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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Berlin-Brandenburg
Urteil verkündet am 17.03.2009
Aktenzeichen: 5 K 5213/08
Rechtsgebiete: FGO, ZPO, BGB


Vorschriften:

FGO § 47 Abs. 1
FGO § 54 Abs. 2
FGO § 56 Abs. 1
FGO § 155
ZPO § 85 Abs. 2
ZPO § 222 Abs. 1
BGB § 188 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
In dem Rechtsstreit

...

hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg - 5. Senat -

aufgrund mündlicher Verhandlung vom 17. März 2009

durch

den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht ...,

die Richterin am Finanzgericht ...,

den Richter am Verwaltungsgericht ... sowie

die ehrenamtlichen Richter ... und ...

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden den Klägern auferlegt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Veranlagung der Kläger zur Einkommensteuer 1999.

Die Kläger erwarben im Jahre 1997 ein Anwesen in der M-Straße in N. Nachdem sie das aufstehende Gebäude entkernt und neu hergerichtet hatten, veräußerten sie das Grundstück im Juni 1999 und gaben in ihrer Steuererklärung für das Veranlagungsjahr 1999 Einkünfte aus diesem Veräußerungsgeschäft in Höhe von 930.374 DM an.

Mit Bescheid vom 6. Februar 2001 setzte der Beklagte die Einkommensteuer unter dem Vorbehalt der Nachprüfung und teilweise vorläufig fest. Mit ihrem Einspruch vom 28. Februar 2001 machten die Kläger u.a. geltend, dass die Verlängerung der Spekulationsfrist des § 23 Abs. 1 EStG gegen die Verfassung verstoße. Von daher dürfe der beim Verkauf des Anwesens M-Straße erzielte Gewinn nicht berücksichtigt werden. Unter dem 24. April 2001 sowie dem 7. Februar 2005 erließ der Beklagte jeweils neue, ebenfalls unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehende und teilweise vorläufige Bescheide, mit denen er dem Einspruch hinsichtlich der Berücksichtigung des Veräußerungsgewinns nicht abhalf.

Mit Schreiben vom 2. Mai 2007 teilte der Beklagte den Klägern mit, dass mit Blick auf die zeitlichen Zusammenhänge des Grundstücksverkaufs ein Ruhen des Verfahrens nicht mehr in Betracht komme und das Einspruchsverfahren nunmehr fortgesetzt werde. Nachdem die Kläger im Juli 2007 ergänzend vorgetragen hatten, teilte der Beklagte mit Schreiben vom 5. September 2007 mit, dass das neue Vorbringen nicht geeignet sei, dem Einspruch zum Erfolg zu verhelfen. Er gab den Klägern auf, sich hierzu innerhalb von vier Wochen nach Erhalt des Schreibens zu äußern. Trotz Erinnerung vom 24. Oktober 2007 gaben die Kläger eine weitere Stellungnahme nicht ab.

In der Einspruchsentscheidung vom 30. April 2008 wies der Beklagte den Einspruch zurück und hob den Vorbehalt der Nachprüfung auf.

Mit ihrer am 1. September 2008 bei Gericht eingegangenen Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Zugleich begehren sie wegen der Versäumung der Klagefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und tragen zur Begründung vor, dass die Einspruchsentscheidung am 2. Mai 2008 in der Kanzlei ihres Bevollmächtigten eingegangen sei. Sie sei von der mit der Bearbeitung des Posteingangs beauftragten Mitarbeiterin mit einem Eingangsstempel versehen und lediglich elektronisch verarbeitet worden. Zu diesem Zweck habe die Mitarbeiterin das Schriftstück eingescannt und in dem elektronischen Dokumentenmanagementsystem abgelegt. Dabei habe sie in der dafür vorgesehenen Indexmaske in der Betreffzeile den Tenor der Entscheidung ("Entscheidung Einspruch ESt 1999") notiert und diesem das Kürzel "BvF" vorangestellt, der das Schreiben als Brief vom Finanzamt gekennzeichnet habe. Sodann habe sie den Vorgang zur Weiterbearbeitung elektronisch dem Bevollmächtigten zugeordnet. Entgegen der sonstigen Praxis und ihrer Arbeitsanweisung habe sie es versäumt, den fristgebundenen Posteingang in der elektronischen Fristenliste zu vermerken. Auch habe sie das Originaldokument nicht in das Posteingangsfach des betreffenden Steuerberaters gelegt. Vielmehr sei das Dokument wohl anschließend vernichtet worden. Der Bevollmächtigte habe das ihm auf elektronischem Wege zugeleitete Schriftstück nicht beachtet, weil es unter dem Register "Korrespondenz" abgelegt worden sei. Dies sei nur so zu erklären, dass mit einer Entscheidung des Finanzamts in der Sache nicht habe gerechnet werden müssen. Erst am 19. August 2008 habe der Bevollmächtigte der Kläger erstmalig von einer Mitarbeiterin des Beklagten erfahren, dass der Einspruch mit Bescheid vom 30. April 2008 zurückgewiesen worden sei.

