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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Berlin-Brandenburg
Urteil verkündet am 22.04.2009
Aktenzeichen: 12 K 1695/05
Rechtsgebiete: EStG, AO


Vorschriften:

EStG § 2 Abs. 3
AO § 233a Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
In dem Rechtsstreit

...

hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg - 12. Senat -

aufgrund mündlicher Verhandlung vom 22. April 2009

durch

den Präsidenten des Finanzgerichts ...,

die Richterin am Finanzgericht ...,

den Richter ... sowie

die ehrenamtlichen Richter Herr ... und Frau ...

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.

Die Kosten des Verfahrens werden den Klägern auferlegt.

Tatbestand:

Die miteinander verheirateten Kläger wurden im Streitjahr (2001) gemäß § 26b Einkommensteuergesetz (EStG) gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt.

Am ... 2003 gaben die Kläger ihre Einkommensteuererklärung für das Jahr 2001 ab. Der Beklagte erließ am 14. August 2003 einen Einkommensteuerbescheid, in dem die Einkommensteuer auf 14.811,10 EUR festgesetzt wurde. Die Festsetzung basierte auf folgenden Besteuerungsgrundlagen (sämtliche Beträge gerundet in DM):

 EinkunftsartEhemann/KlägerEhefrau/Klägeringesamt
Land- u. Forstwirtschaft+ 14.500 + 14.500
Gewerbebetrieb./. 528.000 ./. 528.000
nichtselbständige Arbeit + 127.000+ 127.000
Kapitalvermögen+ 4.000+ 283.000+ 287.000
Vermietung und Verpachtung+ 85.500./. 18.000+ 67.500

Aufgrund der Beschränkung des horizontalen Verlustausgleichs durch § 2 Abs. 3 Sätze 2 bis 8 Einkommensteuergesetz (EStG) in der im Streitjahr geltenden Fassung konnte nur ein Teilbetrag der negativen Einkünfte der Kläger im Streitjahr genutzt werden; es verblieb deshalb trotz der rein rechnerisch überwiegenden negativen Einkünfte (rechnerischer Saldo: rund ./. 32.000 DM) ein der Besteuerung zugrunde zu legender positiver Betrag (Summe der positiven Einkünfte) in Höhe von rund 157.200 DM (Beträge gerundet und in DM):

 Ehemann/KlägerEhefrau/KlägerinGesamt
Summe der positiven Einkünfte aus jeder Einkunftsart104.000410.000514.000
Ausgleichsfähige negative Summe der Einkünfte102.000255.000357.000
Anteilige Einkünfte nach Anwendung des Verlustausgleichs:   
Land- u. Forstwirtschaft300  
Gewerbebetrieb./. 189.000  
Nichtselbständige Arbeit 48.000 
Kapitalvermögen100107.000 
Vermietung u. Verpachtung1.800  
Grundlage für die Besteuerung2.200155.000157.200

Am ... 2003 änderte der Beklagte den Einkommensteuerbescheid. Er ging nunmehr von negativen Einkünften des Klägers aus Gewerbebetrieb in Höhe von rund ./. 538.000 DM (statt rund 528.000 DM) aus. An der der Besteuerung zugrunde gelegten Summe der positiven Einkünfte von rund 157.200 DM änderte sich dadurch nichts.

Ausgehend von der festgesetzten Einkommensteuer von 14.811,10 EUR ergab sich nach Anrechnung bereits gezahlter Lohnsteuer, Kapitalertragsteuer, anrechenbarer Körperschaftsteuer und Vorauszahlungen zur Einkommensteuer für 2001 ein Erstattungsbetrag zugunsten der Kläger in Höhe von 92.722,27 EUR.

Die Kläger beantragten beim Beklagten den Erlass eines Zinsbescheids zu diesem Einkommensteuerguthaben.

Der Beklagte lehnte diesen Antrag mit Schreiben vom ... 2004 ab. Den Einspruch der Kläger vom ... 2004 wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom ... 2005 zurück. Hiergegen richtet sich die am ... 2005 erhobene Klage.

