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Gericht: Finanzgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 16.02.2009
Aktenzeichen: 6 K 83/06
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 32 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tatbestand:

Streitig ist, ob die Tochter des Klägers im Kalenderjahr 2003 Einkünfte und Bezüge über dem Grenzbetrag von 7.188 EUR erzielt hat.

Die am 17. Dezember 1983 geborene Tochter des Klägers, Frau A.B., befand sich im Kalenderjahr 2003 in Ausbildung und erzielte ein Jahresbruttoeinkommen in Höhe von 10.444,80 EUR. Darin enthalten ist ein Arbeitgeberanteil bezüglich vermögenswirksamer Leistungen (vL) in Höhe von 13,29 EUR x 12 = 159,48 EUR. A.B. führte 39,88 EUR x 12 = 478,56 EUR vL an eine Bausparkasse sowie weitere vL im Rahmen einer Kapitalbeteiligung ab.

Der Arbeitnehmeranteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag betrug 2.172,49 EUR. Zudem wurde Lohnsteuer i.H.v. 17 EUR und Kirchensteuer i.H.v. 3,60 EUR einbehalten.

Des Weiteren leistete A.B. folgende Versicherungsbeiträge:

 Privathaftpflichtversicherung82,68 EUR
Sonstige Unfallversicherung162,37 EUR
Lebens- und Rentenversicherung600,00 EUR
 845,05 EUR

Der Kindergeldantrag vom 1. August 2005 für das Kalenderjahr 2003 wurde mittels Bescheides vom 18. Oktober 2005 abgelehnt, da die Aufwendungen für eigene Versicherungen keine Werbungskosten seien. Mit Schreiben vom 21. Oktober 2005 wurde hiergegen Einspruch eingelegt. Der Einspruch wurde in der Einspruchsentscheidung vom 28. Dezember 2005 als unbegründet zurückgewiesen. Der Grenzbetrag von 7.188 EUR sei überschritten:

 Bruttoarbeitslohn10.444,80 EUR
Arbeitnehmerpauschbetrag- 1.044,00 EUR
Arbeitnehmerbeitrag zur Sozialversicherung- 2.172,49 EUR
 7.228,31 EUR

Die Klage vom 26. Januar 2006 ging am selben Tage bei Gericht ein. Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 11. Januar 2005 2 BvR 167/02, Entscheidungen des BVerfG (BVerfGE) 112, 164 seien bei der Ermittlung der Einkünfte und Bezüge eines Kindes sämtliche Aufwendungen abzuziehen, denen sich das Kind nicht entziehen könne und die damit zum Unterhalt nicht zur Verfügung stünden. Dies betreffe neben den gesetzlichen Sozialabgaben nach Auffassung des Klägers auch freiwillige Versicherungsbeträge, also die Privathaftpflichtversicherung, die sonstige Unfallversicherung sowie die Lebens- und Rentenversicherung. Außerdem seien die gezahlten Steuern sowie die vL, die der späteren Altersversorgung dienten, bei der Einkunftsermittlung zu berücksichtigen.

Im Übrigen werde selbst nach der Berechnung der Beklagten die Freigrenze um lediglich 40,31 EUR überschritten; wenn der gesamte Kindergeldanspruch von 1.848 EUR gestrichen werde, entstünden dadurch gleichheitswidrige Progressionssprünge, die verfassungswidrig seien.

Der Kläger beantragt,

den Ablehnungsbescheid vom 18. Oktober 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. Dezember 2005 aufzuheben und Kindergeld für den Zeitraum von Januar 2003 bis Dezember 2003 zu bewilligen, die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären, hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Abgesehen von den gesetzlichen Pflichtbeiträgen zur Sozialversicherung seien alle anderen Versicherungsbeiträge nicht von den Einkünften des Kindes abziehbar. VL zählten zu den Einkünften. Das Kindergeld sei dazu gedacht, die Unterhaltslasten der Eltern zu verringern, nicht aber dazu, den Vermögensaufbau des Kindes zu fördern.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze, die sich in der finanzgerichtlichen Akte befinden, die von der Beklagten vorgelegten Kindergeldakten sowie die Niederschrift über den Verhandlungstermin vom 16. Februar 2009 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid vom 18. Oktober 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. Dezember 2005 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, da die Einkünfte und Bezüge des Kindes A.B. den Grenzbetrag von 7.188 EUR nicht übersteigen, §§ 32 Abs. 4 Satz 2 Einkommensteuergesetz (EStG) 2003, 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).

