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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Berlin-Brandenburg
Urteil verkündet am 31.03.2009
Aktenzeichen: 5 K 5064/08
Rechtsgebiete: EStG, AO


Vorschriften:

EStG § 36 Abs. 2
AO § 37 Abs. 2
AO § 130 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
In dem Rechtsstreit

...

hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg - 5. Senat -

aufgrund mündlicher Verhandlung vom 31. März 2009

durch

den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht ...,

die Richterin am Finanzgericht ...,

den Richter am Verwaltungsgericht ..., sowie

die ehrenamtlichen Richter ... und ...

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Rückforderungsbescheide vom 5.11.2007 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 3.3.2008 werden aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.

Die Revision wird zugelassen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu erstattenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand:

Die Klägerin und ihr damaliger Ehemann wurden - zuletzt mit Bescheiden vom 5.1.2004 - antragsgemäß gemeinsam zur Einkommensteuer 1993 und 1994 veranlagt. Die festgesetzten Steuern wurden vollständig beglichen. Auf den Antrag der Klägerin vom 2.2.2004 wurden die Steuerbescheide am 4.6.2004 aufgehoben und die Klägerin mit Bescheiden vom 25.1.2005 getrennt zur Einkommensteuer 1993 und 1994 veranlagt. Dabei wurden die auf die Zusammenveranlagung geleisteten Zahlungen antragsgemäß allein der Klägerin zugerechnet und auf deren Steuerkonto beim Finanzamt M verbucht. Nachdem der inzwischen geschiedene Ehemann der Klägerin am 1.6.2007 vom Finanzamt N zwei Abrechnungsbescheide für Einkommensteuer 1993 und 1994 erwirkt hatte, in welchen ihm die Hälfte der geleisteten Vorauszahlungen von insgesamt 72.751,19 EUR zugerechnet wurde, erließ der Beklagte am 5.11.2007 einen Rückforderungsbescheid gegen die Klägerin in gleicher Höhe. Der hiergegen eingelegte Einspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg. In seiner Einspruchsentscheidung vom 3.3.2008 führte der Beklagte aus, die Einkommensteuerzahlungen seien zu Unrecht vollständig dem Steuerkonto der Klägerin zugerechnet worden. Dadurch, dass die Steuerzahlungen dem neuen Steuerkonto der Klägerin beim Finanzamt M gutgeschrieben worden seien, sei die Klägerin ohne Rechtsgrund bereichert worden, da diese Umbuchung zu einer Minderung ihrer Steuerschuld geführt habe.

Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die volle Anrechnung der Einkommensteuerzahlungen zu ihren Gunsten. Sie ist der Auffassung, die Voraussetzungen des § 37 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) lägen nicht vor. Als Ansprüche aus dem Steuerverhältnis kämen lediglich die letzten Bescheide vom 25.1.2005 in Frage. Diese Bescheide hätten Ansprüche von ihr - der Klägerin - zum Gegenstand, da sich entsprechende Erstattungsansprüche aus der Wahl der getrennten Veranlagung ergeben hätten. Der Steueranspruch des Staates sei bereits durch die Tilgung der Steuerschuld im Jahre 1996 erloschen. Materiellrechtlich seien die Festsetzungen für die Jahre 1993 und 1994 nicht mehr änderbar gewesen, da bereits seit dem Jahr 2000 Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Gegenstand einer Rückforderung nach § 37 Abs. 2 AO könnten somit nur Ansprüche sein, die sich aus der Differenz der Bescheide für beide Ehegatten ergäben. Ein Nachzahlungsanspruch des Staates sei jedoch nicht ersichtlich.