Die Kläger beantragen,

unter Änderung des Bescheides vom 07. Februar 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30. April 2008 die Einkommensteuer 1999 auf 60.521,62 EUR festzusetzen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage zu verwerfen.

Er meint, dass den Klägern Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden könne. Das Büroversehen der Mitarbeiterin des Bevollmächtigten sei unbeachtlich, da der Bevollmächtigte die Fristversäumnis selbst habe verhindern können. Nach Lage der Dinge habe er die Einspruchsentscheidung zur Kenntnis nehmen müssen. Dabei hätte ihm auffallen müssen, dass entgegen der üblichen Praxis weder der betreffende Bearbeiter noch die Klagefrist auf dem Posteingangsstempel vermerkt worden sei. Danach hätte sich eine Überprüfung aufgedrängt, ob in diesem Fall eine Abweichung von der üblichen Vorgehensweise vorgelegen habe. Es sei nicht nachvollziehbar, wenn die Kläger geltend machten, dass mit einer Entscheidung nicht habe gerechnet werden können. Er, der Beklagte, habe den Klägern im September 2007 deutlich gemacht, dass er dem Einspruch keine Aussicht auf Erfolg einräume.

Dem Gericht hat bei seiner Entscheidung neben der Gerichtsakte ein Band Einkommensteuerakten vorgelegen.

Gründe:

Die Klage ist unzulässig, da sie verfristet ist. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nicht zu gewähren.

Die Frist für die Erhebung der Anfechtungsklage beträgt einen Monat; sie beginnt mit der Bekanntgabe der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf (§ 47 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 Finanzgerichtsordnung - FGO -). Wird die Entscheidung durch die Post übermittelt, gilt sie am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, außer wenn sie nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Die Frist endet mit dem Ablauf des letzten Tages der Frist (§§ 188 Abs. 1, 187 Abs. 1 BGB i.V.m. §§ 54 Abs. 2 FGO, 222 Abs. 1 ZPO). Das ist im Falle des § 47 Abs. 1 Satz 1 FGO der Tag, der seiner Datumszahl nach dem Tag der Bekanntgabe entspricht (vgl. § 188 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 54 Abs. 2 FGO, 222 Abs. 1 ZPO).

Die Klagefrist lief am 5. Juni 2008 ab. Der Beklagte hat den Einspruch des Klägers mit Entscheidung vom 30. April 2008 als unbegründet zurückgewiesen und den Bescheid am selben Tag zur Post gegeben. Der Bescheid galt, da der dritte Tag nach Aufgabe zur Post ein Samstag war, jedenfalls am 5. Juni 2008, einem Montag, als bekannt gegeben. Zweifel am Zugang oder am Zeitpunkt des Zugangs bestehen nicht. Dass ihnen die Entscheidung verspätet zugegangen wäre, haben die Kläger nicht vorgetragen. Die am 1. September 2008 erhobene Klage war damit verspätet.

Die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand liegen nicht vor.

War jemand ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 56 Abs. 1 FGO). Die Klagefrist ist aufgrund des Verschuldens des Bevollmächtigten der Kläger, das dem Verschulden der Kläger gleichsteht (vgl. § 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozessordnung), versäumt worden.

Die von den Klägern vorgebrachten Gründe sind nicht geeignet, die Fristversäumnis zu entschuldigen. Insoweit kommt es auf ein etwaiges Fehlverhalten der Büromitarbeiterin des Bevollmächtigten der Kläger nicht an. Denn der Bevollmächtigte hat durch sein eigenes Verhalten die entscheidende Ursache dafür gesetzt, dass die Klagefrist nicht eingehalten worden ist (vgl. Bundesfinanzhof - BFH -, Beschluss vom 30. Dezember 2002 - VIII R 66/00, BFH-NV 2003, 924 f.). Er hat in seiner eidesstattlichen Versicherung vom 1. September 2008 (Bl. 18 der Gerichtsakte) und im Termin zur mündlichen Verhandlung auf Befragen eingeräumt, dass ihm die Einspruchsentscheidung auf elektronischem Wege zugeleitet worden ist, er diese aber nicht zur Kenntnis genommen hat.