1. Gemäß § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG 2003 wird ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, nur berücksichtigt, wenn es Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, von nicht mehr als 7.188 EUR im Kalenderjahr hat. Nach dem Beschluss des BVerfG vom 11. Januar 2005 2 BvR 167/02, BVerfGE 112, 164 sind Sozialversicherungsbeiträge des Kindes nicht in die Bemessungsgröße des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG einzubeziehen. Die Vorschrift ist verfassungskonform so auszulegen, dass nicht nur Bezüge, sondern auch Einkünfte des Kindes nur dann in den Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG einfließen, wenn sie zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind. Die Einbeziehung von Sozialversicherungsbeiträgen in die Bemessungsgröße für den Jahresgrenzbetrag gemäß § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG benachteiligt unterhaltsverpflichtete Eltern von Kindern, die sozialversicherungspflichtige Einkünfte oberhalb der Freigrenze beziehen, gegenüber unterhaltsverpflichteten Eltern, deren Kinder keine Einkünfte und Bezüge haben oder solche Mittel in einer Höhe beziehen, die noch unterhalb der Freigrenze bleiben, jedoch dieselbe Höhe erreichen, die sich bei sozialversicherungspflichtigen Einkünften oberhalb der Freigrenze erst nach Abzug der Sozialversicherungsbeiträge ergeben würde. Die anderen Eltern kommen in den Genuss eines Ausgleichs für ihre durch Unterhaltsverpflichtungen geminderte finanzielle Leistungsfähigkeit durch Gewährung von Kindergeld oder Kinderfreibeträgen. Dagegen wird ein solcher Ausgleich in der Fallgruppe mit Sozialversicherungspflicht versagt, obwohl Einkünfte in Höhe der gesetzlichen Pflichtbeiträge für den laufenden Unterhalt des Kindes, unabhängig von einer Willensbetätigung der Beteiligten, von vornherein nicht verfügbar sind und deshalb eine unmittelbare Erhöhung der finanziellen Leistungsfähigkeit der Eltern nicht bewirken können.

2. Die Arbeitgeberbeiträge bzgl. der vL i.H.v. 159,48 EUR erhöhen die Einkünfte gemäß der Rechtsprechung des BVerfG nicht. Die Einkünfte und Bezüge des Kindes betragen somit - unter Berücksichtigung entsprechend geminderter Sozialversicherungsbeiträge - lediglich 10.444,80 EUR Bruttoarbeitslohn ./. 159,48 EUR vL /. 2.139,35 EUR Sozialversicherungsbeiträge ./. 1.044 EUR Arbeitnehmer-Pauschbetrag = 7.101,97 EUR und übersteigen nicht den Betrag von 7.188 EUR.

a) Über den Arbeitgeberanteil an den vL i.H.v. 159,48 EUR konnte die Tochter des Klägers nicht verfügen, da dieser vom Arbeitgeber umgehend abgeführt wurde und deshalb nicht in den Verfügungsbereich der Tochter gelangte; er stand für den Unterhalt des Kindes im streitgegenständlichen Jahr nicht zur Verfügung, konnte somit eine effektive Entlastung der unterhaltsverpflichteten Eltern im streitgegenständlichen Zeitraum nicht bewirken und musste durch Unterhaltsleistungen der Eltern aufgefüllt werden.

