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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 08.07.2008
Aktenzeichen: 13 V 9389/07
Rechtsgebiete: EStG, EGV


Vorschriften:

EStG § 48 ff.
EGV Art. 49
EGV Art. 50
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Berlin-Brandenburg

13 V 9389/07

Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (§ 69 FGO) - Haftung für Steuern

In dem Verfahren

...

hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg - 13. Senat -

am 8. Juli 2008

durch

den Richter am Finanzgericht ... als Vorsitzenden,

den Richter am Finanzgericht ... sowie

den Richter ...,

beschlossen:

Tenor:

Die Vollziehung des Haftungsbescheides über den Steuerabzug bei Bauleistungen vom 4. Juni 2007 wird in Höhe von weiteren 186.311,10 EUR bis zum Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe einer abschließenden Entscheidung über den Einspruch vom 15. Juni 2007 ausgesetzt.

Die Beschwerde zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Antragsgegner auferlegt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin wendet sich gegen ihre Inanspruchnahme als Haftungsschuldnerin.

In seinem Prüfungsbericht vom 4. Januar 2007 über die Außenprüfung bei der Antragstellerin stellte der Prüfer des Finanzamtes -FA- M unter Textziffer 7 "Bauabzugssteuer" fest, die Antragstellerin sei für die Zeit vom 15. Mai 2003 bis zum 31. Dezember 2005 verpflichtet gewesen, eine Steuer in Höhe von 15% der Bauleistungen der Firma E, Geschäftsanschrift: ... einzubehalten. Für den Zeitraum vom 17. Juli 2003 bis zum 31. Dezember 2003 habe eine gefälschte Freistellungsbescheinigung vorgelegen. Die Antragstellerin sei verpflichtet gewesen, diese Freistellungsbescheinigung zu überprüfen. Als Bemessungsgrundlage ermittelte der Prüfer folgende Entgelte und Steuerbeträge (in EUR):

 ZeitraumNettobetragBruttobetragSteuer
15.05.-16.07.2003132.712153.94623.092
17.07.-31.12.2003353.317409.84861.477
01.01.-31.12.2005938.0411.088.128163.219

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Bericht über die Außenprüfung bei der Antragstellerin des FA M vom 4. Januar 2007 (Bl. 2-34 Steuerakten) sowie auf die zu den Steuerakten eingereichte Kopie einer "Freistellungsbescheinigung zum Steuerabzug bei Bauleistungen" (Bl. 40 Steuerakten) Bezug genommen.

Auf der Basis dieser Ermittlungen erließ der Antragsgegner am 4. Juni 2007 einen Haftungsbescheid über den Steuerabzug bei Bauleistungen gegenüber der Antragstellerin.

Dabei wurde ein Gesamtbetrag der Haftung nach §§ 48, 48 a Einkommensteuergesetz - EStG- in Höhe von 247.788,30 EUR festgesetzt.

Dagegen wendete sich die Antragstellerin mit ihrem Einspruch vom 22. Juni 2007.

Die Antragstellerin rügte die fehlerhafte Ausübung des Entschließungsermessens und des Auswahlermessens. Die Steuerschuld der E habe nach den Angaben einer Pfändungsverfügung vom 7. November 2005 in Höhe von 69.824, 20 EUR, nach den Angaben eines Schreibens des Antragsgegners vom 22. Juni 2006 in Höhe von 23.708,10 EUR bestanden. Danach könne eine Haftung lediglich in Höhe von 23.708,10 EUR bestehen. Zudem habe sich der Antragsgegner widersprüchlich verhalten. Er habe bereits gepfändete Werklohnforderungen freigegeben. Es widerspreche den Grundsätzen des fairen Verfahrens, diese Beträge zur Auszahlung freizugeben und anschließend die auszahlende Firma für Steuerrückstände in Haftung zu nehmen.

Weiterhin trug die Antragstellerin vor, die Fälschung der Freistellungsbescheinigung für den Zeitraum vom 17. Juli 2003 bis zum 31. Dezember 2003 sei von ihr nicht zu erkennen gewesen. Auch sei sie zu Nachforschungen bezüglich der Echtheit der Urkunde nicht verpflichtet gewesen.