Nach den Angaben des Bevollmächtigten soll die Verwendung des elektronischen Dokumentenmanagementsystems sicherstellen, dass neu eingehende Post dem zuständigen Bearbeiter unverzüglich zugeleitet wird. Bedient der Bevollmächtigte sich aber eines solchen Systems, so ist er auch gehalten, die ihm auf elektronischem Wege zugeleiteten Dokumente zur Kenntnis zu nehmen und bei fristgebundenen Schriftstücken sicherzustellen, dass diese innerhalb der Frist bearbeitet werden. Ein etwaiges Vertrauen darauf, dass das Schriftstück in seiner ursprünglichen Form später noch einmal vorgelegt werde, ist bei einer gleichsam zweigleisigen Büroorganisation, wie sie der Bevollmächtigte des Klägers nutzt, nicht geschützt.

Der Umstand, dass der Bevollmächtigt nach seinen Angaben die Betreffzeile des Dokumentes in der Bildschirmmaske nicht vollständig gelesen hat, weil diese lediglich verkürzt auf dem Bildschirm dargestellt werde, stellt sich als schuldhafte Verletzung seiner Berufspflichten dar. Dabei ist zu seinen Lasten zu berücksichtigen, dass er den sog. Sachbearbeiter- Arbeitsplatz ausweislich des von ihm zur Akte gereichten Bildschirmausdrucks (Bl. 44 der Gerichtsakte) lediglich verkleinert dargestellt hat, obwohl dieser ohne weiteres auf die ganze Fensterbreite hätte vergrößert werden können. Hinzu kommt, dass der Bevollmächtigte die Möglichkeit gehabt hätte, den Bildschirmausschnitt innerhalb des Fensters so zu verschieben, dass auch die nicht angezeigten Bestandteile der Betreffzeile hätten abgelesen werden können. Schließlich hat der Bevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass die Betreffzeile am oberen Rand des Fensters vollständig angezeigt werde, wenn die entsprechende Dokumentzeile angeklickt wird.

Mit dem Argument, er habe mit einer Einspruchsentscheidung nicht rechnen müssen, kann der Bevollmächtigte ebenfalls nicht gehört werden. Nachdem der Beklagte ihm mitgeteilt hatte, dass er nunmehr das Einspruchsverfahren fortzuführen gedenke und ihn aufgefordert hatte, ergänzend vorzutragen, musste er jederzeit mit einer Entscheidung rechnen (vgl. BFH, Urteil vom 8. Oktober 1981 - IV R 108/81, BStBl II 1982, 165 ff.).

Nach alledem ist es als schuldhafte Pflichtverletzung anzusehen, dass der Bevollmächtigte den Inhalt der Einspruchsentscheidung nicht zur Kenntnis genommen und infolgedessen übersehen hat, dass die Klagefrist bereits zu laufen begonnen hatte.

Ist aber dem Bevollmächtigten dieses Nichtwissen schuldhaft anzulasten, so kann er sein Fehlverhalten auch nicht damit exkulpieren, er habe sich angesichts der Büroorganisation darauf verlassen können, dass seine Mitarbeiter die Klagefrist in einem gesonderten elektronischen Fristenkalender notieren und sicherstellen, dass fristgebundene Sachen rechtzeitig vor Ablauf der Frist wieder vorgelegt werden. Denn der Berufsträger ist verpflichtet, den Fristenablauf eigenverantwortlich zu kontrollieren, wenn und sobald ihm eine Fristsache zur Bearbeitung vorgelegt worden ist (BFH, Beschluss vom 30. August 2002 - III B 62/01 -, BFH-NV 2003, 67). Er kann nicht darauf vertrauen, dass sich ein fristgebundenes Schriftstück im allgemeinen Organisationsablauf für die Behandlung von Fristensachen befinde (vgl. auch BFH, Beschluss vom 28. Mai 1985 - II R 68/84, zit. nach [...]).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision war nicht zuzulassen, weil einer der in § 115 Abs. 2 FGO bezeichneten Gründe nicht vorliegt.

Ende der Entscheidung

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