Die Kläger meinen, ihnen stehe ein Anspruch auf Verzinsung des Erstattungsbetrags zu, da der Zinslauf gemäß § 233a Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) 15 Monate nach Ablauf des Jahres 2001 - also am 01. April 2003 - und damit vor der am 14. August 2003 erfolgten erstmaligen Festsetzung der Einkommensteuer für 2001 begonnen habe. Die Summe ihrer, der Kläger, der Besteuerung zugrunde gelegten Einkünfte im Streitjahr habe laut dem Bescheid (gerundet) 157.200 DM betragen. Da ihre, der Kläger, Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft im Streitjahr lediglich (gerundet) 14.500 DM betragen hätten, hätten diese die übrigen Einkünfte demnach nicht überwogen.

Die Kläger beantragen,

den Beklagten zu verurteilen, einen Zinsbescheid zur Einkommensteuer 2001 über einen Betrag in Höhe von 1.854 EUR zu erlassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er vertritt die Ansicht, eine Verzinsung des Erstattungsanspruchs komme nicht in Betracht.

Der Einkommensteuerbescheid vom 14. August 2003 sei vor Beginn des Zinslaufs ergangen, da der Zinslauf nicht 15, sondern gemäß § 233a Abs. 2 Satz 2 AO erst 21 Monate nach Ablauf des Streitjahres, mithin erst am 01. Oktober 2003, begonnen habe: Bei der erstmaligen Steuerfestsetzung für das Streitjahr hätten die Einkünfte der Kläger aus Land- und Forstwirtschaft mit einem positiven Betrag von (gerundet) 14.500 DM die Summe der anderen Einkünfte - ein negativer Betrag von (gerundet) ./. 46.500 DM - überwogen. Dass die negativen Einkünfte der Kläger sich wegen der beschränkten Möglichkeit zum Verlustausgleich nicht in voller Höhe im Streitjahr ausgewirkt hätten, sei unerheblich: § 233a Abs. 2 AO stelle ausdrücklich auf die Einkünfte insgesamt und nicht nur auf diejenigen Einkünfte ab, die nach erfolgtem Verlustausgleich als Grundlage der Steuerfestsetzung verblieben.

Entscheidungsgründe:

I. Die zulässige Klage hat keinen Erfolg. Der Beklagte hat den Erlass des beantragten Zinsbescheides zu Recht abgelehnt, so dass die Kläger hierdurch nicht gemäß § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) in ihren Rechten verletzt sind.

Die gesetzlichen Voraussetzungen für das Entstehen eines Zinsanspruchs der Kläger lagen nicht vor, da der Zinslauf gemäß § 233a Abs. 2 Satz 2 AO erst 21 Monate nach Ablauf des Jahres 2001 begonnen hätte; zu diesem Zeitpunkt war aber der Einkommensteuerbescheid bereits ergangen und die Steuerfestsetzung für das Jahr 2001 wirksam.

Die längere Karenzzeit von 21 Monaten gelangt im Streitfall zur Anwendung, weil die Einkünfte der Kläger aus Land- und Forstwirtschaft bei der erstmaligen Steuerfestsetzung für das Streitjahr die übrigen Einkünfte überwogen.

1. Ergibt sich bei der Festsetzung der Einkommensteuer eine Differenz zwischen dem festgesetzten Betrag einerseits und der Summe aus anzurechnenden Steuerabzugsbeträgen, anzurechnender Körperschaftsteuer und den bis zum Beginn des Zinslaufs festgesetzten Vorauszahlungen andererseits, so ist der Differenzbetrag ("Unterschiedsbetrag") gemäß § 233a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 AO zu verzinsen. Der Zinslauf beginnt 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist, und endet mit Ablauf des Tages, an dem die Steuerfestsetzung wirksam wird (§ 233a Abs. 2 Satz 1, Satz 3 AO).