Die Regelungen des EStG zur Abzugssteuer widersprächen der europarechtlichen Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 49 und 50 Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften -EGV-. Sie seien geeignet, Gebietsfremde von der Leistungserbringung im Inland abzuhalten und daher gemeinschaftsrechtswidrig. Der Gebietsfremde erhalte lediglich ein Entgelt in Höhe von 85% für seine Bauleistungen und werde auf ein Freistellungs- und Erstattungsverfahren verwiesen, welches mit erhöhtem Verwaltungsaufwand einhergehe.

Der Antragsgegner hat den zugleich gestellten Antrag auf Gewährung der Aussetzung der Vollziehung durch Bescheid vom 21. November 2007 abgelehnt.

Zur Begründung des daraufhin bei dem Finanzgericht -FG- gestellten Aussetzungsantrages rügt die Antragstellerin einen Verstoß gegen Art. 3 Grundgesetz -GG-. Die Gestaltung des Erhebungsverfahrens führe zu einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung im Leistungserfolg. Nach Erkenntnissen der Oberfinanzdirektion -OFD- ... sei die Haftungsregelung des § 48 a EStG nicht praktikabel. Die notwendigen Nachforschungen seien nur stichprobenweise möglich.

Des Weiteren bekräftigt sie die Ansicht, es liege ein Verstoß gegen die passive Dienstleistungsfreiheit des EGV vor. Insoweit seien die Grundsätze des Urteils des Europäischen Gerichtshofes -EuGH- vom 9. November 2006 zur belgischen Bauabzugssteuer anzuwenden. Unterschiede zur deutschen Regelung seien nicht zu erkennen. Dem stehe auch nicht der Beschluss des Bundesfinanzhofes -BFH- vom 29. November 2007 entgegen. Der dort behandelte Steuerabzug erfolge auf Netto-Basis. Die Bauabzugssteuer sei jedoch auf Brutto-Basis abzuführen.

Die Antragstellerin rügt einen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens. Es sei ihr nicht möglich gemacht worden, die Behauptungen des Antragsgegners zu überprüfen, insbesondere festzustellen, ob weitere Freistellungsbescheinigungen in den Unterlagen vorhanden seien.

Die Antragstellerin ist der Ansicht, dass ihre Haftung nur akzessorisch zu den tatsächlich bestehenden Steuerschulden der E bestehen könne. Diese Beträge seien nach den bekannten Unterlagen wesentlich niedriger als die im Bescheid ausgewiesene Haftungssumme. Die insoweit vorgenommene Schätzung für die einzelnen Abschnitte widerspreche diesen Steuerunterlagen. Für die Jahressteuerschuld 2005 hafte die Antragstellerin schon deshalb nicht, weil diese erst nach Ablauf des Veranlagungszeitraums, mithin zum 1. Januar 2006, entstanden sei. Die Antragstellerin habe aber sämtliche Rechtsbeziehungen mit der E zum 31. Dezember 2005 beendet.

Außerdem sei nicht einsichtig, warum allein die Antragstellerin in Anspruch genommen werde. Nach den Bekundungen der Steuerfahndung seien bundesweit zahlreiche Baufirmen vom Handeln der E betroffen. Zudem komme eine Inanspruchnahme auch für die Umsatzsteuer und die Gewerbesteuer nicht in Betracht.

Die Kreditwürdigkeit der Antragstellerin gehe bei einem Ausweis der Steuerforderungen in der Bilanz gegen Null. Dadurch seien der weitere Geschäftsbetrieb und die wirtschaftliche Existenz der Antragstellerin unmittelbar gefährdet. Mündliche Anfragen zur Finanzierung seien von der Hausbank der Antragstellerin bereits eindeutig abschlägig beschieden worden. Sogar die Ausstellung einer Vertragserfüllungsbürgschaft werde nunmehr abgelehnt.

Nachdem der Antragsgegner die Vollziehung des angegriffenen Haftungsbescheides in Höhe von 61.477,20 EUR ausgesetzt hat und die Beteiligten das Verfahren insoweit übereinstimmend für erledigt erklärt haben, beantragt die Antragstellerin nunmehr,