Zweck der Begrenzung von Ansprüchen gemäß § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ist, diejenigen Eltern von finanziellen Entlastungen durch Freibeträge und Kindergeld auszuschließen, deren Kinder über eigene Einkünfte und Bezüge in einer das zu schützende Existenzminimum übersteigenden Höhe verfügen, so dass zugleich die Unterhaltspflicht der Eltern entfällt oder sich mindert. Die folgerichtige Beachtung dieses Zwecks verlangt, dass für die Einbeziehung von Mitteln des Kindes in die Bemessungsgröße für die Freigrenze die mögliche Entlastungswirkung solcher Mittel bei den unterhaltspflichtigen Eltern entscheidet, denn auf deren Leistungsfähigkeit kommt es für Gewährung und Begrenzung von Kindergeld und Kinderfreibeträgen an (BVerfG-Beschluss vom 11. Januar 2005 2 BvR 167/02, BVerfGE 112, 164). Die unterhaltspflichtigen Eltern werden aber bezüglich der unmittelbar vom Arbeitgeber abgeführten Teile des Bruttoeinkommens des Kindes, und somit auch des Arbeitgeberanteils an den vL, nicht entlastet.

b) An diesem Ergebnis ändert auch der Umstand nichts, dass es sich um Beiträge zur Vermögensbildung des Kindes handelt. Auch die Rentenversicherungsbeiträge des Kindes dienen zum Erwerb einer Vermögensposition, nämlich von Entgeltpunkten und somit zu einer Anwartschaft auf Sozialversicherungsrente, die in den Schutzbereich von Artikel 14 Grundgesetz (GG) fällt. Zwar hat die Tochter des Klägers den - vom Gesetzgeber geförderten - vL-Vertrag freiwillig abgeschlossen; da ihr aber der Arbeitgeberanteil nicht zum Bestreiten ihres Lebensunterhalts zur Verfügung stand, ist sie nach der Überzeugung des Senats so zu behandeln, als wäre sie den Vertrag nicht eingegangen. Hätte die Tochter die Verträge bzgl. der vL nicht abgeschlossen, so hätten sich ihre Bruttoeinnahmen nicht um den Arbeitgeberanteil i.H.v. 159,48 EUR erhöht. Dann aber wären ihre Einkünfte und Bezüge unter dem Grenzbetrag gelegen. Im streitgegenständlichen Zeitraum ist ihr - vom Kläger zu deckender - Unterhaltsbedarf gleich hoch, unabhängig davon, ob sie einen vL-Vertrag abgeschlossen hat oder nicht. Dementsprechend bleiben die vL auch im Unterhaltsrecht in Höhe der Zusatzleistungen des Arbeitgebers anrechnungsfrei (Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 13. April 2005 XII ZR 273/02, Entscheidungssammlung des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen (BGHZ) 162, 384, unter II. 3 der Entscheidungsgründe).

Ebenso wie Versicherungsleistungen an das Kind (z.B. Arbeitslosengeld und Rentenleistungen) "nach der Konzeption des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG erst zum Zeitpunkt des Zuflusses gegebenenfalls als Einkünfte oder Bezüge zu berücksichtigen sind" (so BVerfG-Beschluss vom 11. Januar 2005 2 BvR 167/02, BVerfGE 112, 164), sind auch die Arbeitgeberanteile an den vL zum Zeitpunkt der Vertragsbeendigung gegebenenfalls als Einkünfte oder Bezüge zu berücksichtigen.

3. Inwieweit die Beiträge zur Privathaftpflichtversicherung, Unfallversicherung sowie zur Lebens- und Rentenversicherung entsprechend der Rechtsprechung des BVerfG (s.o.) von den Einkünften und Bezügen des Kindes abziehbar sind, kann dahingestellt bleiben.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

5. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit resultiert aus §§ 151 FGO i.V.m. 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).

6. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 FGO zugelassen. Der BFH hat im Urteil vom 11. Dezember 2001 VI R 113/99, BStBl II 2002, 684, also noch vor Ergehen des BVerfG-Beschlusses vom 11 Januar 2005 (s.o.) entschieden, die vermögenswirksamen Leistungen gehörten gemäß § 2 Abs. 6 Satz 1 des Fünften Vermögensbildungsgesetzes zu den steuerpflichtigen Einnahmen und seien daher bei der Ermittlung der Einkünfte des Kindes mitzurechnen.

7. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird gemäß § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO in Anbetracht der Schwierigkeit der Rechtslage für notwendig erklärt.

Ende der Entscheidung

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