Abweichend hiervon beginnt der Zinslauf erst 21 Monate nach Ablauf des betreffenden Jahres, wenn die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft bei der erstmaligen Steuerfestsetzung die anderen Einkünfte überwiegen (§ 233a Abs. 2 Satz 2 AO).

2. Im Streitfall überwogen die Einkünfte der Kläger aus Land- und Forstwirtschaft die übrigen Einkünfte. Eine Auslegung der nach ihrem Wortlaut insoweit nicht eindeutigen Vorschrift des § 233a Abs. 2 Satz 2 AO ergibt nach der Überzeugung des erkennenden Senats, dass für die "Überwiegens"-Betrachtung auf die Beträge der Einkünfte im Sinne des § 2 Abs. 2 EStG abzustellen ist und es - entgegen der Auffassung der Kläger - nicht darauf ankommt, in welchem Umfang diese Einkünfte nach Anwendung des beschränkten vertikalen Verlustausgleichs gemäß der im Streitjahr geltenden Fassung des § 2 Abs. 3 Sätze 2 bis 8 EStG Eingang in die "Summe der Einkünfte" gefunden haben.

a) Unter "Einkünften" versteht das Einkommensteuerrecht gemäß § 2 Abs. 2 EStG den aus den Einkunftsarten Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb und selbständige Arbeit erzielten Gewinn sowie den bei den anderen Einkunftsarten erzielten Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten. Ob und in welchem Umfang und zu welchem Zeitpunkt diese Einkünfte zu der Festsetzung von Einkommensteuer führen, ist nach dem Wortlaut und nach der Systematik des § 2 EStG für die Definition als "Einkünfte" unerheblich.

Bemessungsgrundlage für die tarifliche Einkommensteuer sind gemäß § 2 Abs. 5 EStG nicht die Einkünfte, sondern ist das "zu versteuernde Einkommen". Um rechnerisch von den Einkünften zu dem zu versteuernden Einkommen zu gelangen, sind als Zwischengrößen der "Gesamtbetrag der Einkünfte" (§ 2 Abs. 3 EStG) sowie das "Einkommen" (§ 2 Abs. 4 EStG) zu ermitteln.

Der "Gesamtbetrag der Einkünfte" entspricht nicht zwangsläufig, wie der Wortlaut vermuten lassen könnte, der Summe (oder genauer: dem Saldo) sämtlicher Einkünfte aus den in § 2 Abs. 2 EStG genannten Einkunftsarten; vielmehr unterliegt diese Summe sämtlicher Einkünfte unter bestimmten Voraussetzungen einer Kürzung durch verschiedene Entlastungsbeträge, § 2 Abs. 3 EStG. Aus dem "Gesamtbetrag der Einkünfte" ermittelt sich durch den Abzug von Sonderausgaben und außergewöhnlichen Belastungen, das "Einkommen", § 2 Abs. 4 EStG. Dieses wiederum unterliegt einer Kürzung um Freibeträge für Kinder (§ 32 Abs. 6 EStG) sowie um "sonstige vom Einkommen abzuziehende Beträge".

Erst daraus ergibt sich das "zu versteuernde Einkommen" als Berechnungsgrundlage für die Festsetzung der Steuer.

b) Die durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 eingeführten und für die Veranlagungszeiträume 1999 bis 2003 - und mithin auch für das Streitjahr - geltenden besonderen Vorschriften zur Beschränkung des so genannten "vertikalen" Verlustausgleichs in § 2 Abs. 3 Sätze 2 bis 8 EStG setzen systematisch bei der "Ermittlung der Summe der Einkünfte" an. Aus den in den einzelnen Einkunftsarten erzielten Einkünften wird eine "Summe" gebildet; dies geschieht jedoch nicht rein mathematisch durch Addition (von positiven Einkünften) bzw. Subtraktion (von negativen Einkünften), sondern im Wege einer im Einzelnen sehr kompliziert ausgestalteten Rechenoperation, die im Kern dazu führt, dass vorhandene positive Einkünfte aus einer Einkunftsart nicht mehr vollständig durch rechnerisch überwiegende negative Einkünfte aus anderen Einkunftsarten kompensiert werden können ("Mindestbesteuerung").

