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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Berlin-Brandenburg
Urteil verkündet am 14.01.2009
Aktenzeichen: 12 K 8489/05 B
Rechtsgebiete: EStG, KStG


Vorschriften:

EStG § 10d
KStG § 8 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
In dem Rechtsstreit

...

hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg - 12. Senat -

aufgrund mündlicher Verhandlung vom 14. Januar 2009

durch

den Präsidenten des Finanzgerichts ...,

die Richterin am Finanzgericht ...,

den Richter ... sowie

die ehrenamtlichen Richterinnen ... und ...

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Bescheide über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzuges zur Körperschaftsteuer auf den 31. Dezember 2001 und über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31. Dezember 2001, sämtlich vom 20. Januar 2005, in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. Oktober 2005 werden dahingehend geändert, dass der verbleibende Verlustabzug zur Körperschaftsteuer auf DM ... und der vortragsfähige Gewerbeverlust auf DM ... festgesetzt werden.

Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Beschluss

Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Berücksichtigung von zum 31. Dezember 2000 festgestellten Verlustvorträgen.

Die Geschäftsanteile der Klägerin wurden zunächst von Herrn H gehalten. Mit Vertrag vom 27. November 2000 veräußerte dieser sie an seine Tochter NH.

In den Bilanzen der Klägerin wurden folgende Positionen ausgewiesen:

Ausweislich von Konteninformationen über ein Konto der Klägerin bei der Y... Bank hat sie im Jahr 2001 "Einlagen" bzw. "Einzahlungen" in Höhe von rund DM ... erhalten. Zudem sind auf das Konto zwei Auszahlungen von Lebensversicherungen des H in Höhe von DM ... und rund DM ... sowie der Erlös von Möbelverkäufen des H in Höhe von DM ... geflossen. Die Klägerin hat von dem Konto sowohl ihre betrieblichen Aufwendungen als auch private Aufwendungen des H beglichen.

Die Umsätze der Klägerin im Jahr 2001 betrugen DM ....

Der Beklagte ging wegen der Anteilsveräußerung Ende 2000 und der Erhöhung des Aktivvermögens im Laufe des Jahres 2001 um DM ... (Aktivvermögen 2001 in Höhe von DM ... abzüglich Aktivvermögen 2000 in Höhe von DM ... zuzüglich Verlust 2001 in Höhe von DM ...) davon aus, dass die Klägerin im Laufe des Jahres 2001 ihre wirtschaftliche Identität verloren hatte, und setzte mit Bescheiden vom ... die vortragsfähigen Verluste zur Körperschaftsteuer und zur Gewerbesteuer mit DM 0 fest. Dagegen legte die Klägerin Einspruch ein, den der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 28. Oktober 2005 zurückwies.

Die Klägerin trägt vor, dass das Bankkonto von ihr, der Klägerin, bei der Y... Bank ... durch eine Einlage des H in Höhe von DM ... eröffnet worden sei. Auf dieses Konto seien auch die Leistungen aus den Lebensversicherungen des H geflossen, weil H selbst über kein eigenes Konto verfügt habe. Sie, die Klägerin, habe ein Verrechnungskonto für H geführt, zu dessen Lasten sie private Kosten des H getragen habe, die im Laufe des Jahres 2002 die Versicherungsleistungen kompensiert hätten. Das Verrechnungskonto sei das "Sparkonto" des H gewesen; über das dort eingehende Geld habe sie, die Klägerin, nicht frei verfügen können.

Weiter trägt die Klägerin vor, dass ein Kunde der D... GmbH, eine E... GmbH, DM ... auf ihr Konto gezahlt habe, die nicht ihr, der Klägerin, sondern der F... GmbH zugestanden hätten. Sie, die Klägerin, habe DM ... an die F... GmbH überwiesen und DM ... für Gehaltszahlungen eines Mitarbeiters dieses Unternehmens zurückbehalten. Die D... GmbH sei im Jahre 2001 insolvent geworden, die F... GmbH im Laufe des Jahres 2002. Die Forderung sei somit wertlos geworden. Sie, die Klägerin, habe über die Forderung nie frei verfügen können.

Hinsichtlich der Einlagen bzw. Einzahlungen auf ihr Bankkonto erläutert die Klägerin, dass es sich dabei nicht um Erlöse, also nicht um Einzahlungen von Kunden gehandelt habe.

Die Klägerin macht zudem geltend, dass nach den - für den Beklagten bindenden - Feststellungen des Finanzamtes ... H auch über den Zeitpunkt der Anteilsübertragung hinaus als Treugeber an ihr beteiligt gewesen sei.