die Vollziehung des Haftungsbescheides vom 4. Juni 2007 in Höhe von weiteren 186.311,10 EUR bis einen Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung auszusetzen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Der Antragsgegner sieht sich durch § 30 Abgabenordnung -AO- daran gehindert, Einzelheiten zu den konkreten Steuerforderungen gegenüber der E zu offenbaren. Er trägt vor, er habe im Rahmen des Entschließungsermessens berücksichtigt, dass Steueransprüche in erheblicher Größenordnung bestünden. Die von der Antragstellerin genannten Beträge seien jedoch unzutreffend. Im Übrigen komme es auf ein etwaiges Mitverschulden des Antragsgegners für die Frage der Haftung nicht an. Der Haftungsanspruch knüpfe allein an die Verwirklichung der in § 48 a Abs. 3 S. 1 EStG genannten Tatbestandsmerkmale an. Daher beziehe sich die Haftung auch allein auf den nicht abgeführten Steuerabzug im Sinne des § 48 EStG. Eine darüber hinausgehende Inhaftungnahme für etwaige Umsatz- und Gewerbesteuersausfälle komme nicht in Betracht und sei auch tatsächlich nicht erfolgt.

Der Antragsgegner schließt sich der in Teilen der Kommentarliteratur vertretenen Ansicht an, nach der die Neuregelungen des § 48 ff. EStG gemeinschaftsrechtskonform seien. Er sieht sich in dieser Ansicht durch den Beschluss des BFH vom 29. November 2007 bezüglich des Steuerabzugs nach § 50 a Abs. 4 EStG bestätigt. Ein offenes Verfahren wegen angeblicher Verletzung der Dienstleistungsfreiheit hinsichtlich der Regelungen der §§ 48 ff. EStG sei nicht bekannt. Vielmehr seien die Grundsätze des EuGH im Fall Scorpio anzuwenden.

Der Antragsgegner hält die von der Antragstellerin geltend gemachte unbillige Härte für nicht nachgewiesen. Insbesondere sei nicht erkennbar, dass die Antragstellerin zahlungsunfähig sei.

II.

Der Antrag ist zulässig; insbesondere ist die Zugangsvoraussetzung des § 69 Abs. 4 Finanzgerichtsordnung -FGO- durch die Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung mit Bescheid vom 21. November 2007 erfüllt.

Der Antrag ist in dem verbliebenen Umfang auch begründet.

Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO soll die Aussetzung der Vollziehung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen. Ernstliche Zweifel in diesem Sinn sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unklarheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken, wobei der Erfolg des Rechtsbehelfs nicht wahrscheinlicher sein muss als der Misserfolg (vgl. BFH, Beschluss vom 10. Februar 1967 -III B 9/66-, Bundessteuerblatt -BStBl- III 1967, 182; seitdem ständige Rechtsprechung).

Ernstliche Zweifel im vorbezeichneten Sinne liegen vor.

Die Antragstellerin kann allerdings auf einfach-gesetzlicher Ebene mit den von ihr erhobenen Einwendungen nicht durchdringen. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin kommt es nicht darauf an, ob die vom Antragsgegner herangezogene Haftungsvorschrift dogmatisch überzeugend ist. Vor allem übersieht die Antragstellerin, dass eine umfassende Haftung des Auftraggebers für alle Steuerforderungen des Auftragnehmers weder in § 48 a EStG vorgesehen noch in dem von dem Antragsgegner erlassenen Haftungsbescheid verfügt worden ist. Vielmehr sind allein die Rechtsbeziehungen zwischen dem Auftraggeber, der Antragstellerin, und dem Auftragnehmer, der E, für das Entstehen des Haftungstatbestandes und den Umfang der Haftung entscheidend. Nichts anderes meint auch die Wendung in dem Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen -BMF- vom 27. Dezember 2002 (-VV DEU BMF 2002-12-27 IV A 5-S 2272-1/02-, BStBl I 2002, 1399), wonach bei der Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens auch zu berücksichtigen sei, inwieweit nach den Umständen des Einzelfalls Steueransprüche bestehen oder entstehen können. Damit ist allein gemeint, dass die Finanzbehörde zu berücksichtigen hat, ob die Einnahmen des Auftragnehmers aus dem konkreten einer Bauleistung betreffenden Geschäft bei dem Auftragnehmer selbst einen Steueranspruch entstehen lassen oder entstehen lassen können.

Dementsprechend kommt es auch nicht darauf an, welche Steuerabzugsbeträge bei anderen Auftraggebern erlangt werden konnten oder können. Auf Vollstreckungsvorgänge in anderen Zusammenhängen ist daher nicht abzustellen, ebenso wenig, ob die Finanzbehörde insofern ein Verschulden trifft.