Der Begriff der "Summe" der Einkünfte ist demnach unter Geltung der Regelungen in § 2 Abs. 3 Sätze 2 bis 8 EStG nicht im Wortsinne bzw. im streng mathematischen Sinne zu verstehen; es handelt sich vielmehr um eine Fiktion. Das, was bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte (und bei allen weiteren Schritten zur Ermittlung des zu versteuernden Einkommens) zugrunde zu legen ist, ist tatsächlich nicht die "Summe" der Einkünfte, sondern das, was das Gesetz als Verrechnungsergebnis zulässt und dann mit dem (irreführenden) Begriff "Summe" belegt.

c) Die Kläger haben im Streitjahr Einkünfte aus fünf verschiedenen Einkunftsarten erzielt. Diese Einkünfte waren zum Teil positiv, zum anderen Teil negativ. Bildet man einen rechnerischen Saldo aus allen erzielten positiven und negativen Beträgen, so "überwiegt" der Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft die übrigen Einkünfte, weil er positiv ist, während der Saldo der übrigen Einkünfte (wie auch der Saldo aller Einkünfte unter Einbeziehung derjenigen aus Land- und Forstwirtschaft) einen negativen Betrag ergibt. Die (fiktive) "Summe der Einkünfte" im Sinne des § 2 Abs. 3 Sätze 2 bis 8 EStG ist jedoch mit rund 157.200 DM weit höher als das Doppelte der ursprünglichen Einkünfte aus Landund Forstwirtschaft (rund 14.500 DM); letztere sind zudem nach Durchführung des vertikalen Verlustausgleichs nur noch mit einem Betrag von rund 300 DM in die "Summe der Einkünfte" eingeflossen.

Maßgeblich für die Anwendung des § 233a Abs. 2 Satz 2 AO auf den Streitfall ist mithin die Frage, ob für das "Überwiegen" der Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft auf das Verhältnis der einzelnen Einkünfte im Sinne von § 2 Abs. 2 EStG oder vielmehr auf den Anteil der Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft an der "Summe der Einkünfte" im Sinne von § 2 Abs. 3 EStG oder, als dritte Möglichkeit, auf den Vergleich der ursprünglichen Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft mit dieser "Summe der Einkünfte" abzustellen ist.

(1) Rechtsprechung zu dieser speziellen Frage gibt es, soweit ersichtlich, bislang nicht. Auch in der Literatur findet sich hierzu, soweit Überlegungen zu den Zweifelsfragen der "Überwiegens-Betrachtung" in § 233a Abs. 2 Satz 2 AO angestellt werden (vgl. etwa Loose, in: Tipke/Kruse, Abgabenordnung, § 233a [Lfg. 114 Oktober 2007], Rdnr. 19), keine ausdrückliche Stellungnahme.

Soweit die Rechtsprechung sich mit der "Überwiegens-Regelung" in § 233a Abs. 2 Satz 2 AO befasst hat, lassen sich aus den dabei gewonnenen Erkenntnissen keine zwingenden Schlussfolgerungen für die hier zu entscheidende Frage ziehen.

Als in der Rechtsprechung geklärt kann die Frage angesehen werden, ob beim "Überwiegen" der Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft auf das bloße Größenverhältnis der Zahlen und damit auf das "wirtschaftliche Gewicht" der verschiedenen Einkünfte oder aber auf deren wirtschaftlichen Wert abzustellen ist: Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), der der erkennende Senat folgt, ist für den Vergleich der Einkünfte auf den wirtschaftlichen Wert abzustellen (BFH, Urteile vom 08. März 1990 - IV R 105/89, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs [BFH/NV] 1990, 566; vom 13. Juli 2006 - IV R 5/05, Bundessteuerblatt [BStBl.] II 2006, 881; anderer Ansicht: Teile der Literatur, vgl. Loose, in: Tipke/Kruse, a.a.O.). Danach überwiegen die im geringeren Maße negativen Einkünfte diejenigen, die in höherem Maße negativ sind.