Die Klägerin beantragt,

die Bescheide über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzuges zur Körperschaftsteuer auf den 31. Dezember 2001 und über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31. Dezember 2001, sämtlich vom 20. Januar 2005, in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. Oktober 2005 dahingehend zu ändern, dass der verbleibende Verlustabzug zur Körperschaftsteuer auf DM ... und der vortragsfähige Gewerbeverlust auf DM ... festgesetzt werden

sowie,

die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe:

1. Die Klage ist zulässig und begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten ( § 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Beklagte hat die Berücksichtigung der zum 31. Dezember 2001 bestehenden Verluste zu Unrecht versagt.

a) Gemäß § 8 Abs. 4 Körperschaftsteuergesetz (KStG) ist Voraussetzung für den Abzug von Verlusten nach § 10d des Einkommensteuergesetzes (EStG) bei einer Körperschaft, dass sie nicht nur rechtlich, sondern auch wirtschaftlich mit der Körperschaft identisch ist, die den Verlust erlitten hat. § 8 Abs. 4 KStG definiert die "wirtschaftliche Identität" einer Körperschaft nicht, sondern bestimmt in Satz 2 lediglich beispielhaft, wann es an der wirtschaftlichen Identität fehlt, nämlich dann, wenn mehr als die Hälfte der Anteile an der Körperschaft übertragen wird und sie danach ihren Geschäftsbetrieb mit überwiegend neuem Betriebsvermögen fortführt oder wiederaufnimmt. Die Vorschrift setzt damit aber zugleich mittelbar einen Maßstab für die unter Satz 1 der Vorschrift zu fassenden Sachverhalte. Sie müssen Voraussetzungen erfüllen, die mit den in Satz 2 genannten wirtschaftlich vergleichbar sind. Nach dem Regelbeispiel in § 8 Abs. 4 KStG fehlt einer Kapitalgesellschaft die wirtschaftliche Identität, wenn bezogen auf das gezeichnete Kapital mehr als die Hälfte der Geschäftsanteile übertragen wird, überwiegend neues Betriebsvermögen zugeführt und der Geschäftsbetrieb mit diesem neuen Betriebsvermögen fortgeführt oder wieder aufgenommen wird.

b) Danach hat die Klägerin ihre wirtschaftliche Identität nicht im Laufe des Jahres 2001 verloren.

Der Senat kann offen lassen, ob die Anteilsübertragung von H auf seine Tochter für steuerliche Zwecke zu berücksichtigen ist oder ob eine allfällige Treugeberstellung des H zu einer anderen Beurteilung nötigt. Es fehlt jedenfalls an der Zuführung neuen Betriebsvermögens i.S.d. § 8 Abs. 4 KStG.

Nach der zutreffenden Rechtsprechung des BFH ist unter Betriebsvermögen i.S.d. § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG ausschließlich das Aktivvermögen zu verstehen. Überwiegend neues Betriebsvermögen liegt vor, wenn das zugegangene Aktivvermögen den Bestand des vorher vorhandenen Restaktivvermögens übersteigt. Dies ist anhand einer gegenständlichen Betrachtungsweise zu ermitteln; eine Verrechnung von Zu- und Abgängen zu einem betragsmäßigen Saldo ist nicht vorzunehmen. Danach führen insbesondere fremdfinanzierte Anschaffungen zu neuem Betriebsvermögen (zum Ganzen BFH-Urteil vom 29. April 2008 - I R 91/05, BFH/NV 2008, 1965, unter II.2.a)aa) der Gründe). Demnach könnte auch das Zuführen von Geld in Form eines Gesellschafterdarlehens, das zum Bestreiten laufenden Aufwands genutzt wird, als Zuführung neuen Betriebsvermögens anzusehen sein.

Das ist jedoch jedenfalls dann nicht der Fall, wenn kein Branchenwechsel zu verzeichnen ist. Dem liegt folgende Überlegung zugrunde: Nach der Rechtsprechung des BFH zielt das Tatbestandsmerkmal des neuen Betriebsvermögens darauf ab, jegliche Änderungen der Struktur, Zusammensetzung und wirtschaftlichen Bedeutung des Betriebsvermögens zu erfassen. Diese Änderungen sind für den Verlust der wirtschaftlichen Identität heranzuziehen, weil sie typischerweise darauf schließen lassen, dass bei der Anteilsübertragung letztlich nicht der Geschäftsbetrieb in seiner bisherigen Form erworben werden sollte. Aus diesem Grund ist dem BFH zufolge entscheidend die Nämlichkeit des Betriebsvermögens bzw. der einzelnen im Betrieb verwendeten Wirtschaftsgüter (BFH in BFH/NV 2008, 1965, unter II.2.a)bb) der Gründe).