Der Senat hat jedoch ernstliche rechtliche Zweifel an der Gültigkeit der vom Antragsgegner herangezogenen Normen. Es besteht nach Ansicht des Senats eine für das summarische Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ausreichende Wahrscheinlichkeit, dass die Normen der § 48 ff. EStG eine nach Art. 49 und Art. 50 EG-Vertrags (Fassung vom 2. Oktober 1997, ehemals Art. 59 und 60 des EG-Vertrags verbotene Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs darstellen, da sie Auftraggeber davon abhalten könnten, in anderen Mitgliedstaaten ansässige Dienstleister in Anspruch zu nehmen. Dabei folgt der Senat im Ausgangspunkt ausdrücklich der Darstellung und den rechtlichen Folgerungen, die der BFH in seinem Beschluss vom 29. November 2007 (-I B 181/07-, Sammlung der Entscheidungen des BFH -BFH/NV- 2008, 294) für den Steuerabzug nach § 50 a Abs. 4 EStG unter 2. b) aa) unter Hinweis auf Ausführungen in der nationalen und internationalen Literatur dargestellt hat. Die Regelungen des § 50 a EStG und des hier einschlägigen § 48 a EStG sind, soweit es hier von Belang ist, vergleichbar. Insoweit kommt es entgegen der Ansicht der Antragstellerin nicht entscheidungserheblich darauf an, ob der Steuerabzug auf Netto-Basis oder auf Brutto-Basis erfolgt.

Der Senat vermag den Ausführungen des BFH unter Ziffer 2. b) bb) des Beschlusses vom 29. November 2007 allerdings nicht dahin zu folgen, dass die vom BFH festgestellten Zweifel noch keine ernstlichen im Sinne des § 69 Abs. 4 FGO sind. Er hält vielmehr die vom BFH aufgeführten und belegten Ansichten gegen die Vereinbarkeit der entscheidungserheblichen Norm für hinreichend gewichtig, um von ernstlichen Zweifeln ausgehen zu können.

Dabei legt der Senat der Prüfung die ständige Entscheidungspraxis des BFH zu der Intensität der Zweifel zugrunde. Danach reichen einerseits nur vage Erfolgsaussichten zur Bejahung der Ernstlichkeit nicht aus (vgl. BFH, Beschluss vom 11. Juni 1968 -VI B 94/67-, BStBl II 1968, 657). Andererseits ist nicht zu fordern, dass die für die Rechtswidrigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes sprechenden Gründe überwiegen, sondern kann sogar dann zu gewähren sein, wenn die Rechtmäßigkeit des Bescheides später im Hauptsacheverfahren bestätigt werden sollte (vgl. BFH, Beschluss vom 23. August 2004 -IV S 7/04-, BFH/NV 2005, 9 m.w.N.). Daraus ist bislang zuvor nur in dem Beschluss vom 19. März 2001 (-I S 21/00-, BFH/NV 2001, 891) der Schluss gezogen worden, das Obsiegen des Betroffenen im Hauptsacheverfahren müsse mindestens ebenso wahrscheinlich sein wie das Unterliegen (so nunmehr auch BFH, Beschluss vom 29. November 2007 -I B 181/07-, BFH/NV 2008, 294, 295).

Eine so starke Erfolgsaussicht ist bislang - soweit ersichtlich - in der Entscheidungspraxis des BFH ansonsten nicht gefordert worden. Dies gilt auch in Verfahren, in denen - wie in den zuvor bezeichneten Beschlüssen vom 19. März 2001 (-I S 21/00-, BFH/NV 2001, 891), und vom 29. November 2007 (-I B 181/07-, BFH/NV 2008, 294, 295) - internationale rechtliche Bezüge vorhanden waren. Vielmehr hat der BFH in dem Beschluss vom 22. Januar 1992 entschieden, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide bejaht werden müssen, weil die dort festgestellten Bedenken das Begehren des Antragstellers nicht als von vornherein aussichtslos erscheinen ließen (-I B 77/91-, BStBl II 1992, 618). Dabei bezog sich der BFH auf ein bei dem EuGH bereits anhängiges Verfahren. In die gleiche Richtung geht der Ansatz im Beschluss vom 5. Mai 1994, in dem der BFH ausreichen ließ, dass angesichts einer in dem zu Grunde liegenden Revisionsverfahren beschlossener Vorlage an den EuGH eine Entscheidung zu Gunsten der dortigen Antragstellerin nicht auszuschließen sei (-V S 11/93-, BFH/NV 1995, 368). Eine nicht von vornherein auszuschließende Aussichtslosigkeit liegt jedoch nach dem Verständnis des Senats jedenfalls unter einer gleichen Wahrscheinlichkeit des Obsiegens.