Erzielt der Steuerpflichtige neben den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft Einkünfte aus mindestens zwei weiteren Einkunftsarten, so ist ferner als geklärt anzusehen, dass die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft nicht mit jedem Betrag dieser weiteren Einkunftsarten isoliert zu vergleichen sind; vielmehr sind die Beträge der weiteren Einkunftsarten vorab zusammen zu ziehen (also bei gleichem Vorzeichen zu addieren bzw. bei unterschiedlichen Vorzeichen zu saldieren), und nur der ermittelte Saldo aus den übrigen Einkünften ist dann den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft vergleichend gegenüber zu stellen (BFH, Urteil vom 13. Juli 2006 - IV R 5/05, a.a.O.; ebenso bereits das Niedersächsische Finanzgericht [FG] , Urteil vom 10. Mai 2000 - 12 K 503/95). Es ist also im Rahmen der "Überwiegens"-Betrachtung eine Art vertikaler Verlustausgleich durchzuführen.

Allerdings ist damit nicht ausdrücklich entschieden, ob dieser vertikale Verlustausgleich rein rechnerisch (d.h. ohne Berücksichtigung der steuerlichen Verrechenbarkeit) vorgenommen werden muss oder ob er nur im Rahmen des auch steuerlich Zulässigen berücksichtigt werden darf. Denn bis einschließlich 1998 (dem Streitjahr in dem zitierten Urteil des BFH vom 13. Juli 2006; das Niedersächsische FG hatte einen Fall aus dem Jahr 1991 zu entscheiden) war der vertikale Verlustausgleich auch steuerlich bis zur vollständigen Kompensation positiver Einkünfte möglich; die in dem vom Senat zu entscheidenden Streitfall relevante Beschränkung des vertikalen Verlustausgleichs trat dagegen erst mit dem Veranlagungszeitraum 1999 in Kraft. Aus diesem Grund kann auch die Formulierung des BFH in der genannten Entscheidung vom 13. Juli 2006, wonach es bei dem Vergleich auf die "Summe der (anderen) Einkünfte" ankomme, nicht ohne weiteres in dem Sinne verstanden werden, dass es auf die Summe der Einkünfte gerade "im Sinne des § 2 Abs. 3 EStG" (in seiner jeweiligen Fassung) ankomme und eine Modifizierung der gesetzlichen Regelung zur Ermittlung dieser "Summe der Einkünfte" sich unmittelbar auch auf diese Vergleichsparameter auswirke. Ebenso darf die Formulierung des Gerichts, wonach im dortigen Streitfall den bei der Steuerfestsetzung "berücksichtigten" Verlusten aus Land- und Forstwirtschaft niedrigere andere Einkünfte gegenüber gestanden hätten, nicht in der Weise überinterpretiert werden, dass es stets (nur) auf die bei der Steuerfestsetzung "berücksichtigten" Teile der Einkünfte ankomme (und die bei dem vertikalen Verlustausgleich aus der Berücksichtigung herausgefallenen Teile dem gemäß nicht zu berücksichtigen wären).

(2) Der Wortlaut des § 233a Abs. 2 Satz 2 AO spricht von den "Einkünfte(n) aus Land und Forstwirtschaft", welche "die anderen Einkünfte" überwiegen müssten. Innerhalb der verschiedenen Ermittlungsstufen des § 2 EStG zur Bestimmung der Besteuerungsgrundlagen knüpft § 233a Abs. 2 Satz 2 AO sprachlich damit am engsten an § 2 Abs. 2 EStG an, wo definiert wird, was als "Einkünfte" zu gelten habe. Dem gegenüber spricht § 233a Abs. 2 Satz 2 AO weder von der "Summe" noch von dem "Gesamtbetrag" der Einkünfte oder vom "Einkommen". Danach lässt sich mit dem Wortlaut der Norm eher für die Auffassung des Beklagten argumentieren als für diejenige der Kläger. Andererseits ist der Wortlaut nach Auffassung des Senats nicht so eindeutig, dass sich eine Auslegung der Norm im Sinne der Kläger von vornherein verböte.