Hier hat sich das Anlagevermögen der Klägerin jedoch nicht vermehrt, sondern - auf einem bereits niedrigen Niveau - im Laufe des Jahres 2001 noch vermindert. Erhöht haben sich lediglich diverse Verrechnungskonten, und zwar sowohl auf der Aktiv- als auch auf der Passivseite der Bilanz. Darin liegt eine Veränderung der Finanzierungsstruktur der Klägerin. Zwar gehören auch Forderungen und Verbindlichkeiten zum Betriebsvermögen, jedoch ist das Erlangen neuer oder das Umschichten vorhandener Finanzmittel nicht geeignet, die Struktur, Zusammensetzung und wirtschaftliche Bedeutung des Betriebsvermögens maßgeblich zu ändern. Es handelt sich vielmehr um den nicht ungewöhnlichen Fall, dass eine Kapitalgesellschaft unter Fortführung ihres Geschäftsbetriebes dessen Finanzierung neu ordnet. Dieser Vorgang allein lässt nicht darauf schließen, dass der Geschäftsbetrieb irgendwie verändert werden sollte. Das Hinzutreten eines Anteilseignerwechsels ändert an diesem Befund nichts. Das Abstellen des § 8 Abs. 4 KStG auf einen Anteilseignerwechsel hat den Sinn, die vom Gesetz als missbräuchlich zu qualifizierenden Fälle des sogenannten "Mantelkaufs" zu erfassen. Der Anteilseignerwechsel muss also zu einer Änderung des Geschäftsbetriebes der Kapitalgesellschaft hinzutreten; er ist nicht ein Tatbestandsmerkmal, das die Feststellung der Änderung des Geschäftsbetriebes hinfällig werden lässt oder es gestattete, daran verminderte Anforderungen zu stellen. Nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes, wie auch der BFH es versteht, kann eine Kapitalgesellschaft ihre wirtschaftliche Identität nur dann verlieren, wenn durch das Zuführen des neuen Betriebsvermögens der Geschäftsbetrieb in maßgeblicher Weise verändert wird, sei es durch das Anschaffen neuen Anlagevermögens, das den Schluss nahelegt, dass der Unternehmenszweck in grundlegend anderer Weise als bisher verfolgt werden soll, sei es durch das Anschaffen neuen Umlaufvermögens bei gleichzeitigem Wechsel des Unternehmensgegenstandes, denn der Wechsel des Unternehmensgegenstandes macht dann deutlich, dass ein anderes Unternehmen als zuvor betrieben werden soll.

Dementsprechend hat der BFH bislang lediglich das Zuführen von Anlagevermögen einerseits (BFH-Urteil vom 05. Juni 2007 - I R 106/05, BFH/NV 2007, 2200) und das Zuführen von Umlaufvermögen im Falle eines Branchenwechsels, andererseits (BFH-Urteil vom 05. Juni 2007 - I R 9/06, BFH/NV 2008, 166, unter II.2.b)bb)bbb) der Gründe) als schädliche Zuführung i.S.d. § 8 Abs. 4 KStG erachtet. Auch in der Literatur wird die Auffassung vertreten, dass der Verlust der wirtschaftlichen Identität einer Kapitalgesellschaft, die nach der Anteilsveräußerung in ihrer angestammten Branche tätig ist, voraussetzt, dass neues Anlagevermögen zugeführt wird (Prokscha, Betriebs-Berater - BB - 2008, 310, 312). Der erkennende Senat schließt sich dieser Ansicht grundsätzlich an. Umsoweniger ist das Zuführen oder Umschichten von Geld geeignet, den Verlust der wirtschaftlichen Identität eintreten zu lassen, wenn dieses Geld, wie im vorliegenden Fall, für die Fortführung des bestehenden Geschäftsbetriebes verwendet wird, denn dann besteht gerade kein Raum für die vom BFH für maßgeblich gehaltene Annahme, dass der bestehende Geschäftsbetrieb nicht in seiner bisherigen Form erworben werden sollte.

2. Die Revision zum BFH war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen, da die Frage, ob die Änderung der Finanzierung der Geschäftstätigkeit einer Kapitalgesellschaft ohne Branchenwechsel zum Verlust der wirtschaftlichen Identität führen kann, von grundsätzlicher Bedeutung ist und höchstrichterliche Rechtsprechung dazu, soweit ersichtlich, noch nicht vorliegt.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).

4. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war für notwendig zu erklären, weil die Sach- und Rechtslage nicht so einfach war, dass die Klägerin sich selbst hätte vertreten können.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Revision zu.

Der Beschluss ist unanfechtbar.



Ende der Entscheidung

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