bescheide vom 27. April 2006, u.a. auch gegen die Ablehnung des Antrags auf Änderung gemäß § 172 Abs. 1 Nr. 2a AO Einspruch eingelegt.

Die Klägerin begründete ihren Einspruch gegen die Ablehnung des Antrags auf Änderung gemäß § 172 Abs. 1 Nr. 2a AO im Wesentlichen mit der Auffassung, dass das Darlehen zwischen ihr und Herrn X durch die nach BGB vereinbarten Kündigungsmöglichkeiten den Charakter eines kurzfristigen Darlehen hätte. Es sei nicht nachvollziehbar, dass die hier gegebene unentgeltliche Gesellschafterleistung durch die Abzinsung des Darlehens zu einer steuerpflichtigen Leistung würde. Im Übrigen würde auch die Unverzinslichkeit zu einer höheren Gewinnausschüttung der Klägerin an ihren alleinigen Gesellschafter führen.

Mit Einspruchsentscheidung vom 25. Oktober 2006, auf die wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird, wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen.

Hiergegen richte sich die mit Schriftsatz vom 13. November 2006 erhobene Klage. Im Wesentlichen wird Folgendes vorgetragen: Bei der Auslegung des § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG komme es auf die rechtliche Laufzeit des Darlehens an; Darlehensgeber und Darlehensnehmer seien aufgrund der kurzen Kündigungsfrist von 3 Monaten immer davon ausgegangen, dass dem Darlehen ein kurzfristiger Charakter zukomme. Auch die Tatsache, dass Teile des Darlehens zur Finanzierung eines Anbaus am Sitz der Klägerin verwandt worden seien, spreche für die Kurzfristigkeit des Darlehens. Des Weiteren könne eine gesellschaftsrechtlich motivierte Entscheidung wie die Unverzinslichkeit nicht zu steuerpflichtigem Einkommen umfunktioniert werden. Der Verzicht eines Alleingesellschafters auf Entgelt für die Gewährung von Darlehen werde seit Langem als nicht steuerbar anerkannt. Schließlich sei die Vorschrift des § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG teleologisch zu reduzieren; denn die Ertragsteuern - Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuer - seien eine Bereicherungssteuer, die an die Vermehrung des Vermögens des Steuerpflichtigen anknüpfe. Dies sei aber im vorliegenden Fall unstreitig nicht gegeben.

Die Klägerin beantragt,

die ablehnende Verfügung vom 27. April 2006 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 25. Oktober 2006 aufzuheben und das FA zu verpflichten, die geänderten Körperschaftsteuerbescheide für die Veranlagungszeiträume 1999, 2000, 2001 und 2003 dahingehend abzuändern, dass das Einkommen um 377.728,69 DM bzw. 193.129,63 vermindert wird,

für den Fall des ganz oder teilweisen Unterliegen

Zulassung der Revision.

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen,

für den Fall des ganz oder teilweisen Unterliegen

Zulassung der Revision.

Unter Bezugnahme auf die Einspruchsentscheidung wird im Wesentlichen vorgetragen, dass die Ablehnung des Änderungsantrages nicht ermessenswidrig gewesen sie. Die Klägerin habe auch nichts für einen Ermessensfehlgebrauch vorgetragen. Ein Fall einer Ermessensreduzierung auf Null sei nicht ersichtlich.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze, die sich in der finanzgerichtlichen Akte befinden, die vom FA vorgelegten Steuerakten sowie die Niederschrift über den Erörterungstermin vom 22. Oktober 2007 sowie über die mündliche Verhandlung vom 10. Dezember 2007 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist nicht begründet.

1. Lehnt es die Finanzbehörde ab, ihren Bescheid nach Maßgabe des § 172 Abs. 1 Nr. 2a AO zu ändern, so gebietet es die verfassungsrechtlich verbürgte Rechtswegegarantie in Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes -GG-, dass diese Ablehnung auch gerichtlich überprüft werden kann. Eine Aushöhlung der Bestandskraft des jeweiligen Verwaltungsakts erfolgt hierdurch nicht, weil die Überprüfung sich auf den Regelungsgehalt der Ablehnung und damit die Frage beschränkt, ob die Ablehnung der schlichten Änderung rechtswidrig war. Insofern erreicht der Steuerpflichtige weniger als durch das Rechtsbehelfsverfahren aufgrund der ordentlichen Rechtsbehelfe (Einspruch und Anfechtungsklage), deren Gegenstand die materiell-rechtliche Überprüfung des zu ändernden Bescheides selbst ist (vgl. ausführlich Bundesfinanzhof -BFH- Urteil vom 27. Oktober 1993 XI R 17/93, Bundessteuerblatt -BStBl- II 1994, 439 mit umfassenden Nachweisen der Literaturmeinung und der Verwaltungsauffassung).