(3) Stellt man auf den Sinn und Zweck der differenzierenden Zinslaufzeitregelung sowie auf den Willen des Gesetzgebers ab, so ergibt sich ebenfalls kein eindeutiges Bild:

Die in § 233a Abs. 2 Satz 1 AO normierte Karenzzeit von regelmäßig 15 Monaten soll in Form einer typisierenden Betrachtung eine "angemessene Bearbeitungszeit" der (fristgemäß abgegebenen) Steuererklärung abbilden, um die tatsächlich unterschiedlich langen Bearbeitungszeiten und damit die unterschiedlichen Fälligkeitszeitpunkte der festgesetzten Steuern bei verschiedenen Steuerpflichtigen auszugleichen. Mit der Verlängerung der Karenzzeit auf 21 Monate im Falle des Überwiegens der Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft soll eine Besonderheit bei der Ermittlung des Gewinns aus dieser Einkunftsart berücksichtigt werden: Land- und Forstwirte, deren Wirtschaftsjahr regelmäßig vom 01. Juli eines Jahres bis zum 30. Juni des Folgejahres läuft (§ 4a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG), müssen den Gewinn zeitanteilig dem Kalenderjahr zurechnen, das zum Ende des Wirtschaftsjahrs bereits seit sechs Monaten abgelaufen ist. Dies führt dazu, dass sie ihre Einkommensteuererklärung regelmäßig erst sechs Monate später erstellen können als die Steuerpflichtigen, bei denen allein die Einkünfte des Kalenderjahres maßgeblich sind.

Diesem Umstand trägt nicht nur eine verlängerte Abgabefrist für die Steuererklärung (vgl. § 149 Abs. 2 Satz 2 AO), sondern auch der später beginnende Zinslauf gemäß § 233a AO Rechnung. Im Grundsatz bedeutet der spätere Beginn des Zinslaufes also eine Privilegierung des Steuerpflichtigen, da der Gesetzgeber von dem Regelfall ausgeht, dass mit der Veranlagung zur Einkommensteuer eine Zahllast des Steuerpflichtigen - und nicht umgekehrt ein Erstattungsbetrag zu seinen Gunsten - einher geht. Diese Privilegierung soll aber nach dem Willen des Gesetzgebers solchen Steuerpflichtigen, die nur geringfügige Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, aber erhebliche andere Einkünfte erzielen, nicht zugute kommen, weshalb das Erfordernis eingefügt worden ist, dass erstgenannte Einkünfte die anderen zu "überwiegen" haben.

Aus dieser gesetzgeberischen Intention ließe sich für die hier zu entscheidende Frage das Argument herleiten, es komme für die "Überwiegens"-Betrachtung darauf an, welche Einkünfte der Steuerpflichtige zu erklären habe; denn letztlich sei es die nur mit Verspätung mögliche Abgabe der Steuererklärung, die den späteren Beginn des Zinslaufes rechtfertige.

Das Erklären der Einkünfte obliegt dem Steuerpflichtigen aber gerade unabhängig davon, ob und in welchem Umfang die erklärten Einkünfte sodann in die "Summe der Einkünfte" und letztlich in die Besteuerung einfließen.