Im Übrigen habe sie - die Klägerin - die Steuerzahlungen und die Abschlusszahlung auf eigene Rechnung geleistet. Sie - die Klägerin - habe keinen anderen Willen gehabt als den, ihre eigenen Steuern zu zahlen, die sie durch ihre freiberufliche Tätigkeit auch verursacht habe. Dass sie mit ihren Zahlungen teilweise auch die Steuern auf die nichtselbstständigen Einkünfte und die Kapitaleinkünfte ihres Ehegatten gezahlt habe, sei ihr erst im Jahr 2004 klar geworden, als sie sich entschlossen habe, einen Antrag aufgetrennte Veranlagung zu stellen. Bei erkennbarem Willen eines Ehegatten, die eigene Steuerschuld zu tilgen, sei auch nur dieser erstattungsberechtigt. Es sei der Finanzverwaltung auch durchaus zuzumuten, nötigenfalls Feststellungen darüber zu treffen, wem Steuerzahlungen zuzurechnen seien. Bereichert sei nicht sie - die Klägerin -, sondern ihr geschiedener Ehemann. Dieser habe weder Vorauszahlungen noch Abschlusszahlungen auf die Einkommensteuer 1993 rund 1994 geleistet.

Schließlich hätte der Beklagte durch Abrechnungsbescheid entscheiden müssen, dessen Gegenstand nur die Steueransprüche hätten sein können, die durch die erstmalige getrennte Veranlagung entstanden seien. Danach habe sich für sie - die Klägerin - ein Erstattungsanspruch in Höhe von 11.221,32 EUR und für ihren geschiedenen Ehemann eine Nachzahlung in Höhe von 12.734,52 EUR ergeben. Wenn sie - die Klägerin - ihre bereits vor über 12 Jahren gezahlten Steuern ein weiteres Mal zahlen müsse, bedeutete dies eine Verletzung der Eigentumsgarantie.

Die Klägerin beantragt,

die Rückforderungsbescheide vom 5.11.2007 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 3.3.2008 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er beruft sich auf die Rechtsprechung des BFH (z.B. Urteil vom 15.11.2005 VII R 16/05, BStBl II 2006, 453), dass anzurechnende Zahlungen zwischen den Ehegatten nach Köpfen aufzuteilen seien, wenn nicht klare Anhaltspunkte für eine bestimmte andere Tilgungsabsicht vorlägen. Denn bei Ehegatten bestehe üblicherweise die Absicht, nicht nur sich selbst, sondern auch den Ehegatten von der Steuerschuld zu befreien. Die Klägerin habe jedoch weder vorgetragen noch nachgewiesen, dass sie seinerzeit ausschließlich sich selbst und nicht ihren damaligen Ehegatten von der Steuerschuld habe befreien wollen. Eine entsprechende Absicht könne auch nicht aus der Höhe der Einkünfte hergeleitet werden.

Der Rückzahlungsanspruch sei auch nicht verjährt. Der Anspruch sei mit den Bescheiden zur getrennten Veranlagung vom 25.1.2005 und damit erstmals in 2005 fällig geworden. Die fünfjährige Zahlungsverjährung trete somit erst mit Ablauf des 31.12.2010 ein.

Dem Gericht haben bei seiner Entscheidung neben der Verfahrensakte drei Bände Einkommensteuerakten vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet.

Der Beklagte hat keinen Anspruch auf Rückforderung der angerechneten Steuerzahlungen.

Dem Beklagten ist zwar darin zuzustimmen, dass die volle Anrechnung der von der Klägerin geleisteten Voraus- und Abschlusszahlungen auf die Einkommensteuer nach ständiger Rechtsprechung des BFH fehlerhaft ist. Danach ist gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 1 EStG anrechnungsberechtigt derjenige, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist, nicht derjenige, auf dessen Kosten die Zahlung erfolgt ist. Es kommt mithin nicht darauf an, von wem und mit welchen Mitteln gezahlt worden ist, sondern nur darauf, wessen Steuerschuld nach dem Willen des Zahlenden, wie er im Zeitpunkt der Zahlung dem Finanzamt erkennbar ist, getilgt werden sollte. Dies gilt auch für den Fall, dass mehrere Personen als Gesamtschuldner die überzahlte Steuer schuldeten, wie es bei zusammenveranlagten Ehegatten hinsichtlich der Einkommensteuer der Fall ist. Bei intakter Ehe und in Ermangelung entgegenstehender ausdrücklicher Absichtsbekundungen kann das Finanzamt - so der BFH - davon ausgehen, dass derjenige Ehegatte, der die Zahlung auf die gemeinsame Steuerschuld bewirkt, mit seiner Zahlung auch die Steuerschuld des anderen mit ihm zusammen veranlagten Ehegatten begleichen will. Die Anrechnung bzw. Erstattung hat demnach nach Köpfen zu erfolgen (vgl. Urteile des BFH vom 30.9.2008 VII R 18/08, BStBl II 2009, 38; vom 26.6.2007 VII 35/06, BStBl II 2007, 742; vom 15.11.2005 VII R 16/05, BStBl II 2006, 435). Ob sich die Eheleute später trennen oder einer der Ehegatten nachträglich die getrennte Veranlagung beantragt, ist für die Beurteilung der Tilgungsabsicht nicht maßgeblich, denn es kommt nur darauf an, wie sich die Umstände dem Finanzamt zum Zeitpunkt der Vorauszahlung darstellten (BFH Urteile vom 26.6.2007 VII R 35/06 a.a.O.). Im Urteil vom 30.9.2008 hat der BFH zudem erklärt, dass er keinen Anlass sehe, diese ständige Rechtsprechung aufzugeben.

Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall war die Anrechnung der Steuerzahlungen hälftig vorzunehmen. Anlässlich der Einkommensteuervorauszahlungen und der Abschlusszahlungen auf die Einkommensteuer 1993 und 1994 hatte die Klägerin dem Beklagten weder mitgeteilt, dass sie ausschließlich ihre eigene Steuerschuld begleichen wollte, noch bestanden nach Aktenlage Anhaltspunkte dafür, dass die Ehe der Klägerin und ihres geschiedenen Ehemannes zu diesen Zeitpunkten nicht mehr intakt war. Insofern hat die Klägerin durch die volle Anrechnung der geleisteten Zahlungen im Rahmen der getrennten Veranlagung einen unrechtmäßigen Vorteil erlangt.

Die dagegen erhobenen Einwendungen sind, folgt man der BFH-Rechtsprechung, nicht entscheidungserheblich. Für die Frage der Tilgungsabsicht spielt es keine Rolle, dass die Einkommensteuerzahlungen aus dem Vermögen der Klägerin geleistet wurden und dass sie ausschließlich auf Einkünfte entfielen, die die Klägerin erzielt hatte. Eine Ermittlungspflicht seitens der Finanzverwaltung ohne jegliche Anhaltspunkte für einen von der Regel abweichenden Tilgungswillen bestand nicht (BFH-Urteil vom 15.11.2005 VII R 16/19; Urteil des FG Baden-Württemberg vom 11.6.2008 2 K 73/06, EFG 2008, 1515).

Ob dieser Rechtsprechung des BFH allerdings generell zu folgen ist, insbesondere bei Sachverhalten wie im Streitfall, in dem ein Ehegatte ausschließlich dem Steuerabzug unterliegende Einkünfte erzielt und sich daher die Frage stellt, welche andere Tilgungsabsicht der andere Ehegatte - hier die Klägerin - überhaupt gehabt haben könnte als die, die eigenen Steuerschulden zu begleichen, erscheint zweifelhaft. Dies kann indes offen bleiben, da die Voraussetzungen für den Erlass des Rückforderungsbescheides nach § 37 Abs. 2 AO nicht vorlagen.

Bei dem Rückforderungsbescheid nach § 37 Abs. 2 AO handelt es sich um einen öffentlich- rechtlichen Rückzahlungsanspruch im Hinblick auf ohne rechtlichen Grund geleistete Steuererstattungen mit dem Ziel, zu Unrecht eingetretene Vermögensverschiebungen rückgängig zu machen (Klein/Brockmeyer a.a.O. § 37 Rz. 1). Die Frage, ob ohne rechtlichen Grund geleistet wurde, richtet sich nach der formellen Bescheidlage; ob nach materiellem Recht ohne Rechtsgrund gezahlt wurde, ist regelmäßig ohne Belang (so die - allerdings uneinheitliche - Rechtsprechung des BFH, vgl. Urteil vom 12.19.1995 I R 39/95, BStBl II 1996, 87 sowie Schmieszek in Beermann/Gosch AO § 37 Rz. 24 und 25 m.w.N.; Klein/Brockmeyer a.a.O. § 37 Rz. 23). Danach entsteht ein Rückzahlungsanspruch bei Leistungen, denen ein materiell rechtswidriger Verwaltungsakt zugrunde lag, erst mit einem abändernden oder aufhebenden Bescheid oder einem Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 AO (Urteil des BFH vom 25.2.1992 VII R 8/91, BStBl II 1992, 713).