Eine dem entsprechende - angesichts der nunmehr geforderten Gleichwertigkeit der Anhaltspunkte des Obsiegens und des Unterliegens ebenfalls geringere - Intensität der ernstlichen Zweifel fordert der BFH auch, wenn er eine nicht fern liegende, ernsthafte Möglichkeit, dass der Antragsteller im Hauptsacheverfahren obsiegt, ausreichen lässt (vgl. Beschluss vom 26. Juni 2003 -X S 4/03-, BFH/NV 2003, 1217; zustimmend: Gräber/Koch FGO § 69 Rz. 86). Der ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Steuerbescheids ist daher selbst bei einer gefestigten Rechtsprechung bereits dann zu bejahen, wenn eine dieser Entscheidungspraxis entgegenstehende Auslegung ernstlich zu erwägen ist (vgl. BFH, Urteil vom 17. Februar 1970-II B 58/69-, BStBl II 1970, 333; zustimmend: Beermann/Gosch, FGO § 69 Rz. 127 m.w.N.).Der Senat sieht nach alledem bislang keinen Anlass, eine gleiche Wahrscheinlichkeit des Obsiegens im Hauptsacheverfahren zu fordern.

Angesichts dessen kann der Senat offen lassen, ob aus der Tatsache, dass ein neuer Bericht der EU-Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über die weitere Entwicklung der Anwendung der Bestimmungen über die gegenseitige Unterstützung bei der Beitreibung von Forderungen in Bezug auf bestimmte Abgaben, Zölle, Steuern und sonstige Maßnahmen noch nicht vorliegt, die vorhandenen Zweifel ein noch stärkeres Gewicht bekommen haben. Nunmehr dürfte der Zeitraum abgelaufen sein, in dem die mangelnde Effizienz der Europäischen Beitreibungsregelungen zu Gunsten der Mitgliedstaaten wirken kann. Dabei ist zu beachten, dass die Erreichung einer höheren Effizienz allein in die Sphäre der Mitgliedstaaten selber fällt. Die Anfangsphase, in der Probleme der Umsetzung und Implementierung in nationale und internationale Abläufe berücksichtigt werden können und müssen, müsste nunmehr überwunden sein. Unabhängig von der tatsächlichen Umsetzung können Mitgliedstaaten sich nicht mehr auf von ihnen nicht verhinderte Verzögerungen bei der Erreichung einer höheren Effizienz berufen. Hinzu kommt, dass die Mitgliedstaaten selber trotz der ihnen obliegenden Verpflichtung zur rechtzeitigen Vorlage statistischer Angaben an die Kommission der Europäischen Gemeinschaften offenkundig die Bekanntgabe der Statistiken verzögern (vgl. Bericht der Kommission an den Rat und das europäische Parlament vom 8. Februar 2006, Ziffer 4.1.1.).

Der Senat hält es nicht für angezeigt, die Aussetzung der Vollziehung gegen Sicherheitsleistung zu gewähren. Die vom Antragsgegner gewährte teilweise Aussetzung der Vollziehung ist in Kenntnis des Vortrages der Antragstellerin ohne eine Sicherheitsleistung erfolgt. Danach hat der Antragsgegner aus diesen Ausführungen keine konkreten Anhaltspunkte dafür entnommen, dass die Durchsetzung des Steueranspruchs im Falle des Unterliegens der Antragstellerin im Hauptsacheverfahren gefährdet wäre. Es wäre aber Sache des Antragsgegners gewesen, die für die Gefährdung des Steueranspruchs sprechenden Gesichtspunkte vorzutragen und glaubhaft zu machen (vgl. BFH, Beschluss vom 10. Oktober 2002 -VII S 28/01-, BFH/NV 2003, 12, 14 f.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO und, soweit der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist, auf § 138 Abs. 1 FGO. § 138 Abs. 2 FGO ist im Rahmen eines Antrages auf Aussetzung der Vollziehung nicht anwendbar (vgl. BFH, Beschluss vom 25. Juli 1991 -III B 555/90-, BStBl II 1991, 876). Es entspricht unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes billigem Ermessen, die Kosten dem Antragsgegner aufzuerlegen.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten nach § 128 Abs. 3 FGO die Beschwerde zu.



Ende der Entscheidung

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