Doch auch die gegenteilige Auffassung ließe sich - mit keiner geringeren Berechtigung - unter Rückgriff auf teleologische Erwägungen begründen; denn schließlich wird mit dem späteren Zinsbeginn nicht nur die erst später mögliche Abgabe der Steuererklärung, sondern auch die entsprechend spätere Bearbeitung des Steuerfalls durch die Finanzbehörde und die spätere Festsetzung und Fälligkeit der Einkommensteuer berücksichtigt. Erst durch die Festsetzung und die nachfolgende Fälligkeit der Steuer - nicht bereits durch die Abgabe der Steuererklärung - wird der Steuerpflichtige schließlich (jedenfalls in dem vom Gesetzgeber als Regelfall angesehenen Fall einer Zahllast des Steuerpflichtigen) wirtschaftlich belastet. Und gerade die unterschiedliche Fälligkeit der Steuer bei verschiedenen Steuerpflichtigen soll durch die Karenzregelung in § 233a AO ausgeglichen werden.

Dies spräche dafür, auf die Einkünfte nicht in ihrer "erklärten" Form, sondern in der bei der Veranlagung und Steuerfestsetzung "berücksichtigten" Form mithin: auch unter Berücksichtigung der Beschränkungen im vertikalen Verlustausgleich durch § 2 Abs. 3 EStG - abzustellen.

(4) Die der Entscheidung zugrunde gelegte Auffassung des erkennenden Senats, dass für die Anwendung des § 233a Abs. 2 AO auf das Verhältnis der Einkünfte im Sinne von § 2 Abs. 2 EStG und nicht auf deren Einfließen in die "Summe der Einkünfte" im Sinne von § 2 Abs. 3 EStG abzustellen ist, stützt sich neben dem Wortlaut der Norm auch auf systematische Erwägungen. Denn unabhängig davon, dass der Gesetzgeber die Verlustausgleichsbeschränkungen im konkreten Fall in § 2 Abs. 3 EStG verankert und damit normativ in die zuvor rein rechnerische Ermittlung der "Summe der Einkünfte" eingegriffen hat, hängt die Frage, welche der von einem Steuerpflichtigen in einem bestimmten Veranlagungszeitraum erzielten Einkünfte in welchem Umfang in die Steuerfestsetzung dieses Veranlagungszeitraums eingehen, von einer Reihe weiterer Faktoren ab, so insbesondere von der Möglichkeit eines Verlustabzugs nach § 10d EStG. Auf dieser Ebene geht es aber nicht mehr um die Frage, wie die "Einkünfte" oder die "Summe der Einkünfte" zu ermitteln sind, sondern vielmehr darum, den zuvor (rechnerisch) ermittelten Gesamtbetrag der Einkünfte des Vorjahres oder künftiger Veranlagungszeiträume durch den Rücktrag von Verlusten bzw. durch die Nutzung vorgetragener Verluste zu mindern. In gleicher Weise kann der Steuerpflichtige solche negativen Einkunftsbestandteile, die er aufgrund der Ausgleichsbeschränkungen gemäß § 2 Abs. 3 Sätze 2 bis 8 EStG im Jahr der Einkünfteerzielung nicht zum Ausgleich nutzen konnte, unter bestimmten Voraussetzungen auf andere Veranlagungszeiträume übertragen und so das Verhältnis der in jenen Veranlagungszeiträumen erzielten Einkünfte "verfälschen".

Wollte man all diese Einflüsse auf das letztlich zu versteuernde Einkommen eines bestimmten Veranlagungszeitraums bei der "Überwiegens-Betrachtung" berücksichtigen, so würde man sich nicht nur vom Wortlaut des § 233a Abs. 2 Satz 2 AO, der das Überwiegen ausdrücklich auf "die Einkünfte" bezogen wissen will, allzu weit entfernen; eine solche Sichtweise würde letztlich auch dem Sinn und Zweck dieser Regelung nicht mehr gerecht, die bei der Differenzierung der Zinslaufzeiten ja gerade auf die Einkünfteverhältnisse in einem bestimmten Veranlagungszeitraum abstellt.