Im Streitfall bestand die Leistung des Beklagten in der Überweisung der von der Klägerin geleisteten Steuerzahlungen auf das bei dem Finanzamt M für sie geführte Steuerkonto. Diese Überweisung erfolgte zunächst zwar - in Höhe des hälftigen Betrages - ohne Rechtsgrund, da die getrennte Veranlagung erst später mit Bescheiden vom 25.1.2005 durchgeführt wurde. Im Rahmen der Bescheide vom 25.1.2005 wurde jedoch die Anrechnung des gutgeschriebenen Betrages vorgenommen. Die bis dato rechtsgrundlose Leistung wurde hierdurch zu einer solchen mit Rechtsgrund. Im Zeitpunkt der Rückforderung im November 2007 lag somit keine Leistung des Beklagten ohne Rechtsgrund mehr vor.

Der Einwand des Beklagten, die Verbuchung stellte lediglich einen abgekürzten Zahlungsweg dar, führt zu keiner anderen Beurteilung. Zwar hätte der Beklagte in dem Fall, dass er die Steuerzahlungen an die Klägerin unmittelbar zurück überwiesen hätte, einen Rückforderungsanspruch nach § 37 AO gehabt. Entscheidend ist jedoch nicht, wie hypothetisch hätte verfahren werden können, sondern wie der Beklagte tatsächlich verfahren ist. Tatsächlich hat er den Rückforderungsbescheid erst nach Bestandskraft der Steuerfestsetzungen vom 25.1.2005 und damit auch der Anrechnungen erlassen. Ein Rückforderungsanspruch des Beklagten setzte daher die vorherige Änderung der Anrechnung voraus. Nach der Rechtsprechung des für AO-Fragen zuständigen siebten Senats des BFH stellt die Anrechnungsverfügung einen Verwaltungsakt mit Bindungswirkung dar, der als (rechtswidriger) begünstigender Verwaltungsakt durch einen nachfolgenden Abrechnungsbescheid gemäß § 218 Abs. 2 AO nur unter den Voraussetzungen des § 130 Abs. 2 AO geändert werden kann (Urteil vom 26.6.2007 VII R 35/06; siehe auch Klein/Rüsken a.a.O. § 218 Rz. 27). Ein Abrechnungsbescheid ist für die Klägerin aber nicht erteilt worden. Der Beklagte selbst ging in seinem Schreiben vom 23.10.2007 an das Finanzamt M (Bl. 206 der Einkommensteuerakte Bd. II) davon aus, dass die Jahresfrist nach § 130 Abs. 3 AO bereits abgelaufen war. Abgesehen davon waren nach Aktenlage auch die materiellen Voraussetzungen des § 130 Abs. 2 AO zur Änderung der Anrechnungsverfügung nicht gegeben. Dabei kam lediglich eine Änderung nach § 130 Abs. 2 Nr. 4 AO in Betracht, wonach ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nur dann zurückgenommen werden darf, wenn seine Rechtswidrigkeit dem Begünstigten bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht bekannt war. Davon, dass der Klägerin die Rechtswidrigkeit der vollen Anrechnung der Steuerzahlungen bekannt oder grobfahrlässig unbekannt war, kann aber nicht ausgegangen werden.

Soweit der Beklagte sich schließlich auf das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 5.7.2007 (2 K 7465/05 B) bezogen hat, liegt diesem ein anderer Sachverhalt insofern zugrunde, als der Rückforderungsbescheid zu einem Zeitpunkt erging, als bereits ein entsprechender, wenn auch später wieder aufgehobener, Abrechnungsbescheid vorlag.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung -FGO-. Die Entscheidungen über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 135 Abs.1, 151 Abs.1 und 3 FGO i.V.m. den §§ 708 Nr.10, 711 Zivilprozeßordnung.

Die Revision war nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsfrage, ob sich die Rückforderung in Fällen wie dem Streitfall nach der formellen Bescheidlage oder nach der materiellen Rechtslage richtet, zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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