2. Die Ablehnung der beantragten schlichten Änderung war nicht rechtswidrig.

Nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG in der in den Streitjahren gültigen Fassung sind Verbindlichkeiten unter sinngemäßer Anwendung der Vorschriften des § 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG anzusetzen und mit einem Zinssatz von 5,5% abzuzinsen. Ausgenommen von der Abzinsung sind Verbindlichkeiten, deren Laufzeit am Bilanzstichtag weniger als 12 Monate beträgt, und Verbindlichkeiten, die verzinslich sind oder auf einer Anzahlung oder Vorausleistung beruhen.

Die rein formale zivilrechtliche Auffassung der Klägerin, dass es sich unter Berufung auf § 488 Abs. 3 Satz 2 und 3 des Bürgerlichen Gesetzbuches -BGB- in der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechtes vom 26. November 2001 (Bundesgesetzblatt -BGBl- I 2001, 3138) um ein kurzfristiges Darlehen handele, dessen Laufzeit unter 12 Monaten liege, sodass eine Abzinsung nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 EStG ausscheide, hält der erkennende Senat für nicht tragfähig. Denn diese Sichtweise berücksichtigt nicht die im Steuerrecht herrschende wirtschaftliche Betrachtungsweise: Wie sich aus der Handhabung des Darlehens sowohl durch den Darlehensgeber als auch durch die Darlehensnehmerin zweifelsfrei ablesen lässt, haben beide Parteien das Darlehen, dass im Prinzip seit der Darlehenshingabe 1998 bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung in 2007 unverändert besteht, als langfristiges Darlehen behandelt.

Hinzu kommt, dass die Darlehensnehmerin nicht in der Lage war und ist, das Darlehen zurückzuzahlen. Ein derartiges Begehren des Darlehensgebers führt unweigerlich zur Insolvenz und zum Erlöschen der Klägerin. Auch dieser Aspekt der wirtschaftlichen Betrachtungsweise führt zu einer Qualifizierung des Darlehens als ein Darlehen mit einer Laufzeit von mehr als 12 Monaten, sodass die Regelung des § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG greift.

Auch die übrigen von der Klägerin vorgebrachten Argumente vermögen nach Auffassung des Senats nicht den klaren und eindeutigen Wortlaut des Gesetzes dahingehend umzuinterpretieren, dass unverzinsliche Gesellschafterdarlehen nicht abzuzinsen seien; insbesondere sind für eine teleologische Interpretation der streitigen Vorschrift dahingehend, dass unverzinsliche Gesellschafterdarlehen nicht unter die Vorschrift fallen, keine Anhaltspunkte in den Materialien zur Entstehungsgeschichte der Vorschrift zu finden. Auf die Ausführungen im Urteil des BFH vom 30. November 2005 I R 1/05, BStBl II 2006, 471, unter 2.a) der Entscheidungsgründe wird verwiesen. Anders ist dies nur gesehen worden, wenn eine Verbindlichkeit tatsächlich keinen Zinsanteil enthält (BFH in BStBl II 2006, 471 , unter 2.b) der Entscheidungsgründe. Diese Voraussetzungen können - so der BFH - vorliegen, wenn aufgrund der Besonderheiten des zu beurteilenden Rechtsverhältnisses nicht von der Möglichkeit einer sofortigen Erfüllung der Verbindlichkeit zum Barwert auszugehen ist. Dafür spricht insbesondere, wenn eine "kaufmännische Gepflogenheit" oder "übliche Geschäftspraxis", Zahlungsansprüche zu verzinsen, nicht festzustellen ist. Aus den im erkennenden Senat zu bearbeitenden Rechtsfällen ist aber eher das Gegenteil festzustellen, dass nämlich (auch) Gesellschafterdarlehen üblicherweise verzinst werden.

Die Klägerin kann nach Auffassung des Senats auch nicht mit der These gehört werden, dass erst durch das o. a. BMF-Schreiben vom 26. Mai 2005 die Rechtslage geklärt worden sei; denn die Neuregelung des § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG ist für nach dem 31. Dezember 1998 endende Wirtschaftsjahre anzuwenden, wie sich zweifelsfrei aus § 52 Abs. 16 Satz 2 EStG ergibt. Dies musste der Klägerin bei Begebung des Darlehens bekannt gewesen sein, da das Gesetz zum Zeitpunkt der Darlehenshingabe bereits verkündet gewesen ist.

3. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 135 FGO.

4. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.



Ende der Entscheidung

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