Wollte man die Verlustausgleichsbeschränkungen gemäß § 2 Abs. 3 Sätze 2 bis 8 EStG im Rahmen des § 233a Abs. 2 AO berücksichtigen, so würde zudem die "Überwiegens"- Betrachtung außerordentlich verkompliziert. Dem gegenüber besteht die grundsätzliche Funktion des § 233a Abs. 2 AO anerkanntermaßen gerade darin, den an einem Steuerschuldverhältnis Beteiligten ein möglichst einfaches Instrument für die Zinsberechnung an die Hand zu geben, wobei in Kauf genommen wird, nicht alle Besonderheiten des Einzelfalles berücksichtigen zu können (BFH, Urteile vom 20. September 1995 - X R 86/94, BStBl. II 1996, 53; vom 13. Juli 2006 - IV R 5/05, a.a.O.; FG Hamburg, Urteil vom 19. April 2007 - 5 K 21/06, veröffentlicht in [...]). Auch dies spricht letztlich dafür, bei der "Überwiegens"-Betrachtung auf die auch für den Steuerpflichtigen jederzeit erkenn- und durchschaubaren Beträge der Gewinne bzw. Überschüsse aus den einzelnen Einkunftsarten abzustellen.

(5) Ob der Vortrag der Kläger zutrifft, dass die Finanzverwaltung bestimmte Verluste, die gesetzlich sowohl von einem Verlustausgleich als auch von einem Verlustabzug nach § 10d EStG ausgenommen sind, bei der "Überwiegens-Betrachtung" nach § 233a Abs. 2 Satz 2 AO von vornherein nicht berücksichtigt, kann dahinstehen; denn auch wenn dies zuträfe, wäre diese Nichtberücksichtigung von Verlusten auf den hier zu entscheidenden Fall nach Auffassung des Senats nicht übertragbar: Bei den Fällen, auf die sich die Kläger beziehen, handelt es sich durchweg um Ausnahmeregelungen, bei denen der Gesetzgeber negative Einkünfte aus bestimmten Quellen entweder aus wirtschaftspolitischen Gründen (so im Fall des § 15 Abs. 4 EStG für Verluste aus gewerblicher Tierzucht) oder deshalb, weil die betreffenden Verluste für den Steuerpflichtigen keine gegenwärtige Belastung darstellen und seine steuerliche Leistungsfähigkeit folglich nicht aktuell mindern (so z.B. im Fall des § 15a EStG), einem Sonderregime in der Art einer "steuerlichen Nebenrechnung" unterstellt. Diese "steuerliche Nebenrechnung" geht den allgemeinen Prinzipien der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens gemäß § 2 Abs. 2 bis 5 EStG vor (vgl. für § 15a EStG etwa Lüdemann, in: Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, § 15a EStG [Lfg. 215 Juli 2004] Rdnr. 55). Dem gegenüber handelte es sich bei der Verlustausgleichsbeschränkung gemäß § 2 Abs. 3 Sätze 2 bis 8 EStG um ein zentrales Modul innerhalb der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens, das nicht an bestimmte Einkunftsquellen anknüpfte und allein fiskalische Ziele verfolgte.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

III. Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2 1. Alt. FGO zuzulassen. Streitentscheidend ist eine abstrakte Rechtsfrage, nämlich ob bei der Anwendung des § 233a Abs. 2 Satz 2 AO in den Streitjahren 1999 bis 2003 für die "Überwiegens"-Betrachtung auf die "Summe der Einkünfte" im Sinne des § 2 Abs. 3 EStG abzustellen ist, wenn die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft zwar innerhalb der Einkünfte im Sinne des § 2 Abs. 2 EStG, nicht jedoch innerhalb der "Summe der Einkünfte" im Sinne von § 2 Abs. 3 EStG die anderen Einkünfte überwiegen. Diese Frage ist, soweit ersichtlich, bislang weder Gegenstand höchstrichterlicher Rechtsprechung gewesen noch von den Instanzgerichten in veröffentlichter Form entschieden worden.

Ende der Entscheidung

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